Morgenausgabe
Nr. 155 A 78
47.Jahrgang
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Vorwärts
Berliner Bolksblatt
Mittwoch
2. Apríl 1930 Groß- Berlin 10 Pf. Auswärts 15 Pf.
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Kampfbeschluß der
Die sozialdemokratische Reichstagsfraktion hat gestern abend nach der Erklärung der Regierung Brüning folgenden Antrag eingebracht: Die Reichsregierung besikt nicht das Ver. trauen des Reichstags."
Zur Begründung dieses Antrags wird heute als erster in der Reichstagssitung Gen. Breit scheid sprechen.
Der neue Reichskanzler Dr. Heinrich Brüning hat nun mit seiner Regierungserklärung die Fahrt ins Aben
teuer angetreten.
Entweder wird er binnen vierund
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anderen den Schluß ziehen, daß man das ganze Regierungsprogramm mit Hilfe des Diftaturparagraphen defretieren will.
Das aber wäre staatsrechtlich eine Unmöglichkeit. Boli tisch wäre es geradezu ein Wahnsinn.
Es ist schon im höchsten Grade zweifelhaft, ob mit Hilfe des Artikel 48 Steuern, die zur Balancierung des Etats notwendig sind, defretiert werden dürfen. Man kann pielleicht, bei einer weitherzigen Auslegung das für erlaubt halten, wenn ein staatlicher Motstand, aus dem eine Gefährdung der Sicherheit und Ordnung zu befürchten ist, auf andere Weise nicht behoben werden kann.
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Die Regierungserklärung spricht jedoch von der Finanzzwanzig Stunden der Führer einer unmastierten Rechts- reform als einem einheitlichen Ganzen Dieses einregierung sein, die mit deutschnationaler Hilfe parlamenta- heitliche Ganze umfaßt nicht nur die Deckungssteuern Bier, Mineralwassersteuer, Benzinzoll usm. risch zu regieren versucht, oder er wird mit Ermächtigung, sondern auch das Arbeitslosentompromiß und des Reichspräsidenten den Reichstag auflösen und des Reichspräsidenten den Reichstag auflösen und die Steuersentung für 1931! Sollte ernstlich die Abden Artikel 48 in Bewegung setzen. ficht bestehen, mit Hilfe des Artikel 48 die Arbeitslosenunter: stützung anzutasten und die Steuern für 1931 zu fenten? Das wäre doch ein glatter Verfassungsbruch, den Reichsregierung zutrauen fann. man weder dem Reichspräsidenten , noch den Mitgliedern der
„ Lieber mit dem Artikel 48 als mit der Sozialdemokratie!" das ist die Parole des neuen Kurses. Mit den Deutschnationalen oder ohne die Deutschnationalen, mit parlamentarischen oder mit außerparlamentarischen Mitteln
- aber auf alle Fälle nach rechts.
Die Finanzreform wird mit dem letzten VermittIungsvorschlag zur Arbeitslosenversiche. rung wieder eingebracht werden. Aber dieser ,, BermittLungsvorschlag" ist gerade der, den die sozialdemokratische Reichstagsfraktion am legten Donnerstag abgelehnt hat. Indem die Regierung Brüning diesen Vermittlungsvorschlag", der zwischen den Parteien der Großen Koalition zum Erisapfel wurde, in ihr Programm aufnimmt, verzichtet fie auf die Mitwirkung der Sozialdemokratie an der Finanz reform, findet sie sich damit ab, daß die Sozialdemokratie in die Opposition geht.
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Desto lebhafter ist und darin ist sie nur fonfequent ihr Werben um die Stimmen der Deutsch nationalen. Ihnen wird mit Versprechungen, Berlockungen, Berheißungen der Mund wässrig gemacht. Zwar hat soeben erst die frühere Regierungsmehrheit eine Reihe von Agrargefeßen beschlossen, die vor allem der Landwirtschaft im Often zu Hilfe kommen sollen. Zwar sind der Landwirtschaft im Often in der letzten Legislaturperiode bereits Kredite und Beihilfen im Gesamtbetrage von 300 Millionen Mart zuge wandt worden. Aber schon wird alles das, was unter Führung des bisherigen Ernährungsministers Dietrich geschaffen und geleistet wurde, für nichts erklärt, und in mehr oder weniger unbestimmter Form werden neue, weit darüber hinausgehende Maßnahmen angekündigt. Das neue Hindenburg - Programm zur Rettung des Ostens joll egetutiert werden. Umschuldung und Entschuldung, Zins- und Lastensenfung sollen zum allgemeinen Agrarprogramm hinzutreten. Das alles soll aber gemacht werden, ,, ohne den Steuerzahler neu zu belasten". Es wird einfach aus der Luft geholt.
