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Bürgerblock-Kinanzen. Moldenhauer kündigt Abbau der Arbeitslosenversicherung an!
Die Cinführungsrede des Reichsfinanzministers Dr. Mol- denhauer zum Reichshaushalt für das Jahr 1930 oer- dient in der Oeffentlichkeit größere Beachtung, als sie im Reichstag selbst gefunden hat. Herr Dr. Moldenhauer, dessen Ausführungen wegen ihrer Länge und der wenig anziehen- den Art des Vortrages im Reichstag nur geringe Äufmerk- samkeit fanden, hat Anschauungen oertreten und Absichten angekündigt, die den Gegensatz zwischen der Finanzpolitik der alten Regierung und der Regierung Brüning noch deutlicher erkennen lasten. als das bisher der Fall war. Wie schon früher, so hat sich. auch diesmal Herr Dr. Moldenhauer auf das Finanzprogramm der Regierung Müllei- vom Dezember 1929 berufen und es als einen Weg- weiser für die künftige Finanzpolitik bezeichnet. Er will es aber nur als einen Wegweiser betrachtet misten' in jeneg Teilen, die chm und seinen besitzfreundlichen Freunden passem und picht in jenen, die der Erleichterung der Steuerlasten der G breiten Massen des Voltes dienen sollten. Deshalb wird die Behauptung, die jetzige Regierung führe das Finanzpro- gramm der früheren Regierung durch, auch durch ihre Wiederholung nicht richtiger und beweiskräftiger. Selbst wenn man davon absteht, daß- durch die Verschlechterung der Wirtschaftslage und. der öffentlichen Finanzen, die Grundlagen für das Dezemberprogramm ins Wanken gekommen sind, so bleibt doch die Tatsache bestehen, daß die frühere Reichsregierung mögliche Steuersenkungen allen Gruppen der Steuerzahler gleichmäßig zunutze kommen lassen wollte, während die jetzige Regierung nur an einem Abbau der Besitz st euer« denkt, trotzdem die sogenannten Mastensteuern noch in der letzten Zeit haben wesentlich er- höht werden müssen. Daß Herr Dr. Moldenhauer sich dieser Schwäche seiner Argumentation durchaus bewußt war, zeigt die Tatsache, daß er erst durch sozialdemokratische Zwischenrufe gezwungen werden mußte, dem Reichstag mitzuteilen, daß der seit vielen Monaten dem Reichsrat durch die Reichsregierung vorgelegte Gesetzentwurf über die Senkung der Einkommensteuer nicht an den Reichstag weitergeleitet werden soll. Man will also die Lohn- und Gehalts- empfänger um die ursprünglich ihnen zuge- sagte Senkung der Lohn st euer bringen! Selbst wenn diese Senkung der Einkommensteuer gegen- wärtig nur unterbleiben soll, well eine Senkung der Real- steuern für vordringlicher gehalten wird, so muß man doch verlangen� daß die Regierung die Verantwortung dafür offen übernimmt und nicht mit dem unwahren Hinweis auf die Haltung der früheren Regierung zu vertuschen sucht. Roch klarer trat der antisoziale Charakter der Bürger- blochregierung in den Ausführungen hervor, die Herr Moldenhauer über die Arbeitslosenversicherung machte. Si« waren geeignet, denjenigen recht zu geben, die in dem umkämpften Kompromiß mehr als eine Verhältnis- mäßig geringfügige Angelegenheit erblickten. Denn in Kon- sequenz dieses Kompromisses, das von den Sozialdemo- traten abgelehnt, aber vom Bürgerblock angenommen worden ist, kündigte Herr Moldenhauer in kaum noch mißzuver- stehenden Worten den Leistungsabbau an. Da nun einstwellen sowohl die Leistungen der Arbeits- losenversicherung als auch die Darlehnspflichten des Reiches gesetzlich festgelegt sind, kann die Ankündigung des Mi- nisters nur so verstanden werden, daß die Einbringung eines Gesetzes bevorsteht, das den Abbau der Arbeits- losenversicherung zum Gegenstand haben wird. Ueberflllsstg zu sagen, daß eine solche Gesetzesvorlage die heftigsten innerpolitischen Kämpfe zur Folge haben müßte. Kämpfe, wie sie feit vielen Jahren nicht mehr erlebt worden sind. Indes haben wir die Absicht, uns, in dieser Angelegenheit mindestens ebenso an Herrn Steger wald zu halten, wie an Herrn Moldenhauer. Das Zentrum hat in diesem Reichs- tag die Schlüstelstellwig. und Herr Stegerwald ist Arbeits- minister. Herr Stegerwald soll zeigen, ob er die Interessen der Arbeiter mit derselben Energie zu verteidigen gewillt ist wie sein Vorgänger im Amte, der Sozialdemokrat Wissell. Moldenhauers Finanzrede fand erfreuliäic-weise sofort eine schlagkräftige und rhetorisch wirksame Entgegnung in einer großen Rede unseres Genosse» Hans Vogel . Seit
