Nr. 129* 41. Lahrgang
1. Beilage des Vorwärts
Oiensiag, IS. Mörz 19A0
Dem Gedenhen der Märzopier
Em trüfxr Wärzmorgen. Nur wenige Spa,;iergänger auf den Wegen des Friedrichshains, auf denen frisch gefallener Schnee Lagt. Auch die Gräber der Märzgefallenen von 18 4 8 sind mit weißem Schnee dekoriert und nachdenklich liest man die Inschriften auf den meist liegenden Grabsteinen. Hier ein„acht- zehnjähriger Malergehiffc aus Berlin ", daneben ein..fünfzehn- jähriger Lehrling aus Berlin ", etwas weiter ein Stein mit halb hebräischer Inschrift, darunter stehend eine Platte mit einem adligen Wappen. Di« gary« Gruppe beherrscht von einer eisernen Säule. auf der em Anker prangt. Unter bizarr geformten Bäumen, von Efeu übers pvnnen, liegen sie hier nebeneinander, die 18 3 Opfer der Borrkkadenkämpfe vom 18. März 1848. In ihrer Nachbarschaft in zwei wohlausgerichtetcn Gräberreihen, die Toten aus den Revolutionstagen von 1918. Nachdenklich wandern die Ge- danken zurüik. Bor 82 Iahren hatte die Viermillionenftadt 400 000 Einwohner. Dir Industrie stak in den bescheidensten Anfängen. Draußen vor dem Oranienburger Tor standen die Maschinenfabriken von Borsig, Wahlert n. a. Im Südosten gab es Textllindustrie, ober auch nur in bescheidenstem Umfang. Das Handwerk überwog, bürgerliche Zlrbciterfreuvd« hatten vier Jahre vorher den„Berliner Handwerker- oerein" gegründet, in dem sich die radikaleren Elemente unter den Künstlern. Gelehrten. Handwerkern und Arbeitern zusammenfanden. Im Frühjahr 1848 stieg die Arbeitslosigkeit, verschärft durch die Mißernten der vorhergegangenen Jahre. Dergeblich waren die Be- mühungen der Stadtverordneten, durch schleunige Cinrichung von A rb cit-5 nachweisen den 7000 Arbeitslosen zu helfen. Eine Woche später wuchsen schon die Barrikaden hoch: Am Alten Köllnischer: 'Aachaus, wo der Maschinenbau « r Siegrist den Bau und die Wer- teidigimg der Barrikade leitet«, an der Ecke der Jäger- und Friedrich- stroße, wo der löjahrige Schlossergeselle Wilhelm Glasewakd und der 17ährige Schlosserlchrling Ernst Zinna nach tapferer Verteidigung der Barrikade gegen das heranrückende Militär den Tod fanden. Den Sturm auf das damalige La ndweh rzeugh aus in der Linden- strahe leitete der Drechflergaselle Gustav Hesse aus Hall«. 90 Pro; der Gefallenen, die dann am 22. März feierlich im Frredrichshain beftattet wurden, waren Gesellen, Fabrikarbeiter und sonstige Arbeitsleute. Arbeiter, Meister und Fabrikanten marschierten hinter den Särgen.„Verbrüderung der Volksklassen" war das Losungs- wort. Erst nach der Industrialisierung Deutschlands wuchs die klassenbewußte Arbeiterschaft zu machtvoller Organisation: als die
V** reaktionäre Kapp-Regierung ihre Zeit für gekommen hiell, da waren Barrikaden zu ihrer Bekämpfung überflüssig geworden: eine Parole genügte:„Generalstreik!" Die Toten vom Friedrichshain sahen nicht mehr das Morgenrot der Freiheit. Aber alljährlich� wenn der 18. März wiederkehrt, gilt unser Gedenken diesen Pionieren der Freiheit.
Warum Frau Momm gestand. Sechs Oiebstöhle zugegeben.— Eine nervenüberreizte Iran - Das Geftäudais der Jen» des Regierungspräsidenleu Dr. ZNdmm. mehrere Einbrüche in der eigenen Wohnung im Gebäude des Regierungspräsidium? Potsdam ausgeführt zu hasieu. hat naturgemäß großes Aussehen hervorgerusen. ob- gleich in«tnMwelhten Kreisen schon seil Tagen kein Zweifel mehr em der Schuld der Iran bestand. Im Laus« des gestrigen Nachmittags erschien Frau Dr. Momm bei dem Pctsdstner Iustizrat N. Iosephsohn und beauftragte ihn mit der Wahrnehmung ihrer Interessen. Frau Dr. M. machte einen völlig gefaßten Eindruck. Sve gestand, für das Tafelsilber, oas in der Nacht vom 2. zum 3. Dezember von ihr heimlich beiseite ge- schoft worden war, auf die Diebstahlsmeldung von der Versicherung 4000 M. erhalten zu haben. Als ihr Mann von dem Vorgang erfuhr, hat er der Versicherungsgesellschaft sofort die 4000 M zurückerstattet. Nur so ist auch zu erklären, daß eine Anzeige wegen Versicherungsbetruges nicht erfolgt ist. Frau M.
