Nr. 74.
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Vorwärts
13. Jahrg.
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Redaktion: SW. 19, Beuth- Straße 2.
Soldatenmikhandlungen.
Freitag, den 27. März 1896.
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Expedition: SW. 19, Beuth- Straße 3.
damit auch wir unsere Kenntniß deutscher Volksfitten durch| kommandeurs, des ängstlichen Kompagniechefs, des achtsamen ein interessantes Detail erweitern können. Feldwebels wacht; Gefahr ist im Verzuge. Da verabreicht Alljährlich wiederholt sich mit großer Regelmäßigkeit Aus der Bemerkung des Kriegsministers leuchtet mit ein umsichtiger Kamerad, vielleicht auch ein Unteroffizier, ihm mit bas sattsam bekannte Schauspiel: Abgeordnete unserer Partei, vollster Klarheit hervor, daß, wie so oft im täglichen wie der den Vorgang bemerkt, dem Kolben er Rippenstoß, daß die den Schutz des Volkes und seiner Kinder gegen Aus- in politischen Leben, die streitenden Parteien nicht über einen mit erstaunlicher Ge beutung und Mißhandlung durch die Angehörigen der den Inhalt des strittigen Begriffes übereinstimmen: schwindigkeit auf seinen richtigen Platz fliegt. Nach des herrschenden Klassen zur besonderen Aufgabe hat, bringen Genosse Bebel z. B. versteht und das mit vollstem preußischen Kriegsministers Theorie liegt teine Soldatens eine mehr oder weniger große Zahl von Beschwerden Rechte offenbar etwas anderes unter Mißhandlung", mißhandlung vor. über vorgekommene Soldatenmißhandlungen im Reichs- als der feudale Herr Minister, der den Begriff in seiner In Wirklichkeit aber kann es doch keinem Zweifel tage zur Sprache; dann erhebt sich ein schneidiger schneidigen Manier etwas" zu eng faßt. Für einen Mann, unterliegen, daß hier eine Mißhandlung, wo nicht eine Vertreter Seiner Heiligkeit des Militarismus, um zunächst dem die Angehörigen und Vertreter der größten politischen Körperverlegung mittels einer Waffe begangen ist, die im einmal von vornherein die Sachen als wahrscheinlich ent- Partei Deutschlands nicht bis an die Fußspizen reichen, Strafgesetzbuch( d. h. in dem für" Zivilisten"!) mit hoher stellt" hinzustellen und dann nähere Nachforschungen zu ver- wie er sich so überaus zart ausdrückte, mag es ja von sehr Gefängnißstrafe bedroht ist. sprechen. Und was ergeben diese näheren Nach- geringer Bedeutung sein, wenn ein polnischer oder pommer- Freilich, der arme Teufel, dem vielleicht seine Rippen forschungen? Da hat dann vielleicht nicht ein Unteroffizier scher Rekrut einmal geprügelt geprügelt oder getreten wird; 14 Tage lang schmerzen, wird nicht zu muckſen wagen, vom rten Regiment, sondern ein Gefreiter einen Mann ge- Männer aber, die in jeder Kreatur mit Menschenantlig denn durch das energische Dazwischenfahren seines Nachbars prügelt oder ihm ins Gesicht gespieen oder sonstwie ihn miß das gleichberechtigte Wesen sehen, die fühlen in der ist er wahrscheinlich vor einer schwereren Bestrafung seiner handelt; oder in einem andern Fall ist, attenmäßig festgestellt", Würde des Mitmenschen ihre eigene Würde durch den leisesten Unachtsamkeit oder seiner Unkenntniß( 3 Tage Mittelarrest daß der Mann nicht gepufft, sondern nur geknufft wurde, Schlag schon verlegt. Zwischen diesen beiden Auffassungen oder so etwas) bewahrt worden. Und ebenso sehen die daß er keine Ohrfeige, sondern nur einen Backenstreich er- von Werth und Würde des Menschen liegen Jahrhunderte Kameraden der forschen That" kühl bis ins Herz hinan halten, der ihm auch, wie ebenfalls gerichtlich erklärt" ist, ethischer Entwickelung. Es genügt, einfach zu konstatiren; zu, sind sie doch dadurch vor einer Stunde gemein ,, teinerlei Schmerzempfindung" bereitet