Rr. 192 47. Jahrgang
1. Beilage des Vorwärtsis 25. Sipril 1930
B
Tragisches Ende einer zerbrochenen Ehe.
In einem Rechtsanwaltsbüro in der Hardenbergstraße 24 in Charlottenburg fpielte fich am gefftigen Spätnachmittag eine blutige Tragödie ab. Die 32jährige Frau Melanie Böhmer gab auf ihren um sechs Jahre älteren früheren Ehemann, den Kunstmaler Kurt Wolfgang Böhmer einen Schuß ab, der ihn sofort fot zu Boden strekte. Dann richtete die Täterin die Waffe
gegen sich selbst und schoß sich eine Angel in die Herzgegend. Sterbend wurde fie in das Wilmersdorfer Krankenhaus in der Achenbach ftraße eingeliefert.
Die Böhmersche Ehe ist erst türzlich rechtsträftig geschieden worden. Frau Böhmer fehrte nach München zu ihren Angehörigen zurück, ihr geschiedener Mann wohnte in der Kantener Straße 4 in Wilmersdorf , wo er gleichzeitig auch sein Atelier hatte. Frau Böhmer, der die Trennung wieder leid geworden war, verfuchte sich ihrem früheren Manne wieder zu nähern, um eine Aussöhnung herbeizuführen. Böhmer, der den Versuchen seiner ehemaligen Frau zunächst ablehnend gegenüberstand, ließ sich schließ lich zu einer Aussprache bei einem Berliner Rechtsanwalt bewegen. Diese Unterredung, die ein so tragisches Ende nehmen sollte, mar für Donnerstag nachmittag um 4 Uhr bei dem Rechtsanwalt B. in der Hardenbergstraße vereinbart worden. Frau B. war aus diesem Grunde bereits am Mittwoch nach Berlin gereist. 3ur verabredeten Zeit traf Frau Böhmer mit ihrem früheren Manne im Wartezimmer des Anwaltsbüros zusammen. Man begab sich gemeinsam in das Büro des Rechtsanwalts, in deffen Anwesenheit die Unterhaltung geführt wurde.
Es wollte jedoch zu feiner Einigung und Aussöhnung kommen, und schließlich veranlaßte der Anwalt gegen 17 Uhr in wohl wollender Weise die früheren Eheleute, in ein Nebenzimmer zu gehen und dort unter vier Augen noch bestehende gegen
Haftbefehl gegen Weffels Wirtin.
Die Frau der Mittäterschaft verdächtig.
In der Boruntersuchung wegen Ermordung des nationalsoziali. stischen Studenten Horst Bessel hat der Untersuchungsrichter die ehemalige Mirtin Wessels, Frau Salm, vernommen und Haftbefehl gegen sie erlassen. Frau Salm, die zu Beginn der Ermittlungen vorübergehend von der Polizeit festgenommen worden mar, ist verdächtig, die Täter Höhler, Kandulsti und Rüdert her. beigeholt zu haben. Erwin Rüdert ist vor einigen Tagen in Span dau festgenommen und in Untersuchungshaft übergeführt worden. Die Nachforschungen nach weiteren Beteiligten merden fortgesetzt.
Raffette mit Koftbarkeiten im Wert von 150000 Mart. Die 23jährige Hausangestellte Frieda Rothe des in Berlin mohnenden Direktors der Preußischen Pfandbriefanstalt, Dr. M. Fräntel, hat aus einer der Frau des Bantiers gehörenden ver
schloffenen Staffette für 150000 Mart Juwelen gestohlen und ist mit dem Raub spurlos verschwunden. Bereits am 4. April hat sich Frieda Rothe auf dem zuständigen Bolizeirevier einen Auslandspaß ausstellen lassen. Es ist wahrscheinlich, daß die Diebin die Tat unter Beihilfe eines Mannes verübt hat, mit dem fie gemeinsam geflohen ist. Die polizeilichen Nachforschungen er.
Fall Dist
Protokolle
Herausgegeben
von Esther Grenen
feitige Biderstände zu beheben. Die beiden befanden sich wenige Minuten allein, als ein Schuß fieL Der Ammalt, ber nichts Gutes ahnend herbeieilte, fah Frau Böhmer in menigen Metern Entfernung mit erhobenem Revolver nor fich stehen. Böhmer lag leblos auf dem Boden. Die Kugel hatte sein Herz Durchbohrt. Che der Anwalt die völlig verzweifelte Frau daran hindern fonnte, hatte sie die Waffe gegen sich abgedrückt. Mit einem Herzschuß schaffte man die Inglüdliche ins Achenbachtranfen haus, wo sie furze Zeit nach ihrer Einlieferung starb. Die Leiche des Mannes wurde ins Schauhaus gebracht.
Opfer des Aufspringens.
