älelVage Sonnabend, 19. April 1930
SprAbsmS StmJaaXqaf» d** Ibutdrü
ftlusih und. Technik Dtts Problem einer kommenden Dlusik Von Hobovl Hoyel?
Die Aechenvellenmusit des Russen Therem,n hat seinerzeit. vorgeführt vor einem Parkett von Fachleuten, außerordentliches Auf- sehen erregt. Vor allem interessierte die Frag«: was bedeute: die elektrische Tonerzeugung für eine künftige Entwicklung der Musik? Ueber die handgreifliche Aktualität hinaus entwarf man Zukunftsbilder von einer ganz neugearteten Musik. Wir sehen da- von ab, wie diese Vorstellungen inhaltlich im einzelnen beschaffen waren und fragen: sind überhaupt sachliche Voraussetzungen vor» Händen, die Idee einer neuen und kommenden Musik zu rechtfertigen und ihre Verwirklichung zu garantieren? Oder— stehen wir mit Ansprüchen dieser Art auf den: Boden einer haltlosen Spekulation? Diese Frage ist im eigentlichsten Sinne kritisch. Von ihrer befriedi» genden Antwort hängt es ab, ob und in welchem Umfang sich mit dem neuen instrumentalen Mittel Vorstellungen von einer neuen Klanggestaltung oerbinden lassen. Vorläufig steht eine Verwirklichung solcher Ideen noch aus. Wir sagen„vorläufig"'. Es scheint ein soziologisches Gesetz zu sein, nach dem sich alles Neue erst in die traditionelle Form hüllt. Das junge Auto will möglichst eine Chaise sein. Di« jung« elektrische Tonerzeugung will möglichst das bisherige Instrumenta» r i u m kopieren. Wie schon angedeutet, wird nur ein„vorläufiger" Zustand bezoichnet, gleichsam der augenblicklich praktische Stand des Problems.Musik und Technik". Oder denken wir an den Tonfilm — Ort, wo die Berührung van Musik und Technik aktuelle Wirklich- keit ist. Auch hier ist die Maschine Reproduktionsmecha- n i s m u s, wiederholt sie die Leistungen b i s h e r i ge r Musik.
Die Voraussetzungen der neuen Musik Die sachlichen Voraussetzungen sind zunächst dort zu suchen, wo das eigentilch Neuartige beginnt, nämlich bei der Apparatur selbst. Da alle technischen Einzelheiten für die folgenden Ausführungen unerheblich sind, uns vielmehr das Besonder«, das die Maschine leistet,„an sich" interessiert, also das, was mit den instrumentalen Mitteln und Möglichkeiten der bisherigen Musik nicht mehr vollbracht werden kann, können wir die heute so aktuelle Tonphoto- graphie in den Kreis unserer Betrachtungen miteinbeziehen. Zumal beiden Verfahren das gemeinsam ist, was ihr spezifisches Leistung?- *•_ vermögen erst ausmacht, die Umwandlung elektrischer Energien in akustische, umgekchrt die Umwandlung akustischer Energien in elektrische. Wir müssen uns vorstellen, daß erst aus einer eigen- artigen Verbindung der beiden Verfahren— elektrische Tonerzeugung und Tonphotographie— das Instrument der Zukunft, von dem die Verwirklichung einer ganz neu- gearteten Musik zu erwarten ist, entstehen wird. Di« so gedachte akustische Maschine ermöglicht zweierlei, das für eine kommende Musik wichtig sein wird. Einmal die bewußte Konstruktion von Klangfarben. Das ist so zu verstehen. Ein jeder Klang bestcht aus einer Reche von Teiltönen, die in einem bestimmten Stärkeverhältnis zueinander stehen und so charakterisiert seine spezifische Klangfarbe ausmachen. Bisher war die Anzahl der Klangsarben gebunden an die natürlichen Bedingungen der k ö r p e r» * gebundenen Tonerzeugung. Nunmehr wird es möglich, in die Teillonstrukwr und chren Aufbau direkt gestallend einzngrssen, dadurch. daß sich dort, wo alle Akustik elektrische Schwingung ist. elektrische Verfahren einschallen lassen, wie z. B. das elek- irische Wellenfilter. Bestimmte Teiltöne lassen sich mit ihm aussieben und damit die vorgegebenen Klangsarben abändern, umfärben. Kurz, mit diesen und ähnlichen Methoden wird es möglich, den