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BERLIN 1900

Dienstag 15. April 1930

Der Abend

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47. Jahrgang

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16 Regierungen fragen an.

Die Zollgefahren für die deutsche Handelspolitik.

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Die Demofraten haben gestern Mann für Mann die neuen Zollerhöhungen angenommen. Die demokratische Presse aber übt an diefen Zollerhöhungen die allerschärfste Kritit. Selbst ein Blatt mie der Berliner Börsenturier", der dem Brüning- Kabinett im ganzen günftig gesinnt ist, erhebt gegen die Regierung die schwersten Angriffe und schredt dabei sogar vor Indistretionen nicht zurüd. In einer Besprechung der gestrigen Reichstagsfitung bemerkt er:

Bergebens hat man darauf gewartet, daß auch der Reichs: außenminister Dr. Curtius, der für die Handelsvertrags­politit doch immerhin in erster Reihe nerantwortlich bleibt, von der Tribüne des Reichstages her einige Worte in einem Augen blic sprechen werde, in dem die Protefte von sechzehn Staaten in Berlin eingetroffen find, die Besorgnisse über den neuen Zollkurs der Reichsregierung aussprechen.

Es handelt sich hier um eine etwas übertriebene Wiedergabe pon Mitteilungen, die ein Vertreter des Auswärtigen Amtes in einer vertraulichen Sihung des Handelspolitischen Aus­schusses des Reichstags gemacht hat. Natürlich liegen nicht ,, Proteste" in völkerrechtlichem Sinne vor, zu denen kein Anlaß besteht, solange Deutschland die abgeschlossenen Verträge respektiert, sondern nur Anfragen und Erklärungen, in denen die Sorge um die zukünftige Gestaltung der handelspolitischen Beziehungen zum Ausdrud kommt. Die Mitteilungen des Auswärtigen Antes haben gleichwohl im Ausschuß einen sehr starken Eindruck gemacht, freilich leider keinen so starken, daß die bürgerlichen Parteien von ihrem Vorhaben Abstand genommen hätten. Das Streben, für die Regierung Brüning eine Mehrheit zusammenzukaufen, besiegte alle fachlichen Bedenken.

Furchtbare Kinofatastrophe!

Siebzehn Kinder auf entsetzliche Weise getötet.

Palermo , 15. April. Am Sonntagnachmittag ereignete sich in Licate in der Provinz Girgenti an der Südküste Siziliens eine Dabei furchtbare Kinobrandkatastrophe. wurden 17 Kinder im Alter von 9 bis 16 Jah ren getötet. Außerdem erlitten 11 Kinder zum Teil lebensgefährliche Verletzungen. Aus bisher noch un­geklärter Ursache geriet im Vorführungsraum des Kinos der Filmstreifen in Brand. Die größtenteils aus Kin dern bestehenden Zuschauer wurden durch die Stich flammen erschreckt. Die Kinder drängten pa nikartig den Ausgängen zu. Die Katastrophe hätte keinen so großen Umfang angenommen, wenn nicht zu gleicher Zeit in der ganzen Stadt die Beleuchtung ausgesett hätte. Die Dunkelheit steigerte den Schrecken der Kinder bis zur Verzweiflung. Bei dem Gedränge an den Ausgängen wurden viele Kinder umgeworfen und niedergetreten. Die Leichen weisen furchtbare Verstümmelungen auf. Als es schließlich möglich war, einen lieberblick über die Ausmaße der Katastrophe zu Ausm gewinnen, stellte man 17 Tote und 11 Schwer. berlente feit.

Nach einer Meldung aus Rom hat sich der Provinz präfett in Begleitung der zuständigen Beamten sofort an den Ort des Unglüds begeben, um eine strenge Untersuchung ein­zuleiten. Die Bestattung der Opfer findet am Mittwoch im Beisein der Spitzen der Provinz- und Stadtbehörden statt. In seinem Kommentar zu dem tragischen Ereignis stellt das Popolo di Roma" fest, das Kino von Licata stelle eine der vorgeschichtlichen Baraden dar, die allabendlich von einer großen Menge besucht würden, die nicht wiffe, welcher Gefahr sie sich aussetze.( Und marum verbietet die italienische Polizei Borführungen in derart unzulänglichen und gefährlichen Räumen nicht? D. Red.) Die unschuldigen Opfer forderten eine beispiellose Bestrafung der Verantwortlichen und eine strenge Untersuchung aller sizilianischen

Rinos.

