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Beilage

Mittwoch, 30. April 1930

Der Abend

Shalausgabe des Vorwärts

Die Geschichte des 1. Mai

Ein hiftorischer Rückblick von Walter Auerbach  

Am 14. Juli 1889, 100 Jahre nach Erstürmung der Bastille durch die französische   Revolution, trat in Paris   ein inter nationaler Kongreß zusammen. Es war der erste be­deutende internationale Arbeiterfongreß, der nach dem Zusammen­bruch der von Karl Marg begründeten Ersten Internationale statt| fand, und er nahm deren Forderung wieder auf: Beschränkung der Arbeitszeit auf acht Stunden. Zur Durchsetzung dieser Forderung rief der Kongreß die Arbeiter aller Länder zu einer gemeinsamen Kundgebung auf: am gleichen Tage, zur gleichen Stunde, sollten in allen Ländern, in allen Städten die Arbeiter für die Herabsehung der Arbeitszeit demonstrieren.

Anfänge

Die Tage, die die Arbeiterschaft in vergangenen Jahrzehnten feftlich begangen hatte, waren Gedenktage gewesen. Zahlreiche Arbeitervereine hatten den 14. Juli gefeiert, den Siegestag der

W. Bock*

Fr. Geyer

W. Werner Französischen Revolution, andere den 18. März, den Tag der Barrikadenkämpfe in Paris  , Berlin   und Wien  . Anfangs wurden diese Feiern gemeinsam mit dem Bürgertum veranstaltet, doch früh schon gedachten die Arbeiter in eigenen Kundgebungen der Kämpfer der Revolution. Das Gedächtnis vergangener Rämpfe murde ihnen zum Streitruf kommender Zeiten. Später tamen in deutschen  Arbeitervereinen am 31. August noch Lassalle- Feiern hinzu, zum Gedächtnis des toten Führers. Und nach der Niederlage der Pariser Kommune von 1871 zogen die Pariser   Arbeiter alljährlich am Sonntage jeder blutigen Maimoche zur Förderierten- Mauer" des Père- Lachaise  , an der die gefangenen Kämpfer von der sieg reichen Reaktion standrechtlich erschossen worden waren. Diese Feiern fanden Sonntags statt oder abends, wenn die Arbeiter aus den Fabriken kamen und die Handwerker aus ihren Werkstätten, und sie wurden fast mur von einer Generation bewußt erlebt. Für die nachfolgenden Geschlechter wurden sie Tradition, die mir ge legentlich durch den Tageskampf neues Leben erhielt. Als die Märzfämpfer gestorben waren, als nur wenige noch lebten, die Lassalle persönlich gekannt hatten, verloren die Gedenkfeiern an Bedeutung.

Schon im Jahre 1856 hatten die Bauarbeiter in Australien  , im Staate Bittoria, sich den Achtstundentag erfämpft, und sie hatten alljährlich den Tag ihres Sieges, den 21. April, als Arbeitertag, als Fest des Achtstundentages, mit großen Demonstrationen in der Hauptstadt Melbourne   und durch Arbeitsruhe gefeiert. An den Umzügen beteiligten sich alle Branchen, die den Achtstundentag bereits erkämpft haften. Boran schritten die Bauarbeiter mit der fampferprobten Fahne von 1856, auf der in leuchtenden Buchstaben zu lesen mar: 8 Stunden Arbeit, 8 Stunden Erholung, 8 Stunden Ruhe!" Die greifen Vorfämpfer der Bewegung beschlossen in Wagen den Zug. Es war ein Siegeszug, feine zum Kampf rufende Demonstration. Dem Generalgouverneur wurde eine Loyalitäts­adresse unterbreitet, am Festbankett am Abend nahmen die Spizen der Behörden und Bertreter der Unternehmer teil; Reden wurden gehalten, in denen Unternehmer, Politiker und Arbeiter ihrer Freude über das Gelingen des Experiments Ausdruck gaben, das einst so viel Besorgnis erregt habe. Die Regierung erfannte Ben 21. April offiziell als Feiertag der Arbeit an.

In den Bereinigten Staaten von Amerika   hatten die deutschsprechenden Arbeiter in den achtziger Jahren begonnen, den ersten Montag im September zu feiern. Ausflüge wurden gemacht, Vergnügungen veranstaltet und später wurde der Tag zum Tag der Werbung für die Arbeiterbewegung. Auch die englisch­sprechenden Arbeiter verlegten immer häufiger ihre Demonstrationen für den Achtstundentag auf diesen ersten Septembermontag und im Jahre 1885 erklärte die Zentrale Arbeiter- Union" diefen ersten Montag im September zum Arbeitertag, an dem jegliche Arbeit zu ruhen habe. Seit dem Jahre 1887 ist dieser labor day( Arbeitertag) in fast allen Staaten Nordameritas gefeßlicher Feiertag.