hat msgesamt, wie sie selbst zugebt, sechs Diebstähle aus- geführt. Die entwendeten Gegenstände hatte sie zu einer ihr be- freundeten Familie m Potsdam gebracht. Von dort wanderte das Silber zu Potsdamer Althändlern. Da fast sämtliches Silber Gravierungen trug, wurde bei dem Verkauf angegeben, daß die Gegenstände im Haufe des Rsgieiungspräsibcnten überflüssig und veraltet seien. Ueber Frau Dr. Momm wird noch bekannt, daß sie außer- ordentlich sprunghaft und nervös ist und daß ihr« Nervosität«st auch ihren näheren Bekannten bedenklich erschienen ist. Der Ober- staatsanwalt hat angeordnet, daß Frau M. von einem Psychiater untersucht wird, den er allerdings selber bestimmen wird. Wie es herauskam? Die Untersuchung gegen Frau Momm ist überhaupt«st durch die Versicherungsgesellschaft in die Wege geleitet worden. Zuerst erfolgten zwei Diebstahlsanzeigen, von den«« die eine aus dem Jahr« 1927 und die andere aus dem Frühjahr 1929 datiert. Da es sich jedoch nur um wenige hundert Mark handelte, zahlte die Gesellschaft die Beträge bedenkenlos, ohne besondere Recherchen an-
zustellen, aus. Erst nachdem erneut eure Diebstatzlsanzeige über gestohlenes Gut im Werte von 4000 Mark und eine weitere Anzeige über eine angeblich am 10. März gestohlen« Kassette mit 2000 Mark Wohlfahrtsgeldern bei der Versicherung einging, schöpfte man Verdacht. Di« Polizei wurde um Untersuchung der Vorfälle gebeten und gleichzeitig stellte die Versicherung eigene Ermittelungen an. Der Erfolg blieb nicht aus und es kam schnell zur Aufklärung der geheimnisvollen Diebstähle. Zunächst wird Frau Momm auf ihren Geisteszustand untersucht werden. Man hat sich zu dieser Maßnahme oeranlaßl gesahen, da für Frau M. auch nicht der geringste Gnmd vorlog, sich auf derartige Abenteuer einzulassen. Die Gattin des Regie- rungspräsidenten verfügt über ein selbst heute sehr ansehnliches Vermögen, und der Regierungspräsident, der selbst wohlhabend ist, hatte ein Einkommen von 36000 Mark und lebte in vollkommen geordneten Verhältnissen. Bei einer Haussuchung, die im Anschluß an das Geständnis der Frau Momm vorgenommen wurde, entdeckte Kriminalkommissar Ras- sow auf dem Boden des Hauses einen Teil des Familien« s i l b e r s. dos bei dem vorletzten„Einbruch" verschwunden war.
Protest der(Stadtverordneten. Gegen das neue SelbstverwaltungSgeseh für Berlin . Im Rathaus trat die gemischte Deputation zur Vorberatung von Orgamsationsentwürfen, der sogenannte Organisationsausschuß, unter dem Vorsitz des Bürgermeisters zu einer Be- ratung zusammen, um zu dem Gefetzentwurf zur Abänderung des Gesetzes Groß-Berlin Stellung zu nehmen. Nach eingehender Debatte faßte der Ausschuß, in dem der Magistrat sowie sämtliche Fraktionen der Stadtverordnetenveofanunlung vertreten sind, folgen- den Beschluß: Der Organisationsausschuß erhebt Einspruch dagegen, daß dem Skaalsrat und dem Landtag ein Gesehentwurs zur Abändernag des«Sesehes der Stadtgemeinde Verlin vorgelegt worden ist, ohne daß die Versiner städtischen Körperschaften— wie die gleichen Körperschaften anderer Städte in ähnNchen Fällen— rechtzeitig zu den„Resorm"obsichten Stellung nehmen konnten. Der Organisationsausschuß verlangt, daß die Verwaltung s- Organisation Berlins nicht durch ein Sondergcseh vor der Verabschiedung de» seht auch vorbereiteten allgemeinen„Selbstver- waltnngsgesehes" erfolgt. Der Organisationsausschuß erhebt den schärfsten P r o l e st gegen den von der Preußischen Regierung vorgelegten Entwurf eines„Sclbstvcrwaltnnzsgesehes für die Hauptstadt Verlin". lehnt den vorliegenden Eakwnrf ab und wird seinerseits selbständig Vorschläge machen. Dieser Beschluß des Organisationsausschusses wird morgen den Fraktionen zugeleitet werden. Wia