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Morgenausgabe Nr. 202

A 102

4?. Jahrgang

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Nevttnev Vottsvlatt

Donnerstag 1. Ma> 1930 Groß-Äerlin 10 Pf. Auswärts 15 pf.

Die e» n i p alti ge Nonparelllezeile SV Pfennig. Reklame'>eile 5. Reichs. moilKleine Anzeigen' das ettge- druckt» Wort 25 Pfennig lzulässig zwei fettgedruckte Worte), jedes weitere Wort 12 Pfennig. Stellengesuch» das erst» Wort IS Pfennig, jedes weitere Won 1V Pfennig. Worte Ober 15 Buchstabe» Ihlen für zwei Worte Arbeitsmaitt leite 60 Pfennig. Familienanzeigen Ze.l« l> Pfennig. Anzeigenannahme iinHaupt» Geschäft Lindenstraße 8. wochentäglich von S>/, bis 17 Uhr.

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Vierzig Jahre erster Mai!

Der Maigedanke. Sein Zweck und sein Ziel. Von Otto Wels Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei Deutsch­ lands . Heute ist der 1. Mai als Volksfeiertag in das Bewußt- fein der Arbeiter in allen Kulturländern übergegangen. Vier Jahrzehnte legte der Gedanke einmütigen Protestes zugunsten des internationalen Schutzes der wertschaffenden Welt nun- wehr als Wegstrecke zurück. Im Achtstundentag errichtete das Volk der Arbeit eine Forderung als Monument, um das die werdende Welt sich sammeln, die Achtung vor der menschlichen Arbeitskraft und der Schutz des Menschenlebens seinen Ausdruck finden sollte. Es war ein Akt von symbolischer Größe, der sich auf dem Internationalen Sozialistischen Kongreß des Jahres 188S zu Paris vollzog. Als solcher wurde und Wird er /'empfunden all die Jahrzehnte hindurch. Das Volk der Ar- best zu einen, es aus der Hörigkeit, der politischen und ökonomischen Knechtschaft herauszuführen, war das Ziel. Die Internationale , erkämpft das Menschenrecht!" Dieser Gedanke erlebte auf dem Kongreß des Jahres 1889 feine Auferstehung. Die erste Internationale war ver- gangen. In sich versunken an innerer Schwäche und im Widerstreit der Meinungen. Nun war die Internationale neu erstanden und gab sich im Maigedanken Leben und Inhalt. In allen Industrieländern gärte und brodelte es. Das Proletariat wuchs an Zahl Und der Erkenntnis seiner Kraft. Klassenbewußtsein begann es zu erfüllen, und es setzte dem Klassenkampf der Bourgeoisie, der Bürokratie und des Feuda - lismus den organisierten Abwehrkampf der unterdrückten Klaffen entgegen. In Deutschland herrschte noch das Sozialisten- g e s e tz, von der Arbeiterschaft innerlich bereits überwunden. Am 29. Februar 1890 erfocht die verfolgte Partei den glänzendsten Wahlsieg ihrer Geschichte. Sie besiegte das Sozialistengesetz und seinen Urheber, Bismarck . So fand die erste Maifeier im Jahre 1890 Deutschlands Arbeiterschaft in einer Stimmung, deren Hochgefühl, nun mit den Arbeitenden aller Welt an einem Tag zu gleichem Zweck verbunden zu sein, in fieberhafter Arbeit ihren Ausdruck fand. Die unterdrückte Organisation, die verbotenen Zeitungen, sie stiegen wieder empor. Neue wurden gegründet. Langsam aber erst fand das Beispiel der einheitlich organisierten Arbeitgeber Nachahmung bei der Arbeiterschaft, die in jener Zeit die Zersplitterung der gewerkschaftlichen Organisationen als ihren größten Feind erkennen und bekämpfen lernte. Der Streit um die Form der Organisation, oblokal" oderzen- tral", zog auch die Partei in seinen Bann, und erst im Jahre 1906 fanden gewisse Gegensätze zwischen Partei und Gewerk- fchaften auf dem Parteitag zu Mannheim ihren Ausgleich. August Bebel , Karl Legten, Ignaz Auer , ihr und vieler anderer Gedenken zwingt sich uns auf, wenn- jene Erinne- rungen wach werden. Eine ähnliche Hochspannung wie zur Zeit der ersten Maifeier erlebte in jenem Jahre 1906 die Welt und in Deutschland vor allem das preußische Proletariat. In Preußen herrschte das Dreiklassen Wahlrecht. Lernet, ihr seid gewarnt", so tönte es den Herrschenden jener Tage entgegen; ums gleiche Wahlrecht ging der Kampf. Oesterreichs Arbeiterschaft hatte es sich im mächtigen Ringen erobert. In Belgien wurde um des gleichen Wahl- rechts willen der politische Massenstreik proklamiert.Wir müssen belgisch reden", das war der Gedanke, der die Massen erfaßte. Es geht ums.,M e n> ch e n r e ch t". Das war das Wort, das die Arbeiter Preußens zu ihren ersten großen Straßendemonstrationen auf den Plan rief. Ueber all dem aber lag der Gluthauch der ersten russischen Revolution. Das Proletariat war in

