Beilage
Sonnabend, 12. April 1930
Der Abend
Shalausgabe des Vorwärts
Die Bildersammlung Orbis terrarum" des Wasmuth- Ber.| lage für das Reich der Pharaonen, den stroffsten Despo-| lages, Berlin , wurde vor kurzem um einen Band bereichert, der den Beschauer Ae anpten im Bilde erleben läßt: 272 Runftphotographien atoßen Formats zeigen die Städte des Niltales: Rairo und Gisch, Affiut, Theben , Luksor , Assuan , deren Straßenleben, Bauwerke und Aunstschäße; dann das umliegende Land, Balmenhaine, Dafen, Voltsleben, Büstenbilder. Wie die übrigen Werte der großen Sammlung, die bereits die meisten Länder Europas , Afiens, Ameritas im Bilde darstellen, ist auch diefes eine Höchstleistung photographischer Kunst und reproduzierender Technik, neuartig jedoch dadurch, daß es uns u. a. mit den Wüstengebieten bekannt macht, die man sich ebenso allgemein wie irrtümlich als tribfelig und häßlich vorstellt. Der beigefügte gefchichtliche und geographische Text macht das Bildwert auch zu einem wertvollen erbkundlichen Handbuch*).
tismus der Weltgeschichte, den Meer und Wüste Jahrtausende lang gegen Zerstörung von außen sicherten, bis endlich doch Mächte und Mittel entstanden, die auch diesem seltsamen Staatsgebilde ein Ende bereiteten.
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,, üst e" ist ein irreführendes Wort im deutschen Sprachschatz. Engländer, Franzosen, Lateiner nennen solch Stück Erde die Berlassenheit"( desert, deserto usw.). Und verlassen ist es wohl,- arm an Lebewesen und Pflanzenwuchs, feineswegs aber an Schönheit und an Stimmungsreizen. Es gibt einen Zauber der Wüste". Fahre einer des Morgens in aller Herrgottsfrühe im Auto von Suez nach Kairo . Thomas Coots Reisebüro( die englische Firma für fremdenindustrielle Verwertung von Kulturdentmälern, Schlachtfeldern und Sonnenuntergängen) veranstaltet solche Fahrten für die aus Ostasien Heimkehrenden und bringt sie dann in später Nacht wieder nach Port Said , wohin fich inzwischen der Dampfer durch den Suezkanal geschleppt hat. So fann man ohne Umstände und Zeitverlust dem Hauptgelände alter Pharaonenherrlichkeit und tosmopolitischen Gegenwarts. Lebens einen Besuch abstatten.
Aber die Wüste? Gewiß ist fie materiell nur ein endloses braungelbes Sandmeer, auf deffen Wellentammen niedere schwärzliche Gestrüppbüschel verloren fpielen, wie aus dem Dampfer gegossene Müllhäufchen auf der See Eine Gruppe Fellachen, um ein Feuerchen fizend oder am Bau des Kraftfahrweges arbeitend, eine Lleine Herde Kamele mit ihren beinah weißen Jungen, die wie große Hunde aussehen, sind die einzigen atmenden Wesen, die in der Morgenfrühe auf dem Dzean. des Sandes herumtreiben. Wenn dann aber die Sonnenstrahlen dichtes Gewölt erglühen lassen, bald gelb, bald violett, bald purpurn, und die Sandfläche das Licht in allen Stufungen widerſpielt, dann ist es, als wären aus diesem Gelände Berge und Wälder mur weggeräumt, um ums den Himmel, das Unermeßliche, die Sonne und ihr Farbenspiel näher zu rücken.
