r. 147 47. Jahrgang
2. Beilage des Vorwärts
Freitag, 28 März 1930
Not- und Nachtragsetat erledigt.
Beginn der Beratung des Schankstättengesetzes.
Der Reichstag fette am Donnerstagnachmittag die Beratung bes Note und Nachtragshaushalts fort. Ein Antrag Torgler ( Komm.), die sozialpolitischen Anträge und Interpellationen seiner Partei mitzuberaten, wird abgelehnt. Zum Etat des Reichsarbeitsministeriums spricht mit halbstündiger Redezeit
Abg. Schröter- Merseburg( Komm.) gegen die schon erörterten Streichungen an diesem Haushalt und über Stillegungen im Bergbau und von Reichsbahnwerkstätten, denen er Dividendenerhöhungen der Industrie gegenüberstellt.
Reichsarbeitsminister Wissell
erwidert auf Fragen des Borrebners, daß den Trägern der Invalidenversicherung alle Beträge zugewiefen feien, die ihnen nach den gefeglichen Bestimmungen zukommen.
Der Haushalt des Reichsarbeitsministeriums wird mit den von den Sozialdemokraten beantragten Aenderungen angenommen, daß die einmaligen Ausgaben für die Arbeitslofenversicherung um 40 Millionen auf 262,5 millionen erhöht werden.
Es werden dann auch die Nachträge zu den übrigen Etats in der Ausschußfaffung angenommen. Darauf folgt die dritte Beratung des Nachtragshaushalts. Zum Reichsinnenministerium polemisiert
Abg. Dr. Spahn( Dnat.) gegen die Rede Severings vom Tage Dorher. Die Bekämpfung des Boltsbegehrens durch die Reichsregierung und mit Steuergeldern war verfaffungswidrig, aber man fann nicht immer por den Staatsgerichtshof gehen die Regierung hat eben eine Mehrheit, die ihr Vorgehen billigt. Der Bergleich mit den Methoden Bismards ist falsch, denn damals hatte die Regierung das Recht, sich Einfluß auf die Breffe zu verschaffen. Wenn Eugen Richter dagegen auftrat, so beweist das zwar seinen liberalen Doftrinarismus, aber nicht eine Berfaffungswidrigkeit bes Berhaltens der Regierung. Heute neigen alle Parteien, sich selbst als die Boltsvertretung anzusehen, das ist eben die Parteiwirtschaft feit 1919. Wie tann Herr Severing es mit dem Marrismus vereinbaren, die Reichsregierung als überparteilich zu bezeichnen; im Breußischen Landtag hat der Unterrichtsminister Grimme sich aber als Exponenten einer Machtgruppe, nämlich der Mehrheit, ausgegeben.( Widerspruch lints.) Da die Weimarer Berfaffung den Bedhjet des Regierungsfurses ermöglicht, anders als früher, hat Die Regierung nicht das Recht, die Deffentlichkeit von Staats wegen zu beeinflussen. Es entspricht nicht dem Parlamentarismus daß ohne Bewilligung des Reichstags 350 000 m. zur Bekämpfung des Boltsbegehrens verwendet wurden. Herr Severing hat auch in andere Refforts übergegriffen, siehe Reichszentrale für Heimatdienst ( Reichstanzleramt), Rundfunk( Reichspostnrinifterium); mit den Rinos scheint es noch nicht so zu gehen, wie man möchte. Barum ist der Reichstanzler nicht hier? Als Mitglied des Beirats der Reichszentrale für Heimatdienst habe ich nicht den Eindrud gewonnen, daß die Reichskanzlei mit diesem Mißbrauch einverstanden thar. Die Bauern wurden bedroht, daß ihre Beteiligung am Bolts. begehren an der Landwirtschaft gerächt würde.
Jm Rundfunt häufen fich bolichewiffische Darbiefungen. Wie fann man einem Alfred Kerr die Glossierung der Tagesereigniffe überlaffen? Sie( zu den Soz.) haben sich hinter den toten Stresemann und hinter den Reidyspräsidenten geſtedt. Hier im Hause überlassen Sie es dem Zentrum, Ordnung zu machen, Sie haben feine Initiative. Wir erheben den Anspruch, zu regieren, menn mir auch
innerlich nicht auf dem Boden diefer Verfassung stehen. ( Beifall rechts.)