Klang zu a t 0 m i s i e r e n. aus seinen Atomen neue Klangfarben auf- zubauen, die Klänge zu mischen, wie man Farben mischt, ein Klang- farbenreich von fast kosmischer Weite zu durchlausen, das über die bekannten Grenzen weit hinausgeht. Zum anderen läßt sich der R a u m, in dem eine Musik sich abspielt, zugleich mit ihr ausnehmen. Zum erstenmal klingt durch die Maschine in die Biusitwelt„real" der Raum hinein. Denn wir hören bei einer Raumtonaufnahme, wie die Musik in einem anderen und fremden, scharp von uns geschiedenen Räume abläuft. Das be- deutet: der raumtonal gefärbte Klang ist nicht mehr un- mttelbar und leibhaftig bei uns im Räume, wie im Konzertsaal oder in der Oper, sondern er steht uns objektiv, als ein räumlich in sich geschlossenes Klangbild gegenüber, und ist uns ebenso fern wie der lebendig« Schauspieler im Filmbild. Um das Wichtigste und Verständlichste zu sagen: Durch die Maschine wird es möglich, den real mitklingenden Raum wie die Klangfarbe, die bisher in der Musik eine untergeordnete Rolle spielle, als wesentliches G c- st a! t u n g s e l e m e n t in die Komposition cinzubeziehen. Eine Klangwell vennag nurnujfrr lebendig zu werden, wie sie bisher noch nicht gehört wurde. Was uns die Maschine heute bietet— In ihren Möglichkeiten durch einen gänzlich falschen Ausgangspunkt ge- hemmt, ist gleichsam nur ein Vorwort zu allem dem, was uns noch erwartet. Das Mißverständnis der jetzigen Musik Entscheidend bleibt, ob die Musik selbst das Bedürfnis hat, sich der neuen instrumentalen Mittel, die vollkommener sind als unsere Phantasie, zu bedienen. Denn die Maschine an �sich ist nur Möglichkeit. Die Gebrauchsanweisung, wie die neuen Formniöglichkeiten zu verwerten sind, liefert erst das Sachgebiet„Musik". Nun be- findet sich die Musik in einer Krise. Die Mittel und Möglichkeiten ihrer klanglichen Entfaltung sind problematisch geworden, aus einem Streben nach neuen Ausdrucksformen. Dieser Vorgang stellt sich in
großen Zügen so dar: Die Musik hat zur Zeit der Romantik ihren Höhepunkt erreicht. Seitdem befindet sie sich in einem Zustand all» gemeiner Auflösung und tiefgehender Zersetzung mit allen Begleit- erscheinungen des Radikalismus. Die treibende Kraft aber, welche die bisherige Grundgestall der Musik ausstrahll und zwangsläufig zu ihrer vollständigen Destruktion führt, ist die Tendenz, einer neuen Klangwirklichkeit Raum zu schaffen. Wir nennen das„Neue", M»»»»»!»>! i
Holzschnitt von Setla Hasse
Der Werktag neigte sich dem Ende, Der Abend zeigt« sich, die Ruh, Schon sehnten sich die müde» Hände Dem goldnen Licht der Stille zu. Maschinen gingen schnell und singend, Elektrisch gleiste grelles Licht. Die Werkband war Metall und kllngend. ... Ein Schrei! Es saust und klirrt und bricht! Wir hörten jenen Schrei und brausend Wuchs er durch den erhellten Raum, Der Motor ging noch dunkelsausend Wie Brandungsschlag im letzten Traum. Ein Mensch sank hin ai » der Maschine! Alarm! Wir ließen unsre Bank... Der Splltter einer Eiscnschiene Dem Bruder in das Antlitz sprang! Zerriß das strenge Schild der Stirnc, Der Augen Licht und Harmonie. Zerschlug die Wunder im Gehirne, Zerschlug des Daseins Melodie! Das letzte Wunder wurde sichtbar: Ein goldncs Strahlennetz zerriß! Wo Freude, Lebenslust und Licht war, Fiel Schatten hin und Finsternis! Der Mann mit feiner Sterbewundc Ward fortgetragen, und fein Blut Erfüll� jene Arbeitsstunde, Erfüllte uns mit Haß und Wut! Noch ging die Arbeit dunkel brausend Durch Wut und Blut. Doch ihr Akkord Schwoll an und wurde groß und sausend, Rebellenschrei wie: Brudermord! Wir hörten ihn verstört. Und weiter Ging aüfs. Feierabend kam, Der uns als tröstlicher Begleiter In seine Bruderhände nahm.
