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Nr. 69.

Erscheint täglich außer Montags. Preis pränumerando: Viertel­jährlich 3,30 Mart, monatlich 1,10 Mt., wöchentlich 28 Pfg. fret in's Haus. Einzelne Nummer 6 Pfg. Sonntags- Nummer mit illustr. Sonntags- Beilage Neue Welt" 10 Pfg. Post- Abonnement: 3,30 Mt. pro Quartal. Unter Kreuz­ band : Deutschland u. Desterreichs Ungarn 2 M., für das übrige Ausland 3 Mt. pr. Monat. Eingetr. in der Post- Zeitungs- Preislifte für 1896 unter Nr. 7277.

Vorwärts

13. Jahrg.

Insertions- Gebühr beträgt für die fünfgespaltene Petitzeile oder deren Raum 40 Pf., für Vereins- und Versammlungs- Anzeigen 20 fg. Inserate für die nächite Nummer müssen bis 4 Uhr nachmittags in der Expedition abgegeben werden. Die Expedition ist an Wochen­tagen bis 7 Uhr abends, an Sonn und Festtagen bis 9 Uhr vormittags geöffnet.

Fern precher: Amt 1, Nr. 1508 Telegramm- Adresse: Sozialdemokrat Berlin ".

Berliner Bolksblatt.

Zentralorgan der sozialdemokratischen Partei Deutschlands .

Redaktion: SW. 19, Beuth- Straße 2.

Von Rechts wegen. Einer der wunderbarsten Rechtssprüche, die Deutschland in den letzten Jahren unter den vielen wunderbaren Rechts­sprüchen erlebt hat, ist der Rechtsspruch des Berliner Schöffengerichts in der sogenannten Diebstahls angelegenheit Zetsche Hillert Tschennert. Diese drei Angeklagten wurden, wie unser Bericht über die Ver­handlungen bereits mittheilte, zu je 6, 3 und 1 Monat Ge­fängniß verurtheilt wegen Diebstahls eines werthlofen Stückes Papiers.

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Sonnabend, den 21. März 1896. Expedition: SW. 19, Benth- Straße 3.

Zehn Monate wegen der Wegnahme eines selbst vom nachzuweisen, daß dieser wegen der von Ankläger als werthlos anerkannten Stück Papiers, das ihm an armen Negern begangenen Schand­erinnert an die Zeiten, in welchen ein Angeklagter wegen thaten durch keinen Paragraphen des Diebstahls eines wirklichen Werthgegenstandes mit dem Strafgesetzbuchs erreicht und zur Ver­Tode bestraft wurde. antwortung gezogen werden könne. Wahrlich ein vernichtenderes Urtheil über unsere öffent­lichen Zustände kann nicht gefällt werden, als es durch diese Verurtheilung in dem einen und die Unverfolgbarkeit in dem anderen Falle geschieht.

Dem Oberstaatsanwalt und gewissen anderen Leuten mag diese Verurtheilung als eine große Genugthuung ers scheinen. Das Volk urtheilt anders; cs sucht in diesem Rechtsspruch nur einen neuen schlagenden Beweis, in welchem unüberbrückbar tiefen Gegensatz sich nach und nach unsere Rechtsprechung zu den allgemeinen Bolts­anschauungen stellt.

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Wir sind überzeugt: Hätte der Oberstaatsanwalt Drescher am Donnerstag die Fälle Leist, Wehlan, Peters vor Augen gehabt, seine auflodernde sittliche Entrüstung gegen die Betsche, Hillert, Tscheunert wäre vermuthlich etwas weniger heftig zum Ausbruch gekommen.

Aber der Zentrumsabgeordnete Gröber hat wieder einmal Recht behalten. Die Sozialdemokratie hat ein Schweine glück." Die eifrigsten und hervorragendsten Stüßen dieses Muster- und Rechtsstaates sind wider Willen gar häufig seine eifrigsten Unterwühler.

Dank Euch Ihr Herren, daß Ihr so eifrig und fleißig unsere Geschäfte besorgt.

