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Donnerstag

24. April 1930

Unterhaltung und Wissen Wiſſen

Andreas Latzko : Der Doppelpatriot

( Schluß.)

Nur den schier unübersehbaren Komplikationen des zweifarbigen Geschichtsunterrichts zeigte er sich nicht ganz gewachsen. Und hier crreichte ihn auch der zweite Schicksalsschlag.

Mit glühenden Wangen faß er eines Montags in der Schule lauschte gespannt dem Vortrag des Geschichtsprofessors, der eben mit mächtigen Worten die Greueltaten Urbans des Ersten, genannt ,, Urban der Bluthund", schilderte. Fürchterlich waren die Anflagen, die ber empörte Professor gegen diesen grausamsten aller Tyrannen erheb.

,, Bom Jahre 1729 bis zum Jahre 1791 schwang Utban sein vom Blute unschuldiger Kinder triesendes Zepter. Seine Herrschaft erstreckte sich über das rate und das schwarze Land und über ein undzwanzig andere Königreiche, die er mit seinen bestialischen Söld­nern gleidfalls heimtüdisch überfallen, geplündert und unterworfen hatte. Auf allen Wegfrerzungen standen Galgen; die Besten unseres Landes mußten ihr Haupt auf den Richtblock legen, Witwen und Waisen riefen überall den Fluch des Himmels auf den Tyrannen herab!.."

Das junge temperamentvolle Herz Theophils, immer überheizt von dem zweifachen Patriotismus, schlug Sturm während dieser Schilderungen. Er onnte faum mehr an sich halten, als der Pro­fessor nun auch das Schicksal der roten Helden erwähnte, die sich endlich entschlossen zusammengetan hatten, um das Baterland von dem Bluthund" zu befreien. Sie waren unbemerkt ins Schloß ge drungen, hatten die Bachen bestochen und standen bereits vor dem Schlafzimmer des Verhaßten, als plötzlich ein verräterischer Schurke. Lärm schlug, die Helden überrumpelt und gefesselt wurden.

Ein unterdrücktes Schluchzen lief durch die Bänke, als die zehn Märtyrer mit dem Rufe: Es lebe die Freiheit! Es lebe das Vater­land!" furchtlos die Richtstatt betraten....

Wer beschreibt die angenehme Ueberraschung Theophils, als der Gesichtsprofessor des schwarzen Gymnasiums den Unterricht am nächsten Morgen mit folgenden Worten begann:

Was ich euch heute zu sagen habe, brauchte ich eigentlich gar nicht zu erzählen. Denn es gibt hoffentlichy feinen unter euch, der es nicht schon längst wußte, wer vom Jahre 1729 bis zum Jahre 1791 cuf dem Throne unseres teuren Baterlandes jap."

Alle Finger schnellten in die Höhe. ,.Nun, Theophil, fage du mir's!"

Freudig sprang Theophil Banner empor und schmetterte: Siebzehnhundertneunundzwanzig bis siebzehnhunderteimund neunzig herrschte über das schwarze und über das rote Land sowie cuch über einundzwanzig andere Königreiche der grausame Tyrann: Urban der Bluthimb...

Ein betäubendes Wutgeheul folgte seinen Worten. Alle Schüler sprangen aus den Bänken, warfen sich auf Thecphil, zerrten und rissen ihn bei den Haaren und an den Ohren, schlugen mit den Fäuften auf ihn los, bis er auf das Katheder flüchtete und hilje­suchend die Knie des Professors umfing. Aber auch der Professor Lannte kein Erbarmen und stieß ihn mit den Füßen von sich. Erst als der Unglückliche zerfetzt, zertreten, verprügelt, leise schluchzzend in der Ecke kniete und die Entrüftung fich allmählich gelegt

hatte, begann der Lehrer seinen Vortrag.

Und nun erfuhr Theophil Banner, daß Urban der Große, so nannten sie hier den blutdürftigen Tyrannen, der höchste Stolz seines schwarzen Baterlandes sei. Denn unter Urban dem Großen ging die Somme im Reiche der schwarzen Patrioten nie unter und der Kriegsruhm der schwarzen Fahne erfüllte die ganze Erde! Urban Der Große war edel und gut! Unbarmherzig gegen seine Feinde, freigebig gegen seine Getreuen.