Gnu Fustinsio@

Hugenberg beschimpft seine Partei.

Psychose" der Regierungsfreunde.- Jubel des Agrarierflügels.

Der Inappe Erfolg der Regierung Brüning ist zwei politischen| der Antwort auf die zentrale Frage nach dem Machtwillen des Richtungen im gleichen Grade unangenehm: den Demokraten und Bürgertums" einigermaßen schummrig zumute, da sie die Zer­den Hugenbergern. Die Demokraten preffe reagiert auf die splitterung sieht. Sie möchte gern, daß gegen das Zentrum eine geftrigen Abstimmungen damit, daß sie ihre Leser davon plaudernd mehr liberal und eine konservativ gerichtete Gruppe tritt., Große unterhält, aber jegliche politische Stellungnahme ängstlich vermeidet. Körper bürgerlichen Selbstbehauptungswillens nicht nur, sondern Sie fühlt, daß der Erfolg dieser Regierung die Niederlage der bürgerlicher Schöpferkraft und machtpolitischen Anspruchs". eigenen Partei bedeutet.

Die Hugenbergpreise läßt sich nicht einmal durch die Rücksicht auf die eigene Partei von der schärfsten Kritik an ihrem regierungsfreundlichen Flügel abhalten. Der Lofal- Anzeiger" be­flagt z. B. die Situation, die daraus entstand, daß sich eine wirt­der Landbund ,, in parteipolitische fchaftliche Organisation Dinge unmittelbar einmischte".

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,, Die ungeheure Not des Landvolkes, die Berzweiflung, die aus ihr fließt und die einfach turzsichtig machen muß denn mer in verzweifelter Not ist, fann nicht mehr meit blicken fie sind ausgerugt worden zu dem Ziel, die deutfcnationale Graftion " unter Druck zu feyzen, damit sie fein einheitliches Inftrument in der Hand der Führer mehr blieb." ang

Der Lotal- Anzeiger" bleibt bei diesem Vorwurf der Kurz­fichtigkeit nicht stehen. Er wirft der Mehrheit der Deutschnationalen Fraktionsabgeordneten vor ,,, unter dem Druck der verzweifeiten Not ihrer Standesgenossen und ihrer Wähler schließlich die Nerven verloren zu haben", möchte jedoch mit niemandem rechten, der jetzt der Psychose" erlegen ist... Um der nationalen Be­wegung willen dürfe die Schlagkraft der Deutschnationalen Partei durch deren Reichstagsfraktion nicht meiter lahmgelegt werden.

Der Agrarierflügel der Deutschnationalen Partei ist jedoch schlechthin zufrieden. Die Deutsche Tageszeitung" scheidet die Deutschnationalen in eine negative" Fraktionsminderheit und

" positive" Fraktionsmehrheit und meint von der letzteren:

,, Sie hat meitblickende Nationalpolitik getrieben und das ihrige zur Rettung der Fundamente getan, auf denen allein eine mirkliche Befreiungspolitit aufgebaut werden tann. Ihre Rettung aber bedeutet nicht nur eine große nationale Notwendig­feit von heute, sondern auch die Voraussetzung für eine deutsche Befreiungspolitit von morgen und übermorgen!

Die Deutsche Allgemeine Zeitung" benußt das Endergebnis der Abstimmung, um wieder einmal grundsäglich zu werden. Sie nimmt mit stiller Freude zur Kenntnis, daß auf der linken Seite cine helle Begeisterung für die Wirtschaft und die Industrie, so­gar für die Schwerindustrie ausgebrochen zu sein scheine, die schließ= lich die Kosten der Landwirtschaftshilfe Schieles werde bezahlen müssen. Sie möchte der Bierstimmen- Mehrheitregierung Brüning die Reform der öffentlichen Wirtschafts- und Finanzpolitit, den Umbau des Staats, die Reichs- und Wahlreform" zutrauen, meint, daß diese Aufgabe von historischer Tragweite" nicht hoffnungslos Jei, weil das ,, banale Bedürfnis nach Führung" ein entscheidender massenpsychologischer Faktor geworden ist. Allerdings wird ihr bei

Der entfesselte Brüning

Bruning

39 adzion

Surra, jetzt bin ich von der Sozialdemokratie unabhängig!"

