Beilage
Sonnabend, 1. März 1930
FRIEDRICH LICHTNEKER
Der Abend
Shalausgabe des Vorwärts
EIN SINNISER MORD
5 Monaten Gefängnis wegen Diebstahls vorbe. straft! Seine Gedanken peitschten ihn immer wieder aus der Müdigkeit auf.
Es mar knapp nach dem Kriege. Pitter tam aus dem Feld.. Hungernd, stellungslos, entmurzett stand er ba. Der Mensch muß doch leben. Was hilft's! Wenn man draußen im Felde Hunger hafte und nichts zu fressen, dann hatte man eben requiriert, wie das so beim Militär hieß. Asp requirterte" ganz einfach Bitter. Wurde dabei ertappt und auf 5 Monate ins Gefängnis gesteckt. Er ist wieder ein anständiger Mensch geworden, als er losgegangen ist. hat heute einen ehrlichen Beruf, eine brave Frau und einen geregelten Hausstand. Was kann es den Leuten wichtig sein, ob er einmal gestohlen hat 5 Monate Gefängnis abgefeffen.
Bitter fuhr auf seinem Rad ins Geschäft. Es mar ein Novembermorgen. In den Straßen lag dicker, feuchter Nebel. Durch die grauen Schwaden blinkten die Lichter der Autos und Elektrischen Man mußte fehr vorsidhing fahren, denn man jah auf feine zwanzig Schritte vor sich. Weiß der Teufel, Bitter war heute der Kopf ganz bleiern. Die ungesunde, najfe Luft beizte die Lungen Die Augen brannten. Scheußlich, dieses Better! Man wäre zu Selbstmord geneigt. Bitter rabelte seiner Beschäftigung entgegen, feinem Ziele 31. Mit trüben Gedanken im Schädel. Zeitweise dachte er dann wieder an nichts. Mechanisch trat er die Bedale. Blöglich erinnerte er sich, daß er schneller fahren müsse. Er hatte fich heute ein wenig verspätet. Die Normaluhr zeigte fünf vor acht. Um acht mußte er an Ort und Stelle sein. Bis dahin waren es noch gute zehn Minuten. Also rascher! Berspätung ist Kündigungs| hinwegkommen konnte, auch wenn sie unter ihrer beschränkten Eingrund. Ründigung heißt stempeln müssen. Not. Bitter rafte durch stellung zugrundegehen müßte. Pitter fannte fie gut. Sie mar in den Nebel. Der Asphalt war glitschig. Ritsch! Wie's ihn schleuden sieben Jahren Ehe nicht nur wie eine wirkliche Frau, fondern dert. Aber er hält die Balance. 3wo vor acht. Jagt feste! Biel - auch wie eine Mutter zu ihm. Kinder hatten sie feine. Er nämlich leicht geht die Uhr des Chefs zurück. Vielleicht hat er heute verwollte feine. Sie hatte ihm zuliebe darauf verzichtet. Brigitte war Ichlafen. um etliches älter als er, aber um vieles auch reifer. Sie sagte sich immer, daß es gut so fet. Er, der Mann, war ein guter, aber fein starter Mensch. Das hatte sie bald gemerkt. Sie war eben deshalb mie Mütter zu ihren Kindern voll Güte und Nachsicht, aber auch von unerbittlicher Strenge und unnachgiebiger Konsequenz. In einem Leben von Aufmerksamkeit, behutsamer Liebe und stetigitte. Ahnungslos liegt sie da neben ihan, dem Dieb. Wenn sie's gen Umsorgen vergaß fie den eigentlichen Sinn ihres Lebens, ohne daß er ihr je erft bemußt geworden wäre. So wurde sie ein wenig hart, spröde und fantig.
Bus- Haltestelle. Bitter flingelt mie irrfinnig. Benn doch diese Ludersch nicht immer mitten auf dem Damm stünden! Der Geh steig ist doch zum Barten da. Was geftituliert denn so die Dile mit dem Schirm? Püppchen! Püppchen!"