Immerhin sind das im Gegensatz zu den leeren Redensarten, mit denen Arbeiter und Mittelstand abgespeist werden ziemlich positive Pläne. Wie steht es mit den Mitteln, sie durchzuführen?
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Auch hier wollen wir uns hüten, in die Regierungs erflärung mehr hineinzulesen, als was deutlich darin steht. Deutlich steht darin, daß der Reichstag aufgelöst werden wird, wenn er es wagt. Herrn Brüning sein Miß fallen auszusprechen. Deutlich steht auch darin, daß dann bis zum Zusammentritt der neue Reichstag, der spätestens 90 Tage nach der Auflösung erfolgen muß, mit dem Artitel 48 regiert werden soll. Untlar aber bleibt, bis zu welchem Grade der Ausnahmeparagraph der Verfassung zur Durch eßung des neuen Regierungsprogramms bemüht werden soll.
Man könnte aus dem Wortlaut der Erklärung der in dieser Beziehung noch verschwommener ist als in jeder
Genau so verhält es sich mit den angekündigten 2 gr armaßnahmen. Ihre Durchführung mit Hilfe des Artitels 48 ist eine absolute Unmöglichkeit.
Zu alledem stelle man sich folgendes vor: Der Reichstag ist aufgelöst, der Wahlkampf im Gange. Unterdessen feuert die Regierung Brüning eine unpopuläre Maßnahme nach der andern durch das Kanonenrohr des Artikels 48 in die Belt hinaus. Muß sie sich nicht mitsamt den sie stützenden Parteien dabei selber in die Luft schießen? Ja, wird sie innerlich diese Erschütterungen aushalten, wird sie nicht noch vor dem Wahlkampf oder während des Wahlkampfs auseinanderfallen?
Noch ein sehr ernstes Wort ist in diesem Zusammenhang notwendig. Wenn sich die Parteien der Mitte auf der Bahn staatsrechtlicher und politischer Abenteuer hemmungslos weitertreiben lassen, wie wollen sie dann den Weg zur wirklichkeit zurückfinden, in der nach dem Wort des volksparteilichen Führers Scholz ohne Sozialdemokratie auf die Dauer doch nicht regiert werden fann? Wer mit dem Artikel 48 der Verfassung Mißbrauch treibt, der arbeitet an einer Zerreißung des Boltes, die fein verant wortungsbewußter Politiker mit seinem Gewissen verein
baren fann.
Ueber dem Reichstag schwebt das Damoklesschwert der Auflösung. Nicht nur heute oder morgen, sondern dauernd, solange diese Regierung bleibt. Sollte sie beim Kampf um die Mißtrauensformel durch die Deutschnationalen gerettet werden, so muß sie an die Steuern und an die Agrarmaßnahmen heran. Alles, was sie vorschlägt, begleitet sie dem Reichstag gegenüber mit der Formel: ,, Und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt!"
Wie lange wohl fann dieser Zustand vom deutschen Bolt und von der deutschen Wirtschaft ertragen werden? Gewisse Wirtschaftsführer und andere politische Di
lettanten betrachten den Artikel 48 als einen 3auberhut, aus dem man mühelos alle möglichen erwünschten und angenehmen Dinge hervorzaubern fann: Kinder, ihr werdet euch
mundern!
zialdemokratische Partei ihre warnende Stimme. Sie Gegen solchen politischen Dilettantismus erhebt die Sofordert, daß nach dem Sturz der Regierung Brüning , den sie fo rasch wie möglich herbeizuführen wünscht, eine neue Lösung mit den normalen Mitteln des parlamentarisch- demofratischen Systems gesucht wird. In Wahrheit waren am 27. März längst nicht alle Möglichkeiten erichöpft. Hätte man nicht solche Eile gehabt, in die Arme der Schiele und Treviranus zu sinken, dann hätte man diese Möglichkeiten auch bemerkt und auszunüzen versucht.
