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Mittwoch

9. April 1930

190

Onust

Unterhaltung und Wissen

Kurt Rudolf Neubert:

Wir sind alle Komödianten

Bie schön, daß Sie gekommen sind. Ich danke Ihnen. Ich hatte schon gefürchtet, daß Sie es fich im letzten Augenblic doch anders überlegen fönnten. Sehen Sie, hier habe ich am Fenster gestanden und Sie fommen sehen.

Aber legen Sie doch den Mantel ab, bitte. Sie sehen, wie ver­wirrt ich bin por Freude, daß Sie gekommen sind. Wo legen wir ben Mantel hin? Ach, hier über den Stuhl, ganz forfältig, oder über das Bett, so. Ich möchte den Mantel nämlich nicht in der Flurgarderobe laffen. Berstehen Sie?

Aber wie ich mich freue, daß Sie gekommen find! Ehrlich ge. sagt: ich hatte es eigentlich nicht erwartet. Obwohl... Wenn ich auch.. Sie dürfen natürlich nicht glauben, daß ich etwas Bedent. liches darin sehe, mir haben uns doch darüber unterhalten, mir haben doch eine Abmachung getroffen, nicht mahr?

Wie Sie unten vor der Haustür standen, dachte ich: Jeyt tehrt fie um! Ich zählte die Stufen der Treppe, über die ihre fleinen Rufsenstiefel schritten, und ich dachte: jest müßte es eigentlich schon flingeln! Es dauerte etwas lange. Su lange für mich. Ich fah Ihr Zögern, spürte Ihre letzten Bedenken vor meiner Wohnungs­tür, ba flingelte es.

Und Sie sind da! Schönen, schönen Dank für Ihr Bertrauen. Wollen Sie sich nicht in diesen Sessel sehen, Sie sitzen darin be­quemer als dort. Aber Sie haben ja noch immer die lleberschuhe an, s bitte, darf ich Ihnen helfen? Nein? Natürlich, ich bin sehr ungeschickt. Ich bin... Also, wo stellen wir... Ja, dort an die Zentralheizung, nicht so ganz dicht heran.

Wie gefällt es Ihnen in meinem Zimmer? Ganz nett, mie? Für einen Junggesellen? Die Delbilder an den Wänden habe ich nicht verbrochen, sehen Sie mitleidig darüber hinweg. Warum Lachen Sie?

Ach ja, dieses Bild! Alle lachen darüber, die mich besuchen. Aber sagen Sie: was fann meine wirtin dafür, daß ich mehr von Runft verstehe als fie? Sie liebt dieses Bild. Ich würde sie furchtbar tränken, menn ich es entfernen wollte. Und sonst ist es doch sehr hübsch hier, ja? Ich freue mich, daß es Ihnen gefällt. Diese feidenen Kissen habe ich von Freunden und Betannten bekommen. Sie wiffen: zum Geburtstag, zu Weihnachten, wie das so ist. Es liegt fich schön weich darin, wollen Sie versuchen? Nein? Sie bleiben lieber im Seffel? Schön. Eine Zigarette? Bitte. Ich freue mich, daß Sie gelommen find. Habe ich das schon oft gefagt? Berzeihen Sie! Lassen Sie mich Ihr Händchen füssen  . Aber... warum laffen Sie mir Ihr Händchen nicht? Ist das ein Verbrechen, ein Berstoß gegen unsere Abmachung? Ich bitte Sie, bleiben Sie doch ruhig im Sessel fizen, ich sehe mich sofort dort in den anderen, der Tisch ist zwischen uns, genügt Ihnen das? Ble zaghaft Ste niden! Ich glaube, Sie machen sich doch Bor.  wlife, daß Sie gekommen sind. Sie sehen mich kaum an. Sie

haben eine Falte auf der Stirn.

Auf dieser samtenen Stirn.

