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Mittwoch 26. Februar �tSZo
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Deilage öes Vorwärts
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(Schluß.) Wenn irgendwo«in Film mit der Wang gegeben wird, löse ich eine Kart« und setz« mich in den dunklen Raum. Und ich starre in .ie schmalgeschnittenen Augen, als wären sie dicht über mir, ich spür« den Duft von dem in die Stirn gekämmten Haar und glaube, ich habe Besuch von meiner kleinen russischen Freundin. Was war sie doch lieb und wert, ein ganzer Kerl. Sie kam abends gegen sieben Uhr in einem wundervollen Abendkleide, und wir wollten zu einem Ball oder einer Premiere, wozu wir schon Karten hotten. Sie sah berückend aus, und hundert Männer hätten ihr an diesem Abend gehuldigt. Aber da konnte sie sich plötzlich auf meine Knie setzen und den Kopf an meine Brust lehnen:Weißt du. Liebster, wir bleiben zu Haus. Wir bleiben allein. Wir machen uns ein herrliches Fest.* Und sie tonnte leise russisch vor sich hinsummen, aus meinen Knien, an meiner Brust, in ihrem schönsten Abendkleid. Und die Uhr ging mit ihren Zeigern unaufhörlich in die Nacht hinüber. Zehn, elf Uhr, und wir sahen beieinander und hieben unsere Hände, ich lügt« Marfa aus den sehnsüchtigen Mund oder ging zum Flügel, spielte Chopin  , und Marsa setzte sich in ihrer grand« toilett  « zu mir auf den Teppich. Ja. sie hatte sich schön gemacht für solche Swrchen. Wenn sie«inen deutschen Brief schrieb, machte sie manche Fehler, doch ihr Russisch konnte ich sa nicht lesen. Aber ihre russischen Koseworte verstand ich, ich sog ihren Sinn ein wie ihre Küsse und ihre Lieder hört« ich wie die Sprache ihres Herzens. An stillen Abenden, wenn wir unsere Zweisamkeit nicht stören wollten durch Kino oder Tanz od«r sonst etwas, an solchen Menden   hüllte ich mich in die Lieder ihrer Heimat ein wie in eine weich« warme L«cke, und mir war, als führe ich mit Marsa in einem Schlitten durch die weite nachtdunkle russische Steppe... Manchmal fragt« ich sie nach einem Lied oder nach einem Kose- wort: Dar das russisch? Und sie lacht« wohl: Lettisch! Und fragte ich dann ganz schlau ein anderes Mal: Natürlich lettisch, Marsa?, da konnte sie ganz entzückend komisch seufzen: Diesmal polnisch, du Dummer, Süßer! Und dann strafte ich sie mit Küssen und lachte: Diesmal deutsch, Maruschka. Marfa klingt oft in mir, sie ist der dunkle Ton im Dreiklang nteines Herzens. Ja, und nun Gerda und Anja. Ach, Gerda war ein Mädchen,«in ganz kleines Mädchen. Gott  , !ch hätte an ihr vorübergehen können, aber es gibt etwas Leisestes, Heimlichstes, Unentdecktes, an dem man nicht vorübergehen kann, ;cnn man es ahnt. So habe ich Gerda geahnt. Sie war etwas, an dem man sich auslöschen kann, völlig. Si« war nichts gegen Msa oder Maria, und doch war si« alles. Man konnte sich zu ihr retten vor sich selbst, weil zu ihr nur eine schmal« Brücke führte, auf der man alle? zurücklassen mußte, alle geistigen Frachtkofser. alle literarischen Necesiaires, denn Gerda war ein märkisches Dorf- laädchen, das über die Wiesen lief mit einem bunten Kopftuch, unter dem zwei schwere blonde Zöpfe steckten, mit nackten braunen Beinen und einem verliebten Herzen. Ja, man konnte wohl Sehnsucht danach bekommen wie nach owgenden Kornfeldern und einer