Das empfängliche Gemüt Theophils fonnte den wirkungsvollen, non patriotischem Elan getragenen Worten nicht lange widerstehen. Das Bild Urbans des Bluthundes verblaßte und Urban der Große stand leuchtend vor thm. Und er glühte bereits vor Entrüftung, als der Lehrer zum Schluß der feigen Meuchelmörder gedachte, die es versucht hatten, den großen König im Schlafe hinzumorden! Die Hinrichtung entfesselte einen Beifallssturm, und die Schüler be­schlossen einstimmig, das Monument des getreuen Kammerdieners, der durch seine Wadsamkeit die verruchte Tat vereitelt hatte, zu Befränzen.

Quch Theophil Benner opferte begeistert seine Ersparnisse; auch er stimmte vor dem Standbild aus voller Kehle in die schwarze Nationalhymne ein.

Bergebens! Der Faustschlag in das Gesicht des ganzen Bolkes war nicht so leicht zu fühnen. Namentlich war es der Geistliche, der sich mit Rücksicht auf bedeutende Schenkungen Urbans des Großen an die Kirche gegen Theophil ins Zeug legic. Er stellte Nachforschungen an, ersuchte feinen roten Kollegen um Auskünfte und trat bald mit der sen­sationellen Enthüllung vor das Professorenkollegium, daß Theophil Banner den Namen seines Vaters zu Unrecht trage, daß Theophil ein uneheliches Kind sei!

Das kam so: Im roten Königreiche war seit Jahrzehnten schon die Zivilehe eingeführt, während die schwarzen Bürger, dank der Fürsorge ihrer Geistlichkeit, von dieser gottlosen Institution nod) verschont geblieben mar. Run mar aber der Bater Theophils, wie bekannt, Untertan des roten Landes und hatte fich. nicht so sehr aus Ueberzeugung, als eher aus Abneigung gegen unnötige Ausgaben, mit der Zivilehe begnügt. Nach schwarzen Begriffen waren alfo die Eltern Theophils überhaupt nicht verheiratet.

Theophil erhilt den strengen Befehl, den Namen Banner inner­halb der schwarzen Grenzen nicht länger zu ufurpieren, und hatte reben seinen beiden Baterländern mun euch noch zwei Familien­

namen zu tragen.

Mit dieser kleinen Bereicherung seines Repertoirs hätte sich der geschmeidige Knabe leicht abgefunden, ollein die Folgen der ein­jeitigen Namensänderung waren äußerst unerquicklich.

Während er nämlich diesseits des rct- schwarzen Schlagbaumes auch weiterhin für einen honetten Jungen galt, den jedermann freundlich begrüßte, begegnete er jenseits des Schlagbaums nur un freundlichen Gesichtern, und die kleinsten Hosenmäße fühlten sich berechtigt, ihm auf offener Straße Rosenamen wie Bastard" oder ,, Banfert nachzurufen. Die ungerechte Behandling hätte die Seele und mas piel wichtiger die Wehrkraft des jungen Theophil unfehlbar dem roten Staate zuführen müssen, menn der durch und durch mit Begeisterung

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mattierte und nur noch aus hoch!" und Pereat" zusammengesetzte Jüngling einer subjektiven Regung überhaupt noch fähig gewesen wäre. Allein die auf beiden Seiten mit besonderem Nachdrud ge­führte nationale Erziehung hatte zu diesem Zeitpunkte ihre Wunder bereits vollbracht

Namen und Ziele der Helden und Verräter spielten in Theophils intensivem Gefühlsleben längst teine Rolle mehr. Seine Sym pathien und Antipathien gehörten den Begriffen, die ihm eingepauft werden waren. werden waren. Und sein Patriotismus schaltete sich Tag für Tag automatisch um.

Man wird begreiflich finden, daß Theophil Banner( alias Strobel) unter solchen Umständen zitternd den Tag der Entscheidung herannahen sah. Von welchem seiner geliebten Baterländer sollte er fich trennen? Ihm blühten in jedem Falle drei unglückliche Tage wöchentlich!...

Eine gütige Vorsehung ersparte ihm diesen schmeren Entschluß und seine Folgen.

Kurz vor Ablauf der Termins spijte sich die alte Feindschaft

Der Mensch ist ein Gewohnheitstier

Daß die menschliche Natur fähig ist, fich oft widrigen äußeren Umständen und Lebensbedingungen anzupassen, wissen wir durch Ueberlieferung, Geschichte und Wissenschaft. Daß es auch der mensch| liche Geist ist, haben wir oft genug zu unserem Entsetzen gehört, allerdings immer nur bis zu einer gewissen Dauer, bis endlich die Geduld reißt und die Menschheit sich selbst befreit.