Maßregelungen und Aussperrungen kennzeichnen den Weg. den der Maigedanke marschierte. Er ist jetzt hinausgewachsen über den Aufgabenkreis, den seine Väter ihm wiesen, und er wird es weiter tun, bis der Schlußsatz des Liedes zur Wahr- heit geworden ist, unter dessen Klängen die Maifeier einst geboren wurde: Die Internationale wird die TItenschheik sein!" /iMAp

Bewegung. In allen Landen. Seine Kraft durfte nicht unnütz verbraucht werden. Die Reaktion, die, übermächtig noch, gleich Rußlands Zaren nach der Gelegenheit suchte, die Arbeiterbewegung im Blut zu ersticken, durfte ihr Ziel nicht erreichen. Stärkt die Organisationen! Ihr werdet unwiderstehlich sein, wenn ihr einig seid! das war die Parole. Die Kadres der politischen, der gewerkschaftlichen und auch der genossenschaftlichen Organisationen stärkten sich um das vielfache. Der Vormarsch begann. Klughest ud Mut, nicht Aberwitz und herostratrscher Größenwahn konnte die Quadern legen, auf denen sich heute das Gebäude der Arbeiterbewegung erhebt. Es gehörte Mut dazu, in jenen ersten Jahrzehnten am 1. Mai der Internationole zu huldigen. Mut und Opfersinn. Dem Ziel entgegm! Von L mi I V» i» e rv e I e- Krüssel, Vorsitzender der Exekutive der Sozialistischen Arbeiterinternationale.

Die tnictnotional« sozialistische Demokratie erlebt gegenwärtig schwere Zeiten, und doch vcrschosst uns dieser 1. Mai 1930 trotz alledem mehr Gründe, mehr Anlaß zur Genugtuung als zur Un- Zufriedenheit und zur Besorgnis. Die Diktaturregierungen bcsinden sich in der Defensive. Die österreichischen Heimwehren imd die polnische Oberstenclique werden im Schach gehalten. Die Arbeitcrregierung Großbritanniens hält sich gut. Die deutsche Sozialdemokratie mit ihrer Million erprobter Kämpfer- bleibt in der Opposition, was sie in der Regierung war, nämlich die stärkste politische Macht des Reiches. In zwei Monaten wird es keine fremden Besatzungstruppen mehr am Rhein geben. Was wir schon 1922 auf unserer Frankfurter Konserenz für die Liquidierung des Krieges forderten, verwirklicht sich schlecht oder recht unter dem Einfluß, den die Internationale auf die öffentliche Meinung und auf die Regierungen zu gewinnen vermochte. Wer aber die Dinge�so sehen will, wie sie sind, und nicht, wie man wünscht«, daß sie seien, erkennt, daß, wenn auch die intcr- nationale �Sozialdemokratie stark genug war, ein« gewisse Liquidierung des Weltkrieges zu erzwingen, sie noch lange nicht soweit ist. die Keim« neuer Kriege zu zerstören und die Gefahr neuer Kriege zu bannen. Das Thema der Vereinigten Staaten van Europa ist zur großen Mode geworden. Die bürgerlichen Politiker konnten nicht umhin, einzusehen, daß ein verzetteltes Europa , dessen einzelne Teile durch protektionistisch« Schranken voneinander streng gesondert sind, das aus der Seite der Siegerstaaten unter der Last erneuter Rüstungen seufzt, die wiederum bei den Besiegten zur Verletzung der Abrüstungsbcstimmungen anreizen, das aus rivalisierenden und feindseligen Rationen besteht, daß ein solches Europa seinem eigenen Untergang entgegenschreitet. Die Ergebnisse der Konserenz für einen Zollwassenstillstand sind ein Trugbild. Die Seeabrüstungskonferenz stellt einen kaum ver- schleierten Mißerfolg dar, und wer würde es wagen, sich hinsichtlich der allgemeinen Abrüstungskonserenz gegenwärtig optimistisch zu Zeigen? Bereits vor mehr als 199 Iahren. bald noch der Völkenchlacht von Leipzig , setzte Saint-Simon , der nicht mir ein Vorläufer des Sozialismus, sondern bezüglich der Vereinigten Staaten von Europa ein Schrittmacher Aristid« Briands war. die unbedingte Voraussetzung auseinander, die«s ermöglichen würde,die Völker Europas zu einem einzigen Gesamtkörper zu- sommenzufasien unter Beibehaltung ihrer einzelnen nationalen Un> abhängigkett". Für ihn war das notwendige Vorspiel zu jener Organisation, die einen wirklichen europäischen Palriolismus schassen würde, ein Bündnis und ein« Staatengemeinschaft der beiden ein- zigen Nationen Westeuropas , die zu jener Zeit die verfassungs- mäßigen Freiheiten errungen hatten, Frankreich und England. Aber