Grillenberger, Auer und Richard Fischer ist im Reichstag nicht mehr so gut bayerisch-sozialistisch gesprochen worden wie gestern. Im Zentrum spitzte man die Ohren— und es war ganz gewiß kein Zufall, daß alsbald dem sozial- demokratischen Bildhauer aus Franken der chrislliche Schreiner aus Baden Joseph E r s i n g entgegentrat. Dieser hatte so viel damit zu tun, die Angriffe Vogels abzuwehren, daß er weder in der Frage der Arbeitslosenversicherung, noch in der des Panzerschiffes L zu einer klaren Erklärung kam. Genosse Vogel hatte übrigens nicht von Herrn Ersing, sondern von Herrn Brüning und dem Kabinett eine Er- klärung über das Panzerschiff B verlangt. Herr Brüning mag überlegen ob er die im Namen der sozialdemokratischen Fraktion gestellte Frage beantworten will oder nicht. Auf alle Fälle darf er überzeugt sein, daß nicht nur sein Reden, sondern auch sein Schweigen politische Wirkungen haben müßte. In der folgenden Debatte bemühte sich der Volksparteller C r« m e r, zu den vielen schon oorhandeiien Scherben
wenigstens nicht noch neue hinzuzufügen, während sich der Kommunist Torgler , Weltrevolutionär, der er ist. desto munterer als politischer Topfschläger betätigte. Possierlich, dieses Bemühen der Kommunisten, ihren Kampf gegen die sozialdemokratische Opposition weiter zu führen, ohne dabei indirekt zur Hilfstruppe der Regierung zu werden. Die regierende bürgerliche Mitte sieht schmunzelnd zu. Heute soll noch im Plenum geredet werden, und dann will man im Haushaltsausschuß den Stier gleich an den Hörnern packen und schon am nächsten Dienstag den Wehr- etat vornehmen. Und wie dann weiter? Im Lager der drittstärksten Regierungspartei, der Demokraten, rollt man schon die Mäntel. Die um Westarp stehen in Opposition zu Hugenberg , aber auch, so oersichern sie, zu Brüning. Keiner fühlt sich gebunden, jeder will die andern bmden. Arbeits- losenversicherung, Panzerschiff, Osthilfe stehen als drohende Wolken am Himmel, und im Reichstag unterhält man sich über die Frage, ob die Regierung Brüning erst im Herbst am Ende sein wird oder schon früher.
Etaisdebatte im Reichstag. Moldenhauers Ctaisrede- Vogels Antwort.
Der Reichstag hat am gestrigen Freitag nachmittag seine Vollsitzungen wieder aufgenommen und die 1. Lesung des Halts» Halts 1930 begonnen. Reichsfinanzminister Dr. Moldenhauer: Im Jahre 1929 sind 50 000 neue Ansprüche aus Dersorgungs- renten erhoben worden. Das-st sicher«in« Folg« der schlechten Wirtschaftslage: die Betroffenen versuchen, ihre Krrnkheiten auf den Krieg zurückzuführen und eine Rente zu erlangen. Dl« steuerliche Ueberlastung war eines unserer Hauptargumente im Kampf um die Reparation, um so unerläßlicher ist die Steuersenkung, deren Rot» wendigkeit bereits die vorige Regierung anerkannt hat. Der Haus- halt 1930 muß völlig in sich gedeckt sein, um die Steuersenkung zu ermöglichen. Seit 1926 hatten wir ständig Defizite. Die Wirkung der neuen Steuern ist noch nicht bekannt. Die Großunlemehmen versuchen, die erhöhte Umsaßsteuer aus die cieseranken abzuwälzen. (Hört, hört! rechts.) Die schwebende Schuld des Reiches soll durch Umwandlung in längerfristig« Schatzanweisungcn konsolidiert werden. Es wird dann 1931 möglich sein, mindestens 600 M'llionen Aus. gaben zu Steuersenkungen zu sparen. Die Jnduskriebelaskung kann trotz dem goung-Dlaa noch nicht sorlsallen,. das Finanzprogramm vom Dezember 1929 will diese Belastung erst nach 5 Iahren beseitigen. Die Botschaft des Reichspräsidenten strebt die Heranziehung der IndustGbelaslung zur Hilfsaktion für die Landwirtschaft an. Es soll angestrebt werden, die Arbeitslosenversicherung spätestens 1931 frei vom Reichs. Zuschuß zu machen oder zumindest den Zuschuß auf 100 Millionen jährlich zu be- grenzen. Dann soll de« Realstcuersentung beginnen. lAbg. Keil (Soz.): Wo bleibt die versprochene Einkommensteuersenkung») In dem Kampiamiß, dem die Sozialdemokratie zugestimmt hat, war vereinbart zunächst einen Gesetzentwurf über die Senkung der G-- werbesteuer auszuarbeiten. Die jetzige Regierung hat die Grundlagen dieses Kompromisses beibehollen.(Abg. Keil(Soz.): Ich kenne dieses Kompromiß nicht!) Wenn die So zialdc-no traue emeai Kompromiß zunächst zugestimmt und es dann abgelehnt hat. kennt sie doch seinen Inhalt!