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Morgenausgabe

Ar. 151

A 76

47.Jahrgang

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Vorwärts

Berliner Boltsblatt

Sonntag

30. März 1930

Groß- Berlin 15 Pf. Auswärts 20 Pf.

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Regierung Brüning- Schiele

Ohne feste Mehrheit- aber mit abenteuerlichen Plänen.

*

gegen oder ohne die Sozialdemokratie auf die Dauer taum möglich ist.

Die Verhandlungen über die Regierungsbildung reichlich unklaren Gedankengängen der Kreise nahe tommt, der muß zum mindesten zur Zeit feststellen, daß ein Regieren wurden im Reichstag gegen 22 Uhr abends zum Ab. die fich heute volfsfonjervativ nennen. schluß gebracht. Die Kabinettsliste, die Dr. Brüning am Sonntagvormittag dem Reichspräsidenten vor­Tegen wird, lautet:

Reichskanzler: Dr. Brüning. Außenminister: Dr. Curtius,

Reichsfinanzminister: Dr. Moldenhauer, Reichswirtschaftsminister: Dietrich,

Reichswehrminister: Groener, Reichspostminister: Dr. Schätzel,

Reichsverkehrsminister: von Guérard, Reichsarbeitsminister: Dr. Stegerwald, Reichsministerium des Innern und Ministerium für die besetzten Gebiete: Dr. Wirth, Reichsernährungsminister: Schiele, Reichsjustizminister: Dr. Bredt, Minister ohne Portefeuille: Treviranu 3.

Die Möglichkeit von Aenderungen im einzelnen ist noch gegeben, da die Wirtschaftspartei vier Zentrumsminister für zuviel erklärt und die Zu weisung eines Portefeuilles an Treviranus fordert.

Am späten Abend des Sonnabend empfing

Reichskanzler Brüning noch im Reichstag die Presse. Er beschränkte sich aber nur auf wenige Worte, da er nähere Mitteilungen noch nicht machen könne. Bis auf einzelne fleinere Punkte seien aber alle strittigen Fragen geklärt. Die Personalien der Minister ständen fest und die Liste werde am Sonntag dem Reichspräsidenten zur Ernennung des neuen Kabinetts vorgelegt.

Das Kabinett Brüning ist zustande gekommen. Sein Programm ist noch nicht bekannt, aber es wird inter essant genug sein. Die Bermählung der Haltung der bisherigen Regierungsparteien in der Agrarfrage mit den hemmungs­losen Forderungen des Landbundes, der Ostpolitik, wie sie bisher Curtius geführt hat, mit den Schieleschen Ansichten und der bisherigen Handelsvertragspolitik mit der Forde rung nach grundsäßlicher Wendung in der Handelspolitik dreimal die Quadratur des Zirkels!

0210111

Das Wesen diefer Regierung aber steht fest. Sie ist seit Wochen und Monaten in der Idee bereits por gebildet worden. Die Elemente, die fich nun zusammen­gefunden haben in einer Regierung, haben seit Monaten um die ideelle Grundlage einer solchen Bildung diskutiert, und nicht nur um die ideelle Grundlage! Herr Brüning hat mit Herrn Treviranus die konkrete Situation und die fontrete Gestaltung dieses Versuchs einer fonjervativen Re­gierung vorbesprochen. Die deutschnationalen ,, Hamburger Nachrichten" stellen fest, daß zwischen den bei der Re gierung Brüning beteiligten Parteien( chon wochenlang verhandelt worden ist.