Steht

Blicken Sie doch nicht so bösel hab' ich zuviel gesagt? bas auch nicht in unserer Abmachung? Also verzeihen Sie Es ist doch seltsam, daß Sie nun da im Sessel sigen und ich hier und der Tisch ist zwischen uns.

Ste meinen, es darf nicht seltsam sein? Es ist im Gegenteil ganz gemölynlich? Natürlich ist es in diefem Sinne ganz gewöhn fich. Eine gute Bekannte hat mich besucht, die Freundin meines Freundes. Ich könnte ebensogut im Krankenhaus liegen nach einer Magenoperation und Sie besuchen mich und bringen mir ein paar Blumen, es wäre nicht anders. Ja, ich weiß, was Sie sagen wollen. Ich kenne unsere Abmachung. Sogar Theo dürfte von diesem Bejuch erfahren, Sie würden es ihm am liebsten sagen, es ist Ihnen schreck lich, ihm das verschweigen zu müssen. Aber Sie verschweigen ihm das mur, meil Theo gleidh an ganz andere Dinge denken würde, an Dinge, die gar nicht, nicht im geringsten zwischen uns sind. Theo ist nun mal so

Sie sind ja überhaupt erst gekommen, nachdem ich Ihnen hoch und heilig versprochen habe, midy fo zu benehmen wie in Theas Gegenwart. Es sind nun schon drei Monate her, daß ich Sie zum erstenmal bat, mich zu besuchen. Damals fragten Sie erstaunt: Barum denn? Inzwischen haben Sie mich doch besser kennen ge­lernt, wir haben zusammen Ausflüge gemacht, waren im Theater, haben getanzt, natürlich immer mit Theo. Sie haben mich als Freund erpobt. Bielleicht haben Sie sich auch etwas an mich ge­

möhnt, ja? Ich hoffe es

...

Wirklich, die Abende, die ich bei Ihnen mit Theo verleben darf, find für mich unvergeßlich. An manchen Abenden brauche ich wie ein Kranker Ihre Stimme, Ihr Parfüm, Ihre Blicke. Und Theo jist immer daneben. Er ist auch jest zwischen uns, wie diefer Tisch. Er fist hier in einem Seffel, hat die Beine übereinandergeschlagen, Jagt etwas, etwas Spöttisches, Dunkelsinniges und blickt dem Rauch feiner 3igarette nach... So sehe ich ihn dasigen...

Sehen Sie ihn auch?

Barum blicken Sie mich so vorwurfsvoll an? Warum soll ich dieses Bild nicht weiter ausmalen? Ich finde es interessant. Es ist aber durchaus nicht interessanter als etwa dieses Bild: Sie und Theo und ich in der Nische einer Tanzbar. Das Milieu ist eben mal anders. Sie sind in meiner Wohnung. Sie und Theo, natürlich. Theos Geist gewissermaßen... Eine Zigarette? Einen Liför? Sie sind so nervös. Haben Sie ihre Bedenken immer noch nicht über munden? Sehen Sie nicht, daß ich mich streng an unsere Ab­machung halte? Sie brauchen mich ja nur an unsere Abmachung erinnern, menn Sie glauben, daß ich abmeiche.

Ich möchte den Seifel jetzt etwas näher zu Ihnen rüden, finden Sie es als eine Abweichung von unserer Abmachung, menn ich das tue? Sie lächeln, Sie wissen nicht recht... Sie haben eigentlich nichts dagegen

So, nun fann ich Ihnen etwas tiefer in die Augen fehen, das ist doch nicht verboten? Oder doch? Uebrigens sitzt ja der Theo dort am Tisch, fein Geist meilt bei uns. Ah, was ich sagen wollte, glauben Sie, daß Theo auf mich eifersüchtig ist?

.