(Gelächter bei den Regierungsparteien.) Mit den Läicherregierungen zusammen soll versucht werden, die Kreditnahme der Kommunen aus die Günstigkcit der Kretytoerbin- düngen hm zu prüfen und zu veranlassen, daß die Privatwirtschaft- l'.chcn Kreditnehmer nichl benachteiligt werden. Steuersenkung und endgültiger Finanzausgleich find unsere wichtigsten Aufgaben.- d:- natürlich nicht in einem Jahre gelöst werden können. Die Auffassung hat viel zu weit« Kreise ergnsfen daß die Fürsorge für den einzelnen Sache des Schates ist. Der einzeln« muß zum Gedanken der Selbst- Hilfe erzogen werden.(Zwischenrufe bei den Sozialdemokraten) Der Minister geht dann auf einzelne Etatpositionen«in. Ein« Be» schlechterung des Etats von der Ausgabonseite her darf auf keinen Fall stattfinden, Di« von der.Konjunktur abdänolgzn Knsgaben für Arbeitslosenversicherung und Krisenfürsorge, die sich zuletzt sehr ungünstig entwickelt haben, zwingen zu einer endgültigen Sanierung der Reichsanstall für Arbeitslosenversicherung. Das Osthilfe- Programm, da» in den Grundzügen von der alten Regierung ge-
schaffen worden ist, liegt noch nicht fertig vor. Es hält am Gedanken der Siedlung fest und stellt somit produktive Fürsorge dar. (Sehr richtig! rechts.) Seine Grenzen findet es an der unbedingten Notwendigkeit der Balancierung des Etats. Das Problem der Äus- gabensentung ist am dringendsten. Eine Einschränkung der Zahl und des Ilmsangs der Reichs- behörden und ihres Perfonalstandes. die auch aus Länder und Kommunalbehörden ausgedehnt werden muß, soll begonnen werden. Alle Sparmaßnahmen sind Flickwerk, wenn nicht das große werk der Reichsresorm endlich kommt. (Sehr richtig! b. d. Regierungpart.) Auch der Sozialetat muß noch Möglichkeit dem Prinzip der festen Begrenzung der staatlichen Aus» gaben unterworfen werden. Der Etat ist unverändert von der vorige,, Regierung übernommen, Abweichungen entsprechen nur Reichstags- beschtüssen.(Zurufe der Kommunisten: über das Panzerschiff B.) Auch die vorige Regierung war mit der Aufstellung eines Flotten- bauprogramms einverstanden. Abg. Vogel(Soz.): Da kurz vor den Osteiferien«in« finanzpolitische Auseinander- sctzung geführt worden ist, sieht meine Fraktion im Augenblick von einer mehr zahlenmäßigen Besprechung des Etats ab, die sie im Aus- schuß vornehmen wird. Dringend notwendig ist aber die Betrachtung der allgemeinpolitischen und besonders der innerpolitischen Lage. Die Gegenwart erinnert an die Zeit von 1923/24. Damals kämpften die Deutschnationalen, wenigstens SOprozentig. gegen die'Annahme des Dawes-Planes, und im letzten Jahr sind sie gemeinschaftlich mit Hitler, Seldte und Düsterberg gegen den Paung-Ptan angerannt. Jetzt wie damals handelte es stch um die Neuregelung der Repa- rationsleiftungen, mit der diesmal allerdings die Befreiung der be- setzten deutschen Gebiete verbunden ist. Diese Ausgabe war ohne Mitwirkung der Sozialdemokratie nickt zu lösen, damals wie heute ist die Sozialdemokratie die stärkste innerpolilische Macht, die hinter der Dolstik der TZölkerocrständi- gung und damit auch der Reparalionserleichleruog und der Desremiuz steht. (Sehr wahr! bei den Sozioldemokraten.) Wir sind hinter dieser Politik auch gestanden, als wir Oppositionspartei waren. Wie wir überhaupt gewöhnt sind, auch als Opposition rein sachlich Stellung zu nehmen.(Lärm rechts.) Daran können sich andere Parteien ein Beispiel, nehmen!(Sehr gut! links.) Die Annahme des Dawes-Planes hat den Wea frei gemacht für die erste Bürgerblockvegierung. Der Drang nach Koalition mit den Deutschnationalen war damals beim Zentrum und bei der Volks- parte! so stark, daß selbst tne Dezemberwahlen von 1924 mit ihrem starken Ruck noch links diese Partelen nickt von dem Bündnis mit den Deutjchnationalen abhalten konnten. Auch ietzt wieder handelt es sich um die Berteklung der Lasten aus dem Weltkrieg, jetzt aber darum, zu wessen Gunsten die Entlastung erfolgen soll, und schließ- lich um die Berteilunq der Soziallasten. Schon längst vor der Beschlußfassunq über das Poung-Gefetz wurde die Solidarität aller bürgerlichen Parteien und ihre gemein- same Gegnerschait gegen die Sozialdemokratie immer deutlicher. Daiür zeugen alle die heftigen Auseinandersetzungen auf winichaft- lichem, finanzpolitischen, und sozialpolitischem Gebiet, wobei Sie das Schlagwort von der Produktivität der Wirtschast als Kulisse tze-