Es ergibt sich daraus, daß die an dieser Borbereitung be­teiligten Parteien in den Bemühungen um den Bestand der bisherigen Koalition höchstens noch die formale Lona lität gewahrt haben, aber nicht mehr. Es wird verständlich, marum Rücksichtnahme auf die Bolkspartei und Nichtverstehen der Stellung der Sozialdemokratie in der Frage der Arbeitslosenversicherung den letzten Berhandlungen die kritische Wendung gegeben haben. Der Führer des Zen­trums stand mit einem Bein in der bisherigen Koalition und mit dem anderen schon in der Koalition von heute! Man hat auf den Tag des Sturzes des Kabinetts Müller gewartet. meil nicht die Große Koalition, sondern eine ganz anders geartete politische Konzeption die Zielrichtung war! Eine politische Konzeption, die mit den demokratischen Grundgedanken der parlamentarischen Berfassung sehr wenig in Einklang zu bringen ist, und viel mehr den staatspolitisch

Herr Treviranus hat gestern- zu einer Zeit, als er be reits als Minister des Kabinetts Brüning in Aussicht genom men war in seinen Bolfstonservativen Stim men diese Gedankengänge darlegen lassen:

ier geht mehr vor sich, als einer ber Regie rungsmedel, wie sie das parlamentarische Syftem mun ein mal mit sich bringt.

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Wir Boltstonfervativen haben auf diese Entscheidung gewartet, das ist oft genug gesagt worden, ja, wir haben manches getan, fie zum Nugen des Baterlandes beschleu nigen.

Wenn dieser Versuch scheitert, wenn die sicher zu er wartenden Widerstände unüberwindbar wer ben sollten, dann sind alle legalen möglich. feiten zu einer Ordnung des deutschen Lebens erschöpft, dann bleibi nur noch Chaos ober Diftatur. Das ist der Sinn dieser Stunde."

Gie haben auf den Tag gewartet, und nun betreten sie den Weg zum Chaos, aus dem die Diktatur retten foll! Bei Herrn Treviranus ist so vollkommenes Unverständnis des Wesens des demokratisch- parlamentarischen Systems ent­dem demokratisch- parlamentarischen System zurücblidt wie schuldbar bei einer Partei, die auf so reiche Erfahrung mit das Zentrum, wäre sie gänzlich unentschuldbar.

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Es sind nicht ,, alle legalen Möglichkeiten zu einer Ordnung des deutschen Lebens erschöpft", sie sind so wenig erschöpft, daß sie nicht einmal angewandt worden sind es handelt sich nur darum, daß man offenbar die legalen Mög­lichkeiten nicht anwenden will, sondern daß man Wege neben der Berfassung und aus der Ber­faffung heraus sucht!

Das neue Kabinett Brüning bedarf zu seiner Amts­führung des Bertrauens des Reichstags. Zur politischen Wirksamkeit braucht es eine parlamen­tarische Mehrheit Woher fie nehmen? Herr Scholz hat auf dem Mannheimer Parteitag der Deutschen Volks­ partei das Wort gesprochen:

Das neue Kabinett Brüning wird sehr bald erfahren, daß diefe Worte eine realpolitische Einsicht enthalten! Erhält bie Regierung Brüning das Vertrauen des Reichstags nicht, weil sie gegen diese Einsicht gebildet ist, so müßte sie nach dem par­lamentarischen System abtreten. Will sie aber den Ber fuch machen, die Wendung gegen die Sozialdemokratie zu voll­ziehen, sich zu halten ohne die erforderliche Grundlage im Bar­lament, so müßte sie den Boden des parlamentarischen Systems verlassen. Und es ist die offenbare Absicht eines Teils dieser neuen Regierungstoalition, diesen Schritt aus dem System hinaus zu wagen, weil innerhalb des parla­mentarischen Systems die Stellung der Sozialdemokratie im Bolle wie im Parlament nicht außer Rechnung gestellt werden fann, weil die legalen Möglichkeiten" an dieser politischen Tatsache nicht vorübergehen tönnen!

