Man muß das annehmen, wenn man in der Denk- schrift liest: „Sie(die oersicherungstechmsche Bilanz) ergibt zwar nach einen Fchlbetrag, der aber wesentlich geringer als derjenige der Bilanz für den 1. Januar 1926 ist. Bei dieser günstigen Entwicklung liegt einstweilen kein Anlaß zu einer Beitrogserhöhung vor." Es ist sicher höchst erfreulich, wenn man auf eine 2Sprozentige Beitragserhöhung verzichten kann, und man fängt an, auf diese erste oerficherungstechnifche Bilanz ein wenig neugierig zu werden. Man nimmt die Reichstags- druckchche Nr 741 zur tfand und stellt fest, dah das Direkto- rium davon Abstand genommen hat, die Fähigkeiten seiner Versicherungsmathemcuiker an den beiden Bilanzen zu demonstrieren. Es hat einigen Grund dazu. Die Bilanz mit dem 1. Januar als Stichtag schließt mit einem Fehl- betrag von 3645 Millionen Mark. Um dieses gewaltige Defizit zu decken, war nach Meinung der Ver- sicherungsmathematiker eine 70prozentige Beitragserhöhung notwendig. Der Gesetzgeber hat das nicht gemacht, sondern die Leistungen ausgebaut. Und siehe da. trotzdem verringerte sich das Defizit bis zur zweiten versicherungs- technischen Bilanz mit dem Stichtag 1. Zanuar 1S28 auf 1672 Millionen Mark. Binnen zwei Iahren war«» also 2 Milliarden Mark Defizit oerschwun» den. Bei solcher„günstigen Entwicklung", wie da« Direk- torium dieses Zahlcnwunder nennt, begreift man seinen Optimismus. Diese günstige Entwicklung besteht darin, daß sich die Wirklichkeit erlaubt hat, ein wenig anders zu ver- laufen, wie es die Bersicherungsmathematiker vorgesehen hatten. Nach ihrer ersten versicherungstechnischen Bilanz sollte die Reichsversicherungsanstalt im Jahre 1929 eine Bei- tragseinnahme von rund 229 Millionen haben, nach der zweiten Bilanz sollten es 288 Millionen sein, nach der dritten >- es handelt sich um die inzwischen berichtigte zweite Bilanz — rund 349 Millionen, tatsächlich sind es jedoch sogar 367 Millionen geworden. Die Kunst der Versicherungs- Mathematiker reichte also nicht einmal aus. bei der dritten Bilanz die Beitragseinnahmen für das Jahr 1929 richtig aus- zurechnen. Das hindert sie nickit, uns vorzurechnen, wie hoch die B e i t r a g s e i n n a h m e n im Jahre 1 998 nach ihrer Meinung sein werden. Wenn es nach den Bersiche- rungsmathematikern gehen würde, dürfte die Angestellten- Versicherung die bereits im Jahre 1929 erreichte Deitraqsein- nähme erst im Jahre 1933 haben. Genau den gleichen faulen ■Sauber machen sie uns bei den Zinse'nnahmen vor. Wir sollen ihnen glauben, daß In diesem Jahre die Berzinsung von 6 Proz.. im Jahre 1932 nur 5 Proz., im Jahre 1942 4 5 Proz. und von 1952 ab nur noch 4 Proz. betragen wird. Daraus ergibt sich dann eine Vermögensentwicklung, die aller WirkNchkeit spottet. Man könnte über diesen konzentrierten Unsinn, der sich da in drei versicherungstechnischen Bilanzen austobt, wobei die letzte Bilanz die vorhergehende als grandiosen Unfug enthüllt, mit einer 5?andbewegung hinweggehen, wenn n'cht dieser versicherungsmathematischs Zauber dazu herhalten müßte, die Fordernna nach einer Erhöhung der Renten- leistungsn durch Exhöhuna des Steigsrnngsb-trages von 15 auf 20 Proz. und seine Finerung in festen Markbeträgen abzuwehren. Daß diele Forderung, die d'e sazw�demokra- tische Reichstaasfraktion bereits Antang vorigen Iabres in ihrem Antrag Nr. 10-5 erhob, durchführbar ist»eigt die em- gangs geschild'rte Finanzeniw'cklunq der R-!chso»rstche- rung-anstalt. Der Reichstag hch deshalb di» Pst'cht bei der bevorstehmden Beratung der Novells diesen Ausbau der Rentenleistungen vorzunehmen.
Kabinett in Permanenz. Die Suche nach dem Ausweg.