Beim Reidswirtschaftsministerium empfiehlt Abg. Dr. Külz( Dem.) ben Antrag, die 400 000 m. für Aus landspropaganda der Leipziger Meffe mieder einzuftellen.
Ebenso wie in der zweiten Lesung ist hei der Zersplitterung der meisten bürgerlichen Parteien in dieser Frage die Auszählung erforderlich. Sie ergibt die Ablehnung des Antrags mit 190 gegen 129 Stimmen bei 4 Enthaltungen. Die einzelnen Etats werden angenommen, ebenso eine Entschließung auf Einstellung von Mitteln für Bahnbauten im Osten in den Hauptetat 1930. 3um Haushaltss gesez( Ermächtigung für Ausfallgarantie von 50 Millionen Mart zum Auffauf von Getreide) fragt
Eine Reihe Großmühlen haben ihren Roggen wieder auf den Markt gebracht und dabei einen großen Schiebergewinn an der Stügungsaktion der Regierung gemacht.
In der Schlußabstimmung, zu der Dauertlingeln und Nebel horn die Mitglieder herbeiholen, werden die Vorlagen angenommen. Es folgt die zweite Beratung des Schantstätten gefeges. Redezeit eine Stunde. Die
Abg. Sollmann( Soz.):
Der Reichstag hat selten ein Gesez bearbeitet, das die Phantasie von Millionen Menschen so start beschäftigte, wie dieses. Vielen Freunden des Alkohols hat es Angstträume verursacht. Das amerikanische Gespenst der Trockenlegung geisterte durch die deutsche Alkoholindustrie und die deutschen Gaststätten. Dabei hat dieses Gesetz mit der Trockenlegung nicht das geringste zu tun. Es bleibt fogar weit hinter dem Entwurf vom Jahre 1922 zurüd, der das
Freie Sozialistische Hochschule Sonnabend, den 29. März, 19, Uhr,
im Plenarsaal des ehem. Herrenhauses, Leipziger Str. 3, Vortrag des Genossen Wladimir Woytinsky :
Karten zum Preise von 50 Pt.( einschl. Garderobe) sind an folgenden Stellen zu haben: Büro des Bezirksbildungsausschusses, Lindenstr 3, 2. Hof links, 2 Trep en; Arbelterjugend Groß- Berlin, Lindenstr. 3. 2 Hof links, 2 Treppen; Buchhandlung J. H. W. Dietz Nachf., Lindenstr. 2; Bank der Arbeiter, Angestellten und Beamten. Wallstr. 65; Deutscher Holzarbeiter- Verband, Am Köllnischen Park 2 u. Rungestr 30; Verband der graphischen Hilfsarbeiter. Ritterstraße Ecke Luisenufer; Zigarrengeschäft Horsch, Engelufer 24.25; Verlag des Bildungsverbandes der deutschen Buchdrucker, Dreibundstr. 5; Zentralverband der Angestellten, Hedemannstraße 12; Verlagsgesellschaft des ADGB. , Abteilung Sortiment, Inselstr( a; Frauensekretariat der SPD. , Lindenstr. 3, 2. Hof links, 2 Treppen; Bezirksausschuß für Arbeiterwohlfahrt. Lindenstr. 3, 2. Hof links, 2 Trepp.; Geschäftsstelle der„ Naturfreunde", Johannisstr. 15.
Gemeindebestimmungsrecht und die Bevorzugung gemeinnüßiger Ber. eine bei der Konzeffionserteilung enthielt. Die Sozialdemokratie hat darauf verzichtet, diese Verbesserung jezt zu beantragen, weil bei dem ablehnenden Verhalten aller bürgerlichen Parteien folche Anträge ganz aussichtslos
find. Das vorliegende Gefeß bestätigt im wesentlichen nur den bestehenden Rechtszustand, wie er durch das Notgefeh vom Jahre 1923 gefchaffen wurde. Die Erteilung einer Konzession wird von dem Nachweis eines Bedürfnisses abhängig gemacht. Was aber ein Bedürfnis ist, wird gerade auf den alkoholischen Gebieten immer fehr umstritten sein. Wirte und Abstinenten behaupten überein stimmend, daß die Bedürfnisprüfung ganz willtürlich gehandhabt würde. Darum haben wir versucht, den Begriff des Bedürfnisses durch die sogenannte Relation zu bestimmen; durchschnittlich eine Gaststätte auf 400 Einwohner. Auch darüber ist der größte Unfinn verbreitet worden. Man behauptete, 110 000 Gaststätten sollten geschlossen werden. In Wirklichkeit waren alle erdenklichen Ausnahmen für Ausflugsorte, für Kurorte, für Großstädte usw. vorgefehen. Da die große Mehrheit der bürgerlichen Parteien für die Relation nicht zu haben war, haben wir das Ziel nicht weiter ver. folgt. Wahrscheinlich wird die Ablehnung der Relation zur Folge haben, daß in absehbarer Zeit die Agitation für das Gemeindebestimmungsrecht wieder in den Bordergrund tritt. Nach den bis herigen Beschlüssen unterliegen auch die alkoholfreien Gaststätten dem Bedürfnisnachweis. Das widerspricht dem Geist des Gesetzes, das den Alkoholismus eindämmen mill.