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Beilage des Vorwärts

zwischen den beiden Nachbarländern bedenklich zu; die Bevoll= mächtigten padten ihre Koffer, und die Kriegserklärung erfolgte. Theophil fand, als er abends heimkam, eine rote und eine schwarze Einberufungskarte auf seinem Tische.

Er schwankte nicht. Es war Freitag; sein Herz gehörte den Roten! Verächtlich schleuderte er den schwarzen Fehen in die Ecke, ergriff den alten Dienstsäbel seines Vaters und hieb wuchtig auf den unsichtbaren Feind ein.

Der Abend verging in gehobener Stimmung. Theophil zweifelte feinen Augenblick an der sicheren Niederlage der Schwarzen. Nach zehn Uhr zog er sich auf sein Zimmer zurüd.

Um elf Uhr hörte ihn seine Mutter noch erregt auf und ab gehen.

Kurz vor Mitternacht begann er laut zu jammern. Schlag zwölf Uhr schloß er das Tor auf und stürzte ins Freie.

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Am nächsten Morgen baumelte sein Leichnam auf dem hoch­gezogenen Schlagbaum.

Inten hatte er eine kleine Tafel befestigt, welche zwischen zwei nach rechts und links weifenden Zeigefingern die Infchrift trug: Ich sterbe für

das Baterland. F

Entdecker des Volksmärchens Gewöhnlich werden die Brüder Grimm als diejenigen gefeiert, die uns die Wunderwelt des deutschen Volksmärchens erschlossen haben, und gewiß ist durch ihre klassische Sammlung der Kinder­und Hausmärchen" die Freude an diesem so lange verschütteten Jungbrunnen der Phantasie erst wieder in der ganzen Welt erweckt worden. Aber die Brüder hatten einen bedeutenden Vorgänger, der als der eigentliche Entdecker des deutschen Volksmärchens angesehen werden kann. Das war der große Maler und romantische Denker Philipp Otto Runge , und es hat daher feinen tieferen Sinn, wenn die Auswahl romantischer Märchen in der großen, bei Philipp Reclam in Leipzig erscheinenden Sammlung Deutsche Literatur ", deren erster Band soeben erscheint, die beiden von Runge aufgezeichneten Märchen an die Spize stellt Der Herausgeber Andreas Müller hebt in seiner Einleitung und den Anmerkungen die Bedeutung dieses genialen Pfadfinders gebührend hervor. Wohl Paum eine andere Gattung der Boltsdichtung war im Rofofo und in der Aufklärungsarbeit so verachtet und erniedrigt worden wie das Märchen. Die geistreichen Erzähler benutzten diese Form zu allen möglichen unanständigen und spottenden Karikaturen, und selbst einer der ersten, der eine Sammlung folcher Volksmärchen veran­staltete, Musäus , schrieb noch in der Einleitung zu seinen ganz unnaiven Erzählungen: Wozu dient dieser Unrat? Märchen sind Rossen, Kinder zum Schweigen zu bringen und einzuschläfern, nicht aber, das verständige Publikum damit zu unterhalten." Erst Goethe gemann dem Märchen als Kunstform seine Würde und Be­deutung zurüd, und die romantischen Märchenerfinder, die sich an ihn anschloffen, bevorzugten ebenfalls eine symbolische Darstellung, einen ideenreichen Tiefsinn, die der eigentlichen Bolfsdichtung fern­ftehen. Aber durch die liebevolle Versenkung in die Schätze volks mäßiger Ueberlieferung, die Arnim und Brentano in des ,, Knaben Wunderhorn" und Görres in seiner Schrift über die teutschen Bolksbücher" offenbarten, wurde doch der Weg zu dem tiefen Schacht gebahnt, in dem das Dornröschen des deutschen Märchens schlummerte. Der Prinz, der es zuerst wachtüßte, war eben Ph. D. Runge, der zwei Märchen seinet pommerschen Heimat in der heimischen Mundart niederschrieb und als eister ein solches reines Volksmärchen, nämlich das Bon dem Machandelboom " 1808 in Arnims Zeitung für Einsiedler" veröffentlichte.