wenn wir sagen, die musikalische Entwicklung der letzten Jahrzehnte wird wesentlich bestimmt durch das Erscheinen der„Klangfarbe". Die Klangfarbe, bisher ein untergeordnetes Ausdrucksmillel, wird oinmal so wichtig im Impressionismus(Debussy ) und Expressionismus. Schönberg hat in seiner Harmonielchre die Klangfarben- Melodien vorausgesagt. Der Wille, die Klangfarbe zu verselb- ständigen, führte zu einer Erweiterung der tonalen Beziehungen und letzten Endes zur Atonalität, wo eben zugunsten der be- ziehungs- und rücksichtslosen Herausstellung des Klanges, der Farbe an sich, der bis dahin tonal kadenzierende Tonraum gesprengt wird. Das künfUerifche Denken, das die atonal« Situation geschaffen hat, ist zwiespällig. Einerseits ist es stark genug, um die tonalen Materialbeziehungen zu zerschlagen und die musikalische Form bis an die Grenzen des Sinnvollen zu zerfasern. Andererseits ist es zu schwach, um ein positives Klangbewußtsein wiederherzustellen, um zur Form zurückzufinden. Es fei denn, daß man sich mit dem zufriedengibt, was die heutige Musik leistet. Um das aus seinen �ursprünglichen Zusammenhängen her- ausgenommene Material wieder formal zu binden, blieb nichts anderes übrig, als die überlieferten Stilprinzipe und Formschcmata zu kopieren und mit den atonalen Errungenschaften zu durchsetzen. Schließlich kann man mit den Praktiken des Kontrapunktes und der Harmonie nicht mehr verarbellen, was nicht vom Standpunkt der Tradition betrachtet werden kann. So entsteht die paradoxe Situa- tion, daß man die Musik des Mittelalters und der folgenden Jahr- hunderte wieder pflegt und ihre Stilelemente als formales Binde- mittel in das beziehungslos gewordene Tomnaterial einführt, zu- gleich aber sich Jazz und Geräusch nicht entgehen läßt. Was heraus- kommt, ist ein ungeheuerlicher Stilmischmasch, trägt die Züge einer kranken Spätzeit an sich. Zur Form zurückfinden kann nur heißen, die Form nicht aus der Vergangenheit, fon- dern aus dem Zustand der totalen Veränderung ableiten, aus dem „Neuen", was hinter der Destruktion steht und zur Verwirklichung drängt— heißt, ein« neue und höhere Form statuieren, die sich zur allen, zerschlagenen einstellt als nächste Stufe einer einheitlichen Treppe der Aufwärtsentwicklung, heißt zuletzt, das Formgesetz der Klangfarbenmusik verwirkllchen. Perspektiven Daß der Versuch schellern mußte, liegt nicht daran, daß die Zielsetzung„Klangsarbenmustk" falsch ist, sondern daran, daß das künstlerische Denken sich nicht„grundlegend" geändert hat, ent- sprechend der neuen Problemstellung. Man ist auf halbem Wege stehen geblieben, anstatt auch noch mit dein letzten Rest an Tradition aufzuräumen— und dies, um den Geschmack der Moderne mit dein des Publikums zu versöhnen. Klangfarbenmusik ist von vornherein Zielsetzung aus einer neuen und anderen Stufe. Die bisherigen künstlerischen Denkmittel und instrumentalen Darstellungsmittel der Musik reichen zu ihrer Verwirklichung nicht mehr aus. Es muß sinnlos bleiben, ein Klangfarbenreich von fast kosmischer Weite wie die rein qualitativen Beziehungen der Klangfarben zueinander noch in einem vierstimmigen Satze vollenden zu wollen. Man kann sagen, daß die Idee der Klangfarbenmusik schon auf die M a- s ch i n e und ihre Möglichkeiten hin entworfen ist, auf den atomi- sierten Klang, auf den real mitklingenden Raum, nicht mehr auf die Möglichkeiten einer körpergebundenen Tonerzeugung und die damit zusammenhängende Kompositionstechnit. Gegenüber der vor- gegebenen Begrenzung muhte die Idee, die von vornherein außer- halb dieser Grenzen erfunden war, zur Destrukiton des bisherigen Musiklebens führen, zur Atonalisierung. Die Atonalität ist die letzte Etappe, wo versucht wird, m-it den bisherigen Mitteln und Möglich- teitcn der Musik die Klangfarbe zu verselbständigen. Die nächste Etappe ist die der kommenden Musik, der Klangsarbenmustk und der Gestaltung ihrer Grundlagen. Wir können sagen: Der Fortschrill der Musik geht Millen durch die Maschine hindurch. Das Problem, das sich heute stellt, ist das der llmschallung von einer handwerklichen Produktions» Methode aus eine technische. Seine Lösung bedingt eine grund- sätzlich neue Verkörperung der Idee„Musik", ebenso wie das Auto eine grundsätzlich neue Darstellung der Idee„Fahren" ist. Deshalb wird der Fortschritt, verglichen mit den bisherigen Jahrhunderten, so groß sein, weil zum ersten Male gänzlich neue Faktoren Träger dieser Idee sind, weil er mehr ist als ein Stilwandel iin Rahmen der bisherigen Grundform„Musik", wie z. B der von der Klassik zur Romantik, weil der Beginn auf einer gönzlich neuen Ebene ein- setzt, zu der es keine Brücke von dem jetzigen künstlerischen Hand- werk aus gibt. Nicht zuletzt süid der Musik ganz neue Aufgaben gestellt, wie das der Tonbildverbindung Die bisherigen Möglichkeiten reichen allenfalls aus, mn das Blld zu„begleiten", um sich selbst als schon vorgeformte Musik in Szene zu fetzen und rcgiemäßig be- handeln zu lassen. Sie genügen ober nicht, um den Klang der visuellen und stummen Musik des Films kontrapunktifch einzufügen. Das Toirbildproblem ist erst in dem Formgesetz her kommenden Musik aufzulösen. Heute ist der Tonfisin noch ein Außengebiet der Musik. Morgen wird er ihr organisch zugehören, dann, wenn die Musik schlechthin„kommende Musik" ist. Film und Tonfilm, die heut« nach als Kunstgattungen mll siner eigenen Problemattk neben den handwerklich produzierenden Künsten existieren, bezeichnen, von hier aus gesehen, imr die technischen Formen, in denen die Kunst weiter- hin sichidar und hörbar fortleben wird.