Er hat doch gar feinen Grund, fagen Sie empört. Natürlich hat er gar feinen Grund. Über Sie fennen ja Theo. Wenn Sie mich mal länger ansehen, mit mir tanzen Innerlich ist er von Ihrer Treue felfenfest überzeugt, er fofettiert nur mit dieser Eifer fucht, er fleidet sich damit, er glaubt, darin gut auszusehen, wie in einem rosafarbenen Pyjama. Sie meinen, daß Sie von Eifersucht

nichts bemerkt haben? Sie sind aber so sicher in Ihrem felsenfesten Gefühl für Theo, daß Sie es nicht bemerken, weil Sie sich gar feiner Schuld bewußt find. Auch jest nicht. Sie sind ja nur zu mir gefommen, um zu sehen, wie ich eigentlich wohne, ob ich es bequem habe, ob alles in Ordnung ist. Eine harmlose Neugier verzeihen Sie hat Sie hergeführt.

Sie sind übrigens nicht das erftemal bei mir. In Gedanken maren Sie schon ein paarmal hier, nicht mahr? Ich behaupte das. Aber warum erheben Sie sich so unwillig? Warum gehen Sie im Zimmer hin und her? Warum bliden Sie nach Ihrem Mantel? Bitte setzen Sie sich mieder. Wenn Sie verlangen, rüde ich meinen Seffel sofort wieder auf den alten Blah. Ach, und sehen Sie doch den Theo da am Tisch sizen, wie er lächelt, wie er uns zunidi: Aber Rinder! so ungefähr... Jetzt rauchen Sie die dritte Zigarette. Es ist erst der zweite Liför, wenn ich nicht irre. Effen Sie Konfett? .. Das war eben das Telephon. Ich weiß im ersten Moment nie, ob es das Telephon ist oder die Türglocke. Es ist das Telephon. Ach, bitte, einen Moment. Ich tomme jofort zurüd. Ich laffe die Tür auf, wenn Sie wollen. Das Telephon steht nämlich im Flur. Aber nun muß ich schnell, es flingelt ja mie toll.

So. Hat es lange gedauert? Ein alter Bekannter mar am Apparat. Ob ich abends mit ins Theater fäme?

Nein, ich habe nicht zugejagt. Ich will heute zu Hause bleiben. Wenn Sie nicht mehr hier sind, werde ich mich in den Seffel setzen, mo Sie jetzt sizen, und ich werde mich mit Ihnen unterhalten, anders als jett. Theo wird gar nicht da sein. Wir werden gar

Die moderne Großstadt

Der nachfolgende schmitt i hem Buvom Bauen" von A. Giorift entnommen, das demnächst in hertreis ericheint.

In diesem Buch wird der Berfuch gemacht, das Bauproblem grundsätzlich

fazialistisch au behandeln.

Was ist eine Stadt?

Der Arbeiter erlebt eine Stadt als eine Häufung von Wohn­häusern, mit allerhand Arbeitsstätten dazwischen, Büros und fleine Buden überall zerstreut, große Fabriten mehr draußen am Rande. Irgendwo in der Mitte die lebhaftesten Berfehrsstraßen, Rathaus und andere Amtsgebäude, zwischen den Fabrifen am Rande ein­gestreut Sdyrebergärten, Handelsgärtnereien, Biefenftüde, Zäune, Eisenbahndämne, darüber die schwarzgeteerten Brandmouern großer Häuser, dort mo eine angefangene Straße vorläufig einmal nicht meiter gebaut morden ist. Nad einer Himmelsrichtung, in Deutsch  land meist nach dem Westen hin, liegen die Straßen, in denen Ane gehörige der befizenden Klassen in Billen wohnen, von Gärten und Barts umgeben.

Beilage des Borwärts

nicht an Theo denken. Wenn Sie dann nicht mehr da sind, wenn ich also feine Abmachung mehr einzuhalten habe, werde ich Ihnen gestehen, daß ich Sie liebe.