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Daß man diese Angelegenheit zu einer Haupt- und Staatsaktion aufbauschen wollte dafür spricht das un- Man mag über den Fall der Wegnahme eines be­gewöhnliche Vorkommniß, daß die Vertretung der vor das druckten Stückes Papier , dessen Inhalt so wie so für die Schöffengericht verwiesenen Anklage der Ober- Deffentlichkeit bestimmt war, denken wie man will, ein staatsanwalt Drescher selbst übernahm. Wie sehr Urtheil, wie es das Schöffengericht in dieser Sache aus man im Bublifum unter dem Eindruck steht, daß die bei diesem sprach, flingt an eine Rechtsprechung an, wie sie sonst nur Falle aufgewandten Mittel im umgekehrten Verhältniß zum vor politischen Ausnahme Gerichtshöfen Werthe der Sache stehen, dafür spricht am besten die Thatsache, vorzukommen pflegt. daß in einer ganzen Reihe bürgerlicher Blätter die Ansicht aus- Die Verurtheilten find wegen Diebstahls" hart bestraft, gesprochen wurde, man habe die Angelegenheit deshalb vor das aber das Urtheil des Volkes lautet anders. Niemand wird Schöffengericht und nicht vor das Landgericht ver in den Verurtheilten gemeine Menschen sehen, denen, wäre wiesen, weil man das Kammergericht und nicht das Reichs- es dem sittlich entrüsteten Oberstaatsanwalt nach gegangen, Aus juristischen Kreisen geht uns nachfolgende Buschrift zu: gericht als letzte Instanz wünsche. In jenen Blättern auch noch die Ehrenrechte hätten aberkannt werden müssen. Das vorgestern in Sachen der vorzeitigen Veröffentlichung wurde nämlich ausgesprochen, man sei in zuständigen Welcher Gegensatz in der Auffassung von Recht und des Gnaden- Erlasses durch den Vorwärts" ergangene Urtheil Kreisen der Ansicht, im Falle einer Revision beim Kammer- Gesetz! wird nothwendig in allen Kreisen, in welchen man die Fähigkeit, gericht sicherer zu fahren wie beim Reichsgericht. Hier werden drei Männer, die sicher glaubten, selbständig zu denken, sich erhalten hat, aufs höchste be­Der Ober- Staatsanwalt Drescher hat zwar die An- keine verbrecherische Handlung zu begehen, als fremden und schwerlich einer beifälligen Aufnahme begegnen. gaben dieser bürgerlichen Blätter auf das energischste Verbrecher angeklagt und schwer bestraft, obgleich Auch dieser Prozeß hat ein eigenartiges Vorspiel. Nach der dementirt und wir zweifeln nicht, daß er formell durchaus sie selbst von ihrem Verbrechen" nicht den geringsten Darstellung des die Anklage vertretenden Oberstaatsanwalts vor Straftammer, welcher die Verhandlung recht hat. Aber auch das formell begründeste Dementi persönlichen Vortheil, und andere nicht den geringsten hat die sollte, bie Sache an das Schöffengericht vermag Meinungen und Ansichten, die sich im Volts- Nachtheil hatten. Aber wenige Tage zuvor saßen ebenfalls stattfinden bewußtsein einmal festgesetzt haben, nicht zu beseitigen, und drei Männer auf der Anklagebank vor dem Forum des verwiesen, indem es als ausschlaggebend den Werth des Stückes Papier ansah, aus welchem jenes ominöfe Exemplar bestand; so stehen wir nicht an, unsere Ansicht dahin auszusprechen, Reichstags und der ganzen gesitteten Welt, der gebas Schöffengericht dagegen hat den Tauschwerth dieses daß der Herr Ober- Staatsanwalt für sein Dementi recht mein sten, schuftigsten und entwürdigendsten materiellen Substrates außer betracht gelassen und den ent­wenig Gläubige gefunden hat. Handlungen und Verbrechen angeklagt, scheidenden Nachdruck in der Bedeutung des auf dem Papier ab­Wie zu erwarten war, suchte in seiner Anklagerede die ein Mensch begehen kann, und für sie gedruckten Textes gefunden. der Oberstaatsanwalt durch den Ausdruck sittlicher Ent- hat sich kein Staatsanwalt gefunden, der Wie die Sache auch immer sich zugetragen haben mag, rüftung über die Handlungsweise der Angeklagten und im Namen der Menschlichkeit, der Sittlich die praktische Folge ift die, daß die endgiltige Entscheidung ihrer Hintermänner, womit er deutlich auf die Redaktion feit und Moral eine Auflage erhob, weil, in der Revisions- Instanz von dem Straffenate des Kammer­des Vorwärts" anspielte, zu ersetzen, was ihm an that wie der Herr Justizminister ausführte, die gesegliche Hand gerichts ausgehen wird einem Kollegium, in welchem fast durchweg ehemalige Staatsanwälte sigen, und das eben deshalb Aulus sächlichem Anklagematerial abging. Vom Gesichts- habe fehlte. Agerius in einem Aufsehen erregenden Artikel der Preußischen punkte der Moral" aus donnerte denn auch Herr Diese drei moralisch Verurtheilten, aber kriminell nicht Jahrbücher" für ungeeignet erklärt hat, in Straffachen als höchste Drescher im tiefsten Brustton sittlicher Entrüstung gegen die faßbaren Angeklagten: die Leist, Wehlan und Peters, preußische Justanz zu fungiren. Nun freilich befizen auch die Angeklagten und ihre Hintermänner los, als sei eins der laufen noch heute als freie Männer erhobenen Hauptes Straffenate Reichsgerichts feineswegs eine aus= größten Sittlichkeitsverbrechen, deren moralisch verkommene einher und höhnen über diejenigen, die ihre Schandthaten gesprochene Neigung zu gunsten des revidirenden Angeklagten Menschen fähig sind, begangen worden. Und er setzte auch brandmarkten. in politicis, allein hier liegt noch ein besonderes Moment durch, daß, nachdem das Schöffengericht das Delikt des Ein wunderbarer Zufall aber will es, daß derselbe vor. Im Band 11 Seite 208 ff. der Entscheidungen des Reichs­Diebstahls als vorhanden bejaht hatte, der juristische Vor- Oberstaatsanwalt, der mit Aufwand der höchsten sittlichen gerichts in Strafsachen findet sich nämlich ein Urtheil abgedruckt, sitzende des Gerichts ein Strafmaß diktirte, das faft dem Entrüstung die drei unbekannten Arbeiter wegen Diebstahls dessen Gründe sich analog auf den gegenwärtigen Fall sehr wohl anwenden lassen, wenn dies auch der Oberstaats­Antrage des Oberstaatsanwalts entsprach, um so lebhafteres eines werthlosen Stücks Papier unter Anklage stellte und anwalt mit mehr Applomb als Recht bestritten hat. Staunen aber bei allen denen hervorrufen wird, welche ihre schwere Verurtheilung durchsetzte, in dem Falle Dort nämlich hatte jemand eine verschlossene Blechbüchse mit die Angelegenheit als Leser der Verhandlung verfolgten. des Wehlan sich genöthigt gesehen hat dem darin befindlichen Gelde gestohlen, später die Büchse

