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Ttr.ZiO* 47. Jahrgang
1. Beilage des Vorwärts
Mittwoch, 7. Mai 1930
Das schiefe Haus an der Fischerbrßcke.
Schiefe* SfrtfjtrrfVl'cn weisen»tele Städte auf; Pisa   mit feinem schiefen Turm ist dadurch weitbekannt; warum sollte unsere Aaterstadt zurückstehen? Zwar das Bauwerk, das wir in der Zeich- nunz zeigen, tritt rtich eben durch Meisterhastigkeit seiner Archtektur hervor, es wäre völlig unbekannt und unbeobachtet geblieben, wenn nicht eben seineSchiefheit" wäre. Die ist allerdings so hervor- ragend, daß selbst der aufmerksam« Betrachter kaum noch einen geraden Balken entdecken kann. Trotzdem ist das Gebäude bis auf den letzten Platz bewohnt, und seine Bewohner sollen sich recht wohl suhlen. Es hat jedenfalls mehrere Jahrhunderte siegreich überstanden, und anscheinend hat die Baupolizei gegen sein« Existenz nichts ein- zuwenden. Zwar der Schriftsteller Barnberger, durch dessen Sorm- tagsführungen durch W-Berlin  (veranstaltet vom Bezirksamt Schöneberg   ab 10.30 Uhr Spittelmartt) wir das chaus kennenlernten, warnt in seiner launigen Werse   sein« Zuhörer vor Betreten des Hauses; aber alle folgen ihrem Führer auf den Hof eben im Ber  - trauen auf die Behörde, die sogar ein Bewohnen zuläßt, können sich dann allerdings eines gewissen ängstlichen Gefühls nicht er» wehren.Die Kiste sieht doch zu wackelig aus." Die ersten Stützen, das große stützende Andreaskreuz, das, wie die Zeichmrng zeigt, den in den Hof hrneiitragenden Giebel hält, bekam das Haus bereits vor 140 Iahren, also etwa zur Zeit der Franzö- fischen Revolution. Was hat fa ein altes Gemäuer alles erlebt! Zwei weitere Stützen wurden notwendig, die schützende Dachpappen- fiekleidung hängt in Fetzen herunter. Schließlich kam ein genialer Schlosser aus die glänzende Idee, durch zwei Eisenstangen den weg- sackenden Giebel an den Hauptteil zu ketten. In der Mitte erhielten die Stangen ein Gewinde, und durch cm« Schraube, die nachgezogen werden kann, wird die nötige Spannung erzeugt. Auch die Fassade zur StraßeAn der Fischerbrücke" zu, macht einen mehr alz alter- tümlichen Eindruck, der Putz will absolut nicht mehr am Mauer- werk haften. Aber sonst ist die moderne Zett mit ihrer Hygiene eingezogen. Die Toiletten sind zwar in einem Holzschuppen auf dein Hof, haben aber Wasserspülung. Und so wird das alte Gemäuer, nun schonhistorisch" geworden, hoffentlich erhalten. Es ist eben doch
mehr als altes Gerumpel, macht es doch wie kaum ein onderez die Entwicklung Berlins   zur Weltstadt deutlich.
Vor 140 Jahren wurde die erste Stutze angebracht.
Aaiionalsozialistische Gemeinheiten. Verleumdungen unter dem Schuhe der Immunität. Wir berichteten ausführlich über den feigen Feuerüber» fall Berliner   Hakenkreuzler aus Angehörige des Reichs- b anner? Schwarz-Rvt-Gold m Röntgental am 5. Mörz dieses Jahres, bei dem der völlig unbeteiligt«, den Kommunisten nahestehende Arbeiter Kubvm beim Bersasson einer Mieterversammlung durch einen Schuß getötet und drei Angehörige des Reichsbanners durch Schüsse verletzt wurden. Die eingehenden polizeilichen Ermittlungen haben einwandfrei ergeben, daß der Zusammenstoß von den ausdrücklich aus Berlin.  zu diesem Zweck herbeigerufenen nationalsozialistischen Derstärkungs-- trupps provoziert wurde, und daß die Schüsse nur von den Nationalsozialisten abgegeben worden sein können. Mit einer nicht mehr zu überbietenden Frechheit sucht der von dem Rcichstagsabgeordneten Strasser herausgegebeneNationalsozialist" dem Reichsbanner die Blutschuld zuzuschieben. Nach der wahrheits- widrigen Darstellung des Blattes soll der Reichsbannerkamerad Ge­nosse Fleck am Z. März in Röntgental einen Ueberfall von Reichs- bannerleuten auf Hakenkreuzler inszeniert haben. Fleck sei deshalb
verhaftet worden, die Hakenkreuzler aber feien sämtlich unschuldig. Tatsache ist, daß Fleck niemals verhaftet oder vorläufig sestgenawmen oder auch nur verhört worden ist. Das Strasser-Blatt selbst gibt zu, daß der Zusammenstoß vor den, BersanmÄungslotal des Reichs­banners stattfand. Zur Bemäntelung des Umstand«, daß nur Gegner der Hakenkreuzler durch Schüsse zu Schaden kamen, versteigt es sich zu der unsinnigen Behauptung, daß die Reichsbanner- leute sich gegenseitig beschossen hätten. Der kommende Prozeß wird hoffentlich volle Warhcit über die wahren Schuldigen bringen._ Kampf den Nazis! Der Ortsverein Tiergarten des Reichs- banners Schwarz-Rvt-Gold veranstaltet am heutigen Mittwoch, dem 7. Mai. 20 Uhr, in den Arminiushallen, B renter Straße 7273, eine öffentliche Bcrsammiung mit dem Thema: Kampf den Nazis! Es spricht Reichstagsabgeord- neter Kamerad W e st p h a l. Eintritt 20 Pig. Erwerbslose Mit- glieber republikanischer Parteien oder Berbäitde frei! Der Spiel- inannszug Tiergarten spielt vorher von 13.30 Uhr bis 20 Uhr auf dem Zftminiusplatz. Erscheint m Massen! Sprechchor für Proletarische Feierstunden. D>« Ucbungsstunde findet in dieser Wo6)e nickst an, Donnerstag, fondern am Freitag statt. Es wird für die Soniuveiidfeier geübt.