Windmühle. Wenn ich nach den wogenden Kornfeldern Sehnsucht hatte und nach Gerdas Gliedern, nach ihren Zöpfen und roten Lippen, nach ihren nackten Beinen, nach ihrer ganzen süßen kindlichen Weiblich« leit. dann ließ ich die Stadt hinler mir und wanderte durch die Kornfelder zu einer Mühle» wo Gerda wartete. Das war ja so merkwürdig: ich komme von Anja, der klugen großen Anja, die nach Heidelberg   flog zu den Festspielen, um Ger  - hart Hauptmann zu interviewen, von dieser klugen 2lnia komme ich zu Gerda, ich komme, und Gerda, das Donmädchen mit den blonden Zöpfen, stürzt bei der Mühle auf mich zu und küßt mich, und ich bin sinnlos glücklich. Ich liege im Gras, den Kopf in Gerdas Schoß, l::id sehe die Wolken über mir dahinziehen, als hätte ich seit Jahren keine ander« Beschäftigung und dächte auch in Zukunft nichts anderes zu tun. Ich bin ja über die Brück« gekommen und habe alle Koffer zurücklassen müsien. Ich bin ausgelöscht und befreit, ich erleb« etwas Unnennbares, ein« Inkarnation. Anja, aber nein, so weit denke ich' in dieser Stunde gar nicht. Anja steht jetzt vielleicht vor Gerhart Hauptmann   und spricht mit ihm über Florian Geyer  , und ich liege hier und laste mir von einem Dorfmädel über die Heuernte berichten, ober den letzten Dorsball, über dl« Ziegen, die Gerdas kleine Schwester hüten muß, ob sie wieder mehr Milch geben, ob der Grabenrand drüben am Bach schon abgeweidet ist, ach, und ich liege ganz still und hör« und rege muh nur, wenn Gerda mich küßt. Sie ist auch in ihren Küssen das kleül« Mädchen, und wenn wir dann tiefer in den Wald hineingehen, aber im tiefen Wald, dann läßt sich das Mädchen wie«ine Puppe über dos Moos tragen, und die Arm« umschlingen mich, und eine Kindcrstimm« sagt gedanken- ichwer: Ich kann dich ja nie vergesien! Anja ahnte etwas von Gerda. Und einmal kam Anja mit mir in jene Gegend, wir blieben den ganzen Tag, die ganze Nacht dort in einem Gasthaus, ich sah Gerda nicht, aber ich ging mit Anja Wege, die ich mit Gerda gegongen bin, und das stand in meinen Augen, das hämmerte in meinem Herzen, es war«ine Qual. Das sind alles dunkle, seltsame Berhältnisse. Man kann sich ielbst nicht mehr erkennen, so unklar ist das. Und in dieser Unklar- i,eit lernt man dann noch andere unklare Menschen kennen, erfährt von diesem und jenem, lernt homosexuelle Männer kennen und lesbische Frauen, man steht Ehebrecher und(Jhebrecherimien In seinem Bckannten'reis, man kommt mit Trinkern zusammen und hört ihre Geschichte: vielleicht war«ine Frau schuld, vielleicht der Krieg, vielleicht nur sie selbst. Eine solche Geschichte, die mir einer erzählte, als er vom Alkohol ganz nüchtern war, schrecklich nüchtern in seinem Elend, eine solche Geschichte trage ich heut« noch mit mir herum, und vier Tage konnte ich damals keine Frau ansehen, ohne nach innen zu knirschen: Weiber! Und meine Geschichten? Ja, ich gebe Anja meinbesseres' Ich. und für Gerda bin ich da, plötzlich oder verabredet, bin ich eben da für sie. Wir beide sind da für uns. Gerda und Anja kann man natürlich nicht in einem Atem nennen, da sind doch Unterschiede auch in ihrer spezifisch weiblichen Art, von geistigen wollen wir gar nicht sprechen. Gerda ist ein« Wiese mit vielen bunten Blumen, und Anja ist ein gotisches Fenster in einer Kirch«. Vielleicht sehe ich manchmal, wenn ich in der Kirche sitze, durch das gotische Fenster aus die Wies  «, vielleicht blicke ich von der Wiese in Gedanken durch das Fenster in die Kirche. Co ist«s, lieber Freund. So läßt sich alles erklären und ver-