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Clotilde.

( Nachdruck verboten.)

Das geht doch aber nicht. Was verstehen denn die von der Forstlultur, dann müssen wir hin!" fiel der Ober­förster ein. Es ist jetzt zu Anfang der Jagd, ich fühle mich wieder besser."

Na, na!" rief zweifelnd die Oberförsterin. " Du hörst aber doch, daß Theodor gern geblieben wäre, aber nicht kann, reisen wir, laß uns die elterlichen Räume und Fluren wieder aufsuchen, mich sehnt es so schon lange, den Wald wiederzusehen, wo ich in glücklicher Bräutigams­zeit Arm in Arm mit Dir die ersten schönen Liebes- Spazier gänge unternahm."-

Das Gespräch wurde unterbrochen durch den Hufschlag mehrerer Pferde, welche aller Blicke nach den Fenstern lenkten. Eine Kavalkade mit fünf prächtigen Thieren( drei Reite rinnen und zwei Reiter) hielt vor dem Hause und der eine Reiter ließ sein Pferd courbettiren. Wian sah es ihm an, daß er sich als geschickter Bereiter und Pferdebändiger und seinen Race Vollbluthengst zeigen wollte. Alle eilten ans Fenster.

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Die Frau Deines Pächters?" frug der Oberförster. Sie ist's," erwiderte Rürdorf, und das sind bestimmt beiden Töchter."

" Da kannst Du doch von dem Manne keinen Bacht zins erwarten, wenn die Frau mit den Töchtern solchen Sport treiben muß," höhnte der Oberförster.