er hiell die Vereinigten Staaten von Europa für eine absolute Unmöglichkeit, solange Europa nicht politisch homogen wäre, d. h. solang« alle Naltonen nicht gleichgeartete, auf der Grundlog« der Freiheit beruhende Institutionen besäßen. Leider sind wir noch sehr weit von der politischen Homogenität entfernt, die eine not- wendige Vorbedingung bildet für die Schaffung eines politischen Körpers in Europa , ähnlich wie die Vereinigten Staaten in der Neuen Welt. Solange es entgegen der ausdrücklichen Bestimmung des Völker- bundftatuts in Europa Völker geben wird, die sich nicht frei regieren, solange man sehen wird, wie sich um den grünen Tisch der Konserenzen neben Vertretern demokratischer Staaten die Be- oollmächtigten von offenen oder verschleierten Diktaturregierungen setzen, für die Aufpeitschung des Nationalismus eine Lebensnot« wendigkeit ist, solang« werden die pazifistischen Glaubensbekenntnisse eine Heuchelei bleiben, und die Versuche zur Schaffung der Ver- einigten Staaten von Europa werden unrettbar fehlschlagen. Wir haben das Recht, zu erklären, weil es eine klare Wahcheit ist, daß die einzige politische Macht, die wirklich, auf- richtig und ohne Hintergedanken von Beherrschung und Hegemonie für den Frieden und für die Völkerver- söhnung arbeitet, die sozialistische Demokratie ist. Ihre Fort- schritte werden maßgebend sein für die Fortschritt« Europas und der Welt auf dem Weg zur politische» Homogenität, auf der Arund- lag« der Freiheit und der sozialen Gleichheit, die die breiten Massen der Völker immer stärker erstreben. Heute vor 49 Iahren, am 1. Mai 1899, erlebte die erstaunte Welt eine spontane Mobilisierung der Kräfte der Arbelterschast, die sich ein doppeltes Ziel gesetzt hatten: die Eroberung des Rechtes auf Erholung durch den Achtstundentag und die Eroberung des Friedens durch die Annäherung zwischen den Völkern! In der Richtung auf dieses doppelte Ziel hat die sozialistische Demokratie schmerzhafte Niederlagen und glänzend« Siege erlebt. Sie hat sich weder durch ihre Sieg« berauschen noch durch ihr« Niederlogen entmutigen lassen. Sie erkennt klarer denn je die Hindernisse, die sie noch überwinden», und die immer wieder auftauchenden Gefahren, denen sie sich noch wird aussetzen müssen. Aber sie ist sich dessen bewußt, daß letzten Endes ihr Weg aufwärts führt, und festen Schrittes schreitet sie durch alle Fährnisse ihrem Ziel entgegen!