Immer noch wird die Sozialdemokratie daneben ein außer ordentlich achtunggebietender Faktor bleiben. Aber sie wird dann endlich auch einen Gegenspieler haben. Aus diesem Kräftespiel fönnte ein Staat entstehen, der sich von dem bolichemistischen Irrfinn im Osten ebenso untersdjeidet, wie er sich vom reinen Ausbeutungsstaat des fapitalistischen Bestens abheben muß."

In seinem dichterischen Enthusiasmus meint das Blott, daß die Frontgeneration auf den Plan getreten fei": dieje Generation ist zum Kämpfen entschlossen, während das Bürgertum schläft: Gie muß es erweden".

Gegenüber fo bleibt die tiefschürfenden Betrachtungen Germania " auch nicht an der Oberfläche der Tagespolitik. Es sei für die Sache.sozusagen" belanglos, ob die Mehrheit sich in 3 oder 30 Stimmen ausdrückte. ,, Der Erfolg des Kabinetts Brüning fei nicht mit Ziffern zu bewerten." Er fei boffentlich für die

Sozialdemokratie eine gute Lehre für die Zukunft.

Ihre Wirkung wird noch vertieft werden durch die Er­fenntnis, daß es auch in diesem Reichstag zur Not einmal ohne. die Sozialdemokratie möglich ist, wichtige Ent­scheidungen zu treffen, wenn fie fich aus Gründen partei­politischer Starrföpfigkeit der Berantwortung entzieht.".

Die Germania" betrachtet es als ein besonderes Berdienſt ihres Reichskanzlers, daß ihm die parlamentarische Lösung gelungen ist.

,, Das Deutschland der nächsten Jahre wird in größtem Moße auf das wirtschaftliche Bertrauen des s Auslandes ange wiesen sein. Dieses Bertrauen wird sich in erster Linie auf den gefunden Zustand der Staatsfinanzen gründen, und es ist weniger durch den Artikel 48 zu sichern, als durch eine par­lamentarische Mehrheit, die den Mut zeigt, alles zu tun, um die Finanzen in Ordnung zu bringen und in Ordnung zu halten. Die parlamentarische Erledigung der finanziellen Maßnahmen scheint uns deshalb, von allem anderen abgesehen, ein wichtiges pinchologisches Imponderabile für jenes Bertrauen zat sein, das Deutschland zu seiner wirtschaftlichen Belebung von Auslande her nötig hat.

Brünings Erfolg erscheint seinem Parteiblatt als ein großer Erfolg deutscher Staatspolitit", insbesondere deswegen, weil Hugen­berg, der vollendete Bertreter einer staatsnegativen Haltung", in feiner Fraktion in der Minderheit blieb.

,, Hugenberg, der laute Rufer im Streite gegen den ,, Marrismus", der eifrige Borfämpfer einer antiinarristischen" Front, steht nun mit wenigen Getreuen einsam in der Front der ,, Marristen". Das Schicksal eines Mannes beginnt sich zu vollenden, der sich zum Organisator einer großen Rechten be­rufen glaubte und schließlich, inmitten von Trümmern, der Organisator der größten politischen Nieder­lage geworden ist, die in der Geschichte der deutschen Parteien verzeichnet steht."

Das Zentrumsblatt möchte in der Kluft zwischen Hugenberg und der großen Masse seiner Partei den Beginn einer Entwicklung fehen, die zur Gesundung der deutschen Rechten und zur Wieder­ermedung fonfervativer Staatsgesinnung führt".

Arme Kerls.

leber Nacht ist Herr Hugenberg nom Führer der zweitgrößten Reichstagsfraktion zum Häuptling einer Splitterpartei herabgerutscht. Aber noch hat er das große Portemonnaie. Und das reicht aus, um seine journalistischen Landsknechte einstweilen weiter zu besolden. Im Tag" muß das Rumpelstilzchen( Stein) alle verfügbaren Gift- und Gallestoffe gegen die Abtrünnigen von ben Deutschnationalen aushusten:

Bei einigen menigen dieser Jafager war das Motiv wäre unsinnig, das vertuschen zu wollen

der Reichstagsauflösung.

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es

die Angst vor

Mit dem Akademiter- und Offiziersstandpunkt, daß sie am

3. April versprochen hätten, nachdem sich damals die Mehrheit