Unabhängig von dem Vorgehen der amerikanischen   Arbeiter| feien. Um die Maifeiern zu verhüten, schlossen sich die Unternehmer hatten die vereinigten Gemertschaften Frankreichs  ( die zu fest en Organisationen zusammen. In den Jahren 1882 ,, Fédération Nationale des Syndicats et Groups Corporatifs bis 1888 waren in Deutschland   nur zwölf Unternehmerverbände ge­Ouvriers de France") im gleichen Jahre 1888 auf ihrem Rongreß gründet worden. Aber als dann die Internationale den Maitag zu Bordeaux   beschlossen, am 10. Februar des tommenden Jahres beschloß, entstanden mit einem Schlage im Reiche 43 neue Delegationen zu den Behörden zu senden mit der Forderung des Unternehmerverbände. Die erste Tat vieler der neue Achtstundentages. Diese Maßnahme hatte in der Arbeiterschaft ganz gegründeten Berbände war die Aufforderung an die Industriellen, Europas   Beachtung gefunden und auf Antrag der Führer der alle Arbeiter auszusperren, die am maitag nicht zur französischen, deutschen und österreichischen Sozialdemokratie wurde Arbeit erschienen. In Hamburg  , in Berlin  , in Leipzig   tam es zu auf dem Pariser   internationalen Arbeiterfongreß beschlossen: schweren Arbeitstämpfen. Die Unternehmer tauschten mit den ,, Es ist für einen bestimmten Zeitpunkt eine große inter  - ftaatlichen Wertstätten schwarze List en der Maijfeiernden aus. nationale Mantfestation( Rundgebung) zu organisieren, Im Jahre 1905 drohten sie mit einer ABC. Aussperrung, und zwar dergestalt, daß gleichzeitig in allen Ländern und in einer Aussperrung aller Arbeiter, deren Namen mit bestimmten allen Städten an einem bestimmten Tage die Arbeiter an die Buchstaben begannen. Mit Arbeitslosigkeit wollten sie die Mai­öffentlichen Gewalten( Behörden) die Forderung richten, den feiernden strafen. Auf beiden Seiten verschärften sich die Gegen Arbeitstag auf acht Stunden festzusetzen und die fäße. Im Jahre 1906 ließen die Unternehmer die ersten gelben" übrigen Beschlüsse des internationalen Kongresses von Paris   zur Ausführung zu bringen.

In Anbetracht der Tatsache, daß eine solche Kundgebung bereits von dem Amerikanischen Arbeiterbund( American Federation of Labor) auf seinem im Dezember 1888 zu Saint Louis   abgehaltenen Kongreß für den 1. Mai 1890 beschlossen worden ist, wird dieser Zeitpunkt als Tag der internationalen Rundgebung angenommen.

Die Arbeiter der verschiedenen Nationen haben sie in der Art und Weise, wie sie ihnen durch die Berhältnisse ihres Landes vor­geschrieben wird, ins Werk zu setzen."

Dieser Beschluß hatte erheblich größere Birtung als der Kongreß erwartet hatte: der neue Tag, den die Internationale der Arbeiter­schaft gesetzt hatte, wurde zum Kampftag.

Der 1. Mai 1890

Bor vierzig Jahren, am 1. Mai 1890, lag in den Hauptstädten der Welt das Militär in Alarmbereitschaft. In den Straßen von Paris  , in den Alleen Wiens fuhren Kanonen auf; in den Billenvierteln, in den Geschäftsstraßen ließen die reichen Bürger die Rolläden herab und auf den Straßen sah man nur Arbeiter, Soldaten und Polizei. In den Hauptstädten tam es zu fleineren Zusammenstößen, in der Provinz zu heftigen Kämpfen. Als die Arbeiter in ihrer Arbeitskluft durch die Straßen zogen, die Fahnen voran und die Mädchen mit Maien in der Hand, schritt das Militär mit entsicherter Waffe neben ihnen. Aus geringfügigen Anlässen erwuchsen Straßenfämpfe.