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Die heutige Hauptstadt des Landes mit ihren 800 000 EinwohKernstück von Kairo ist durchaus modern- europäisch, so daß nern gehört zu den buntesten, seltsamsten Städten der Welt. Ein es an die schönsten Stadtteile deutscher Großstädte erinnert. Ein Ueberblick über die Gesamtstadt gibt allerdings einen anderen Eindrud. Moscheekuppeln und unzählige dünn und pfeilhaft in die Höhe stoßenden Minarett- Türme verförpern ebenso die Welt des Dftens, wie die niederen weißen flachdächerigen Häuser der Ein geborenenstadt, die besonders reizend wirken, wnn sie, wie in den vornehmeren Vierteln, freudig schimmernd aus einem Rissen grüner Bäume und dunkler Palmen strahlen. Und noch mehr orien
Wüste belm Koptischen Kloster El- Baramus
Eine Enttäuschung freilich erleben die Neulinge auf einer solchen Fahrt. Ber. führt durch die Borstellung vom Guthauch der Wüste" tragen fie an dem Märzmorgen ihre dünnſten Tropenanzüge, frieren steif auf der rasenden Morgenfahrt und tommen schlot ternd und mit blauen Nasen als Tropenreisende gefleidet in das Hotel von Kairo , wo Leute in Mänteln ein- und ausgehen. Anderswo hätten sie zum Schaden noch das Gelächter über ihre Erscheinung. Allein Kairo ist so unglaublich international, daß dort kaum eine Maste vom Münchener Fasching als etwas komisches belacht werden
würde.
Am Nachmittag weicht die Kälte rasch auf wenige Stunden der Tropenwärme. Doch ist man jetzt nicht mehr in der Wüste, sondern in der ausgedehntesten großartigsten Dase innerhalb der unfruchtbaren Wüstenfläche, die von Westafrika bis Nordostasien unfere Erdhälfte umgürtetim Nilland.
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Ihre Fleischhülle mur ist eingetrocknet, und der Wesensausdruck der Schädel und Gesichter dadurch noch verschärft. Da liegen sie in ihren Glasfärgen und Gewändern wie verwitterte Holzstulpturen, die geschrumpften Halsmustein sehen wie Rinde eines alten Baumstammes aus und ihr Hinterschädel ist mit rotem Wollhaar bedeckt. Diese Haarfarbe galt wohl zu ihren Lebzeiten als Zierde, die man durch Färben erzeugte, wie es heute noch die Männer in Teilen von Indien tun.
Vor allen grandios und unheimlich ist der Kopf Ramses des 3 meiten. Wird er je gedacht haben, daß er sich so einmal vor Getreidehändlern und Trifotagenfabrikanten zweier Endteile gegen Eintrittsgeld fehen lassen muß?
Draußen stehen jetzt die Pyramiden im müstenhaften Farbentanz des scheidenden Sonnenlichtes. Schattenrisse von Palmen und Kamelreitern steigern den Reiz des magischen Bildes, bis die Dienstmänner von Thomas Cool u. Sohn einem sagen, daß es num Zeit ist für den Zug, der nach Port Said fährt.
talisch find die Behausungen jener Armut, die hinter der monotonen Steinfront roher Bauten lebt, zwischen denen in engen Straßen eine farbige Betriebsamfeit wimmelt. Einem zerschossenen Fortifikationswert gleicht endlich das trostlose Gemäuer der östlichen Totenstadt.
Jenseits des Nils sind die Pyramiden Von der Brücke aus erblickt man sie schon. Ich hörte oft, ihr Anblick bereite eine Enttäuschung. Wie man es auffäßt. Die höchste von ihnen ist 146 Meter hoch. Ihr achtbares Alter von viertausendfechshundert Jahren gab dem fattfam bekannten Zahn der Zeit Gelegenheit, von ihrer Spitze und Oberfläche etwa neun Meter abzunagen. Nicht viel, wenn man die Länge dieser Zeit bedenkt. Aber gerade genug, um dem ungeheuren Bauwert, das eines Königs Erdenreste birgt, seinen Sinn zu nehmen.
Hunderttausend Menschen, sagen uns gelehrte Leute, hätten zwanzig Jahre dabei geschwißt, gelitten, geftöhnt, die Steinquadern zu diesem Monstrum vom jenseitigen Flußufer herzuschleppen und das Monument zu errichten. Sein Sinn? die riesenhafte Berkörperung einer eingigen geometrischen Idee, eben einer Byramide mit vier Seitenflächen, vier Seitentanten und einer Spize. Die Spitze ist weg, die Kanten sind abgebröckelt, die Umrisse des Roloffes schieben eine gefrigelte Bogentinie in den gelben Wüstenhimmel und bieten das Bild eines millionenfach vergrößerten Ameisenhaufens.