Es seien hier einige Beispiele an Einzelpersönlichkeiten gezeigt, die trotz besonderer geistiger Befähigung und leidenschaftlichem Temperament aljo Eigenschaften, die gerade nicht auf Geduld im Ertragen heftiger Widerstände hinweisen- Jahre der entsetz­lichsten seelischen und körperlichen Martern ertragen fonnten. So ci an Dumas' Romanfigur, den Grafen von Montechristo, erinnert, eine Gestalt, die dem wirklichen Leben entnommen war. Es handelte sich um Edmond d'Antès, einen Bonapartisten, der als politischer Gefangener nach der Festung If bei Marseille gebracht murde, wo er 14 Jahre zubringen mußte, und zwar in einem kellerartigen finsteren Raum, der nur durch ein fleines vergittertes Fensterchen einige Lichtstrahlen erhielt. Des Nachts aber wurde er in ein win­iges, gänzlich dunkles Loch gesteckt, das eine Breite von 2 und eine Länge von 4 Schritten hatte. Dabei war es so niedrig, daß man nur gebüt darin stehen konnte. Man denke: 14 Jahre einſamer, ptel­leicht schlafloser Nächte in folchem Raum, 14 Jahre täglich in einem halbdunklen Gelaß ohne Aussicht, dessen Stille nur durch, das Losen des eisigen Mistral unterbrochen wurde. Oder man denke an den unglüdlichen, italienischen Dichter Silvio Bellico, der wegen seiner Vaterlands- und Freiheitsliebe als, politischer Gefangener in per schiedene Sterker gesetzt wurde, um zuletzt in den brüchtigten Kafe­matten der Festung Spielberg 8% fürchterliche Jahre zu verbringen. Man muß diese Kasematten gesehen haben, diese feuchten, finsteren Kellerräume, um voll zu empfinden, was das bedeutet. Dazu kam eine schwere, an beiden Beinen befestigte Kette, die auch während der Nacht auf der hölzernen Pritsche nicht abgenommen wurde. Der Dichter hat in seiner biographischen Schrift Meine Gefängnisse" diese Leidenszeit in der schaurigen Höhle" geschildert. Er erzählt da von seinem Freund und späteren Kerfergenossen, dem Dichter Maroncelli, der unter diesen Lebensverhältnissen schwer erkrankte und dem an Ort und Steüe, auf dem Bettrand sigend, nur von den Armen feines Freundes gehalten, ohne Narfoje ein Bein abgesägt wurde, wobei er nicht einen Schmerzenslaut von sich gab. Oder denken wir an den Freiherrn von der Trend, den berüchtigten Vandurensberst, der lange bevor ihn sein Schicksal erreichte, in den Kasematten der Festung Magdeburg viele entfezliche Jahre verlebte. Trend, dem man das Schreiben gestattete, aber teine Linte gegeben batte, unternahm es, viele hundert leere Blätter der Gefängnisbibel mit seinen Gedanken und Erzählungen zu beschreiben, und zwar mit feinem Blut, indem er sich mit einem Nagel verletzte und es in einer Schale auffing. Diese Bibel kam später aus dem Gefängnis, und es wurde einwandfrei die blutige Tinte nachgewiesen. Diese Geschichte oder Materie, am gewöhnlichsten aber doch an dem wie? danken, Erlebnisse und Empfindungen hatte er oft in Versen nieder­gelegt, und das in einem Raum, den man dadurch noch entsetzlicher zu gestalten suche, daß man in seine Mitte einen Grabstein mit dem Namen Trends hatte sezen lassen. Barbarisch wurde er nach einem mißglückten Fluchtversuch bestraft, indem man ihn an eine 68 Pfund schwere Kette schmiedete, mit der er auf dem feuchten falten Boden, entkleidet, ohne Strümpfe liegen mußte, mit dem Kopf an die Mauer geftüßt. Die Schildwachen waren angewiesen, ihn alle Viertelstunden zu wecken, so daß er nicht einmal die Erquidung des Schlafes ge­nießen fonnte. Und trokdem brachte er es fertig, neben seinen Er­lebnissen noch unzählige Auffäße und Gedichte zu verfassen. Welcher Kräfte ist der Mensch doch fähig! Das kann man auch von dem genialen Dostojewsky sagen, der bei großer Reizbarkeit und Sen fibilität durch die Fallsucht, an. der er litt, viele Jahre in Gesell­schaft von Mördern, Räubern und sonstigen Berbrechern in Sibirien verbrachte. Seine Menwiren aus einem Totenhaus" schildern uns die furchtbaren Berhältnisse, in denen ein selten begnadeter und leidenschaftlicher Mensch voll schöpferischer Fähigkeiten so lange Zeit leben konnte.