Will die bürgerliche Mitte bewußt und auf die Dauer den Bruch mit der großen Partei der Arbeiterschaft, der Sozialdemokratie, wir wollen sie daran nicht hindern. Wir sind bereit, den Kampf aufzunehmen. Nur fordern wir ehrliches Spiel und strengste Wahrung der von der neuen Regierung soeben beschworenen Verfassung.
Diese Regierung, in der vier Sozialdemokraten durch vier rechtsstehende Bolitiker ersetzt worden sind, und deren Erklärung in sozialer wie in verfassungsrechtlicher Beziehung von gefährlicher Zweideutigkeit ist, kann unser Vertrauen nicht finden. Sie in der Abstimmung des Reichstags oder aber draußen im Wahlkampf zu stürzen, wird unsere nächste Aufgabe sein. Die Arbeiterklasse wird es nicht gutwillig hinnehmen, daß sie zugunsten der Arbeitgeber und der Landwirte in die politische Einflußlosigkeit zurückgestoßen werden soll. Sie wird unter Führung der Sozialdemokratie kämpfen um das politische Erbteil, das ihr in der demokratischen Republik gebührt, um ihren Blaz an der Sonne, um ihren Anteil an der politischen Macht.
Brünings Programmerklärung.
„ Der letzte Versuch mit diesem Reichstag".
wendigen Aufgaben in fürzester Frist zu lösen.
Am Dienstagnachmittag um 16 Uhr begann die überaus start| Regierungsbildung hat den 3wed, die für das Reich lebensnotbesuchte Reichstagssigung, in der sich die neue Regierung vorstellte. Auch die Tribünen hatten großen Andrang aufzuweijen.
Präsident Cöbe verlas zunächst die Mitteilung des neuen Reichs. fanglers über die Ernennung und Zusammensetzung seines Kabinetts. Nach einer Reihe geschäftsordnungsmäßiger Mitteilungen, darunter Mandatsniederlegung der Abgg. Dr. Wunderlich( D. Bp.) und Schiele( Dnat.), erteilte der Präsident das Wort dem
Reichsfanzler Dr. Brüning:
Indem ich die neue Reichsregierung vorstelle, ergreife ich die Gelegenheit, um dem scheidenden Herrn Reichsfangler für seine hingebende, von ernster Sachlichkeit getragene Arbeit den Dant auszusprechen, den ich auch auf die ausscheidenden Herren Reichsminister ausdehne.( Andauernde Schmährufe der Kommu nisten, der Präsident mahnt zur Ruhe.) Das neue Reichskabinett ist an feine Koalition gebunden, doch konnten bei seiner Bildung natür. lich die Bauteienverhältnisse nicht unberücksichtigt bleiben. Diese
Es wird der letzte Bersuch sein, die Lösung mit diesem Reichstag durchzuführen.
Hört, hört!) Eine weitere Berzögerung kann niemand verantworten. Die Stunde erfordert schnelles Handeln. Darum erwarten Sie von mir nicht ausführliche Erklärungen über die beabsichtigten Maßnahmen im einzelnen. Die nere Regierung wird Deutschlands Lebensinteressen in organischer Weiterentwicklung der bisherigen Außenpolitik aktiv vertreten.( Hört, hört! rechts.) Nationales Selbstbewußtsein und Vertrauen in die innere Kraft des eigenen Boltes, das sind die Grundlagen zur besten Erkenntnis der Möglichkeiten für den Wiederaufstieg Deutschlands , der nur in friedlichem Zusammenwirken mit allen anderen Völkern geschehen kann. Loyale Durchführung der internationalen Bereinbarungen( hört! hört! redes), weiterer Ausbau des Verhältnisses, in dem wir seit langem 311 vielen Staaten stehen, mit denen wir Freundschaftsverträge haben, Förderung der internationalen Zusammenarbeit, besonders auf wirt.