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Jtr. iS9* 47. Iahrgang

Z. Beilage des Vorwärts

Gonniag, 73. März ISSv

Vierzig Jfctbve Velhsbübne

Conrad Sctimidl

Am 23. März 1590, heute vor 40 Jahren, erschien nnBerliner Bolksblatt", dem Vorläufer de«Vorwärts" jener Aufruf des sozialistischen Schriftstellers Dr. Bruno Wille, der den Grund- stein zur Berliner Volksbühne legte. Die junge, sich nach dem Fall des Sozialistengesetzes mächtig regende Arbeiterbewegung und der literarische Naturalismus standen Pate. In ihrem Geiste wandte sich Bruno Wille gegen ein Theater, erniedrigt auf den Standpunkt der faden Salongeisterei und Unter- Haltungsliteratur", in ihrem Sinn« rief er die Masten des arbeitenden Volkes auf, sich nach dem Vorbild derFreien Bühne" zu einem Verein Freie Volksbühne " zusam- menzuschlietzen. Tausendfach war das Echo, das dieser Ruf sofort m der Berliner Arbeiterschaft weckte. Als cm Herbst des Jahres dieFreie Volksbühne" ihre Arbeit aufnahm, da war es fchon eine stattliche Schar, die gegen den damaligen Ein- heitsbeitrag von S0 Pf. die vom Verein veranstalteten Nachmittagsvorstellungen b«- suchte. Und doch war es nur ein kleiner Anfang, dem die grohe Entwicklung erst noch folgen sollte. Glatt und kampflos war diese Entwicklung freilich nicht. Es gab schwere mnere Ausein- cmdersetzungen in der jungen Bewegung, die zur Spaltung und dem jahrzehntelangen Nebeneinander einerFreien" und einerNeuen Freien Volksbühne" führten: und es gab auch in derVolks- bühne E. V.", die 1920 die beiden Organisationen wieder zu einer einzigen verschmolz, noch mancherlei Wirrungen, die eine gesunde Krastentfaltung hemmten. Dazu traten immer neu« äußere Schwierigkeiten: Verfolgungen durch die Behörden in der Vor- triegszeit. Schädigungen durch wirtschaftliche Krisen, Kriegsnot, Inflation und Deflation... Leicht also hatte es der Volksbühnen- gedanke wahrlich nicht, sich durchzusetzen. Aber er setzt« sich durch! Er gelangte in Berlin zu einer Blüte, die weithin Be- wunderung erregte und schließlich auch außerhalb der Reichshaupt- stadt eine imposante Dolksbühnenbewegung hervorrief. Hunderttausend sind es, die heut« durch die Berliner Volksbühne regelmäßig mit wertvollen Theatervorstellungen versorgt werden. Hunderttausend, denen die Volksbühne durch dies« nionatlichen Auf- führungen, aber auch durch vorbildliche Konzerte, Tanzdarbietungen, Vortragsabende u.a.m. Licht.und Freude in ein meist recht düsteres, sorgenbedrücktes Dasein bringt. Hunderttausend, die ohne Existenz der Volksbühne, ohne ihre systematische Planarbeit, ohne ihr« Macht und Ihren Einfluß wahrscheinlich vielfach von einer intensiveren Anteilnahm« am Kulturleben ausgeschlossen wären. Schon vor dem Kriege konnte von der Volksbühne mit der Ein- richtung eines eigenen, ständig spielenden Theaterbetrieb», so, mit dem Bau eines eigenen, riesigen Theotergebäudes begonnen werden. In der Nachkriegszeit gelang es dem Derein, sein Theater in dem prächtigen Bau am Bülowplatz zu einem der führenden Berlins zu machen: und dem Haus am Bülowplatz wurde die zu neuem Glanz erweckt« Krolloper an die Seite gestellt, in der sich der Derein auch nach Uebertragung auf die Staatsverwaltung weitgehende Rechte sichern konnte. In der Tat, es gelang der Berliner Volksbühne. ihren Mitgliedern ungeahnte Möglichkeiten zur Befriedigung ihrer Ansprüche an guten theatralischen Darbietungen zu schaffen. Nie war die Volksbühne ein Porteitnstitut, aber immer aufs engst« verbunden der großen, für den Aufstieg der proletarischen Mafien kämpfenden Arbeiterbewegung. Ein großer Teil ihrer führenden Persönlichkeiten erhielt durch sie ihre Schulung, immer wurde ihre Werbung im Proletariat von Partei und Gewerkschaften unterstützt: dankbar aber ist auch all defien zu gedenken, was die Volksbühne, an kein Parteidogma gebunden, aber von fortschritt- lichem, freiheitlichem Geiste beseelt, für die Befreiung, für die mnere Erweckung der werktätigen Mafien tot. Unterschätze niemand, was die Volksbühne den arbeiten- den Mafien bringt: Stunden heiterer Entspannung und oer- gnügten Lachens, aber da- neben auch Stunden leiden- schaftlicher Erregung und tief- ster Erschütterung: neu« Em- sichten in das Wesen der Dinge, in das Wesen der Menschen: neu« Antriebe für unser soziales Empfinden und unser soziales Wollen... Kaum eine andere Bildlmgs- statte oermcig das alles'so eindringlich, so lebendig zu vermitteln wie das Theater, ein Theater, das frei von kapitniistischen Profitzwecken, frei von snobistischem Literaten. Minkch das«M» der Kuituvcdee der Arbeiterbewegung heraus gvlettet wird. Das Theater ist tot. hört man so ost. Ein Theater in solchem Geiste ab«r ist nicht tot! Es lebt und wird noch lange leben. steht vielleicht sogar noch vor einer ganz großen Zukunft. Das beweist der Aufftieg. das beweist dre gegenwärtige, von reichen Erfolgen gekrönte Arbeit der Berliner Volksbühne. Die Arbeiter- fchast kann stolz darauf sein, ein« Einrichtung wie dies« ihr«igen zu nennen. Und donkbar ist all derer zu gedenken, die am Aufstieg der Volksbühne mirarbeiteten: ihrer großen Führer, die im Lauf der Jahrzehnte an der Spitze der Organisation standen, wie Bruno Will«. Curt Baak«, Conrad Schmidt . Josef Ett- (läget, Georg Springer, aber auch all der anderen,