Rücksichtsloser Fahrgast verursacht Tod des Zugbegleiters. Die üble Unfiffe des Aufspringens auf einen bereils in Fahrt befindlichen U- Bahnzug forderte gestern das Leben des feinen Dienst versehenden Zugbegleiters.
Auf dem U- Bahnhof Bergstraße stand ein zur Abfahrt bereiter Zug Der Bahnhofsvorsteher hatte das Abfahrt. fignal bereits gegeben, als im selben Augenblick ein Fahrgast in großer Haft angelaufen fam, um den Zug noch zu besteigen. Dabei prallte er mit solcher Wucht mit dem Zugbegleiter, der gerade das Signal Fertig" an den Zugführer gegeben hatte, zusammen, daß dieser auf die Gleise stürzte und überfahren wurde. Der Unglückliche, es handelt sich um den 36jährigen Erich Manig aus der Wöhlertstraße 21, wurde auf der Stelle getötet. Seine Leiche wurde nach der Buckower Halle gebracht.
Leider ist es dem Urheber des tragischen Unfalles in der allgemeinen Aufregung gelungen, zu entkommen. Die Kriminalpolizei hat inzwischen die Ermittelungen nach dem Täter aufgenommen.
gaben, daß der Diebstahl bis ins fleinste vorbereitet war. Wie sich jetzt herausstellt, ist Frieda Rothe auch aus ihrer vorigen Stellung wegen Diebstahls entlassen worden. Die Grenzstationen sind durch Polizeifunt von dem Vorfall in Kenntnis gesetzt worden.
Bisher 7 Zote und 80 Vergiftete.
Brüssel, 24. April.
Jm Hüttenwert Ougrée Marihahe bei 2üttich explodierte am Donnerstag ein Behälter mit 50 Rubikmeter Ammoniakgas, das sich mit ungeheurer Schnelligkeit in der Fabrik und der ganzen Umgebung ausbreitete. Unter der Bevölkerung entstand eine große Panit. Vier Arbeiter starben sofort an schwerer Gasvergiftung, während 80 weitere Personen mit ichweren Vergiftungserscheinungen Kranfenhäusern zugeführt werden mußten. Durch die Gewalt der Explosion stürzte eine Fabrikmauer ein. Die Trüm mer wurden 100 Meter weit fortgeschleudert, wobei ein Arbeiter auf der Stelle getötet wurde.
Einer lehten Nachricht zufolge, sind noch zwei weitere Arbeiter dem Giftgas erlegen. Damit erhöht sich die Zahl der Todesopfer auf sieben.
Acht englische Sportflieger in Berlin .
Gieben weitere am Freitag erwartet.
Von den 20 englischen Leichtflugzeugen von Heston Air Part Club, die am 17. April zu ihrem ersten Europarundflug aufgestiegen waren, waren bis Donnerstag abend gegen 8 Uhr acht Maschinen im Flughafen Tempelhof gelandet.
Die Gebäude waren mit den Flaggen Groß- Britanniens, des Deutschen Reiches , Preußens und der Stadt Berlin festlich geschmüdt. Zum Empfang der Piloten waren Vertreter des Reichsa perfehrsministeriums, der Flughafengesellschaft und der Deutschen Luft- Hansa erschienen. Der Leiter der Expedition Norman und sechs Piloten mit ihren Maschinen werden noch aus Dresden erwartet.
Maffenausbruch von Sträflingen? Wieder Unruhen im Staatsgefängnis von Ohio . Columbus , 24. April.
Etwa 50 Sträflinge des Staatsgefängnisses, die Nachtarbeit im Kohlenlager verrichteten, verließen frühmorgens ihre Arbeitspläge. Alle Borjichtsmaßnahmen find getroffen, um den befürchteten Massenausbruch der Sträflinge zu verhindern. Da man annimmt, daß sich die Sträflinge großer Mengen Gasolin und Oel bemächtigt haben, ist man auf eine neue Brandstiftung gefaßt, um so mehr, als geffern und heule wiederholt Kundgebungen der Unzufriedenheit veranstaltet wurden.
Der Norddeutsche Cloyddampfer Bremen stieß am Donnerstag vormiffag im Kanal zwischen Folfeflone und Dungene im dichten Nebel mit dem englifchen Zautdampfer British Grenadier zufammen. Die„ Bremen , die nur Neue Bestimmungen für das Meldewesen. eine leichte Plaffeneindeüdung im Bug davontcug. fehle nach viertelftündigem Aufenthalt am Ort des Zusammenffoßes ihre Fahrt nach Southampton fort. Der Tantdampfer hat sich nach Deal begeben und ist dort vor Anker gegangen. Er ist schwer beschädigt Die Badbordfeite ist von der Höhe der Brüde bis unter die Wasserlinie aufgerissen worden und seine Tankbehälter haben große Mengen Del verloren. Ein Mann an Bord des Tankdampfers ift bei dem Zusammenstoß erheblich verwundet worden. Einer später eingehenden Meldung zufolge hat die Bremen die Fahrt von Southampton nach New Bort fortgesetzt.
und die man eigentlich sonst nur bei strafbaren Jugendlichen findet. Ein deutlicher Beweis, daß der Häftling in seinem Serualleben schwer gestört ist und wahrscheinlich noch an heftigen Pubertätsphantasien leidet, die sich leider auch manchmal beim Wegfall fozialer und ethischer Hemmungen in milden und realen Trieben auszuleben versuchen.