hat- und was der aber zu bedenken bleibt, daß dieser Minister nicht nur eine fa men Nachererzierens wegen der That des einzelnen gleichen feine Unterschiede mehr sind. Personals solche ist er für uns sehr unwesentlich gerettet worden. So hat in diesem Falle die Art und Weise Alle diese schönen Dinge werden mit einem Elan und sondern der oberste und zugleich typische Vertreter eines der militärischen Bestrafungen, dies wundersame Gemisch einem satirischen Schwung vorgebracht, dabei in der Regel Systems ist. von Autofratie und Tortur, eine Soldatenmißhandlung genoch mit einer solchen Menge ganz unangebrachter persön- In diesem System, in dieser uns so fremden und zeitigt, die allerdings wenn anders der Kriegsminister licher Spigen durchsalzen, daß der Philister wieder einmal feindseligen alten Welt" und ihrer Ordnung liegen die recht hat das besondere Merkmal hat, daß sie mit Behagen sich über eine„ Niederlage" der Sozialdemo- unausrottbaren Gründe der steter Soldatenmißhandlung. keine ist. fraten freuen tann und beruhigten Herzen darauf schwört, Von vollkommen aufgeklärten und ganz modern denkenden So in diesem, so und anders in unzähligen anderen daß so etwas" gar nicht im deutschen Heere, sondern nur Männern, die im Zwange der militärischen Organisation Fällen; immer und überall aber Konsequenzen eines in der aufgeregten Phantasie sozialdemokratischer Fanatiker sich den klaren beobachtenden Blick nach allen Seiten einzigen mit unserer modernen Kultur im Widerstreit bewahrt haben, kann man häufig das traurige und befindlichen Prinzips. beschämende Zugeständniß vernehmen, daß sich die Ausbildung des deutschen Durchschnittsrekruten ohne Püffe" und Knüffe" nicht wohi denken lasse. Beweist das aber auch nur das allergeringste gegen die Berechtigung unseres energischen und andauernden Kampfes wider die Mißhandlungen? Das wäre ebenso vorschnell, wie falsch geurtheilt. Nein, gerade in dieser Erklärung liegt die denkbar schärffte Verurtheilung eines Systems, das solcher Mittel, sei es selbst nur im Berborgenen und contra leges bedarf.
vorkommt.
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Wie aber verhält es sich in der That darum? Ernst haft zweifelt tein verständiger Mensch, der eine auch nur oberflächliche Kenntniß militärischer Verhältnisse besitzt, daran, daß im stehenden Heere fortgesetzt Soldatenmißhandlungen vorkommen. Gleich hier sei loyal bemerkt, daß Das Herrenhaus trat am Donnerstag nach längerer sie gegen den Willen der oberen Vorgesetzten geschehen, aber Pause wieder zusammen, um den Staats- Haushaltsetat noch die bekannten Erlasse, aus denen dies hervorgeht, so u. a. rechtzeitig vor dem 1. April zu verabschieden. Da das der des Prinzen Georg von Sachsen , beweisen doch eben Haus verfassungsmäßig nur das Recht hat, den Etat im beides: das Vorkommen ebenso wie das Verbot. Nun sagt ganzen abzulehnen oder anzunehmen, und da der Antrag freilich der Kriegsminister, es sei keine Mißhandlung, wenn der Kommission auf unveränderte Annahme lautet, so hätte Kameraden einander einen tüchtigen Puff" gäben; fo Es erforderte den Raum eines großes Buches, wollte das schwere Geschäft in kurzer Zeit erledigt werden etwas fäme auch, ohne daß auch, ohne daß sich jemand darüber man auf alle Gründe der Mißhandlungen eingehen, wollte können, wenn nicht die Agrarier es für angezeigt aufregte, zwischen Arbeitern auf der gemeinsamen Arbeits- man vor allem auch einmal die große, fast untilgbare Schuld gehalten hätten, in der Generaldiskussion einige Reden zum stätte vor. Wir wissen nicht, wo der Herr Gelegenheit ge- unseres Volksbildungswesens daran aufweisen. Hier nur Fenster hinauszuhalten und ihr schweres Herz zu