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Beilage

Sonnabend, 3. Mai 1930

Der Abend

Die neue Schule

Spédausache der Verwrite

Eine architektonische Studie/ Von Fritz Karsen  

Die Erinnerung an den Schulbau, in dem sie ihre Jugend ver bracht haben, pflegt selbst bei den begünstigsten Menschen, die in einer Großstadt aufgewachsen sind, nicht erfreulicher zu sein, als die Erinnerung an die Schule selber. Gehen Sie nur heute einmal in eines der Schulhäuser in Alt- Berlin, laufen Sie wie­der die alten Korridore entlang, treten Sie ein in die Klassen mit den alten Bänken, den kleinen Fenstern und dem engen vis- à- vis, genießen Sie den Lärm, der von der Straße heraufschallt, oder das Lied des Orgeldrehers vom Hofe, gemischt mit dem lieblichen Ge­räusch der Teppichflopfer, atmen Sie tief die ganze staubige, muffige Luft dieses Schulhauses ein, gehen Sie auf den Schulhof, wo sich jene Räumlichkeiten befinden, die sehr mit Unrecht Toiletten genannt werden und wirklich nur Abscheu erregen, Lassen Sie bei Ihren Schritten den Staub auf dem Spielplatz aufwirbeln-, dann umfängt Sie wieder ganz jene Atmo­sphäre der Schule mit ihren Gerüchen, Geräuschen und Gefühlen, die Sie im Grunde nie vergessen hatten. Und Ihnen ist es, als ob jeden Augenblick aus einer dunklen Ede leibhaftig einer jener Lehrer oder der gewaltige Reftor resp. Direktor selber auftauchen könnte, an die Sie sicher nicht in jedem Fall mit Liebe zu­rüddenken!

In diese Schulen gehen noch heute Ihre Kinder. Der Krieg und die schlimme Nachkriegszeit haben es bei uns unmög­lich gemacht, daß viele Schulhäuser ge= baut und die Forderungen, die wir Pä­dagogen an ein neues Schulhaus ftellen, erfüllt wurden. Es erweckt in einem Neid, wenn man liest, daß New York  jeden 13. Tag im letzten Jahr eine neue Schule eröffnen konnte, und zwar eine Schule, die in ihren Dimensionen durch­schnittlich unsere Schulbauten bei weitem übertrifft.

Sie werden mit Recht sagen: Um alle die Mängel abzustellen, an die ich Gie erinnert habe, bedarf es doch wirk­lich feines Pädagogen. Auch der mo= derne Baumeister weiß heute, daß er in dieser Weise nicht mehr bauen darf. Er wird heute schon von sich aus für einen Bau sorgen, der allen moder­nen Forderungen der Hygiene entspricht. Er wird selbst helle, luftige Korridore, helle, durchsonnte Massenräume bauen, wird die Schule abseits vom Verkehr

legen, wird mit einem Wort dieselbe glückliche Atmosphäre schaffen, die heute in den neuen Siedlungen vor der Großstadt er­strebt wird und durch die diese Siedlungen sich so wohltuend von den Mietkasernen der Innenstadt abheben.

Das ist tatsächlich Ihr Eindruck, wenn Sie heute eine der neuen Schulen besichtigen, die im wesentlichen Leistungen der Architekten sind. Ich empfehle Ihnen, um nur einige Beispiele zu nennen, in Berlin   einmal die neue Bolksschule in Schlachtensee oder die Dorotheen- Schule in Köpenick  , die Mag Taut ge­baut hat, zu besuchen, oder die an sich so einfache Volksschule Haefelers in Celle  , oder irgendeine der neuen Schulen in Frankfurt   a. M.-, etwa die in der Siedlung Römerstadt. Schon der flüchtige Eindruck der weit aufgerissenen Fassaden, in denen Glasfenster neben Glasfenster steht, und des strahlend hellen Inneren, spricht zu Ihnen deutlich von dem Wandel der hygienischen Auffassung, der sich in dem letzten Menschenalter, besonders stark seit dem Weltkrieg, vollzogen hat.

