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BERLIN Qugmu

Montag 31. März

1930

Der Abend

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Kabinett Brüning berät.

Heute Amtsübernahme.- Schwierigkeiten des Programms.

Nachdem Dr. Brüning als Reichskanzler heufe durch den Reichspräsidenten auf die Verfassung vereidigt worden ist, hat er im Laufe des Bormittags die Amtsgeschäfte von seinem Bor­gänger Hermann Müller übernommen.

Das deutsche Reichskabinett wird am Montagnachmittag um 17 Uhr zu seiner ersten kabinettsfihung zusammentreten. In der am Dienstagnachmittag um 16 Uhr beginnenden Bollfihung des Reichsfags wird Dr. Brüning die Regierungserklärung abgeben.

Brüning hat bereits am Sonntag seine Ministerkollegen auf­gefordert, ihr Programm, soweit sie das jeweilige Ressort betreffen, auszuarbeiten. Die Grundrisse dieser Arbeiten werden in der heute nachmittag stattfindenden Sigung besprochen und zu einem Gesamt­programm verschmolzen werden. Dabei dürfte, wie wir erfahren, der volksparteiliche Finanzminister Moldenhauer Kenntnis geben von den geheimen Aufträgen, die er von der Ver= einigung der Arbeitgeber Verbände hinsichtlich der Arbeitslosenversicherung erhalten hat. Im übrigen wird man von der angeblich so notwendigen Versicherungsreform in der Regierungs­erklärung nicht viel die Rede sein, da man dem chriftlichen Gewert­fchafter Stegerwald einen Abbau der Leistungen nicht zumuten will..

Hindenburg an Müller .

Dank an den scheidenden Kanzler.

Der Reichspräsident hat an den scheidenden Reichskanzler Hermann Müller folgendes Schreiben gerichtet:

,, Sehr geehrter Herr Reichskanzler!

Ihrem Antrage auf Entlaffung aus dem Amte als Reichs­tanzler habe ich in Würdigung der parlamentarischen Lage mit dem anliegenden Erlasse entsprochen. Es ist mir ein aufrichtiges Bedürfnis, Ihnen beim Scheiden aus Ihrem verantwortungs­vollen Amt namens des Reiches wie auch persönlich Dank und Anerkennung für Ihre pflichttreue, mühevolle und stets vom Streben nach Sachlichkeit getragene Arbeit auszusprechen. Ich werde die Zusammenarbeit mit Ihnen in gufer Er= innerung behalten.

Mit den besten Wünschen für Ihr Wohlergehen und freund­lichen Grüßen bin ich Ihr ergebener

gez. von Hindenburg. Auch den übrigen, aus dem Amte scheidenden Mitgliedern der Reichsregierung hat der Reichspräsident bei der Uebersendung der Entlassungsurkunden seinen Dank für ihre Arbeit zum Ausdruc

gebracht.

Hände weg von der Sozialversicherung! Vortrag Wiffells in Görlig.

Görlig, 31. März.

Auf dem hier abgehaltenen Bezirksparteitag der Sozial­demokratischen Partei für den Regierungsbezirk Liegnig behandelte der bisherige Arbeitsminister Wissell in einem eingehenden Bor trag die sozialpolitischen Fragen der Gegenwart. Er erörterte dabei auch die Ursachen, die zur Regierungskrise und zum Rüd­tritt des Rabinetts Müller geführt hatten. Nachdem das Rabinett in einer der wichtigsten sozialpolitischen Fragen der Gegen wart durch den Austritt des Reichsfinanzministers Dr. Moldenhauer nicht mehr geschlossen dastand, ja jogar mit dem Austritt noch anderer Mitglieder zu rechnen war, sei ein anderer Ausweg als der Rücktritt des Gesamtfabinetts nicht mehr übrig ge­blieben. Die Sozialdemokratie und mit ihr die Gemert­schaften ließen an der Arbeitslosenversicherung nicht rütteln, hier gebe es nur eins: än de weg von der Sozialversicherung!

Die Ausführungen des Redners fanden stürmischen Widerhall bei den zahlreichen Delegierten, die rund 28 000 eingeschriebene Sozialdemokraten des Bezirks vertraten. Nach lebhafter Aussprache, an der sich unter anderem die Reichstagsabgeordneten Birbig und Buch wit beteiligten, fand nachstehende Entschließung ein. stimmige Annahme:

Die am 30. März 1930 in der Stadthalle zu Görlig tagende Konferenz des Bezirks Liegnig der Sozialdemokratischen Partei bekennt sich in der gegenwärtigen Lage, die durch den scharfen Rationalisierungsprozeß und eine drückende Arbeitslosigkeit gekennzeichnet ist, mit aller Entschiedenheit zur Notwendigkeit einer umfassenden Sozialpolitit, durch die entsprechend den Grundsäzen der Reichsverfassung die Arbeitstraft besonders geschüßt und den Kranten, Inva. Liben und vor allem auch den Opfern der Wirtschaftstrife, den

