1930
Der Abend
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Nr. 174
B 87 47. Jahrgang
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Pyrrhussieg Brünings.
Die Deutschnationalen fuschen/ Knappe Mehrheit für das ,, Junktim" Hochspannung besteht weiter.
Der Reichstag nahm heute mittag in namentlicher Abstimmung den Antrag der Regierungsparteien an, der das hochschutzöllnerische Agrarprogramm mit den Steuervorlagen durch ein Klammergesetz zu einem unlösbaren Ganzen machen soll. Für den Antrag stimmten 217, gegen ihn 206 Abgeordnete bei einer Enthaltung. Die Deutschnationalen sind in die Brüning- Front eingeschwenkt. Sozialdemokratie kampfbereit. ng bas, was für die Lebensnotwendigkeiten des deutschen
Boltes erforderlich ist, auf anderem Wege durchsetzen.( Bei
Abg. Dr. Breitscheid( Goz.):
Die Abstimmung bedeutet einen knappen Sieg der fall in der Mitte und rechts; Unruhe links.) Rechtsmehrheit über die Linke, wobei der größere Teil der Deutschnationalen mit den Regierungsparteien Nach unserer Ansicht ist es einzig 3wedentsprechend, sofort über ftimmte, der kleinere um Hugenberg mit der Opposition. diesen Antrag abzustimmen, denn alles andere würde nur eine Wenigstens hatte es bei der Stimmabgabe so den Anschein. Hinausschiebung der Entscheidung bedeuten. Auf jeden Fall Es ist aber auch möglich, daß deutsch nationale Ab- halten wir es für richtig schon in diesem Moment, ganz gleich, wie geordnete noch im letzten Augenblid Ja- und Nein- Sie den Antrag gefchäftsordnungsmäßig behandeln, mit ein paar zettel vertauscht haben, wie das auch schon bei der Worten zu diesem Antrag des Reichskanzlers und der RegierungsSie den Antrag gefchäftsordnungsmäßig behandeln, mit ein paar berühmten Dawes- Abstimmung vom 29. August 1924 der parteien Stellung zu nehmen. Fall war.
Eine knappe Rechtsmehrheit hat also dem unsauberen Geschäft, das furz vorher Breitscheid in einer flammenden Rede gebrandmarkt hatte, jeinen Segen erteilt. Dieser Segen ist vorläufig und widerruflich. Noch im Laufe der heutigen Sigung, in der die Steuer- und Zollgesetze in der zweiten Lesung erledigt werden sollen, kann es bei der Fülle der bevorstehenden Abstimmungen leicht einen irreparablen Unfall geben, der dann zur Auflösung des Reichstags führen würde. Es bleibt also bis auf weiferes bei einem Zustande politischer Hochspannung.
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Bor 14 Tagen ist das Kabinett Brüning gebildet worden. Heute können wir feststellen, daß es vor
seinen moralischen Bankerott
steht.( Oho! in der Mitte; Beifall links.) Welche Absichten auch immer Herrn Brüning veranlaßt haben, dieses Kabinett zusammenzustellen, unzweifelhaft wollte er durch die Hineinnahme von Schiele und Treviranus die Deutschnationale Partei sprengen und erschüttern und die Gruppe um Hugenberg isolieren. Diese Absicht ist mit allem anderen als mit Erfolg getrönt. Die Spalfung der Deutschnationalen ist nicht herbeigeführt, das Kabinett vielmehr nach wenigen Tagen unter den Willen der gesamten Die heutige Reichstagsfikung begann mit einer Deutschnationalen Partei gebeugt worden.( Sehr wahr! links.) Viertelstunde Verspätung. Man hörte, daß die deutsch Die Folge ist, daß das Kabinett Brüning genötigt gewesen ist, nationale Fraktion ihren Mitgliedern die Abst im sehr weitgehende Zugeständnisse an die agrari mung freigegeben habe und daß die Fraktion in der Frage der Haltung zum Kabinett Brüning gehen Forderungen der Deutschnationalen Partei und des Landspalten sei. Hugenberg soll heute früh erklärt haben, wer für das Kabinett Brüning stimme, bekomme tein Mandat mehr.