Manche Konzessionsbehörden machen der Gründung von alkoholfreien Gaststätten große Schwierigkeiten, fogar der Errichtung von alkoholfreien Kantinen. Deshalb beantragen wir, die alfoholfreien Gaststätten von dem Bedürfnisnachweis auszunehmen.
Den Alkoholgewerben, die mit dem Gesetz fehr unzufrieden sind, fagen wir, daß es in Deutschland 390 000 registrierte Trunfsüchtige gibt. Die Trinterfürsorge einer einzigen Industriestadt, Bochum , betreut 2252 Trinfer. An solchen Zuständen, die auch eine starte Wohlfahrtsbelastung in sich schließen, tann die Gesezgebung nicht achtlos vorübergehen. Dieser Erkenntnis dürfen sich auch die Alkoholgewerbe und die Wirte nicht verschließen. Den scharfen Kritifern aus der foholgegnerbewegung ist zu sagen, daß der Reichstag nicht durch Gefeße allgemeine Mäßigteit oder gar Nüchternheit erzwingen fann. Auch als Abstinent würde ich niemals da die Regierung die 126 stehenden Attien mit 180 gekauft hat. eine Gesetzgebung verantworten, die gegen den Widerstand der all
Abg. Hoernle( Komm.), mit welchem Geld die deutsche Ge treibehandelsgesellschaft die 400 000 Tonnen Roggen aufgetauft hat. Hierbei dürften nach Annahme der Regierung pro Tonne 100 m. verloren gehen, d. h. die Bantengruppe, die das Geld gegeben hat, erhält die 400 000 Zonnen Roggen zu einem Spottgeld. Diese Bantengruppe hat schon bei der Scheuer- Konzern- Sache 7,5 millionen Mart Gewinn gemacht,
| gemeinen Volfsfitten nicht durchzuführen ist. Wenn einmal im Deutschen Reichstag statt einem Dugend Alkoholgegnern 100 oder 200 fizen, wird die Gesetzgebung gewiß anders aussehen, aber dann wird sie auch von einer anderen Bollsstimmung und von anderen Boltssitten getragen werden. Im Ausschluß ist auch von unseren politischen Gegnern anerkannt worden, daß die Gewerkschaften und die Sozialdemokratie viel zur Eindämmung der Altoholflut getan haben. In dieser Arbeit werden wir fortfahren. Das Wichtigste bleibt die Hebung der gesamten materiellen, geistigen und sittlichen Lebenshaltung der Massen. Wenn behauptet wird, wir diskredi tieren durch Gesezesbestimmungen, die ein Branntweinverbot an Lohntagen und eine Unterbindung des Branntweinausschants auf Kret it herbeiführen wollen, die deutsche Arbeiterklasse, so ist das falsch gesehen. Wir handeln nur sozialistisch. Sozialistisches Kulturgefühl ist nicht denkbar, ohne Solidarität. Wir fühlen uns auch mit den Klaffengenossen verbunden, die zu schwach sind, selbst den Ver fuchungen unserer Trintfitten zu widerstehen, und diesen Opfern und ihren Frauen und Kindern wollen wir helfen, sowett es möglich ist.