wir erfahren, wollen die Fraktionsführer der Mittelparteien und der Deutschnationalen diesen Beschluß mit einigen Wänderungen in der morgigen Stadtoerprd- netensitzung als Initiativantrag einbringen. Die Versammlung wird dann zu dem Beschluß sofort Stellung zu»ahmen haben. man rechnet mit einer halbstündigen R-idezest für s�e Fraktion. Di« Initiativ« zu dem Protest der Bertiner Stadtverordneten ist ollsin von den Parteken ausgegangen, Stadtvsrordfieten. Vorsteher H a ß hat— entgegen anderslautenden Pressemeldungen— die Angelegenheit lediglich gefchäfts ordnungsmäßig zu behandeln gehabt. Sprechchor für Proletarische Feierstunden. Di« Uebungsstund« findet am M i t t w o ch, dem 19. März, abends 7� Uhr, im Gesangssaal der Sophienschule, Weinmessterstr. 1K/l7. statt(mchr Donnerstag). flbföfefcfsaxfttlanA im Zirlo« Rotl Kagr�txck im Wie uns die Direktisn des Zirkus La�ndeck mitteilt, findet unwiderruflich Dienste»!, 18. Mär.,, um 30 Übe. die Abkchiedsuorftcllun« statt, bei der tum lebten Male der Tsdeslurun« aus der Zitfuskuvpel grzclet wird.
„Tie laufen ja herum wie ein verlorenes Huhn", be- merkte Pataca und setzte sich neben sie.„Werfen Sie Ihre Sorgen über Bord und kümmern Sie sich nicht mehr darum. Das Leben ist gar nicht so schlimm, wie Sie es sich vorstellen. Ihr Mann hat Sie oerlassen? Na. und wenn schon. Nehmen sie sich«inen anderen. Wer weiß, ob Sie den nicht noch lieber gewinnen als den ersten.". Sie tonnte ihm nur mit Seufzen antworten, denn sie war zu bekümmert, um zu reden. Aber die Flasche Paraty machte die Runde, und als sie zweimal zu Piedadc gekommen war, oerfehlte sie ihre Wirkung nicht. Die Frau fing an zu sprechen, lachte sogar über manche Geschichten, die erzählt wurden, und wurde schließlich die lustigste von allen: sie kopierte die neuen Mieter im Hause und unterhielt die ganze Gesellschaft. Pataca war sehr begeistert von ihr, legte den Arm um chre Taille und zog sie dicht an sich, wobei er ihr ins Ohr flüsterte, sie sei gerade der Typ, für den ein Mann seine Seele dem Teufel verschreiben würde. Piedade lachte laut und drohte, ihm das Genick zu brechen, wenn er sie nicht los ließe.- Die übrige Gesellschaft fand dieses witzige Zwiegespräch harmlos und amüsant und applaudierte kichernd. Nach wie vor ging die Paratyflasche im Kreise herum. Piedade er- klärte, sie sei müde von dem langen Weg und brauche eine Stärkung, und ließ die Tat dem Wort so häufig folgen, daß sie nach kurzer Zeit vollständig und beinahe sinnlos be- trunken war.. AI « Sooo Nomao von seinem üblichen Sonntagsbesuch bei Miraadas zurückkehrte, fand er sie unter allgemeinem Gelächter der Zuschauer herumtaumeln: sie verkündete laut, sie wollte mal zeigen, wie Rita Bahiana den Chorado tanze. Ihren Rock hob sie bis zu den Knien hoch, und als sie ver- iuchte, die Bein«, zu werfen wie Rita, verlor sie da? Gleich- gewicht und fiel zu Boden.. Der Hauswirt, in schwarzem Rock und Seidenhut, eilte geradeswegs auf dre Gruppe zu. die jetzt um ein Dutzend »niufp nvjt, denn alle wollten Piedades
Vorführungen mitbewundern. Er erklärte, es sei schon zu spät für solche Vergnügungen und sie sollten sich nur alle zurückziehen. „Los, los: gehe jeder nach Hause und lege sich schlafen. denn morgen müssen wir alle an die Arbeit." Piedade war die einzige, die Protest erhob. Sie wollte noch nicht aufbrechen und versicherte dem Hauswirt, sie habe doch das Recht, sich mit ihren Freunden zu amüsieren. „Was denn, zum Teufel— wir tun doch niemand etwas zuleide." „Geh lieber zu Bett und schlaf dich aus", rief Joao Romao.