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spekulirt. Das Geld, welches sie dem Verlobten der Lolli vorgestreckt habe, sei wieder in ihren Händen, der Herr von Bechler habe damit einen ersten Preis im Rennen, 10 000 Mart, auch am Totalisator die gleiche Summe ge= wonnen und denke nun bald Hochzeit zu veranstalten. Er habe ihr und den beiden Schwestern Reitkleider Es ist mir," begann Clotilde an dem Fenster stehend, gekauft, Pferde gemiethet und sei mit einem seiner Freunde, als sollte ich den einen der Reiter kennen, er sieht dem dem Italiener Pepo Chiorang oft ins Hotel gekommen, um Italiener sehr ähnlich, der bei meinem Polterabend den mit ihnen auszureiten. Dies habe großes Aufsehen erregt. Ganimed vorstellte." Sie schwelge in dem Entzücken, endlich einmal sich nach Gefallen zeigen und auftreten zu können.

" Da haben wir's," rief der Major, dieser junge Mann steigt vom Pferde, er grüßt, er scheint auch Sie er kannt zu haben."

Der Reiter gab seinem Kameraden die Zügel und schritt auf die Hausthür zu.

Clotilden klopfte das Herz. Was mag der bei uns wollen?" warf die Majorin hin und eilte fort an das Thor, um ihre Neugierde zuerst zu befriedigen. Der berittene Herr benachrichtigte die Reitdamen, wie es schien, von dem gefundenen Ziel und die drei Reiterinnen trieben ihre Pferde an und fort flogen diese in sausendem Galopp. Wir folgen ihnen, damit wir sie nicht gänzlich aus den Augen bekommen.

" Der Aufwand, die Ausgaben sind aber groß, wie lange denkst Du das aushalten zu können?" fragte Delroi.

" So lange das Geld langt", erwiderte seine Frau, und dann wird sich schon wieder eine neue Quelle auf­thun. Lolli und Flora, die so gern in kostbaren Gewändern sich zeigen, haben schon eine sehr einträgliche entdeckt. Der junge Italiener, der sterblich in Flora verliebt ist, hat neulich die beiden Mädchen gebeten, bei einer Kunst­darstellung, die sein Vater, seine Schwester und er auss führten, mitzuwirken, wofür die Mädchen reich beschenkt Was ist das?" sprach die Majorin, ein solcher Aufzug würden. vor unserem Hause?" Was sind denn das für Kunstproduktionen?" frug Die beiden Reiter schienen etwas hier zu suchen, sie ihr Mann. besprachen sich lebhaft. Die drei Reiterinnen hielten ab- Auf der Fahrstraße nach Baden- Baden zu kam ihnen Es sind eine Art lebender Bilder", entgegnete Frau seits mit Mühe ihre weißen Zelter zurück, da die ein dritter Reiter entgegen, den die drei Damen sehr Delroi. Der Vater des jungen Italieners ist ein ges feurigen Rosse ungeduldig vorwärts drängten. Zwei genau zu fennen schienen, denn sie hielten ihre Pferde so suchter Mundkoch und Konditor. Reiche Leute engagiren Der Reitdamen waren sehr junge hübsche Mädchen, plötzlich an, daß diese sich hoch aufbäumten. ihn zu großen Festen, und besonders bei Hochzeiten führt blond mit blauen Schleiern an den hohen Männerhüten, Der Reiter war Herr Delroi. Er begrüßte seine Frau er dann mit seinen Kindern interessante Schaustellungen sie trugen veilchenblaue Sammt- Reitkleider mit langen und Töchter sehr erfreut, drehte um und ritt zur rechten auf, die sehr gut honorirt und mit reichem Beifall belohnt Schleppen, sowie weiße Herrenwesten mit Vorhemd, Kragen Seite seiner Frau hinter seinen Töchtern in lebhaftem Ge- werden. Dabei haben unsere Kinder mitgewirkt und als und Kravatten und blizende Busennadeln. Die dritte spräche der Stadt zu. Schönheiten geglänzt." Reiterin, eine ebenfalls sehr fofett gekleidete ältere Dame Er wie seine Frau schienen gute Nachrichten einander in schwarzem Sammetkleide schien die Mutter der beiden mitzutheilen. jungen Damen zu sein.

Sehe ich recht," rief Theodor von Nürdorf, die ältere Danie sollte ich kennen. Ja, ja, es ist Frau Delroi!"

Frau Dolroi meldete ihrem Mann in fliegender Haft, daß sie froh wäre, dem einsamen Bauerngute rechtzeitig entflohen zu sein, sie habe zwar gewagt, aber glücklich

" Nun vielleicht lernen sie bei diesem Koch endlich eine Suppe tochen," unterbrach Delroi seine Frau.

( Fortsehung folgt.)