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Hopp, hopp Bitter wirft's fast aus dem Sattel. Hinter thm ein Aufschrei. Flüche, Gezeter und Geschimpfe. Bitter fommt ins Schleudern, Es teißt ihn rum. Er muß abfizen. Eine ält Jiche Dame geht ihn scharf an. Drohend schmingt sie den Shirm, bereit, Bitter im nächsten Augenblick damit niederzuschlagen. In der nächsten Biertelminute sieht sich Bitter von einer fläffenden Menge umringt. Er meiß eigentlich noch immer nicht, mas geschehen ist. Er weiß nur, daß er das Zielobjelt von Haß, Schmähungen und Racheburst ist.
So war es denn auch jetzt, daß Bitters Unachtfamfeit vor ihr gerügt und getadelt wurde. Ueberdies herechnete sie gleich die Untosten, die daraus dem Haushalt erwachsen werden.
Als bereits nachts der Nebel hochgegangen war, hob sich noch immer nicht die bleierne Schwere von Bitters Kopf und Bruft.
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Da schießt's ihm durch den Kopf: Um Himmelswillen, der Chef wartet doch! Was hat er denn noch hier zu suchen? Er muß ja fort, fort, schleunigst. Eine undurchdringbare Menschenmauer Es waren seit dem Hundemord Wochen vergangen. fteht um ihn aufgerichtet. Es gibt fein Durch Bitter st ert hilf Bitter wollte foeben das Haus verlaffen, als ihm auf der Treppe stert und rotlos um sich. Was wollen denn diese gemeinen Menschen der Postbote begegnete und einen Brief in blauem Umschlag übervon ihm? Die Schuljungen begrinsen ihn, blöfen wie junge Schafe. gab. Die Borladung zur Berhandlung. Pitter mar Die Beiber mit den Einholförben lassen eine Flut müster Bewegen böswilliger Sachbeschädigung angeflagt. Den armen Mann fchimpfungen über ihn ergehen. Die ältliche Dame schreit ihm ins ergriff vorübergehend Schwindel. Gesicht, daß er ein Rohling sei und er müsse nor's Schmurgericht Schicksal. Die Sache mußte ausgetragen werden. Daran war nichts und mindestens auf zehn Jahre nach Blößensee ins Zuchthaus. mehr zu ändern. Er versuchte nun die ganze Angelegenheit auf die Ein wohibeleibter Harr in den Sechzigern schiebt sich in die vorderste leichte Schulter zu nehmen und fämpfte eine innere Unruhe, die Reihe des Menschenringes und hält eine Ansprache: Die Radfahrer ihn immer wieder beschlich, mit Heroismus meder. feien eine Bolfsfeuche und die Regierung müsse endlich mal gegen diesen Unfug Schritte unternehmen; man lebe doch in einem Staate der Ordnung und Disziplin.
Der
Schließlich ergab er sich dem
Am Abend, drei Tage vor der Berhandlung, murde Bitter, als er die Zeitung las, blaß und ganz still. Die Frau bemerkte es. Aber sie fragte nicht und schwieg. Er war so sonderbar der Mann. Die ganzen Lage schon. Sie gingen zu Bette. Das Licht wurde ausgelöscht. Bitter starrte in die Dunkelheit. In feinem Kopfe begannen seltsame Gedanken zu freisen. Er wollte Licht machen, nochmals die Zeitung lesen. Ob er denn nicht doch mißverstehe.