stehen und verzeihen. Aber Sie, ich denke eben an Sie? Ich denk« daran, daß Sie meine Schwester lieben und sie heiraten wollen Ich denke daran, und es erscheint mir plötzlich alles so seltsam. Wenn Sie nun neben Ihrer Anja, die meine Schwester ist, noch eine Gerda hätten und eine Marfa, wie anders ist alles, man braucht nur daran zu denken. Ich glaub«, ich würde Sie niederschlagen, wenn Sie Ihrer Anja vom Berge wegliefen, um ein« Gerda, die über die Wiesen läuft, an den Zöpfen zu fangen. Komisch, komisch. Ich bin da von diesen. Bilde verwirrt. Ich weiß nicht, was ich von meiner Schwester denken würde, die alles verstehen, verzeihen würde wie Anja. Und ich denke, daß Anja nicht alles verstehen und verzeihen sollt«. Plötzlich denke ich so. Es ist ein seltsamer Reigen, in dem ich mittanze. Alle, Anja und Gerda und Marfa und ich und die Trinker mit ihren schweren Geichichteu und die Ehebrecher und die Ehebrecherinnen und die
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Homosexuellen und die Lesbifchen und alle, alle, alle, ein seltsamst i Reigen. Und ich höre Anja sagen, man könne alles verstehen uniV verzeihen.. Aber Sie sind doch nicht in dem wirren Reigen. Sie stehen mit Ihrer Anja aus einem Berge und bleiben immer allem und glücklich. Nun habe ich mit Ihnen hier lange gesprochen, aber das Schlimmste wissen Sie noch immer nicht. Ich sitze hier bei den Bildern und Briefen des Sommers und möchte, daß ein Schnee darauf fällt, ein starker hohe, Schnee. Wird es denn noch schneien in diesem Winter, der kein Winter ist? Anja wird morgen abend kommen, sie will, daß ich mit ihr ins Kino gehe, zu irgendeinem Film, ich soll nicht immer zu Hanse sitzen, meint sie. Das Schlimmste, nämlich, müssen Sie wissen. das Schlimmste ist, daß Gerda tot ist. Vielleicht hat sie Angst be- kommen vor einem Kind, vielleicht hat sie die Sehnsucht getötet, als der Herbst über die Felder brach und ich nicht mehr zur Mühle kam.. Ihre Mutter hat mir nur gpnz kurz geschrieben. Ich werde wohl noch einmal zu ihrer Mutter gehen müssen... Wenn der Schnee ganz hoch liegt auf den Feldern... dann..,
3)r. Slfe Wlobiut: 3)er ffielaiwiH des. Jahrhunderls
Es war in den 70er Jahren des 16 Jahrhunderts. Ganz Frankreich   war in �wei große Lager gespalten, die sich haßten wie Todfeinde, deren Sinnen nur darauf gerichtet war, den Gegner niederzuischlagen, und zwar so, daß sein« Macht auf immer gebrochen war. Auf der einen Seite standen die Rechtgläubigen, die An- Hänger der ewigen Mutter, der ecdeeia catholica, die katholischen Christen, auf der anderen die überzeugten Vertreter des wahren Glaubens, eines reinen, geläuterten Christentums, die protestanti- jchen Hugenotten. Vor kurzem hatten sie unter den Augen der in ohnmächtiger Wut jede ihrer Bewegungen verfolgenden katholischen Feinde ihre erste große Heerschau abgeholten: Nahezu eine halbe Million protestantischer Gläubigen gab es bereits in Frankreich  , und ihre Führer waren keine geringeren als die altberühmten, vor- nehmen Familien der Bourbons und der EHätillons. Auch von den deutschen Glaubensbrüdern