Das Reichskabinett setzte in der unter dem Vorsitz des Reichskanzlers abgehaltenen Sitzung seine Beratungen über die Deckungsvorlag«, die Steuersenkungen für 1331 und die Frage der Arbeitslosenversicherung fort. Die Verhandlungen werden heute um 11 Uhr vormittags wieder fortgesetzt und womöglich zum Abschluß gebracht werden. Sollte dies jedoch nicht gelingen, jo bleibt die Mög- lichkest, sie auch am Donnerstag nach Beginn der zweiten Lösung der Doung-Gesetze fortzuführen. Eine Vertagung des Reichstags wegen einer etwa ausgebrochenen oder drohenden Regierungskrise dürfte auf keinen Fall in Frage kommen.
Der Fraktionsvorstand der Deutschen Volks- parte! hielt am Dienstag vormittag im Reichstag mit dem Finanzminister Dr. Moldenhauer eine längere Besprechung ab, in der die Dorschläge erörtert wurden, die in den letzten Tagen zur Bermsttlung zwischen den Meinungsverschiedeu- Herten über die Ausgleichung des Etats 1930 gemacht worden sind. An der Sitzung nahm auch der Direktor der Deutschen Bank und Disconto-Gesellschaft v. Stauß teil. Der Vorstand der sozialdemokratischen Fraktion tritt heute 2 Uhr nachmittag zusammen, eine Stunde später die Fraktion selbst.
Krauen, wehri euch! Kammergericht für doppelte Moral. Die 27. Zivilkammer des Landgerichts 111 hat«ine Ehe für nichtig erklärt, weil die Ehefrau ihrem Manne ver- schwiegen habe, daß sie vor der Ehe vier Liebhaber gehabt habe. Die Frau legte Berufung ein, wobei sie darauf hstz- wies, daß der Mann vor der Ehe ein ausschweifen- des Leben geführt hübe. Das Kammergericht wies die Berufung zurück mit folgender Begründung: „Unerheblich ist, ab der C h e ni a n n selbst vor seiner Ehe zahlreich« Liedesoerhäümsse gehabt hat. Di« g«ltend«n sitt- lichen Anschauungen verwehren dem Mynne den vorehelichen Verkehr nicht, gestatten ihm diesen vielmehr ohne Schniälerung seines sonstigen Ansehens, verübeln diesen aber der Frau und finden nur in einem ernsthaften Licbesver- hältnis allensalls eine Entschuldigung für einem vorehelichen Verkehr der Frau. Aber nicht die Tatsache allein, daß die beklagte Ehefrau vor ihrer Ehe Liebesbezlehunge» unterhalten Hab«, rechtfertige die Anfechtung der Ehe gemäߧ 1333 des BGB. , sondern vor allen Dingen die Häufigkeit und der Wechsel dieser Beziehungen sei« t n fchwerersittlicher Fehler der beklagten Ehefrau, denn man erkenne aus ihm ihr« mangelnde Beherrschung in ge- schlechtl icher Beziehung." Was bei der Frau ein„schwerer sittlicher Fehler" ist, ist beim Manne unerheblich! So sagt das Kammergericht— aber nicht die geltende sittliche Auffassung. Es ist die Moral von vorgestern, die das Kammergericht zur Norm gemacht hat, die Moral des Sichauslebens des Mannes, d i e M o r a l desl Korps st udenten tum s. Was das Kammer- aericht moralisch nennt, ist doppelte Moral, ist im tiefsten Grunde unsittlich. Wenn die Korpsstudentenmoral zur Norm wird, ist kein Wunder, daß die Justiz immer weiter an Ansehen verliert!
Madrid , 4. März, l Eigenbericht.) Die politische Lage in Spanien wird immer denn- ruhigendcr. Es ist nicht ausgeschlossen, daß schon in den nächsten Tagen im ganze» Lande blntige Ereignisse sich abspielen. Vorläufig herrscht noch Ruhe. Die Ursache der allgemeinen UnzufriÄenheit ist einmal in dem Woribruch der neuen Regierung zu suchen, die trotz ihrer klangvollen Versprechungen bei der Uebernahme der Ueber- nähme der Macht der alten Diktatur eine neue folgen ließ, die Wahl der Nationaloersammlung hinausschob und die Zensur gegen Presse, Post, Telegraph und Telephon noch verschärfte. Die Eni- töuschung und Erbitterung des Landes, das bereits die Diktatur- dämmerung gekommen glaubte, drückt sich in einem ungeahnten Aufschwung der republikanischen Bewegung aus. Die Rode Sanchez Guerras, der den König für die Ausrufung der Diktatur mit veron-wortlich machte, hat im ganzen Lande großen Eindruck gemacht. Kein Politiker in ganz Spanien wogt es heut«. den König öffentlich zu verteidigen. Dagegen find sich die Politiker aus asten Lagern in ihrer überwiegenden Mehrheit darüber einig. daß die Frage der Verantwortlichkeit des Königs neu ausgerollt und dl« Aufhebung der Zensur sowie di« Ausschreibung von Neuwahlen sofool erfolgen ymß-
Könlg und Regierung tz denken nicht daran, diesen Forderungen nachzugeben, sie ver- schärfen im Gegenteil Immer mehr ihren Kurs der rektionären Diktatur. Am Montag sind wieder zwei republikanische Uni- versitätsprosessoren der juristischen Fakultät der Univer- sität in Madrid ins Gefängnis geworfen worden. Unter diesen Umständen gibt es nach der Auffassung maßgebender Poliiiker war zwei Lösungsmöglichkeiten, entweder trete die Regierung zurück, oder aber die allgemeine Erbitterung der diktaturmüden Bevölkerung macht sich gewaltsam Luft, wozu schon heute zahlreiche Führer der republikanischen Bewegung aufforderten. Was dann komme, sei vorläufig nicht abzusehen. Lockerung der Auslandszenmr? Paris . 4. März. Nach einer Meldung der Agence Havas aus Madrid erklärte der spanische Minister des Aeußeren den spanischen und ausländischen Journalisten, daß er den Nachrichten� o genturen volle Freiheit lasse, segliche Nachricht unter ihrer eigenen Verantwortlichkeit(„Was bedeutet das? Rd». d- 25") zu verbreiten
Der neue Innenminister. Der KvrS wird gehalten?