Bor Eintritt in die Tagesordnung verlangte der Kommunist Stöder unter allerlei Schimpfereien, daß ein Mißtrauensantrag der KPD . mit der Beratung verbunden werde. Auf diese großartige Aktion stellte Präsident Löbe kühl und einfach fest, daß dieser selbstverständlichen Berbindung. niemand widerspricht.
Zu den Deckungsvorlagen wurde das Wort zunächst nicht verlangt. Da erhob sich
Reichsfanzler Dr. Brüning:
3wei Aufgaben find in unserer Regierungserklärung vom 1. April als noch vor Ostern vordringlich bezeichnet worden: die Sanierung der Finanzen des Reichs, der Länder und der Gemeinden und die Durchführung der Notmaßnahmen zur Rettung der Landwirtschaft, insbesondere in den schwer bedrängten öftlichen Gebieten. Unter Führung der Reichsregierung( Lachen links) haben die hinter ihr stehenden Barteien einen Antrag eingebracht, wonach das Gefeh zum Schutz der Landwirtschaft nicht in Kraft treten fann, ohne gleichzeitige Bewilligung der Dedungsvorlagen.( Hört, hört!) Die Reichsregierung sieht in diesem Antrag die notwendige und ausreichende Voraussetzung, die gestellten Aufgaben zu lösen. Sämtliche Entscheidungen, vor denen das Haus heute steht, bilden ein unteilbares Ganzes. Ohne Sanierung der Reichstaffe fönnen die unbedingt gebotenen Notmaß nahmen für die Landwirtschaft nicht durchgeführt werden. Die Reichsregierung fann die Verantwortung nicht übernehmen, wenn nicht schon in der zweiten Lesung entsprechende Sicher heiten geschaffen werden. Diesen Gedanken bringt der erwähnte Antrag zum Ausdrud. Wird er abgelehnt oder wird nachher in den einzelnen Abstimmungen das Dedungsprogramm in feinen finanziellen Erträgnissen geschmälert, so wird die Reichsregierung noch heute die notwendige Entscheidung treffen.( Hört, hört!) Bersagt das Barlament, so wird die Reichs
bundes zu machen. Aber eine klarheit war auch damit nicht geschaffen, und es begann in diesem Hause im Plenum, in den Ausschüssen und in verschiedenen Konferenzzimmern ein wildes Schachergeschäft( lebhafte Zustimmung links, Cärm rechts), ein Schachergeschäft, das danach angetan war, den
Reichstag zu einer Börse herabzuwürdigen. ( Großer Lärm.) Ein Schachergeschäft, bei denen die einzelnen Partelen, je kleiner fie waren, um so größere Forderungen stellten und das Kabinett die Parteien aus allen Eden zusammenkratzen mußte, damit wenigstens etwas wie eine Basis für die Regierung heraustomme. Wäre die Situation für unser Land und für unser Bolk
nicht so ernst, dann wäre man wahrhaftig geneigt und berechtigt, eine Satire auf diese Art Regierungspolitik zu fchreiben. So weit sind wir heute gekommen und nichts beweist besser als dieser Antrag, wie weit wir gefommen find. Das Kabinett vertraut den Parteien, mit denen es zusammenarbeiten will oder zusammen zuarbeiten hofft, nicht mehr, und die Parteien vertrauen ihm nicht mehr. Jetzt soll der Antrag die Sicherheit bieten, daß man sich gegenseitig nicht beträgt( Sehr gut! links; Lärm rechts.)
Preis, den das Kabinett Brüning bezahlt, um sich am Leben zu erhalten. ( Cebhafte Zustimmung der Soz., Lärm rechts.)