A. Sulinger «m» der Kultuvcdee

die in geringerer Funktion oder als bloß« pflichttreu« Mitglieder das ihrige zum Erfolg beitrugen. Möchten den ersten vier Jahrzehnten einer bewundernswerten Entwicklung noch viele Jahrzehnte eines weiteren gesunden Auf- schwungs folgen! Möchten auch Staat und Stadt mehr als bisher leisten, um der Volksbühne ihre materielle Sorgen zu erleichtern! Viel ist erreicht, aber auch viel noch zu erreichen. Voll Stolz darf die Volksbühne Berlin ihren vierzigsten Gebunstag begehen: aber die Feier wird ausklingen müssen in das Gelöbnis aller, die sie begehen: daß weiter gearbeitet werden soll und werden muß an der großen Aufgabe der Volksbühne,«ine Brück« zwischen Volk und Kunst zu schlagen, die zugleich hinaufführt zu einer neuen, von freiheitlichem Geist erfüllten Gemeinschaftskultur. Dr. S. Nesfriepke. Am der QründungsseH Es ist nicht leicht, sich in dos Berlin der achtziger Jahre zu- rückzuversetzen. Berlin ist schon«in« mächtig« Stadt, von eineinhalb Millionen Menschen bewohnt und umgeben von großen und kleinen selbständigen Gemeinden. Aber der Ring ist noch nicht geschloffen. Der Verkehr ist klein, verglichen mit der heutigen Bewegung. Wenn Paul Singer sich am Sonntag von seiner Arbeit erholen will, fährt er in einer Droschke zweiter Klafie mit seiner Schwester im Tier- garten spazieren. Elektrisches Licht, elektrische Bahnen gibt es nicht, kein Kino strahlt, kein Radio brummt, kein Telephon rafielt, selbst die Kanalisation ist noch nicht gang ausgebaut. In der Schönhauser Straße decken Bohlen den breiten Rinnstein, der noch ein wirk- licher Rinnstein ist und ein kleines Raltenparadies. Am Branden- burger Tor stehen Kremser, warten sür den Ausflug nach Ehar- lottenburg auf die letzt«lumpige Person" und wetteifern noch er- folgreich mit der selten fahrenden Pferdebahn, die den steilen Span- dauer Berg nur mit Vorspann bewältigen kann. Das öffentliche Leben liegt wie erstarrt unter dem Druck des Sozialistengesetzes. Di« gewerkschaftlichen Organisationen der Ar- beiterklafie stecken in den ersten Anfängen. Di« bedeutungslosen Konsumverein« sind ausschließlich vi« Domäne des Kleinbürgers. Jede Versammlung steht unter polizeilicher Bewachung. Neben?MMMWWWWW>W dem Dorstondstisch sitzen der Polizeileutnant und der Schutzmann, ein maßlos ko- mifches Protokoll führend und jeden Augenblick bereit, bei einer unvorsichtigen Aeuße- rung. ja. wenn es befohlen ist, auch aus gar keinem An- laß die Versammlung«mf Grund des Sozialistengesetzes aufzulösen. Aber in der Tief« arbeitet es. Die von der Oberfläch« oertrieben« sozialistisch« Be- wegung hat sich ein« illegale Organisation geschaffen, die den Züricher Sozialdemo- trat" regelmäßig verbreitet, Flugblätter In kleinen Drucke- reien herstellen läßt und unter die Massen bringt, über- all ihr« Freunde und Helfer hat, in tausend Verkleidungen