Was ist Ihnen? Sie haben gar feinen Grund, mich an unsere Abmachung zu erinnern! Sage ich Ihnen denn jetzt schon, daß ich Sie liebe? Ich glaube nicht. Ich meine doch später. Später, ver­stehen Sie. Theo sist ja noch da, und ich habe Ihnen mein Wort gegeben, feien Sie ruhig, bleiben Sie im Sessel, der Tisch ist zwischen uns. Aber entschuldigen Sie, ich fann nicht mehr sigen, ich muß etwas hin und her gehen, mir ist etwas heiß. Ich weiß nicht, wie mir ist..

War das nicht wieder das Telephon? Nein, ich habe mich geirrt,

Sie wollen jest gehen?

Sie müssen ezt gehen, sagen Sie? Warum müssen Sie jetzt gehen?

Bassen Sie auf, was ich Ihnen jetzt zu sagen habe, aber er schreden Sie nicht: Sie fönnen jetzt gar nicht gehen. Warum nicht?

Warum nicht? Hahaha! Warum nicht! Wie böse Sie bliden! Warum nicht? Then wird nämlich gleidh hier sein! Jawohl, Then! Shr Theo! Mein Freund Theo!

Ich habe Sie vorhin belogen. Theo war am Apparat. Er sprad von einem Café aus, das Café ist taum zehn Minuten von hier Ob er heraufkommen entfernt. Er fragte, ob ich Zeit hätte fönnte... Und ich, wissen Sie, ich

Bleiben Sie doch um Gotteswillen sigen. Sie haben eben das Likörglas umgeworfen. Essen Sie noch Konfett? Theo muß mindestens schon vor dem Hause sein. Wollen Sie noch eine 3igarette?

Es muß jeben Moment flingeln.

( Schluß folgt.)

striellen Arbeiterschaft in Städte zusammengeballt. Die Städte und insbesondere die Großstädte erzeugen heute nur noch einen ver schwindend geringen Teil der Nahrungsmittel, die sie perbrauchen. Das flache Land, Dorf und Gut, erzeugt heute mur noch einen ver= schwindend geringen Teil der industriellen Güter, die es verbraucht. Die Stadt ist für ihre Ernährung auf das Land angewiesen. Das Land, Dorf und But, ist für seine Bekleidung, für seine Bauten, für seine Geräte, für Licht, Wärme, mechanische Kraft, auf die Stadt angewiesen.

Diese völlige Tremmung der Produktionsgebiete, die durchaus eine Besonderheit des 19. und 20. Jahrhunderts ist, erzeugt mun nicht etwa eine Solidarität zwischen Stadt und Land; fie erzeugt vielmehr, entsprechend dem allgemeinen Charakter der kapitalistischen  Warenproduktion, einen Gegensaß, der sich ständig zufpigt und sich gelegentlich zu politischen Auseinanderseßungen schärfster Art ent­mickelt. Dieser Gegensatz zwischen Stadt und Land ist einer der typischen Gegensätze des Kapitalismus überhaupt: mie auf anderen Gebieten, so führt auch hier jeder Verfuch eines Ausgleichs der Interessen nur dazu, den 3miespalt auf. neuer erweiterter Shufe

So ungefähr fieht eine Stadt aus. Man hat in einer Stadt, in irgendeinem Betriebe, gelernt, hat die meiste Zeit des Lebens mitten wiederholt zum Ausbruch zu treiber. in der Stadt oder in einer der Fabriten am Rande gearbeitet, ist auf den Arbeitsnachweis stempeln gegangen. Die meisten Wege, die man geht, führen über Pflaster oder Asphalt. Ein Stüd Eisen­bahn zu einem Borort, Straßenbahn oder Autobus durch die Stadt verstehen sich von selbst.

Wer vom Lande in die Stadt gezogen ist, mer Kindheit und Jugend noch im Dorf, auf dem Gutshofe oder in einen von Land wirtschaft umgebenen Industriesiedlungen verbracht hat, fühlt noch den Gegensatz der Lebensweise hier und dort. Biele aus der Ar­beiterjugend, die so oft wie möglich für einen oder zwei Erholungs­bage nicht nur aus der Arbeitsfron, sondern auch aus der städtischen Umgebung sich hinausretten in den Wald und ans Waffer, werden auch den Gegensatz noch empfinden, wenn sie auch nicht mehr wissen, wie es ist, wenn man dauernd auf dem Lande lebt.