wurden sie tatkräftig unterstützt, als die großen Kämpfe, die Hugenottenkrieg«, entbrannten und Frankreich  in ein Meer von Blut, Haß, Verrat und Fanatismus verwandelten. Jeder einzelne nahm Srellung, denn es galt, denrechten Glauben' gegen die Anhänger des Teufels, gegen die Ketzer, die Ungläubigen hochzuhalten. Auch in der ehenmligen Grafschaft P>?rigord  , dem einstigen Sitz der Kellen im Südwesten Frankreichs   nahm man mit Be» geisterung teil an diesen großen Kämpfen, und der ärmste Klein- bauer, der besitzlose Landarbeiter, der unerfahrene Hütejunge, der seine Schweine in die Eichenwälder trieb und niemals über fein kleines Dorf hinausgeblickt hatte sie alle wußten: Es geht jetzt um das Reich Gottes und der Jungfrau, und jeder wahre Katholik mutz die Heiligen bitten, Zeichen und Wunder in diesem Kampfe zu tun, damit der wahre glaube des katholischen Frankreich   sieg- reich werde. Nur einer schien nicht zu wissen, was um ihn vorging, was das ganze Land und seine Bewohner bis ins Innerste erschütterte. Es war der Schloßherr voll Perigord, Michel de Montaigne  . Seine Standesgenossen mochten ihn in all« möglichen interessanten Dis­kussionen religiöser und philosophischer Art locken, um sein« eigen« Stellungnahme zu erforschen, sie mochten ihm noch so nahelegen. daß es Pflicht eines französischen   Edelmannes sei, gegen Kurie und Katholizismus zu kämpfen: alles schien an diesem undurchdring- lichen, geheimnisvollen Manne abzuprallen wie an einem Panzer. Mit Angst und Scheu sahen die Bauern, seine Untertanen, chm nach, wenn er in seiner Karosse ausfuhr. Zwar hatte er niemals, mit keinem Worte, ihren Glauben angetastet, aber war er wirklich einer der Ihren, war er ein Rechtgläubiger, ein Streiter der heiligen Jungfrau? Mit Mißtrauen und heimlicher Wut beobachteten ihn die Hugenotten: Zwar hatte er auch ihre Symbole, die schmucklosen, protestantischen Kirchen, jederzeit mit Respekt und Achding be- handelt, aber konnte man wissen, wie es wirklich in der Seele dieses schmalkäpfigen, blassen Edelmannes, dessen Mutter eine Jüdin ge- wefen war, aussah? Nber seltsam genug: Während Taufende um ihn her ermordet wurden, überstand er, der von. beiden Parteien gleichzeitig mit Mißtrauen beobachtet' wurde, unverletzt alle Wirren. Selbst der Schrecken der Bartholomäusnacht, am 24 August 1572, als über 30 000 Hugenotten dem Fanatismus der Kätholiken zum Opfer fielen, konnte dem Edelmann von Perigord nichts anhaben. Tief versunken in seine geliebten römischen Klassiker, deren Sprach« er schon im 6. Lebensjahr wie seine Muttersprache beherrschte, er- gänzte er seine vor langem begonnene Zitatensammlung und dachte über sich selbst und die wunderliche Well um sich her nach. Er Halle sie zur Genüge kennengelernt, als er auf Wunsch seines Vaters eine Ratsstell« in der Hauptstadt von Perigord, in Pörigeux, be- kleidet hatte. Damals übermannte ihn der Ekel vor menschlicher Unzulänglichkeit so sehr, daß er glücklich war. den unliebsamen Berus  wieder verlasien zu können. Lohnte es sich denn, sich für irgendeine menschliche Institution einznsetzen, Vertreter irgendeiner Welt- anschauung zu sein? War man denn seiner selbst sicher, schwankte man nicht in seinem Wissen und Erkennen, in seinem Wollen und Künnen beständig hin und her?. Rastlos glitt der Federkiel des