auftritt, regelmäßig Zuscumnenkünft« abhält, theoretische und pvak- tischen Streitfragen erörtert und entscheidet, unter der Leitung eines Zentralkomitees, die Kandidaten aufstellt und bei den Wahlen von Steg zu Sieg schreitet. Man hat sich auf das Ausnahmegesetz«ingerich'et und es inner- lich bereits überwunden. Schon ist die erste Tageszeitung da. dos Berliner Volksblatt", das nicht gerade unter allgemeiner Zustimmung der Geheimorganisation das Licht der Welt erblickt hat. Es ist«in sehr bescheidenes Dlättchen, mit zwei, dann drei Redakteuren, die nach dem ehrenvollen Zeugnis Puttkamers das Zuchthaus beständig mit dem Aermel streifen". Das Schwert der Ausweisung hängt über ihnen und dem Drucker Max Babing, der jede Woche zwanzig Mark zurücklegt, um im Notfall« gerüstet zu sein. Es kann den Bildungshunger der Berliner Arbeiterschaft bei weitem nicht befriedigen. Ein unerhörtes Bedürfnis nach Wissen geht durch die Mafien. Lese- und Diskutierklubs schießen überall aus. Heimlich wandern die verbotenen Broschüren von Hand zu Hand. Auch an die großen schweren Werk« der Väter wagt man sich, man diskutiert, man liest in einem Umfange, der die Gegen- wort beschämt. Es gibt Männer, die ganz« Kapitel aus Bebels Frau" oder aus Lassalleschen Schriften auswendig wissen. Der Geist triumphiert über die Gewalt. Das Sozialistengesetz stirbt ab, die Zügel gieiten am Bcden. Der Sieg über Bismarck wird zum Zukunftsfieg. Die Befreiung des Proletariats scheint vor der Tür zu stehen. Vor diesem brünstigen Glauben, der die innere Bewegung durchglüht, fallen die äußeren Hemmungen. Nur aus dieser einmaligen geschichtlichen Stimmung der Ber - liner Arbeiterklasse läßt sich die Gründung der Berliner Volks­bühne und ihr Erfolg erklären. Es wäre müßig, nachzuspüren, wer den Gedanken der Volksbühne zuerst ausgesprochen hat. Wahr« Zeitidee» entstehen gleichzeitig in verschiedenen Köpfen. Glückliche Umstände entscheiden, welches Samenkorn aus guten Voden fällt. Falsch ist der G'aube, daß die Elite der Berliner Arbeiterschaft sich die Volksbühne schitt, um die dramatisch« Kunst als Waffe im Kampf um die Befreiung des Proletariats zu benutzen. So hoch schätzte man ihre Bedeutung nicht«in. Die sozjalkritisch« Stimmung der Dramatiker des Realismus und Naturalismus war willkommen als Bestätigung der eigenen Meinung: aber dieser sozialkritrsche Hauch war nicht sozialistische Erkenntnis. Man hatte wirksamere Mittel für �en Kampf: die Agitation von Mund zu Mund, durch das F'uzblott und die Broschüre, den Stimmzettel und, da der Tag nicht mehr fern sein konnte, die unmittelbare Vorbereitung auf die Revolution.?üemals hat die innere Organisation die Gründung der Volksbühne ausdrücklich beschlossen. Sie vollzog sich ohne ihr Zutun, wenn auch manche ihrer sührenden Mitglieder daran be­teiligt waren. Di« Gründung der Volksbühne war der vollendetste