erleichtern. nommen hat, den Verkehr zwischen Arbeitsgenossen auf noch eine kleine Jllustration zu den Anschauungen und Den Reigen eröffnete Graf Mirba ch, der über alles Arbeitsstätten zu beobachten: uns war bisher die Sitte der Aeußerungen des preußischen Kriegsministers. Nehmen wir mögliche, nur nicht über den Etat sprach. Er kritisirte das Arbeiter, durch Fußtritte und Kolbenstöße untereinander zu an, ein Bataillon exerziere und mache seine mannigfaltigen allgemeine, gleiche und direkte Wahlrecht, bei verkehren, nicht aufgefallen, obwohl wir doch auch schon Bewegungen durch; plötzlich, einer besonders das an allem Uebel schuld sei und das es ihm unmöglich hie und da mit Arbeitern in Berührung gekommen sind. schwierigen und unvorhergesehenen Evolution verirrt mache, den Wunsch der Regierung zu erfüllen und eine Bielleicht hat der Herr Minister einmal die Gewogen sich ein armer Teufel und läuft in seiner Verwirrung in große konservative Partei zu bilden, wie sie in früheren heit, die Lokalitäten seiner Studien zu verrathen, ganz falscher Richtung davon. Das Auge des Bataillons Jahren bestanden hat. Jede Partei sei von den großen
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Und die, die diesen Plan erdacht, daß es auch dort erwacht, Ihr sei dies volle Glas gebracht, stoßt an: daß eine frohe Zukunft lacht, unsere Frau Doktorin, hoch!"
Clokilde.( Nachdruck verboten.) Da haben wir's! Zuerst auf die Jagd!" rief der Major als alter Soldat dazwischen, erst gilt es, Quartier Alle hoben ihre Gläser, um mit Clotilde anzustoßen, machen für unsere Frauen und Töchter, damit dieselben die freudig bewegt wieder einmal ihr freudevollstrahlendes ein behagliches Heim, eine geordnete angenehme Häuslich- Geficht zeigte. keit vorfinden. Diese herzurichten sind Sie, Frau Die Majorin, stolz auf den Toast ihres Gemahls, Dottorin, am besten geeignet, und wenn Sie uns begleiten, fügte noch hinzu:" Möge die erste Reise unseres Kindes dann bin ich mit von der Partie, dann reisen wir so bald eine gesegnete werden." als möglich und verleben einen Winter einmal auf dem Die Oberförsterin konnte da nicht schweigen, sie erhob ihr Glas und sprach: Will's Gott, feiert unsere Tochter platten Lande." mit uns gesund und wohl die erste Weihnachten da, wo ihre Mutter den ersten Weihnachtsbaum fah!"
Den Weihnachtsbaum hole ich selbst aus dem Forste, das laß ich mir nicht nehmen", setzte der Oberförster hinzu, ,, wir reisen."
Na, na, soweit ist es doch noch nicht, ich," sprach die Oberförsterin wie gebietend, ich muß zuerst mit hin, und da giebt es noch vorher zu packen und viel zu überLegen."
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Warum? Frische Fische gute Fische," fiel die Majorin ein, ermuntern wir und lassen wir die Doktorin ja bei ihren guten Vorsägen, gönnen wir unsern Männern die Danken wir Clotilde, Ruhe des Landlebens als Nachkur. daß sie diesen Plan angeregt.""
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Der Oberförster ergänzte: Und wo ihr Vater fein bestes Weihnachtsgeschent, eine Braut, erhielt.
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Theodor von Kürdorf sprach hierauf Clotilden noch besonders seinen Dank aus, daß sie seinen, im Stillen längst gehegten Wunsch: die Uebersiedelung seiner Familienmitglieder nach dem Vaterhause zur Sprache nnd zur Reife gebracht habe. Er sei angenehm überrascht gewesen, hier so viel Interesse und Theilnahme für ihn und sein Stammgut zu finden und freue er sich, zum Feste eine Häuslichkeit in seinem Besitzthum anzutreffen, die wohl geeignet erscheine, dauernd zu fesseln. Dabei trafen sich die Blicke Theodor's und Clotilden's wie im stillen Einverständnisse.