Ein Schupo greift ordnend ein. Der Rachedhor flärt ihn über den Tatbestand auf. Bitter erfährt erst jeht, welche Schuld er auf fich geladen hat. Er fuhr nämlich den und der Dame mit dem Schirm zu Tode. Bitter verzieht sein Gesicht zu tiefftem Bedauern. Der Nebel, Herr Wachtmeister". entschuldigt Da stand es klipp und flar, daß auch in einem solchen Falle wie er sich schüchtern und demütig. Man soll eben die Hunde an der dem seinen man vor Gericht nach den Borstrafen befragt wird. Leine führen, wagt er kleinlaut zu bemerken als er sieht, daß ihn und da heißt's denn wahrheitsgetreu antworten. Die fragen einen der Mann in der Uniform freundlich anfieft. Bitters Meinung nur, weil sie's ohnedies wissen. Das ging Bitter nicht in den murde von den anwesenden Tierfreunden niedergepfiffen. Schädel. Das war für ihn barer Unsinn. Seine Finger tasteten Schupo notiert den Tatbestand, nimmt Bitter die Personalien ab nach dem Schalter der Lampe . Das tann nicht stimmen, das ist Bitter spricht ganz leise, als schäme er sich, feinen Namen der bestimmt ein Irrtum, rang er mit sich. Dann horchte er auf den Deffentlichkeit preisgirgeben. Blutrot bis hinter die Ohren steht er tem feiner Frau. Sie schläft, stellte er fest. Er schmanfte zwischen da und stottert: Andres Bitter, 38 Jahre alt, evan reftlojem Erfenntnisdrang einer ihm ganz unglaubhaften Tatsache gelifch. perheiratet. 3ushneider, wohnhaft und der Achtung vor dem Schlaf seiner Ehegefponftin. Er entschieb G.... straße 5, brei Treppen hoch." Dabei hält er ben fich für legteres. Nicht allein der Achtung wegen, fondern ihn Kopf tief gesentt, als wolle er ihn in die Erde stecken. Sein beängstigte vor der Erkenntnis. Andres Bitter, Ste find scheidenes, stilles, erregungsloses Leben ist gestört und entblößt. Dorbestraft!", hörte er plötzlich aus der Dunkelheit rufen. Mit Seine Gedanken sind bei Brigitte , seiner Frau. Wenn die ihn da so sähe.
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Als Pitter wieder auf seinem Rad saß, war es bereits fünfzehn nach acht. Er war vollständig aus der Bahn geworfen, der Hundemörder. Dem Chef muß er natürlich alles genau berichten. Schließlich ist sein 3ufpättommen nicht durch ihn allein verschuldet. Gott strafe alle Köter, so sie nicht an der Le'ne geführt werden.
Abends erzählte Bitter den morgendlichen Borfall seiner Frau. Er hätte thr am liebsten die faule Geschichte verschwiegen. Aber so did mar denn der Nebel doch nicht, daß fie nicht eines Tages dahintergekommen wäre Erstens mird er ja die Borladung zu Gericht ins Haus zugestellt bekommen, und zweitens die Zeitungen! Die berichten ja alles hoartlein. Für ihn war es nicht leicht. feine Unschuld zu beweisen. Er tonnte ihr zwar alles anvertrauen, aber nicht ohne gewiffe Bange und Scheu und beinahe Wengstlichtsit. Sie verstand ihn ja ausgezeichnet und hatte immer sein Best s im Auge, aber sie hatte eben Vorurteile Daran war ihre Erziehung fchuld. Sie war zu forreft, zu fleubürgerlich. Für sie gab es mur gut und böse. Es gab eben Dinge, über die sie ganz einfach nicht
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Bitter hungerte nach Schlaf. Aber er wurde immer macher. Das ist doch eine Niederträchtigkeit, eine himmelschreiende Ungerechtigteit, empörte er sich. Meine Frau hält mich für einen an.. ständigen Menschen und fennt mich auch nur als solchen. Und jetzt foll sie erfahren, daß ich ein abgestrafter Dieb bin, ein Zucht, häusler?! Bloß, weil ich der Alten das dreckige Vieh hingemacht habe?!
Bitter faß im Bette auf. Hielt den Atem ein. Sah nach Bri erfährt, was wird sie dazu sagen? Er wird ihr schon alles er lären, die Umstände damals, Hunger, Not teine Arbeit, tein Dach überm Kopf. Und an allem ist ja doch nur der Krieg schuld. Sie wird ihn schon verstehen. Sie wird ihm diese kleine Lebenslüge schon verzeihen. Irren ist menschlich. Jeder von uns fann einmal im Leben irren. Keiner ist unfehlbar. Wer weiß, wenn es ihr mie teilen, kein Mensch darf ihn verurteilen. Und die Strafe darf sie ihm ergangen wäre, ob sie nicht auch fie fann thn nicht verurihm auch nicht vorhalten. Das darf fein Mensch Das sagte ihm damals fein Doftor, der„ Er- Offo"..