,, Ein Geschent des Stromes" nannte es der alte Herodot . Und in der Tat: welch anderes Land wäre so ganz und gar von einem einzigen Faftor beſtimmt und abhängig, wie das eigentliche bevölferte Aegypten vom„ Water Nil?" Wie Perlen an einer Schnur reihen sich die Städte, Tempel und Kulturstätten an den bald grün, bald braun oder gelb schimmernden Strang dieses Stromes. Fünf zehn, wohl auch zwanzig Kilometer an seinen Ufern entlang ist fruchtbares Land, ist Nahrung, Wachstum und Leben. Eine Fläche von Belgiens Größe mit über 14 Millionen Be wohnern stellt in solcher Breite das Anschwemmungstiefland nebst der Deltatüste dar, 415 Menschen leben dort auf einem Quadratkilometer( in Deutschland 133), der Rest des großen Dergestalt verförpern diese Reford- Steinhaufen auch jetzt noch Aegypten aber ist ,, Wüste", Armut und Einsamkeit. Sieben Jahr den Sinn eines Stüdes Weltgeschichte; außerdem tragen sie er tausende menschlicher Arbeit schufen den fruchtbaren Tieflandstreifen heblich zur Förderung der ägyptischen Fremdenindustrie bei. Dichte dieses Ufers, in den das Korn ohne Pflügen in den Schwemmboden Haufen von Bergnügungsreisenden wälzen sich zu ihren gefät wird. Füßen und die verwitterte Sphyng, die schon so viel aufregenWerkzeug und Wahrzeichen dieser Landschaft ist das Wasserberes jah, lächelt distret, wenn sie von eingeborenen Reiseführern fchöpfrad, das allenthalben der Flur Feuchtigkeit zuführt, um und Kamelpflegern bemogelt werden. Hübsche Amerikanerinnen die die Völker der orientalischen Monsunländer die Gottheit des reiten auf Wüstenviechern fed= fröhlichen Galopp. Männliches Regens nur allzuoft vergebens bitten. So entstand dies Kultur- Jungvolt ertlettert die Pyramidengipfel. Kürzlich glitt einer oben gebiet von unvergleichlicher Einheitlichkeit, diese Fruchtbarkeit, die aus und tam als blutiger Fleischklumpen zur Erde. Dies soll Uebervölkerung erzeugte und so wiederum Armut schuf in sich schon des öfteren ereignet haben. mitten reicher Natur.
Ein Bolt auf engstem Raumte, leicht zu verbinden und zu regieren durch das Verkehrsmittel des einen Wafferweges, zusammen gehalten durch gleichartige Lebensbedingungen und durch die Not wendigkeit der Flußdämmung und zähmung, angewiesen auf innigste wirtschaftliche Zusammenarbeit, die feinen Raum läßt für Absonderung und Abschließung des einzelnen: so gestaltete sich die Grund
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Das Museum von Rairo birgt, was gelehrter Schahzgräberfleiß von den Ueberbleiblein alter Pharaonenkultur bis heute zutage förderte. Der letzte Clou dieser Schau sind die pracht stroßenden Sarghüllen des Tut An- Kamen.
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Stärker und nachhaltiger aber ist der Eindruck der Mumien, dieser seltsamen, unvergleichlichen Köpfe, die vor drei und vier " Borders Ride. Beampten, Berlag Ernst Wasmuth, A.-G., Jahrtausenden in diesem Lande dachten, sprachen und handelten. Berlin - Bien- Avid. Zeinen 26 R., Sabbleber 5 R.
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Einzigartig wie seine Beschaffenheit ist Aegyptens Stellung in Umwelt und Weltgeschichte. Ein Land, das den Eckstein dreier Erdteile bildet, muß von dieser Lage seine Das ehe Schicksalsprägung empfangen. malige Pharaonenland hat, nachdem seine eigene Staatsmacht ihr Ende gefunden, mehr weltgeschichtliche Taten und Borgänge bezeugt und erlitten als irgendeine andere Landschaft der Welt: wurde zur Beute der Assyrer und der Perser, pflasterte für Aleganders Triumpfzug einen Weg, der nachher Berbindungsstraße war zwischen Griechenfultur, Hellenengelehrsamfeit und Römerreich. Aegypten wurde die Bühne für das geschichtliche Schauspiel der Kleopatra und des Antonius und die Korntammern des Bandes waren das wirtschatfliche Fundament des zäsarischen Weltreichbaues, die Bollstüche seiner schmarozenden Hauptstadt.