War bei ihr eine Wandlung zu gunsten Theodor's in ihrem Innern vorgegangen?
" Ja, und die Stimmung hier wieder in eine heitere umgewandelt hat", sprach der Major. Dabei füllte er, man sah es, mit sichtlichem Vergnügen die Gläser. Dein Wohl! Theodor! Laß uns anstoßen! Dir und Deinem Gute wider Rürdorf wollte sich ihr entgegenkommend gefällig fährt große Ehre. Wir überpflanzen die herzliche Gemüthlichkeit von hier nach dort, ein trauter Kreis hält Einzug in Deinem erzeigen und erwähnte wie nebenbei, nun müsse er wohl die Stammfige, um in der Einsamkeit dort eine Stätte der Freude und Pflichten eines sie begleitenden Zeugen feinlösen, indem er Freundschaft neu zu gründen. Unser belebendes Element sie erinnere, so bald als möglich sich von aller Ungewißheit liegt nicht in der Weltlust, der schönen Gegend oder zu befreien, die Frau Palavi möge sie mit ihm noch heute romantischen Umgebung, sondern in der stillen Zurück- aufsuchen. Clotilde wurde ernsthaft und sah wieder in gezogenheit und dem häuslichen Frieden im trauten Heim, den Brief.
Diese will ich doch benachrichtigen," sagte Theodor, indem er aufsprang, ihr Mann soll sofort mit einem Wagen hier vorfahren. Ist Ihnen dies recht, Frau Doktorin?" " Ja," erwiderte nach einer Pause Clotilde und er hob sich. Theodor eilte, sich mit der Kutschersfrau noch zu vers ständigen, schnell hinaus.
" Sind Sie denn garnicht neugierig," frug die Majorin, was die Wittwe Ihnen eröffnen wird?"
Ach, ich habe zu früh gejubelt," wehklagte Clotilde, Frau Palavi wohnt ja in demselben Hotel, in demselben Zimmer, wo ich einst so unendlich tiefes Weh erfahren, schwer frank, unglücklich und fast irrfinnig geworden war und nur durch ein Wunder dem Tode unter Pferdehufcu entging. Welche Erinnerungen werden in mir wach! Ach!" Eine Thränenfluth erstickte ihre Stimme.
" Die damalige Rettung muß Sie aber heute erst recht zum Dante gegen Gott und zu neuer Zuversicht anfpornen," flüsterte tröstend die Oberförsterin ihr ins Ohr.
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Clotilde blickte auf, erhob sich, ihre Thränen frocknend: Sie haben Recht, ich habe versprochen, mich nie von der Schwäche bezwingen zu lassen, ich will start sein. Ich komme sogleich," rief Clotilde dem wieder eintretenden Theodor zu und dieser fühlte sich reich belohnt durch die dankbaren Blicke, welche Clotilde ihm zuwendete, denn sie sagten deutlich, daß sie froh war, einen so treuen Beistand gefunden zu haben.
Sorge dafür, Theodor," begann der Oberförster,„ daß Clotilde bei dieser Konferenz nicht die Faffung verliert, ihr Seelenschmerz ist ein gewaltiger."
D, sie ist resolut, fie faßt sich schnell wieder," bemerkte der Major, hoffen wir, daß sie durch gute Nachrichten endlich über ihr Schicksal beruhigt wird."
wo jeder bestrebt ist, dazu beizutragen, die Häuslichkeit zu Die Majorin zeigte nach dem Fenster und sagte, dort einer angenehmen zu machen. Wo wir weilen und hinziehen, grüßt wieder die dankbare Kutschersfrau nach den Fenstern da ist die echte Würze des Lebens: das Glück im Hause. hierher, ohne daß sie jemandes anfichtig werden kann. regung."
Wenn ich nur wüßte," setzte die Majorin hinzu, was sie erfahren soll, ich befürchte anstatt Erlösung neue Auf( Fortsetzung folgt.)