Einsamen über das Perganient. Er vermochte nicht schnell genug festzuhalten, was die Seele des Schreibenden bewegte. Viele Kapitel waren bereits druckreis. Aber immer wieder überarbeitete sie der niemals mit sich selbst Zufriedene, unaufhörlich feilte er an dem sprachlichen Ausdruck. Nur der Titel fehlte ihm noch. Wie sollte er feine Plaudereien über die Lüg« und die Furcht, über Pedanterie und Erziehung, über die Mängel der Gerichtsbarkeit und die Eitelkeit der. Worte, über Bücher und Lebcnskultur nennen? Eine einzige Bezeichnung dräng!« sich ihn, immer wieder aus, ob- wohl sie noch nirgends in der gesamien französischen   Literatur ver- wandt worden war.Dcrsuche'. kleine Proben literarischer Ab- Handlungen.Essays*: dies allein war der richtige Titel. Und so erschiener. vor genau 350 Iahren dieEssays' von Michel de Momaigne, inleresiante, geistvolle Betrachtungen über
stellen, sein eigenes Wesen bis in die Tiefen verfolgen: das ist sein Ziel. Der erste große psychologische Schriftsteller, der erste Essayist Frankreichs   ist geboren. Aber Faufts Wort von den zwei Seelen in der menschlichen Brust bewahrheitet sich auch an diesem kühlen, unbewegten Denker» der scheinbar an nichts glaubt und an allem zweifelt. Mitten in diesen abgefeillen, durchdachten Ausführungen spürt man plötzlich eine Wärm«, ein echtes Gefühl von einer Tiefe und Beständigkeit, das überraschen muß. Es steigert sich zum leidenschaftlichen Be- kenntnis überall dort, wo Montaigne   über die Gerichtsbarieit Frankreichs   spricht. Scharf lehnt hier der sonst so kühle Denker die mittelalterliche Strafrechtspflege mit ihren barbarischen Sitten und Gewohnheiten ob und ebenso scharf verurtellt er die Unsicher- heit, die Wirrnis der Gesetze, die weitab von der Praxis entstanden zu sein schienen. Diese Stellen sind durchaus modern. Sie sprechen Forderungen aus, um die wir teilweise heute noch kämpfen müssen und sind ein Bekenntnis zu wahrem Menichentum, zu Toleranz. Edelmut und Seelengröße. Bon überraschender Wärme und Tiefe des Gefühls sind auch Montaignes Worte über die Freundschaft. Sie stehen gegen End« des ersten Buches und sind unter dem Ein- druck geschrieben, den der Tod seines einzigen Freundes, des kühnen revolutionären Schriftstellers Etienne de la Boäiie auf ihn aus- übte. In diesem Kapitel erhebt sich Montaigne   zu dichterischer Größe. All« Verneinung und Skepsis ist verschwunden. Hier klagt eine Mcnschei/eele um etwas unwiederbringlich Berlorenes und schafft sich Trost in der Erinnerung an den geistig und seelisch immer noch nahen, unvergeßlichen Freund. Montaigne? Essays konnten nur in einer mittleren und oberen Schicht Fuß fassen, denn trotz aller kristallenen Klarheit der Sprache ist die Lektüre diesesersten Klassikers der französischen   Literatur'. wie man ihn genannt hat, nicht immer leichr. Auch die neue Form des ltterarischea Essays fand keine Nachahmung. Mer als der englische   Philosoph Vacon ein Dierteljahrhundert später von seiner französischen Reise zurückkehrte, da erschien in London   plötzlich ein Bändchen, das sichEssays" betitette und als Vorbild Senecas Briefe angab. Erst viele Jahr« später gab der englische   Nachahmer indirekt zu, daß er MontaignesEssays' kenne. Die literarische Form aber hotte in England bereits festen Boden gefaßt. Im 18. Jahrhundert