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Die Gtahlruie. Kommunisten untereinander. Di« rechtskommunistifche„Arbeiterpolltik" teilt mit:„Fstr Mo Ii. tag abend hatte eine Gruppe oppositioneller Parteigenossen im Wedding zu einer internen Versammlung eingeladen, in weicher der Genosse B r a n d l e r über den Oktober 1923 sprechm sollte. Di« Zentrale schickte nach gemachten 25ers<unmlungs«iUl«dungen eine Schlägertolonne in die 25ersomnilung, die den Auftrag hatte, BraiÄdler«inen„Denkzettel" zu verabfolgen. Ws Prandler un- gefähr 20 Minuten gesprochen hatte, sprang ohne jeden Anlaß einer der von Heinz Ncumann aufgeputschten Schläger über den Tisch aus Bremdler zu unh schlug mit einer Stahlrute auf ihn ein. Di« Sache war ganz planmäßig organisiert,(�«nosse Wieskvw, der die Versammlung leitete, wurde unter den Tisch geworfen, die anderen Genossen abgedrängt und vier Prügelhelden schlugen mit Fäusten und Stahl. tuten den Genossen Brandler blutig." Das organisierte Rowdytum des Lumpengesindels feiert Triumph«!
Em Vertreter des.�Soz. Pressedieost»«' befragte Dienstag den preußischen Minister des Innern Professor Dc. Waeutig über seine kstnsllzen politischen Absichten Dr. Wo entig äußert« sich wie folgt: ,Lch muß darauf verzichten, heut« am Tage meiner Amts- Übernahme programmatische Ausführungen darüber zu machen, wie ich mir mein« Tätigkeit tank «. Wer eines möchte ich nnt allem Nachdruck betonen: der Kurs, der im preußischen Innen Ministerium unter meinen verehrten AnUsvorgängern©e Oering und Grzesinski gesteuert wurde, wird nach wie vor ge- halten. Der Steuermann hat gewechselt, das ist olle«. Vor nehmste Aufgaben des preußischen Ministers des Innern sind die Sicherung und Festigung der Republik , der Schutz der demokratischen Verfassung. In meinem Eifer, diese Ws gaben restlos zu erfüllen, hoffe ich in nichts meinen Bor- gängern nachzustehen. Es wird mein Bestreben sein, die republikanisch« Personalpolitik, die Demokratisierung der Lerwaltuvg, di« Severing und Grzesinski so erfolgreich begonnen und fortgeführt haben, mit allem Nachdruck weiter zu fördern. Welter« Betrachtungen über die mich in meinem neuen ver- antworwngsoollen Amt erwartenden Aufgaben möchte ich mir per- sagen. Um eines bitte ich: die Parteifreunde im Lande, die lR«publi. kaner irt allen Lagern mögen davon überzeugt sein, daß ich alles daran setzen werde, dos in mich gesetzic Bertrauen zu rechtfertigen. Lassen Sie mir Zeit, lassen Sie mich arbeiten und de- urteilen Sie mich nach meinen Taten. Ich hoffe zuversichtlich und werde meine ganze Kraft daran setzen, daß ich dann vor diesem Urteil werde bestehen können."
Der neue preußische Minister des Inner» Professor Dr. Wacntig wurde in der Kabinettsttzung am Dienstag durch den Minister- Präsidenten Dr. Braun vereidigt: zugleich erfolgte seine Cr- nennung zum Bevollmächtigten zum Reich�rat.