Als dem preußischen Innenminister Severing einmal von Wirten die Verlängerung der Polizeiffunde nahegelen wurde, lehnte er es ab mit der prächtigen Begründung: enn ich durch meine Maßnahme nur einen meiner Klaffencenoffen von der Trunkfucht bewahre, bin ich zufrieden." Das war das Wort eines echten Sozialisten. Aus diesem Geifte betrachten wir auch dies Gefeß, so unvollkommen es noch ist. Aus der Verantwortung für die Opfer des Alkoholismus arbeiten wir an der Lösung der Alkoholfrage mit als einem wichtigen Letla gebiet fozialer Kulturpolift und sozialistischen Aufbauwillens.( Beis fall links und in der Mitte.)
Aba. Dr. Mumm( Chr- Soz.) tritt für das Gesez und seine schleunige Erlediguna ein. Die Alfoholausgaben im Reich steigen andauernd. Das müssen wir befämpfen, auch im Intereffe einer Revisionsmöglichkeit des Doung- Plans. Gegen die Meinung ber meisten Polizeipräsidenten hat der sozialdemokratische preußische Innenminister die Sperrstunde auf 5 Uhr morgens hinausgeschoben. Denten Sie an die verhärmten Frauen!( Rufe der Kommunisten: Denten Sie bei den Zöllen baran!)
Abg. Hampe( Dnat.): Eine eigentliche Gefahr des Alkoholmißbrauchs besteht in Deutschland nicht. Wo der Bierverbrauch anfteigt, ist starter Wein- und Schnapsverbrauch nicht vorhanden. Wünscht man eine weitere Verminderung des Alkoholverbrauchs, so nuß man bei den Gästen einsehen, und nicht beim Gastwirt. Die Gäfte können aber durch durch Erziehung. nicht durch Zwang auf geflärt und geschüßt werden. Der Verbrauch alkoholfreier Getränke fteiat fortwährend. Der Gastwirt paßt sich den Wünschen seiner Gäfte an. Es ist falsch, einen höchst angesehenen Stand durch Be Stimmungen zu bedrücken, die nur als Sondergefeßgebung aufgefaßt werden können.
Gegen 19 Uhr wird die Welterberatung auf heute, Freitag, 15 Uhr, vertagi.
Aus der Partei.
Karl Korn , dem Fünfundsechziger.
Ein Freund und Führer der Jugend, ein fraher Mensch ber Arbeit vollendet Genoffe Karl Korn heute, das 65 Lebensjahr. Seit 1909 wirft er als Redakteur des Monatsblattes der sozialistischen Arbeiterjugend, mit den immer neuen Schichten dieser Bewegung aufs engste geistig verbunden. So hat er das Wachstum der Jugendorganisation von ihren Anfängen mit erlebt, fie mitgeleitet und thr zahlreiche fruchtbare Anregungen gegeben. Außer den unzähligen Auffäßen, die er für und über die sozialistische Jugend veröffentlichte, hat er auch noch eine Reihe von vielgelesenen Büchern veröffentlicht, die sich mit dem Jugendproblem und der sozialistischen Idee int der Jugendbewegung befassen, vor allem die Geschichte der Arbeiter jugendbewegung und eine zusammenfassende Darstellung der bürger lichen Jugendbewegung.
Aber in der Tätigtelt für die Jugend, der der innerlich- frohe Bjälzer jetzt mehr als zwanzig Jahre gewidmet hat, erschöpfte sich feine Arbeit nicht. Bevor er 1909 nach Berlin berufen wurde, war er schon 13 Jahre lang Redakteur an unserem Kieler Parteiblatt Schleswig- Holsteinische Boltszeitung" gewesen. In der großen sozialdemokratischen Kulturarbeit hat er durch Jahrzehnte aufs eifrigfte mitgewirtt. Zur Bollendung feines 65. Jahres gelten ihm deshalb die Glückwünsche aller, für die er geschafft hat, der Alten mie der Jungen in der Partei.
Machen Sie sich keine Gedanken
selbst mit bescheidenen Mitteln werden Sie im Frühjahr u. im Sommer elegant und flott angezogen sein! In altbekannter Zuverlässigkeit sorgt dafür das Haus der hohen Qualitäten und niedrigen Preise
Gabardine- Mäntel
blau und farbig
Frühjahrs- Mäntel
Trenchcoats
als Ulster oder Raglan der unverwüstliche Mantel von M 48.- bis M 125.- von M39.- bis M155.- von M 25.- bis M 65.
Sacco- Anzüge
in prachtvollen Dessins von M35.- bis M110.
Erders Dyckhoff
Gertraudtenstrasie 8-9
An der Patrikirche