Heute aber besteht mohl schon die Mehrheit der Arbeiter tlaise aus Menschen, die von Kind an in der Stadt groß gemorden find und die andere als städtische Lebensgewohnheitn fich foum vor­stellen können; und der gewöhnliche Sonntagsausflug gehört ja eben auch ganz zu den Lebensgewohnheiten eines Städters. Was ist eine Stadt?

Funktionäre der Arbeiterbewegung gelangen noch zu anderer Kenntnis vom Besen einer Stadt. Sie haben unter Umständen die Möglichkeit, eine Stadt von immen zu sehen, d. h. eine Stadt verwaltung atin tennen zu lernen. Sie werden Stadtverordnete, Schöffen, Mitglieder von allerhand städtischen Verwaltungstom miffionen, Bürgermeister. Sie erfahren so, was fommunale Selbst. verwaltung ist, sie erfahren, daß und auf welche Beise eine Stadt Geld und wirtschaftliche Werte zu verwalten hat, daß sie bestimmte Mengen von Nahrungsmitteln regelmäßig braucht, daß sie einen Teil jener Wohlfahrtspflege ausübt, die die bürgerliche Gesellschaft zu ihrem Schuß um sich herumgebaut hat; sie stellen fest, daß eine Stabt das Bedürfnis hat, Grund und Boden zu faujen, thre Ver waltungsgrenzen auszudehnen, daß sie dabei mit staatlichen Ber waltungsbehörden, mit benachbarten Gemeinden, mit Grundstücks eigentümern und Grundstücksspetulanten in Konflitte tommt. Sie erleben, wie der Mechanismus des Finanzkapitals auch die Stadt ergreift, wie die Banten aus Anleihen, die sie geben, enorme Profite herausschlagen, wie die Stadt gezwungen ist, in ihren eigenen Be­trieben Elektrizitätswerfen, Gaswerten, Straßenbahnen zu wirtschaften wie jeder tapitalistische Privatumternehmer.

Bon alle dem erlebt der einzelne Arbeiter auch sonst ein Stück: der Straßenbahner fühlt die Hand des städtischen Arbeitgebers, die Arbeiterfrau muß die Gasrechnung bezahlen, der Besizer des Schrebergartens mird in Rämpfe um Grundstücke und Eingemein dungen hineingezogen, mer der Wohlfahrtspflege anheimfällt, erfährt ihre Ungulänglichfeit aan eigenen Leibe. Sie alle erleben auch die Stadt poi   innen, aber inner mur stüdweise. Die heutige Orgas nisationsform der Arbeiterbewegung behält die innere Kenntnis der Gesamtheit städtischer Selbstverwaltung einer nerhältnismäßig Meinen Zahl ausgemählter Funktionäre vor.

Was ist eine Stabt?

Die moderne Stadt ist entstanden, als die Zusammenfaffung industrieller Produktionsfräfte, leitender Mittelpuntte der Waren verteilung und zentraler Spigen der allgemeinen Berwaltung. Sie ist das Ergebnis fchärffter Spezialisierung und Konzentration, mie sie dem vom Kapitalismus   ausgestalteten Produktionsprozeß ent spricht. Weltaus der größte Teil der industriellen Produktion im engeren Sinne entsteht heute in großen und feinen Städten. Ent sprechend find herte auch die weitaus größten Massen der indu.