Siruno Wille

Cur! Slaake

Ausdruck des Selbstgefühls der Arbeiterklasse, die sich in ihrem alle Fesseln sprengenden Kulturstreben das Theater und die drama- tische Kunst wie ein Labsal aus dem Weg« zum Zu- tunftsstaat erobern wollte. Zu dieser Stimmung der Arbeiterklasse trat das Bereit sein der jungen Aka- demiker und Literaten, die zum erstemnal den Ar- beiter entdeckten und im stärksten sozialen Mitgefühl an seiner Seite kämpfen wollten. Es kam hinzu das unmittelbare Vorbild der Freien Bühne, die den Weg zeigte, wie man der verhaßten Polizei-- zensur ein Schnippchen schlagen konnte. So erschien der Gründungsoufrttf- W i l l e s, den ich imBerliner Doltsbltt" in Druck gab. Cun Boake. Anekdoten Ans dem ersten Aakr der Tolhsbühne Bruno Wille war in allen Organisationsfragen so unpraktisch, daß schon im«rsten Jahre seiner Tätigkeit erwogen wurde, ihn aus der eigentlichen Arbeit zurückzuziehen und zum Ehrenvorsitzende» zu machen. » Nach einjährigem Bestehen hatte es die Volksbühne auf knapp 4090 Mitglieder gebracht. Der kühn« Gedanke Brahms, gemeinsam mit der Volksbühne für die aus dem Lessing-Theater vortrieben« Freie Bühne " das Residenztheater zu pachten und acht bis zwölf Abendvorstellungen zu geben, wurde als Utopie abgelehnt. » Wilhelm Bölfche besaß einen seidenen Regenschirm und hielt viel auf sauder« Kleidung. Er galt deshalb manchem als bourgeoisst Gesinnung verdächtig. » In der Tellersammlung, die zur Deckung der Unkosten bei dar Gründungsversammlung der Volksbühne veranstaltet wurde und deren Ueberschuß den streikenden Hamburgern zufloß, befand sich ein goldenes Zehnmarkstück. Es stammte von Ludwig Fulda . » Otto Brahm hatte ernste Bedenken, ob es ihm die Arbeiter nicht übelnehmen würden, daß er bei den Zusammenkünften statt des üblichen Glases Lagerbier einen Schoppen Rotwein zu 1,20 M. trank. Er berief sich ausdrücklich auf ärztliche Verordnung, » Türks Angabe ist richtig, daß der Gedanke des Einheitspreise» und der Verlosung, der nicht in Willes urfprüngllchem Programm stand, von einem Freunde Hartlebens, dem Weinhändler Richter, herrührt. Der Gedanke war so schlagend, daß er von der Statuten- kommisslon sofort ausgenommen wurde. Mit der Verlosung entstand die.Ordnerschaft. » Von der Technik des Theaters hatte außer Brahm keiner im Vorstand eine Ahnung. Brahm engagierte den ersten Regisseur Cord Hachmann, der sich dann sehr bewährte. Für die Sonntag- Nachmittagsvorstellungen stellten sich bedeutend« Künstler(Reicher, Else Lehmann ) zu sehr kleinem oder gar keinem Honorar zur Ver- fllgung. Der Etat einer Vorstellung durfte 400 bis 500 M. nicht übersteigen. Der Mitgliedsbeitrag betrug 50 Ps sür die Vorstellung. Etwa 1000 Mitglieder bilde­ten eine Abteilung. Für die Proben zum ersten Stück: Stützen der Gesellschaft" von Henrik Ibsen standen achl Tage zur Verfügung. Die Aufführung vom 12. Oktober 1890 wurde ein unerhörter Erfolg. » Konvad Alberti(Sitten- feld) versuchte in der konstiw- ievenden Versammlung im Böhmischen Brauhaus, in deren Leitung u. a. unser Wirtschaftsminister Robert Schmidt saß, dem naturajisti- schen Programm mit dem de- magogischen Dorschlag beizu- kommen, man müsse doch in erster LinieFranz von Sik- kingen" von Ferdinand Las- solle spielen. Es hielt nicht schwer, ihn abzutun, zumal er ein sehr schlechter Redner war. Dabei hatte er eine BroschüreDie Kunst der Rede" kurz vorher veröffentlicht. Sie wurde ihm freund- lichst unter die Nase gehalten. Er war aber liebenswürdig genug, dem Kritiker seiner Rede, der ihn glatt erledigt halle , seinen Dank sür die Kritik durch Uebersendung einer von ihm herausgegebenen SammlungBerühmte Redner der Weltgeschichle" abzustatten. Der Vorschlag tauchte auf, das Ostcnkfheater für bis ersten Bor- stellungen der Volksbühne zu mieten. Es war billig Bei einer Fassungskraft von etwa 1000 Personen sollte es mit Dekorationen und schauspielerischen Kräften 200 M für den Sonntagnachmittag kosten. Der Vorstand sah sich ein« Vorstellung an und war betroffen Mehrere murmelten:Das ist bitter." Aber das Theater wurde doch gemietet. Freilich ohne die Verpflichtung, sich nur auf di« Schauspieler des Hause» zu stützen.

Georg Springer