Gegen Morgen dämmerte Bitter hinüber. Der Wecker schrillte Schwäche aufkommen lassen, ermunterte er sich. Beim Frühstück Nur feine ihn bald aus dem Schlafe. Er riß sich zusammen. Schwäche aufkommen lassen. ermunterte er sich. mollte er ihr alles gestehen. Aber er verschob es für den Abend. Da hat man Ruhe. Da fann man sich aussprechen.
Es tam der Abend, und Bitter war bereit, Beichte abzulegen. Am Bege nach Hause hatte er sich schon alles zurecht gelegt, jeben Sah, jedes Bort. Jezt, wo er ihr gegenüberfaß. fiel ihm nicht ein einziges Wort ein. Alles war wie weggeblasen. Er konnte über
haupt nicht denken.
Brigitte fam quf die bevorstehende Verhandlung zu sprechen. Sie teifte. Solche Scherereien mache er fich und ihr. Und es sei eine Schande, fich bei Gericht herumzuschlagen. Bitter lachte hart auf: Und wenn ich wirklich ein Verbrecher wäre, hättest du mich dann weniger lieb?" Biffer zittert der Antwort entgegen.
-
Was sagt sie da? Sie Tiefe ihm davon nicht eine Stunde länger bliebe sie bei ihm? Sie meint es ernst So ist fie. Sie versteht das nicht. Sie wird das nie verstehen Sie ist ein guter Mensch, aber sie hat ein zu enges Herz. Sie fann nichts dafür. Sie muß so sein. Nie wird sie ihm verzeihen. Nie. Ihm davonlaufen, davonlaufen.
*
Körper. Dann brannte er wieder im Fieber. Ganz elend war ihm. Bitter wachte die zweite Nacht. Kalter Schweiß bedeckte seinen
Die
einer Seite auf die andere wälzt. Bad wird sie nicht mehr neben Sie schläft. Immer schläft sie, wenn er sich da nächtelang von ihm schlafen. Sie fann sich auch ohne ihn weiterbringen. schafft's. Und er? Wenn er da allein wird liegen müffen. Bitter suchte die Hand von Brigitten. Sie ist noch da. Er wurde ruhiger. Aber bald wird sie nicht mehr da sein. Sieben Jahre sind nicht sieben Tage. Man hat so vieles zusammen durchgelebt und durchgelitten. So etwas hält, fittet. Und sie war ja immer so gut zu ihm. Hat ihn wie ein Kind gehätschelt und betreut. War ihm immer eine Stüge. Und er braucht das. Wie soll er denn ohne sie leben?! Das ist ja unausdenfbar. Aber er fennt fie, fie fann furchtbar sein. Keine Stunde länger bleibt sie bei ihm, dem Dieb. Nein, sie bleibt nicht bei ihm.
Bitter bäumt sich auf. Eeine Gedanken hezen ihn unaufhör lich. Birres Zeug tommt ihm in den Kopf. Nein, sie darf nicht Don ihm. Das steht bei ihm fest. Daran ist nichts mehr zu rütteln Sie darf ihn nicht verlassen. Lieber er schreit ihren Namen Angit um den Besitz des geliebten Menschen und Verzweisein am Schicksal und seiner Gerechtigkeit trieben Bitter dem Wahn finn entgegen. Er warf fich fiber die Frau. Seine Finger um 9 schlossen ihren Hals.
Den nächsten Tag stellte sich Pitter selbst der Polizei. Er hatte seine Frau aus Angst, ste zu verlieren, ermordet.
Bei Gericht schien das Motiv feiner Zat unglaubhaft, meil man es für psychologisch unrichtig und sinnlos hielt.
Jili Rethi