Aus der Tatsache, daß der Häftling nicht zu bemegen ist, über die Verhältnisse in seinem Elternhaus und seine ersten Kindheitseindrücke zu sprechen, geht mit aller Wahrschein lichkeit hervor, daß der Bater Trinter war und an Dementia tremens zugrunde ging, während die Mutter bis heute noch vom Häftling mit start infantiler Neigung begünstigt wird. Geschwister dürfte er keine gehabt haben. Nicht ausgeschlossen ist bei dem Häftling eine beginnende Hebephrenie( Jugendwahnsinn), ein Berdacht, der besonders durch die hyperthymische Art, in der er feine momentane Situation auffaßt, berechtigt scheint. Bedenklich scheinen ferner die zu starken Bupillenreflege, das Zittern in den Händen, der schwankende Gang. Daß der Häftling zur Zeit seiner Erzesse bei Sinnen ist, ist faum anzunehmen.
Ich bin wahnsinnig, ich kenne teine Betten." " Dann wissen Sie wohl auch bestimmt nicht mehr, daß Sie sich an Frau Delius vergangen haben? Und Frau Delius ist eine Lügnerin, und die Gräfin und Witme Jensen und. die kleine Betten haben ihre Aussagen gegen Sie alle nur erfunden. Und das Kind von dem armen Dienstmädchen, das gibt es mohl gar nicht mehr. Das alles, was in diesem Aft hier protokolliert und amtlich festgelegt ist, das alles ist völlig aus der Luft gegriffen. Und nur Sie allein, Sie Torben Rift, Sie sprechen die Wahrheit. Und Fährmann Hansen hat nur geträumt, als er Sie im schwarzen Mantel nach Lynö überfeste, und Sie befizen nicht die Krawatte der Ossipowna und haben niemals anstößige Gedichte ge schrieben, das alles ist wohl nur Phantasie, Halluzination. Sie allein, Torben Rist, sind normal und vernünftig. Sie sind auch nicht aus dem Fenster gesprungen, als meine Leute Sie verhaften wollten, das ist wohl auch die reine Berleumdung. Und wenn man Ihnen zuhört, dann ist das Badehaus von Aaresund überhaupt nicht in die Luft gegangen und die Offipowna geht heute noch auf Lyno spa Brief von Amtsrichter Wessel an Untersuchungsrichter Jakobsen. zieren. Um Gottes millen, lachen Sie doch nicht schon wieder! Ist das alles, was Sie mir erwidern können?"
Herr Untersuchungsrichter, ich bin wahnsinnig." Agi. Amtsgericht Sändrup, 2. Juli 1929.
Auf eine Unterschrift des Häftlings muß verzichtet merben, da er unter hysterischen Lachkrämpfen abgeführt wird. gez. 5. G. Jakobsen.
Gutachten
über den Geisteszustand des Untersuchungsgefangenen Torben Rist, derzeit Amtsgericht Sändrup,
Der Häftling ist vor allem ein typischer Simulant. Dies geht allein aus der Art hervor, in der er immer wieder in ein frampfhaftes Gelächter auszubrechen versucht, so oft die Unterredung auf einen Bunft tommt, der ihm peinlich merden könnte. Ferner deutet darauf hin seine geradezu anglaubliche Berstodtheit, mit der er allen Fragen begegnet,
Zusammenfaffend ist zu sagen, daß Torben Rist ein Mensch mit geschwächter Willensfähigkeit ist, was feine mangelnde Intelligenz nicht auszugleichen vermag. Jeden falls aber hat er seine Taten bei vollem Bewußtsein verübt und ist für dieselben auch zur vollen Verantwortung zu ziehen. Zu Aufhebung der Untersuchungshaft und Ueberführung in eine Anstalt ist fein Anlaß gegeben. Zu Aufhebung der Untersuchungshaft und Ueber Professor Arel Behrens.