Erna Büfing: Kranke Bären

Der Eisbär, von vielen Forschern und ebenso von hervorragen­den Tierkennern für das gefährlichste aller Raubiiere gehalten, ge hört zu den verhältnismäßig wenigen Tieren, denen in der Ge­fangenschaft, trotz liebevollen Chelebens, teine Fortpflanzung be schieden ist. Wenn die Tiere nun auch in der Gefangenschaft nicht züchten, so bedeutet das noch lange nicht, daß sie in der Gefangen­fchaft besonders leicht Krankheiten ausgesetzt find. Im Gegenteil, man hält sie in den Tiergärten Jahre hindurch bei bestem Wohl befinden. Hin und wieder ist mal ein altes Tier gefährlich bösartig geworden, aber solche Anzeichen von einer Art Berrücktheit kommen bei vielen alten Tieren, und zwar nicht nur in der Gefangenschaft, sondern ebenso in der Freiheit vor. Heutzutage, wo man weiß, daß der Eisbär ein leidenschaftlicher und ausdauernder Schwimmer ist, gibt man ihnen in den modernen Freilandanlagen, wie z. B. in den Tiergrotten in Bremerhaven  , reide Gelegenheit zum Schwim men. Dadurch hofft man, die Bedingungen für ein fruchtbares Familienleben geschaffen zu haben.

In den großen Zirkusunternehmen, die nachweisbar jahrelang mit ihren Tieren reisen, belommen die weißen Herren Beze Milch, Brot, Reis, Pferdefleisch und Brühsuppe aus Pferdeknochen. Die Eisbären schlappen mit ihrer blauſchwarzen Zunge eine solche Bouillon mirklich gern. Wie kommt aber der Eisbär bei einer der artigen Ernährung zu Trichinose? Wo doch Trichinen hauptsächlich durch Ratten und Schweine weiterverbreitet werden? Und daß an Eisbär an Trichinose erkranken fann, beweisen ja die Todesfälle in Stuttgart  .

Dazu fei bemerkt: Im Berliner   Zoologischen Garten ist noch nie ein Eisbär von Trichinose befallen worden.

Von einem fatastrophalen Eisbärensterben wurde einmal der Birtus Wilhelm Hagenbed betroffen, als er hundert Eisbären hatte. Der alte Hagenbed war mit diesen Tieren im Cirque d'Hiver m Paris   aufgetreten. Da man auf die Unterbringung eines solchen Tierbestandes im Zirkusstall selbst nicht eingerichtet war, hatte man die Eisbären in Keller gestellt. In Paris  , dieser start rattenverfeuch­ten Stadt, aber ging man gerade den lästigen Nagern energisch zu Leibe und hatte Rattengift gelegt. Die Eisbären jedoch müssen ver­giftete Ratten gefressen haben. Ein Bär nach dem anderen starb, obwohl die berühmtesten Tierärzte Europas   durch Telegramm zit den franken Tieren gerufen wurden. Damals war ein einzelnes Exemplar piele Taufende wert; denn der Eisbären- Export war noch recht selten.

Ganz unerwartet und unerklärlich ertranften im Zirkus Kari Hagenbed 1927 bei einem Gastspiel in Berlin   vier junge Eisbären aus einer dressierten gemischten Raubtiergruppe. Diese Gruppe führte der alte Schilling vor, der jetzt bereits ein Greis fich sein ganzes Leben hindurch mit Raubtieren beschäftigt hat. Auch für ihn war die Ertranfung der Tiere unverständlich. Sie lagen Jolbert in ihrem Käfig, hatten eine erhöhte Atemtätigkeit und litten offen. bar Schmerzen. Man blieb Tag und Nacht bei ihnen versuchte affes mögliche und doch starben die Tiere. Sie wurben Jeziert und das Ergebnis war Trichinose. Alle waren verblüfft und jeder fagte: at man so etwas schon von Eisbären gehört?"

Nun nach Jahren hört man abermals von einem Bären, den fich Trichinen zum Wirt erforen hatten, der als scheinbar gesundes Tier getötet wurde und dessen Bärenschinken zu schredlichen Er trantungen und schwerem Sterben vieler Menschen führten.