Christliche Kirchenväter hat es hernach geboren und beherbergt, um bald darauf Saladin , dem Streiter des Propheten zu Füßen zu liegen. Und wiederum bezeugten die Pyramiden die Erstlingstaten Bonapartes und hörten ihn zu seinen Soldaten sprechen: Bier Jahrtausende schauen auf euch hernieder!" Türtenherrschaft tam und verging. Das Nilland wurde und ist( als Korridor" nach Indien ) der ängstlich bewachte Tragpfeifer des britischen Weltreichs, fein ,, Genid", wie es Bismard nannte.
Auch die Bevölkerung und Kultur des heutigen Aegypten verrät den Einfluß dreier Erdteile: Die 85 Broz Fellachen find nordafrikanischer Rasse; ihre Sprache aber ist asiatisch( arabisch) und ebenso ihre Religion, der flam. Die sieben Prozent Ropten find Christen, wenig Hundertstel der Bevölkerung und ein luftiger Ueberbau des städtischen Verkehrs-, Wirtschafts- und Handelslebens find euro. päisch.
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Aber heute ist's, als begännen vergangene Jahrtausende zu sputen, als regte sich's mitternächtig unter Byramidengestein, als hörte der Lauschende im Museum von Kairo die bronzefarbig vertrocknete Mumie des zweiten und größten Ramses tief und leise unter dem Glasfarge atmen, als wolle der harte Mund an dem unheimlichen Dämonenschädel fich öffnen und sprechen:„ Dies Fellachenvolt, ihr guten Europäer, das ihr mir als den zurückgelaffenen Kehrricht unseren pharaonischen Denkmalsprozerei gelten lassen wollt, schlief den langen Schlummer des Orientalen, derweil
dies Band der Tummelplay eurer Weltgeschichte war. Aber das Rad dreht sich. Die Völker des Ostens sind erwacht. Und Aegypten steht im Freiheitstampfe!"
Langsam macht England Zugeständnisse. Die Staudämme am oberen Nil, die es in der Hand behält, sollen aber in entscheidenden Beiten dazu dienen, das Stromwasser zu sperren und die millionenfödfigen Koftgänger des Vater Nil durch Aushungern wieder füg sam zu machen. Db aber die braufende Flut eines Volles im Aufruhr sich durch Steinmauern dämmen läßt, wie das nasse
Element?
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Wie überall bei den von Fremdmächten beherrschten Böltern im Osten der Welt begann der Aufbruch zum nationalen Freiheitsfampf der Aegypter im Lager der befizenden Mittelschicht, der Bourgeoisie". Der Druck, der auf ihr lastet, tommt gar zu offenfichtlich unmittelbar von der Fremdherrschaft, welche für die Unternehmungen der Europäer Steuerfreiheit erzwingt und die Geschäfte der um so schwerer belasteten Eingeborenen dem Stechtum überantwortet. Diese Mittelschicht verfügt auch über die im Kampf so wichtige Waffe: die europäische Bildung. Die arbeitenden Massen aber, lange Zeit taum ahnend, wer der Nuznießer ihrer Fronarbeit ist, tamen jüngst erst zu dem Bewußtsein, daß zwei Ausbeuter schwerer zu sättigen sind, als einer, und daß ihre Lage dann nur sich entscheidend bessern fann, wenn sie imftande sind, den rein sozialen Kampf auf dem festen Boden nationaler Freiheit zu führen Seitdem ist der Unabhängigkeitstampf eine Maffenbewegung. Und wie in Aegypten , so in Indien , in China , im ganzen Osten der Welt. Dorthin schaut, mit steinerner Unerbiitlich. feit, die Sphynx.