Der Kampf in der kleinen nordfranzösischen Industriestadt Fourmiers( an der belgischen Grenze) ist von triegsgeschicht­licher Bedeutung geworden. Zum ersten Male wurde dort das Lebel Gewehr und das rauchlose Pulver verwandt. Neun Tote blieben im Kampf; am 2. Mai ließ der Kommandeur noch einen Zehnten erschießen, einen Soldaten, der sich geweigert hatte, auf die Menge abzudrücken, in der er seine Mutter sah. Noch heute nennt der Volksmund den Marktplatz von Fourmiers der Lebel- Platz.

Die deutsche Arbeiterschaft stand noch unter dem Sozialistengesetz. Zwar hatte im Februar 1890 die unterdrückte Sozialdemokratie bei den Reichstagswahlen nahezu Millionen Stimmen erhalten und war damit die stärkste Partei ge­worden, doch die Regierung rechnete mit Zusammenstößen am

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A. Hoffmann

Th. Glocke

Ed. Bernstein

1. Mai und hoffte dann von dem erschreckten Bürgertum eine Ber­längerung des Ausnahmegesetzes zu erreichen. Im Jubel über den Wahlfieg hatten die deutschen   Großstädte Demonstrationen auf den Bormittag des 1. Mai angesetzt. Der Rat der Reichstagsfraktion, sich unter dem Ausnahmegesetz mit Abendfeiern zu begnügen, fam zu spät. Die Feiern im Reich verliefen daher uneinheitlich und nicht in dem Ausmaße, das der Wahlsieg vom Februar erwarten ließ.

Die Folgen

Karl Frohme   Ad. Geck Fr. Kunert Gewerkschaften oiganisieren, um ihre Betriebe trotz Aus­sperrung der Maifeiernden weiterführen zu können. Zumeist wurden die Maifeiernden erst einige Tage später wieder eingestellt, um ihnen durch den Lohnausfall nachdrücklichst klar zu machen, mer Herr im Hause sei. In manchen Industrien fiel der Mai in die Zeit der Hochkonjunktur; die Unternehmer trugen fich daher mit dem Gedanken, die Strafaussperrung in die stille Zeit zwischen Weih­ nachten   und Neujahr zu verlegen.

die

Die alljährlich wiederkehrenden, immer umfangreicheren Mai­aussperrungen belasteten die Gewertschaftsfassen erheblich. Dft mußten einzelne Gewerkschaften auf Durchführung von Lohn­fämpfen verzichten, weil die Kaffe durch die Unterstützung der Mai­feiernden erschöpft war. In den Gewerkschaften kam es daher zu langwierigen Auseinandersetzungen, ob Niederlegung der Arbeit am 1. Mai die Opfer lohne. Die Arbeits­ruhe war eine Demonstration und man stritt darüber, ob einer Demonstration wegen notwendige Lohnkämpfe zurückgestellt werden sollten. Eine Reihe Gewerkschaftsführer sprach sich für Be schränkung der Maifeiern auf Abendfeiern aus oder gar für Ver­legung der Demonstration auf den 1. Sonntag im Mai. Die Gewerkschaftsmitglieder aber hielten an der Feier am d. Mai fest.

Heerschau des Proletariats

Der Maitag war nicht eine Demonstration neben anderen, er wurde zum Tag der Heerschau des Proletariats. In Desterreich, in Belgien   und Preußen, in Italien   und Schweden  , in Rumänien   und Holland   marschierte die Arbeiterschaft für gleiches, Wahlrecht. Am 1. Mai begannen überall die riesigen Demon­strationsstreits für politische Gleichberechtigung. Die Arbeiterschaft, die unbeachtet im Lande verstreut war, tonzentrierte ihre Macht in einer einheitlichen Attion. Urplöglich hatten die Arbeiter eine Form gefunden, in der sie dem Bürgertum ihren An­spruch auf politische Gleichberechtigung zeigen fonnten. Die deutsche Arbeiterschaft hatte schon in den Jahren vorher an Wahltagen im Reiche ihre Stärke erweisen fönnen; doch in den Ländern des Drei­flaffenwahlrechts erreichte der Kampi am 1. Mai seinen Höhepuntt. Das freie Wahlrecht war das Zeichen, in dem am 1. Mai 1906, am 1. Mai 1910 in Preußen Hunderttausende demonstrierten..

Unter dem Belagerungszustand der Kriegszeit wurden die Maifeiern zumeist verboten oder wurden auf Saalfeiern beschränkt. In den neutralen Ländern konzentrierte die Arbeiterschaft ihre An­strengungen, einen Eingriff ihres Landes in den Krieg zu verhindern, auf den 1. Mai. Wohl kaum eine Demonstration hat nachhaltigeren Eindruck hinterlassen als der Zug von 5000 sozialistischen Kindern, die am 1. Mai 1915 durch die Straßen New Yorks  Aufrufe gegen den Krieg trugen.