Aber damit sind die Pädagogen noch nicht zufrieden. Alle die Fortschritte, die die Pädagogik in den letzten Jahrzehnten gemacht hat, verlangen Anerkennung auch in dem äußeren Gewand, das das neue Jugendleben braucht, in dem Schulhaus. Darum bemühen sich, seit es wieder möglich ist, neue Schulhäuser zu errichten, alle größeren Lehrervereine, den zuständigen Stellen ihre Vor­schläge zu unterbreiten, um jenen Zustand der Ferne zwischen Architekt und Schulmeister, dem wir die alten Schulen zu verdanken haben, für immer zu überwinden. Es soll gewiß nicht wieder vor­kommen, daß auf dem Bauamt ein Album mit numerierten Schul­hausgrundrissen liegt, aus denen einer nach dem vorliegenden Be­darf ausgewählt und ausgeführt wird. Es ist zu verstehen, daß der sehr aktive Leipziger   Lehrerverein, der ein sehr Lesenswertes Heft über Schulbauten herausgegeben hat, es sich nicht wieder gefallen lassen will, daß Hochbauämter bauen und es nach­her den Lehrern überlassen, wie sie sich mit dem Bau abfinden. Die Leipziger   Lehrer verlangen vor jeder Phase eines Schulbaues zur Begutachtung herangezogen zu werden. Sie erwarten, daß die Baukosten nicht von vornherein so begrenzt werden, daß die be­gründeten Forderungen der Lehrerschaft nicht durchgeführt werden fönnen. Sie empfehlen vor Errichtung jedes Baues das Studium auswärtiger Schulneubauten, fie fordern vor allen Dingen, der baulichen Gestaltung die von der Lehrervertretung aufgestellten Raumanforderungen zugrunde zu legen, und verlangen schließlich in jedem Bauabschnitt die ständige Fühlung nahme mit bevollmächtigten pädagogischen Gutachtern.

Ich kann mich bei diesen Vorschlägen freilich des Gefühls nicht erwehren, als ob hier die Zusammenarbeit von Baumeister und Schulmeister doch ein wenig zu bürokratisch organisiert wird. Der 3dealfall der gegenseitigen Hilfe der beiden Fakultäten ist sicher dort gegeben, wo ein Baumeister und ein Kollegium, für das er baut, gemeinsam einen Bau planen, gemeinsam ihn in jeder Einzeiheit durchführen.

Wenn heute diese Zusammenarbeit nur felten flappt, fo liegt zweifellos der größere Teil der Schuld an den Pädagogen. Immer wieder hört man von den Baumeistern die Klage, daß sie ein untiares Programm bekommen haben, daß sie bei der Einzeldurchführung auf sich selber angewiesen waren. Es gibt unter ihnen solche, die sich selber zu halben Schulmeistern ausgebildet

haben und dann aus eigener Kraft auch pädagogisch so wertvolle| Einzelheiten gebaut haben, wie die Männer vom Hochbauamt Frankfurt   a. M.: der Stadtbaurat May, der Professor Elsässer und der Regierungsbaumeister Schütte.

Daß die Schulmeister so unzureichende Angaben über den ge wünschten Neubau machen, liegt zweifellos daran, daß die Be­finnung auf die pädagogischen Forderungen in einer weltanschaulich so zerklüfteten Zeit viel schwieriger ist, als die Anerkennung der neuen architektonischen Forderungen, die bereits in hohem Grade Allgemeingut geworden sind. Dennoch ist es möglich, auch heute schon aus den Tendenzen der neuen Schule Klarheit über die bau­lichen Notwendigkeiten zu gewinnen.

Diese Tendenzen lassen sich zusammenfassen in den drei Worten: Einheitsschule, Arbeitsschule, Gemeinschaftsschule.

Unter Einheitsschule versteht man im allgemeinen eine einheitliche Organisation des gesamten Schulwesens. Sie ist in hohem Grade durdygeführt in den Vereinigten Staaten   von Ame­rifa, sie wird in anderen Formen heiß erstrebt mindestens von den führenden Ländern Europas  ; denn die Demokratie verlangt, daß jedem Staatsbürger das gleiche Recht auf die ihm gemäße Bildung

gegeben wird.