Die Entscheidung der sozialdemokratischen Frattion unter diesen Umständen ist klar. Wir haben teine Veranlassung, dem kabinett Brüning aus den Berlegenheiten zu helfen, die es sich selber geschaffen hat. Vor allen Dingen hat die Sozialdemokratische Partei keine Veranlassung, durch ihre Abffim& lammergesetz annehmen, dann sind dadurch die landmung dazu beizutragen, daß den agrarischen Forderungen des Landbundes zur Annahme verholfen wird. Denn wenn Sie jetzt diejes bündlerischen Wünsche und Begierden refilos erfüllt. Unter diesen Umständen lehnen wir den Anfrag ab. Mag er, wie bei der entschloffenen Haltung der Deutschnationalen doch anzunehmen ist( Große Heiterkeit), die Auflösung des Hauses
zur Folge haben, so gehen wir
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in den Kampf für die Sozialdemokratie, gegen großzagrarischen Uebermut, für die Sanierung ( Stürmisches Händeklatschen der Soz.) Wollen Sie etwa bestreiten, der Finanzen. daß die Sozialdemokratie ftets die Sanierung der Finanzen in den Bordergrund geschoben hat. Wollen Sie beftreifen, daß Sie eine Löfung abgelehnt haben, die Sie 70 Millionen für die Arbeitslofenversicherung gekostet hätte, und daß Sie jetzt agrarischen Gesehen zustimmen, die hunderte Millionen foften!( Cärm rechts.) wir gehen schließlich und nicht zuletzt in diesen& ampf für die Erhaltung der parlamentarisch regierten demoratischen Republik.( Stürmischer Beifall der S03.)
Abg. Effer( 3.) polemisiert gegen die Rede Dr. Breilscheids und beruft sich darauf, daß er schon am 2. April erklärt habe, der Reichs tag selbst müsse vermeiden, daß der Artikel 48 angewendet werde. Esser schließt mit der Erklärung, auch das Zentrum sei für sofortige Entscheidung, das Volk werde die richtige Entscheidung treffen. ( Händeklatschen im Zentrum.).
Abg. Torgler( Komm.) fordert Reichstagsauflösung.
Abg. Koch- Weser ( Dem.) bedauert das Ausscheiden der Sozialdemokraten aus der Regierung.
Abg. Stöhr( Nat.- Soz.) beschuldigt die Regierung, im Auftrage der internationalen Hochfinanz zu handeln.
Auf eine Anfrage des Abg. Hergt( Dnat.) erklärt Reichsfinanzminister Dr. Moldenhauer, daß diese nicht in der Lage sei, dem 3ujayantrag zum Biersteuergejeß zuzustimmen, wonach die Biersteuererhöhung am 1. August außer Kraft tritt, wenn bis dahin nicht die Hilfsaktion für den Offen sichergestellt ist. Entweder hat man das Bertrauen zur Regierung, daß sie die ihr gestellten Aufgaben durchführt, dann bedarf es teiner besonderen Sicherung, oder man hat das Vertrauen nicht, dann kann man das in der Abstimmung zum Ausdruck bringen.( Beifall bei den Regierungsparteien.)
Hierauf erfolgte die namentliche Abstimmung, die wir an der Spike wiedergeben.
Es gibt aber nur zweierlei: entweder hält man die Agrargefeße im Intereffe der Landwirtschaft für notwendig. dann muß man sie um jeden Preis durchführen und dann tann man fie nicht mit irgendwelchen anderen Forderungen be- Hafenkreuzlern mit futrufen aufgenommen. Das Haus ist in Das Abstimmungsergebnis wird von den Kommunisten und den paden; oder man hält sie nicht für notwendig oder die Parteien, andauernder großer Bewegung. Präsident Löbe macht darauf auf merksam, daß die Arbeiten noch nicht erledigt seien. Er die noch vor zwei Wochen mit uns einen anderen Weg gegangen find, halten diesen Weg für richtig, dann müffen sie ohne Rücksicht schlägt für die nun zu absolvierende Beratung der agrarischen Anauf andere Wünsche sich gegen diese agrarischen Forderungen auf- träge, der Steuern und schließlich der Arbeitslosenversicherung eine lehnen. Entweder der Offen und seine Landwirtschaft leiden forattion vor. Da fein Mensch aber zunächst Luft zeigt, sich an Gesamtrebezeit von fünf Biertelstunden für jede schwere not, daß unter allen Umständen alles geschehen muß, um dieser Berhandlung zu beteiligen, schlägt der Präsident eine Barse fie daraus zu befreien oder das ist nicht der Fall, und dann sehen von 10 Minuten vor, damit man sich erholen fönne.( Lebhafte wir in diesem Agrargesetz nichts anderes als den Heiterfeit.)
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