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Diese Reihe, die noch vieifach vermehrt werden könnte, zeigt uns, welchen unerhörten törperlichen und seelichen Lagen die menschliche Natur sich unter zaordnen imftande ist. Zwar viele waren auch, die solches Los nicht ertrugen, die dem Siechtum oder dem Tod ver­fielen, oft auch im Bahnsinn endeten. Und einer sei noch genannt, der sich nicht gewöhnen wollie, der seine ganze Energie daranjezzte, um sich aus der furchtbaren Haft in den Bleilammern von Benedig zu befreien. Casanova , der lebenssprühende, durch seine unzähligen Liebesabenteuer befannie Mann erzählt in seiner Gefangenschaft und Flucht aus den Bleikammern von Benedig", wie er in fon fequentem, eisernem Bemühen über die Dächer des Dogenpalastes, in furchtbarer Lebens- und Entdeckungsgefahr schwebend, wie durch ein Wunder sich rettete und ungefährdet in die Freiheit entwich. Nehmen wir eines dieser Bücher zur Hand, um uns in diese Lagen zu versetzen; wir werden dann nicht miffen, ob wir diese Menschen mehr bedauern oder bewundern sollen, werden jedenfalls aufatmen, daß wir heute doch über die schlimmsten Zeiten der Barbarei hin­R. Schneider, aus find,

Runge hatte sich in seinen Gedanken und seinen Bildern tief in fid) in f das unendliche Leben der Natur, in die kosmischen Zusammenhänge aller Dinge versenkt und besonders Kindern und Blumen seine Liebe zugewandt. Die Märchen, die er mündlicher Ueberlieferung nach­erzählte, schienen ihm so recht aus den Tiefen unbewußten Natur­erlebens zu kommen, und er zeichnete sie daher in der Mundart auf, im Gegensatz zu der Art, wie Arnim und Brentano die Volks­lieder erneuert hatten. An einem rechten Volksliede, Ballade.

Märchen," schrieb er, hängt eine geistige Färbung, wie die Staub­fäden an den Blumen. Es liegt dies wohl bisweilen an der Ge­Oder wodurch? Und sollte man nicht, wenn man darauf denkt, den Reiz solcher Sachen festzuhalten, gerade das Flüchtige, ich möchte sagen, die Blüte, in welcher sie einem erscheinen, festzuhalten suchen?" Durch diese demütige Andacht vor der Redeweise des Volkes gelang es ihm, seinen Märchen den natürlichen, tiefen Herzenston mit unerreichter Meisterschaft zu verleihen, und so wurden diese Dichtungen zum Vorbild für alle späteren Märchen­sammlungen. Freilich hatte Runge bei dieser Entdeckung des Volks­märchens teine philologischen, sondern nur ästhetische Absichten. Die beiden Märchen ,, Bon dem Machandelboom" und Vom Fischer und fyne Fru", find mit reijem Kunstverständnis aufgebaut und erfüllt von jenen Gedanken, die Runge auch in seinen Bildern ausgeprägt hat. Das Manuskript, dos er Arnim zugesandt hatte, wurde von diesem an die Brüder Grimm weitergegeben, und diese veröffent­lichten die beiden Märchen in ihrer Sammlung, in der sie dann welt­berühmt geworden und immer als Muster gepriesen worden sind. Daß die Brüder Grimm dem Vorbild Runges gerade in der Bei­behaltung der Mundart nicht folgten, ist wohl aus ihrer geringen mundartlichen Sprachgewandtheit zu erklären. Jakob Grimm , der große Philologe, vermißte die philologische Behandlung, aber der ästhetische Grundsatz des Hamburger. Malers ist doch auch von den. Brüdern für die Form ihrer Märchen anerkannt und übernommen worden. Wilhelm Grimm , der immer mehr zum eigentlicheir Ideal, das er in Ranges Märchen gefunden, zu erreichen. Auch er Schöpfer der Sammlung wurde, war sein Leben lang bemüht, das lehnte es ab, wie es Lied und Brentano taten, die Motive des lieben umzudichten oder zu verändern. Wie er in der Borrede zir Bolfsmärchens als freies Phantasiegut zu behandeln und nach Be­den Kinder- und Hausmärchen ausführte, sollten diese Märchen so rein als möglich aufgefaßt" werden, den ihnen eigentümlichen Charakter durchaus bewahren und in ihrem ursprünglichen Ideen. gehalt unangetastet bleiben. Damit folgte er den Grundsägen, die Runge zuerst befolgt hatte, als er mit seinen beiden folgereichen Proben die zarte Pflanze der Bolfsdichtung aus jahrhundertelangem Schlunumer zu neuer Blüte erweďte.

Was ein Schlager einbringt. Der Autor des Schlagers Balencia" verdiente damit in zwei Jahren rund 2 Millionen Mart.