Wie

Sie werden mit Recht fragen: Wie soll sich ein solcher organi saforischer Gedanke, der sich doch auf das gesamte Schulwesen bes zieht, in einem einzelnen Bau ausdrücken? Es ist richtig, daß das nur ganz selten bisher der Fall sein kann. Sie haben im letzten Jahr sicher mehrfach in den Zeitungen gelesen, daß Berlin   in einigen Jahr sicher mehrfach in den Zeitungen gelesen, daß Berlin   in einigen Bezirken große Komplexe, die aus mehreren einzelnen Schulen be stehen, aufzuführen beabsichtigt. In Lichtenberg   z. B. baut man auf einem großen Grundstück eine Berufsschule, ein Lyzeum und eine Mittelschule. Der Grund für eine solche Zusammenlegung ist zunächst ein rein äußerer, ökonomischer. Es leuchtet jedem ein, daß eine derartige Zusammenfassung gewisse bauliche Ersparnisse mit sich bringt. Aber sollte man nicht noch einen Schritt meiter­gehen und auch einen inneren Zusammenhang zwischen den Schulen herstellen, die man äußerlich zusammenlegt? wäre es, wenn man einen ganzen Bezirk schulisch zusammenschlösse und von der Grundschule angefangen bis zur Universitätsreise und bis zum Eintritt in die verschiedenen Beraje den Schülern an der= selben Stelle Lerngelegenheit und damit auch leichte Uebergangs­möglichkeit von der einen Schulart zu einer ihnen gemäßeren ande­ren gewährte, wenn man sogar das ganze Schulsystem unter ein­Damit wäre dann an einer Stelle die heitliche Leitung stellte? Einheitsschule durchgeführt. Bekanntlich ist dieser Versuch an der von mir geleiteten Schule in Neukölln gemacht worden. Als der Plan für unseren Neu­bau ausgearbeitet wurde, da war der Architekt Bruno Taut   mit mir darüber einig, daß die Einheitlichkeit des Aufbaus auch im Aeußeren der Schule zum Ausdruck kommen müsse. Also dürfte es keine Scheidung in Volksschule, Mittelschule, höhere Schule usw. geben, sondern der Bau mußte flar drei Abschnitte zeigen: Die einheitliche Grundschule, die nach zwei Seiten differenzierte Mittel­stufe und die in fünf, ja, sechs Abteilungen gegliederte Oberstufe. Ja, es mußte sogar der innere Sinn der Gliederungen schon aus dem Aeußeren einleuchten; denn anders stellt sich der sprachlich theoretische Teil der Mittelstufe dar, als der praktische mit seinen um einen Hof gelagerten Werkstätten, anders die künstlerische Ab­teilung der Oberstufe, als die gymnastische mit ihren Hallen und Spielplätzen. Und doch geht durch alle der einheitliche Gang in der zusammenhaltenden Form des Halbkreises, gleichsam als Sym­bol der inneren Einheit aller differenzierten Teile.

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Nach dieser Richtung der Einheitsschule handelt es sich bei der geplanten Schule am Dammweg um einen Sonderfall. Das Prinzip der Arbeitsschule aber wird sich in allen Neubauten Geltung verschaffen. Das bedeutet zuerst, daß das Bauprogramm der Neubauten gegenüber den alten Schulen außerordentlich er­weitert wird. Auch die Volksschule fann sich nicht mehr mit den Die Sammelschrift Das einfachen Klassenräumen begnügen. Berliner   Schulwesen" enthält die von der Berliner   Deputa­

tion für das Schulwesen aufgestellten Richtlinien für solche Pro­gramme. Danach würde eine Doppel- Volksschule nicht nur Klassenräume, sondern auch Spezialräume für Erd- und Pflanzen­funde, Zeichen- und Werfunterricht, Musik, Bücherei, Lehrmittel und verschiedene Lehrer- und Amtszimmer umfassen. Ferner für beide Schulen gemeinsam allein elf naturwissenschaftliche Räume, einen Schulsaal mit Vorraum, ein Zimmer für Schülerspeisung, Brauseräume, Umkleideräume, Trockenräume usw.

Der Uebersicht halber habe ich hier auch die Räume aufgeführt, die anderen als bloß den Bedürfnissen der Arbeitsschule genügen. Wenn nun dieses Prinzip die Notwendigkeit der Fachräume beweist, so liegt die Erwägung nahe, daß die sogenannten Heim­

räume, die ja zunächst neben den Fach­räumen bestehen bleiben sollten, sehr häufig unbenutzt sind. Es würde also ein sehr tostspieliger Leerlauf entstehen. Be­fanntlich hat man diesen in Amerika  , und zwar am vollständigsten in Detroit  , dadurch überwunden, daß man nur noch Fachräume fennt, welche die Schüler ein mal am Vormittag und einmal am Nach­mittag in einem ganz bestimmten Rhyth­mus tauschen. Die Häuser sind dann so eingerichtet, daß Das Gleichgewicht zwischen den in den verschiedenen Fach­räumen zu verbringenden Zeiten auch in gleichen Bauabschnitten zum Ausdruck fommt. Es ist selbstverständlich, daß jeder Neubau, den wir aufführen, diese Rationalisierungsbestrebungen aufnehmen und durch das System der Fachklassen den Leerlauf auf ein Minimum herab­setzen muß.