bildeten sie die sogenannten Essayisten, Steele, Addison Drydcn u. a. noch weiter aus, und ün IS. und 20. Jahr­hundert fand das Essay, die geistvolle Plauderei über Zettfraxen, Eingang in die Weltliteratur. Tain« in Frankreich  , Macau   y, Carlylc in England, Gustav Freytag  . Wilhelm Wuridt in Deutsch  - laud sind seine Vertreter. Der Gedanke des einsamen Edelmannes auf seinem Schloß in der Gascozne hatte Länder und Meere, Nationen und Jahrhundert« überwunden. Ganz seltsam aber be- rührt es den Modernen, der Montaignes Bücher aufschlägt. Dieser Mann hat ei wirklich vor über drei Jahrhunderten gelebt? Sein Zweisei an der absoluten Wahrhett, sein Streben nach Toleranz, nach Versöhnung, nach Menschlichkeit, sein Bekenntnis zur Relativität alles Seienden sind es nicht Ideen, Wünsche. Gedanken des 20. Jahrhunderts! Ist Montaigne nicht nur der erst« Esiayist, sondern der erste Kritiker menschlicher Einrichtungen über- Haupt, der Relotioist, der im Zeitatter Einsteins wiedermodern' werden wird? str. siurt sToeritke: Dögel, die fielt parfümieren Vor vielen Iahren schrieb mir einmal mein Bruder aus Schlesien  , er habe beim Rehbockanftand äm Waldesrande beobachtet, wie Stare in seiner unmittelbaren Nähe an einer sogenannten Ameisenstraß« einfielen und den Boden eifrig mit chren Schnäbeln abzirkelten. Die ergriffenen Ameisen wurden aber nicht etwa kurzer« Hand verspeist, sondern die Vögel steckten sie sich mit allen Zeichen des Wohlbehagens unter die Flügel. Einig« Jahre später machte ich selbst ganz ähnliche Beobachtungen gleichfalls bei Staren, und neuerdings wird das gleiche auch von Krähen berichtet. Diese rutschten an dem betreffenden Platze mit gesträubten Federn, gelüsteten Flügeln und erhobenem Kopfe förmlich auf dem Bauche herum. wobei sie sich auf den Schwanz stützten. Sie waren so vertiefr in ihre ihnen sichtlich sehr angenehme Bejchästigung, daß sie den Jäger samt Hund ganz nahe herankommen ließen. Bemerkenswert ist auch, daß in allen Fällen weder Stare noch Krähen einen L-aut hören ließen, sondern sich ganz still verhielten, obwohl sie doch sonst bekanntlich recht schreilustige Äögel sind. Was mag nun wohl der Grund dafür gewesen sein, daß sie sich mit solchem Eiser einem solch rätselhaften Genüsse hingaben? Dieser bestand wohl zum Teil darin, daß dl« bedrohten Atneisen zur Ab- wehr reichlich Ameisensäure ausspritzten, was wohl erfrischend auf dt« Haut der Vögel wirken mag. Von einem Behagen an dem
____ M......... W. Geruch der Ameisensäure kann dagegen kaum die Rede sein, da ja Einzelgebiete menschlichen Wissens, menschlicher Berrächtungswess«. das Geruchsdermögen der Vögel bekanntlich stark verkümmert ist.
Sie wollten nichts Auroritotives bieten, nichts, was Anspruch auf Allgemeingülligkeit beanspruchen konnte, sondernc'eet icy un livr« de bonne loy', es ist nur«in Buch guten Glaubens, undc'est moj que je peins", ich male mich selbst, betont er überall. Cr ist hungrig noch Selbsterkenntnis', er will sein« eigene Seele dar-
Eine praktische Folge dieserAmeffenbäder' war es aber jedenfalls, daß dadurch lästige Hautparasiten der Vögel Zum Abfallen bewogen- wurden. Ob die Stare und Krähen das gewußt haben mögen, also zielbewußt handelten? Wenn ja, dann würde das ganze Verfahren für ein« ausnehmend hohe Intelligenz bei ihnen sprechen.