In der Nachkriegszeit hat die Maifeier vielerorts tief greifende Wandlungen erfahren. In vielen Staaten in Deutsch  in zahlreichen Gemeinden wurde land, in Desterreich, in Italien  

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der 1. Mai zunächst gesetzlicher Feiertag. Doch nach dem Abebben der Durch die Maifeier wurden alle früheren Arbeiterfeste in den revolutionären Welle wurde dem Maitag außerhalb Rußlands   zumeist Hintergrund gedrängt. die staatliche Anerkennung genommen. Nur in Desterreich und in der Tschechoslowatei, in Sachsen  , in Hamburg   und Lübed, in Braunschweig   und Schaumburg- Lippe  ist auch heute der 1. Mai gefeßlicher Feiertag.

In den achtziger Jahren liefen in den Induſtrieſtädten Ameritas am 1. mai zahlreiche wirtschaftliche Verträge ab. Die Arbeiter hatten sich daher in ihren Lohnfämpfen auf diesen Termin Für zahlreiche Länder, so für Spanien  , für Polen  , für Argen eingestellt und wiederholt begannen am 1. Mai große Arbeits- tinien, für Bolivien  , war der Maitag Anlaß zur er sten Organi fämpfe. Am 1. Mai 1883 hatten die Holzarbeiter San Franzistossation der Arbeiterschaft; der Bewegung anderer Staaten sich den Neunstundentag erfämpft, am 1. Mai des folgenden Jahres gab er neuen Aufschwung. Die Massen der Arbeiter Belgiens   und errangen ihn die Holzarbeiter von Los Angeles  . Das Jahr 1884 Englands, Desterreichs und Frankreichs   tamen durch die Maiagitation brachte für Amerika   wieder eine industrielle Strife und damit große in Bewegung. Der Maigedante drang in die entlegensten Gegenden. Arbeitslosigkeit. Eine mächtige Bewegung seßte unter den Arbeitern Den 1. Mai hatte die Arbeiterschaft sich selbst gefeßt. Darin für den Achtstundentag ein, für eine Arbeitszeitverkürzung, die zu lag ihr Anspruch, selbst zu bestimmen, wann Feiertag sein solle und gleich den Arbeitslosen neue Arbeitsmöglichkeiten schaffen sollte. Es mann gearbeitet würde. Durch die Niederlegung der Arbeit wollten wurde beschlossen, am 1. Mai 1886 die Fabriken nach acht die Arbeiter zeigen, daß sie im Betriebe unentbehrlich seien, daß Stunden zu verlassen. An diesem 1. Mai tam es in Chikago zu alle Räder stillstünden, wenn sie es wollten. Das widersprach aber blutigen Zusammenstößen. Noch im Dezember des der Auffassung der Unternehmer, daß sie Herr im Hause gleichen Jahres entstand die amerikanische Arbeiter- Föderation, und im Dezember 1888 entschloß sie sich auf ihrem Kongreß zu St. Louis  zum verschärften Kampf für die Verfürzung der Arbeitszeit. Am 1. Mai 1890 sollte eine verstärkte Propaganda für den Acht­ftundentag beginnen.

*) Unsere Bilder zeigen die noch lebenden deutschen   Genoffen, bie an dem Pariser Sozialistentongres vom Juli 1889 teilnahmen.

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Es war wohl einst am Erften Mal Viel Kinder tanzten in einer Reih Arme und reiche

Und hatten die gleichen Vielen Stunden zur Freude fret

Am Maitag wird es den Feiernden flarer als jemals im Jahr, daß der Kampf um wirtschaftliche Freiheit nicht Selbst­zwed ist, daß er nur notwendige Borbedingung ist für freies Menschentum. Die Feiernden demonstrieren für Ber­fürzung der Arbeitszeit und für den Weltfrieden, doch ihre Demon­ftration ist zugleich Symbol des Kampfes um Befreiung des von der tapatalistischen Wirtschaft gebundenen Menschen Aus den Herzen der Maifeiernden und für sie hat es Richard Dehmel   in einem Gedicht für den Vorwärts" in Worte gekleidet:

Es ist auch heute Erfter Mai Viel Männer schreiten in einer Reih Dumpf Schallt ihr Marfchgeftampf Heut hat man ohne Kampf Keine Stunde zur Freude frei.

Doch fommt wohl einst ein Erner Mal Da tritt alles Volf in eine Reih Mit einem Schlage

Hats alle Tage

Ein paar Stunden zur Freude fret."