Es genügt natürlich nicht, die Um­wandlung so einfach vorzunehmen, wie es geschehen ist, nämlich einfach die H im­flaffenräume in Fachklassen umzutaufen. Jedes Fach hat seine eigene Tech­nit, braucht sein eigenes Werkzeug. sein eigenes Arbeitsmaterial. Das Ar­beitsverfahren ist ferner bei den verschie denen Altersstufen verschieden. Demgemäß bedürfen die Räume ganz verschiedener Einrichtung und Einteilung, differenzierter auf der Oberstufe als auf der Mittelstufe usw. Allgemein gilt, daß das Arbeitsverfahren entsprechend dem in einer gut geordneten Werkstatt kooperativ organisiert sein muß und nicht in der herkömmlichen Form, wo jeder einzelne | nach dem Geheiß des Lehrers zu gleicher Zeit dasselbe denkt und tut. Die wechselnde Anordnung der Schüler, die gemeinsam an ver­schiedenen Stellen des Raumes ein Werkstück anfertigen, verlangt gleichmäßige Belichtung im ganzen Raum, der Arbeitsraum braucht Oberlicht. Schon die zweiseitige Belichtung, wie sie bei den einhöfigen Frankfurter   Schulen durchgeführt ist, ist nur ein Not­behelf aus Rücksicht auf die Kosten der schwierigen Oberlicht­konstruktion, obwohl unvergleichlich besser als die einseitige Links­belichtung der herkömmlichen Klasse mit ihren Bankreihen. Aus dem Prinzip der Arbeitsschule ergibt sich dann folgerichtig die Not­wendigkeit der Flachschule.

Wenn findige Stadtbauräte geglaubt haben, mit der Fachklasse eine neue Sparmöglichkeit entdeckt zu haben, so werden sie enttäuja, t sein über die Forderungen, die sich aus dem driften Prinzip der Gemeinschaftsschule ergeben. Man kann die Heimräume nicht ein­fach weglassen, ohne daß ihre Funktion, in der Klasse ein gew ss s Zusammengehörigkeitsgefühl zu erzeugen, durch andere Räume auf­genommen wird. Daher müssen die neuen Schulen Räume ent­halten für Bersammlungen, Vorführungen, sern.r Büchereien, Speiseräume usw. Erfüllen diese Räume die positiven Bedürfnisse einer Gemeinschaft, die unter den heutigen sozialen Verhältnissen sich bis in den Nachmittag hinein in der Schule aufhält, so ist es mindestens ebenso wichtig, daß der neue Bau alle jene Hemmungen des Gemeinschaftslebens ausschließt, die unsere alten Schulen so unerträglich machen. Ich erwähnte im Anfang, wie der moderne Baumeister dem Pädagogen schon vor arbeitet, indem er die Forderungen der Hygiene, die Forderung nach Licht, Luft und Ruhe musterhaft erfüllt. Andere Störungen aber fann er nur vermeiden, wenn der Pädagoge ihn bei der Dr­ganisation des Baues Schritt für Schritt berät. Es muß eindeu ig flar sein, wie die Bewegung der Schüler sich in dem ganzen Bau und in seinen einzelnen Teilen zu vollziehen hat und allein voll­ziehen kann, namentlich für die Lage der Garderoben, der Gemein­schaftsräume, die Aufteilung der Turn- und Schwimmhalle. Dadurch allein schon fönnen die meisten Möglichkeiten, Unfug zu treiben, die das alte, winklige, unübersichtliche Schulhaus den Schülern gibt, vermieden werden. Und die Einsetzung der Lehrerautorität, die die Gemeinschaft stört, wird überflüssig, da die Ordnung sich selbst tätig einstellt. Wie wertvoll in dieser Hinsicht, daß er Flachbau die Schüler unmittelbar aus der Klasse ins Freie en läßt!

In Frankfurt   a. M. hat man es begriffen, und auch die Schule am Dammweg soll es beweisen, daß eine Schule, lie wirklich eine Gemeinschaft ist, mit der Gesellschaft ihrer Zeit und Umwelt in Verbindung stehen muß. Die Schule, die in die groß städtischen Siedlungen über Grünflächen fast unmerklich übergeht und andererseits deren Bewohner gleichsam in sich hineinzieh, ist ein Ausdruck der neuen Stellung der Schule in der Demokratie.

Solche Schulbauten müssen trotz der gespannten Finanzlage schon in nächster Zeit recht zahlreich entstehen! Denn sie sind un­bedingt nötig. Die Schilderung, die ich im Anfang von den Zu­ständen in vielen Berliner   Schulhäusern gab, ist eher noch zu rosig. Es heißt, Berlin  , das von 1914 bis 1924 nicht Schulen bauen konnte, sei wieder einmal auf zwei Jahre dazu nicht in der Lage. Ver­zweifelt fragt man sich: Was gibt es wichtigeres als die Gesundheit der Jugend, warum muß gerade an dieser gespart werden?