5. Juli 1929.
Anacapri , Pension Loretto, 27. Juni 1929. Mein lieber Jakobsen,
Das sind ja nette Geschichten, von denen ich hier in meiner Abgeschiedenheit erfahre. Kaum fehrt man seinem fleinen Städtchen, in dem man dreißig Jahre redlich geschuftet und sich mit Diebstählen, Einbrüchen, Alimentations flagen und Ehrenbeleidigungen abgemüht hat, den Rücken, so ist auch schon der Teufel los: ein Haus geht in die Luft und ein leibhaftiger Luftmörder, wird erwischt. Am liebsten hätte ich meine Sachen gepackt und wäre gleich wieder heimgefahren, um mir die Sache mal in der Nähe zu betrachten, aber davon ist leider noch feine Rede, laum daß ich mich ein tleines Stündchen im Tag herumschleppen fann. Mein Herz will immer noch nicht recht parieren.
Wenn ich Ihnen heute schreibe, so glauben Sie nur ja nicht, lieber Freund, daß das ein Mißtrauensvotum für Sie sein soll. Im Gegenteil. Sie sind einer der aufrichtigsten und
Der Preußische Minister bes Innern hat die Bea ſtimmungen über das Melbemesen neu geregelt und zu diesem 3med eine Muster polizeiperordnung nebst Ausjührungsanweisungen erlassen, die in dem Ministerialblatt für die Breußische innere Berwaltung vom 23. April veröffentlicht wordeit ist. Nach dieser Musterpolizeiverordnung werden die Regies rungspräsidenten und der Polizeipräsident in Berlin für ihre Bezirke Polizeiverordnungen erlassen, die am 1. Juli d. 3. in Kraft treten werden. Gnderabdrucke des ausführ lichen Rundersasses sind von Carl Heymann's Verlag, Berlin W. 8, Mauerstraße 44, zu beziehen.
ernstesten jungen Menschen, mit denen ich je gearbeitet habe. Aber der Fall, dem Gie da mit einemmal allein und von allen Seiten angegriffen gegenüberstehen, scheint mir so schmierig und verzwickt zu sein, daß ich mir nur den Kopf zerbreche, wie Sie damit fertig werden sollen. Denn Sie sind noch sehr jung, mein Lieber, und wenn Sie auch alle Gesez bücher Dänemarks auswendig fennen, so fönnen Sie doch in einem doch unmöglich so erfahren sein, wie es hier nötig märe: in der weiblichen Phantasie.
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Ja, lieber Jakobsen, glauben Sie nur ja nicht, daß ich mir den Kopf zerbreche, mie Sie mit dem angeblichen Lustmörder fertig werden. Keine Spur. Aber wenn ich mir Denfe, welche Flut von Gerüchten, Vermutungen und fagen wir es nur ganz offen geheimen Wünschen seine Berhaftung auf der kleinen Insel in Wallung gebracht haben muß, so fann ich mir vorstellen, daß auch Ihr sonst so fühles und gerade denkendes Hirn in Berwirrung gebracht wird. Berführung, Vergewaltigung, wenn nicht noch Schlimmeres wird Ihnen täglich von allen Seiten gemeldet
ich lese das aus allen unseren Zeitungen heraus. Ich hätte es auch nicht anders erwartet. Jedes dumme Frauenzimmer glaubt etwas Besonderes versäumt zu haben, wenn sie den Bösewicht nicht wenigstens einmal abgewiesen hat; es wird bald feine unehelichen Kinder mehr auf Lynö geben, deren Bater er nicht sein soll. Sie wundern sich. Sie sind ein Großstädter, ein lieber Junge. In Kopenhagen aufgewachsen, haben Sie in Berlin und Baris studiert. Sie tönnen ja nichts ahnen von der ungeheuerlichen Langweile, an der alle Frauen in der Broving franken, von der Sen fationsluft, die nie befriedigt wird. Sehen Sie sich doch die Leute auf Lynö einmal genau an: da ist Frau Delius mit ihrem Wagner, mit ihrer Kunst, mit ihrem Schlagwort von der großen Liebe und mit ihrer ganzen traurigen Tugend. Da ist die schöne Frau Doktor Manke, die alle Jahre ein Kind bekommt, während ihr Mann hinter jeder Schürze her ist. Da ist die interessante Gräfin Aaresund mit ihrem viel zu alten Mann, ihren verunglückten Liebesaben teuern und ihren emigen Morphiumsprisen. Da ist die Witwe Jensen, die böseste Zunge der ganzen Insel, die ihren Mann zu Tode geteift hat. Da war die arme melancholische Marie- Louise, ihre Tochter, ein sonnenloses Geschöpf, von der Mutter in ein 3wangsmieder von Vorurteilen geschnürt und ausgehungert nach allen Männern, von denen sich feiner was aus ihr machen wollte. Da ist die kleine schwachsinnige Dynete, Tochter eines Säufers, ein armfetiges Tierchen, das nach jedem Tanzabend mit einem Burschen hinter einer Hede verschwindet. Und so meiter...( Forts. folgt.)