Es heißt, daß dies Kabinett Brüning die Absicht habe, die Finanzgefeße mit Hilfe des Artitels 48 auf dem Wege der Notverordnung in Kraft zu feßen. Es ist Mode geworden, daß Parteien und politische Gruppen nach dem Artifel 48 rufen, wenn sich Schwierigkeiten zeigen, die nicht mit dem fache zusammenhängen, daß man mangelnde Mehrheiten für Besen des parlamentarischen Systems, sondern mit der Tat­tonkrete Wünsche zu erlegen sucht durch eine außerparlamenta rische Dittatur. Der Artikel 48 jezt nicht ein übergeordnetes Stimmrecht des Reichspräsidenten gegenüber einer Reichs­tagsmehrheit im positiven oder im negativen, er ist nicht ein Mittel, um die Wünsche einer Minderheitsgruppe gegen­über einer Mehrheit des Barlaments durchzusehen! Und er ist erst recht nicht ein verfassungsmäßiges Mittel, den Wünschen einer Gruppe Gejegestraft zu geben, wenn noch nicht einmal der Verfuch gemacht worden ist, auf dem ordentlichen Wege der Gesetzgebung eine Entscheidung herbeizuführen!

Die Anwendung des Artikels 48 in solchem Sinne würde gegen den Sinn der Reichsverfassung und des parlamenta­rischen Systems verstoßen!

Für die Anwendung des Artikels 48 zur Wer mit den Berhältnissen rechnet, wie sie nun einmal find, Infraftsegung der Finanzgefeße ist tein

Wie Brüning begrüßt wird.

Pos Rampfansagen und Unheilprophezeiungen.

Deutschnationale Preffeftelle:

Herr Brüning wird sich heute jagen müffen, daß er sich durch den Optimismus feines Freundes Treviranus bebentlich hat täuschen laffen. Die Sehnsucht der Lambach- Gruppe für die Bemühungen von Brüning gewesen zu sein. Dabei macht es nach Minister effein scheint überhaupt die treibende Kraft doch immerhin einen mert würdigen Eindruck, wenn man vor ein paar Tagen noch den Young- Blan auf das heftigste be­fämpft und heute schon bereit ist, in ein Rabinett zur Durch. führung desselben Young- Blanes einzutreten. Wenn Trepiranus sogar bereit ist, das Außenministerium zu übernehmen, das für die Durchführung des Doung Blanes außenpolitisch verantwortlich ift, Brüning ift heute in einer Gadgalle mit Recht lagte in Zentrumsabgeordneter:" Er hat sich durch die Illusionen von Treviramus einfangen lassen."

Für die Deutschnationalen gibt es gegenüber diefer Scheinlösung nur eins: Opposition. Da sich die Unzulänglichkeit des parlamentarischen Systems voll tommen verfahren hat, verlangt die Opposition Neuwahlen, die zeigen sollen, wie das Bolt über die regierungsseitige Ratastrophen­politif ber legten zwei Jahre denkt.

Der Nationalsozialist":

Mir Nationalsozialisten erklären dem Bürgerblodregime unerbittlichen, tompromißiosen Kampf.

In feiner wie immer gearteten Weise tann die Regierung der Doung- Erfüllung auf unsere Neutralität oder gar Unterstüßung rechnen;

wir stehen dem Kabinett Brüning ganz genau fo feindlich gegenüber wie dem Kabinett Müller! kampf dem Bürgerblod! Es tebe die sozialistische und nationalistische

Revolution!!

Mitteilung der Wirtschaftspartei:

Für den Fall, daß eine Sammlung der bürgerlichen Parteien nicht zustande kommt, so daß die fünftige Regierung mit einer zahlenmäßig ins Gewicht fallenden Opposition auf der Rechten rechnen müßte, hat sich die Wirtschaftspartei volle

Freiheit des Handelns vorbehalten. Sie ist der Auf­faffung, daß die Berantwortung für das Nichtzustandekommen einer bürgerlichen Regierung und die damit verbundene weitere Hinaus zögerung der Senierung der Reichsfinanzen und der Hilfsmaß nahmen für die Landwirtschaft und die Wirtschaft überhaupt die Barteien zu tragen hätten, die sich in dem Augenblid, wo die Möglichkeit der Bildung einer bürgerlichen Regierung vorhanden ist, der Verantwortung entziehen

und damit für Staat und Gesamtwirtschaft eine in ihren Folgen unübersehbare Krise herbeiführen..