„Du mit deiner halbwüchsigen Tochter noch dazu. Schämst du dich nicht, dich so betrunken hier draußen zu zeigen und zum Vergnügen der Nachbarn den Clown zu spielen?" Piedade meinte, eine solche Beleidigung nicht durch- gehen lassen zu können, krempelte sich also die Aermel auf, hob den Rock und erklärte, der Budiker solle sich in acht nehmen. Aber Pataca stellte sich dazwischen und bat den Wirt, das Gerede der Frau nicht ernst zu nehmen, da er ja doch sehen müsse, daß man sie in diesem Zustande nicht zur Rechenschaft ziehen könne. „Schon gut, schon gut", erwidert« Joao Romao.„aber macht, daß ihr zu Bett kommt, damit wir hier Ruhe haben." Und er ging nicht fort, bevor sich die Gruppe aufgelöst hatte und alle sich zurückzogen. Nur Piedadc und Patoca blieben noch im Hof zurück. sprachen über die Willkür des Budikers und moralisierten über die Härte, mit der die Reichen die Armen behandeln. Beide sahen ein, daß sie nicht mehr draußen stehenbleiben durften, aber keiner wollte ollein nach Hause gehen. „Haben Sic bei sich oben etwas zu trinken?" fragte Pataca schließlich. Sic wußte nicht' genau, wollte aber nochsehen. Dann winkte sie ihm von der Tür aus. Es war noch eine halbe Flasche Paraty da und ein paar Schluck Wein. Wer keinen Lärm dürfe er machen, da das Kind schliefe. Sie traten auf Zehenspitzen ein und unterhielten sich flüsternd. Piedade steckte Licht an und bemerkte, daß sie bald im Dunkeln sitzen würden, da da? Oel fast verbraucht mar. Pataca erinnerte sich, daß er in seinem Zimmer noch eine Kerze hatte imd ging sie holen. Als er zurückkehrte, brachte er auch noch ein Stück Käse und etwas gebratenen Fisch mit. Piedade räumte ihre Wäsche vom Tisch weg und holte Brat und die zw« Flaschen.
Im Hause war es still, der einzige Laut, der ab und zu an ihr Ohr drang, war das Bellen eines Hundes. Als sie ibr mitternächtiges Mahl einnahmen, fing Piedade an, von ihrem Kummer zu erzählen und brach schließlich in Schluch- zen aus. Als sie sich beruhigt hatte, beschrieb sie die Vor- gänge des Nachmittags und erzählte ihm alle Einzelheiten ihres Besuchs bei Jeronymo, von dem Essen in Gesellschaft dieser Mulattenteufelin, von dem Streit und dem demütigen- den Heimweg. Pataca war entsetzt. Nicht über Jeronymo, sondern über Piodades Benehmen. „Nein", bemerkte er,„daß Sie sich a'ber auch so er- niedrigen konnten und zu ihm gegangen sind, nachdem er Sie so schlecht behandelt hatte." „Aber das erstemal hat er mich doch sehr gut behandelt. Nur heute hat er mich richtig hinausgeschmissen." „Und er hat recht getan— Sie haben's nicht besser verdient. Prügeln müßte man Sie dafür, daß Sie sich da mit seiner neuen Frau an einen Tisch gesetzt haben." „Dielleicht haben Sie recht." „Natürlich habe ick) recht. Männer gibt es genug, mein Kind. Die Welt ist weit, und jeder Topf findet seinen Deckel." Dann legte er seinen Arm um sie und fragte:„Warum läßt du dich nicht von mir glücklich machen und vergißt den anderen?" Piedade stieß ihn zurück und bat ihn, doch keinen Unsinn zu reden. „Unsinn ist das, was das Leben lebenswert macht", ver- sicherte er ihr. Das kleine Mädchen war aufgewacht und kam zur Tür. um zu sehen, wer da sei, aber sie beachteten sie nicht, und die Kleine legte sich wieder zu Bett. So unterhielten sie sich weiter, und je mehr der Paraty in der Flasche abnahm, um so mehr verschwand der Gram aus dem Herzen der verlassenen Frau: sie aß mit Appetit und kicherte �sogar über Patacas zweideutige Witze. .Lie schönsten Freuden des Lebens kommen unerwartet", erklärte er erregt und mit gerötetem Gesicht.„Nur ein Narr sitzt da und«artet.. Dann siel ihm ein. daß er eigentlich mitgekommen war, itm eine Tasse Kaffee zu trinken. „Ich weiß nicht genau, ob welcher da ist, aber ich werde mal nachsehen", bemerkte die Waschfrau und sie wankte in die Küche und tappte im Dunkeln herum. lFnrtseßung folgt.)