Ein unmöglicher Vorschlag. Nur noch Wei�nmehl mit 60 Prozent No.'gen? Irgend wer— vielleicht gar der Reichsernährungsministex?— hat in der Roggenfrage einen Versuchsballon steigen lassen. DI« Herstellung und t«r ZZerfrieb von reinem Weizenmehl soll ver- boten, ein s e chzig p ro z e n t i g e r(!) B e i m a h lu n g s. zwang von Roggen zum Weizen soll angeordnet werden. E? heißt»an„unterrichteter Seite", daß dieser Torschlag zurzeit im Reicheernqhrungcminifterium geprüft wird- Dieser Borschlag muß rundweg abgelehnt werden. Ein Zwangsbrot mit staatlichen Eingriffen in di« menschliche Er- nährung ist heute«ine Unmöglichkeit. Will man den©chieberejen, den Schwarzmühlen, Schwarzköufern und SchwarzbäSern, der Ver- fchärfung der Klassengegensätze auch bei der Ernährung wieder Tür und Tor öffnen? Der Vorschlag ist so w a h n w i tz i g, daß wir «in« Erklärung des Reichsernährungsministers erwarten, daß er ihm fernsteht.
Aera Krick. Segen Arbeiterbitdvng— für lL.andbundpropagooda. welmar. 4. März Im Zusammenhan z mit den vom thüringischen Bolksbildungs- Ministerium geplanten und zum Teil schon durchgeführten Spar maßnähmen auf dam Gebiets des Volksbitdungswesens beabsichtigt die thüringische Regierung, die an die D o l k» h o ch schuf« Thüringen bisher gezechllsn Zuschüsse vollständig zu streichen und dW, Polkshochschulheim Ti n z bei Gera , das durch Staatsvertrag ein« staatliche Ansta't wurde, die Zuschüss« bis auf«in Drittel zu kürzen. Da- gegen sollen die beiden landwirtschaftlichen Bolkshoch- schulen in Bad Berka und in Neudietendorf (Bauernhvchfchule) in vollem Umfange weitergeführt werden.
Henneffy Botschafter in Berlin ? pariser Gerücht über e neu Rücktritt de Margerieck. Pari«. 4. Alärz.(Eigenbericht.) Ja parlameviarischea Kreisen wurde am Dieuslag das Gerücht oerbreitet, daß der sraazösische votschasler in Berlin zurückzutreten gedenke und durch den bisherigen Ackerbaumivifler h e v n e s s y ersetzt werden soll, h e u n e s s y ist einer der wenigen tlnkspolitiker, die stets treu zu Tardieu geHallen haben. Er stimmte in der vergangenen Woche gegen die Regierung Ehauiemps. * Die Nachricht von einem baldigen Rücktritt des jetzigen Bot- schafters de Margerie, der nahe an die Siebzig ist und den hiesigen Posten seit mehr als sieben Iahren verwallet, ist nicht unwahr- scheinlich. Es war übrigens schon des öfteren davon die Red«. Di« Kandidatur des Senators Jean Hennessy liegt schon deshalb nahe, weil dieser zu den wenigen Ministern gehört, die Tardieu in seinem neuen Ministerium nicht übernommen hatte, ob- wohl er ihm im Gegensatz zu anderen die Treue gshaltcn hat. Hennessy , der Mitinhaber der berühmten Kognakfabrik, ist sehr ver- mögend und besitzt u. a. den entscheidenden Aktienanteil an zwei llnksgerichteten Blättern,.Quotidien" und„Oeuvre". Schon deshalb wird Tardieu bestrebt sein, ihm eine Kompensation für den per- lorenen Ministerposten zu verschofsen. Hennessy war von 1924 bis 1928 französischer Botschafter in Bern . Während des Krieges stand er bei den Ultranationalisten seines Landes in schlechtem Ruf, weil «r flch verschiedentlich gegen einen Kampf bis zum Weißbluten geäußert hatte. Gandhi übergibt sein Mimatum. Das Ultimatum Gandhis an den Dizeköniz von Indien ist nach Berichten aus Neu-Delhi durch den Nationalisten Regincrd Reynolds dem Prioatsekretär des Pizekonigs übergeben worden. der den Empfang formell bestätigte. Der genau« Inhalt des Ultimatums wird noch geheimgehalten. Reynolds erklärt, daß Gandhi innerhalb weniger Wochen in größerem Um- fang« mit der Bewegung des passiven Widerstandes zu be- ginnen gedenk«. Di« französische radikale Partei hat die beiden Ueberläufer D u m e s n i l und F a l c o z, die trotz des Verbotes der Partei Portefeuilles in der Regierung Tardieu angenommen haben, kurzer- Hand ausgeschlossen. �