Das neue Kabinett

Hindenburg hat am Sonntag die von Dr. Brüning vorgeschlagenen minifter ernannt. Infer Bild zeigt von links nach rechts( oben): Reichskanzler Dr. Brüning, Außenminister Dr. Curtius, Innenminister Dr. Wirth, Finanzminister Dr. Moldenhauer, Ernährungs­minister Schiele;( unten): Reichswehrminister Groener, Wirtschaftsminister Dietrich, Verkehrsminister von Guérard, Arbeitsminister Stegerivald und Postminister Schätzel.

Arbeitslosen, eine ausreichende, menschen würdige Versorgung zuteil wird. Die Konferenz vertritt den Stand­punkt, daß den arbeitslosen Boltsgenossen ihre Unterstügung unter teinen Umständen gekürzt werden darf. Sie lehnt daher eine Sanierung der Arbeitslosenversicherung durch Leistungsabbau ab und billigt die Haltung der Bertreter der Sozialdemokratie im Reichstag und in der Reichsregierung.

Es wurde dann noch eine Entschließung angenommen, welche die Förderung des Wohnungsbaues fordert, ferner ein Notopfer und bessere Hilfe des Reiches gegenüber der Provinz.

Schiele.

Die Braut ohne Mitgift- aber mit Ansprüchen. Herr Schiele hat sein Reichstagsmandas niedergelegt. Die Herren Brüning und Treviranus hatten gehofft, daß er 50 deutschnationale Stimmen als Morgengabe in die neue Ehe mit­bringen würde, aber es war eine falsche Hoffnung!

Herr Schiele bringt nicht fünfzig Stimmen mit, nicht ein­mal feine eigene Stimme wird er gegen ein Mißtrauens mal feine eigene Stimme wird er gegen ein Mißtrauens­votum in die Wagschale werfen er hat sie in der Garde­robe abgeben müssen.

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Der Nachfolger des Herrn Schiele im Mandat wird Oberst von Bartenwerffer, ein Stahlhelm- und Hugenberg- Mann. Die Mitgift des Herrn Schiele für das Kabinett Brüning besteht lediglich in Ansprüchen und in der Besorgung einer Gegenstimme.

Sirenenklang vom Rhein .

Das Kabinett der Frontkämpfer".

190 1930 Köln , 31. März( Eigenbericht.) Die Kölnische Volkszeitung", das Hauptorgan der Zentrums­ partei , bringt zum neuen Rabinett Brüning in ihrer Montag Morgenausgabe folgende bemerkenswerte Ausführungen:

,, Mit dem Kabinett Brüning ist in Deutschland zum ersten Male die Frontfämpfergeneration politisch zum Zuge gekommen. Brüning und Treviranus sind ihre charakteristischen Ver­treter im Kabinett. Das Kabinett Brüning ist eine Regierung von Männern, die nicht jeder für sich auf die Ansicht einer Fraktionsmehrheit festgelegt sind, sondern die sich für

ihre persönlichen Ansichten und über das, was getan werden muß, unter sich mit ihrem Führer abgesprochen haben und daher keiner Frattion verantwortlich sind. Deshalb sehen wir in dem Kabinett Brüning fein interessantes. Experiment, wie es einzelne tun mögen, sondern den Aufbruch zu neuen Ufern, mutig ge wagt von Männern, die durch ihre Haltung dem deutschen Bolle vor Augen führen, daß es noch den Willen zum Ganzen der Nation gibt, einen politischen Willen, der demokratische Einstellung, soziales Wollen, liberalen Persönlichkeitswert und fonjervative Haltung in der höheren Ebene der nationalpolitischen Verpflichtung gegenüber Boltsstaat und Staatsvoll miteinander verbindet und in staats. politische Taten umsetzt. In diesem Sinne wird das Kabinett Brüning nur einen Gegner haben: die Front der Reattio. näre. Ob sich die Sozialdemokratie in diese Front ein reiben wird, hängt ganz allein von ihr ab."

Treviranus­

Der Minister gegen die Räumung der besetzten Gebiete.

Herr Treviranus hat gegen den Young- Plan geftimmt. Nach der Unterzeichnung der Gesetze durch den Reichspräsidenten ließ er erklären: mit Hindenburg gegen den Young- Plan.

Herr Treviranus ist jetzt Minister für die besetzten Gebiete. Es verlautet, daß seine erste Amtshandlung die Umbenennung feines Amtes fein wird, es wird fünftig heißen: Ministerium gegen die Räumung der besegten Gebiete.