Erdbeben fordert 6000 Tote! Eine Stadt völlig zerstört. Religiöse Demonstrationen. L v ud v», 6. Mai.  (Mgenbericht.) a>« Erdbebenkatastrophe in Indien   soll nach den hier vorliegenden Berichten annähernd 6V00 Todesopfer gefordert haben. Der größte Teil der Opfer ist in Pegn zu verzeichnen, einer Stadt von etwas über 11000 Einwohnern, die vollständig zerstört worden ist. I« Rangoo« wurde die Wendagoopagode. eines der siebe» Weltwunder, die in, sechsten Fahr hundert erbaut wurde und deren Kuppel aus reine u» Gold besteht, schwer beschädigt. Der indische« Be Völkern ng hat fich angesichts der Katastrophe eine awßerordentliche Erregung bewSchtigt, die zu neuen Zwischenfällen und Zusammenstößen beitragen kann. Da die Verbindungen mit Rangoon   unterbrochen sind, liegen keine genauen Einzelheiten Über das Unglück vor, doch ergibt sich aus den verschiedenen indirekten Meldungen etwa folgendes Bild; Ans die Erdstöße folgte eine Springflut und der Ausbruch von Feuer. Pegu ist völlig vernichtet. Rangoon   hat zum Teil sehr schwer gelitten. Etwa 30 Gebäude wurden zerstört; die weltberühmte Schwe Dagon Pagode wurde beschädigt. Dem Hauptbeben ging «ine Anzahl kleinerer Erderschütterungen voraus. Di« große Eisenbahnbrück«.? Kilometer nördlich von Pegu auf der Hauptfiuis nach Mandalay   wurde zerstört. Die indischen Extremssten. die in dem Erdbeben eine Strafe für die Verhaf­tung Gandhis   selten, haben in Rm�oon große refigiösc Demo nftrati oiten abgehalten. 700 Arbeiter durch Feuersbrunst arbeitslos. Brandlatastrophe in Amerika  . Rem Dort. 6. Mai.(Eigenbericht.) Eiue Braudkatastrophe in Rafhuaia(Rew-Hampshice) führt« zur Zerstörung«km 260 Gebäuden. Vau der Kata­strophe sind haupssächlich Arbeiter betroffen, die an dem obge- brunuleu Stadtteil ansässig und nur natdürstig versichert waren. Der Bürgermeister der Stadl hat einen Aufruf zur Unterstützung der Nokleidenden erlassen. 7 00 Arbeiter wurden durch die Kata- strophc arbeitslos. Opfer der Spielleidenschast. Selbstmord eines Berliners in Zoppoi. D a n z i g. Mai. Der aus Berlin  -Eharlolleuburg stammende bZjährige Dr. jur. Ewald Z o h n k e hat sich in Zoppak in den Anlagen der Mlhclm straße durch einen SchußindenMundgekölet. Der Gruvd zu der unglückseligen Tat liegt in den zerrültÄcn Familienverhätt- nisten. Frau Zohnke ist eifrige Bcsucherin des Zoppatcr Spielklub« und befand sich, als mau ihr die Nachricht vom Selbstmord ihr« Mannes überbringen wollte, gerade am Spieltisch. Der kuastsonds der Stadt Berlin  . Eine Korrespondenz ver­breitet die Nachricht, die Stadt Berlin   habe sich infolge der sinan- ziellen Notlage gezwungen gesehen, im neuen Haushaltsplan den
Kunstsonds völlig zu streichelt. Diese Meldung entspricht nicht den Tatsachen. Der Magistrat hat in dem Etatentwurs lediglich «ine Herabsetzung des Postens zum Ankauf von Kunstwerken
von 400 000 M. aus 300 000 M. vorgesehen. Di« Deputation hat sich mst der Vorlage noch nicht beschäftigt.
Ich versichere Ihnen, daß Herr Rist bei voller Vernunft ist. Das find alles nur diese vermaledeiten Zeitungsartikel." Ist das wirklich wahr? Oder wollen Sie mich nur trösten? Ich muß alles erfahre», ich bin ja doch die einzige, die wirklich ein Anrecht darauf hat. Sprechen Sie, erzählen Sie. ich flehe Sie an darum! Leidet er jetzt wirklich an schwerer Tuberkulose?"' Keine Spur. Das ist ja alles Unsinn." Und er darbt auch nuht? Und er hungert nicht?" Wenn Sie allen Quatsch glauben, der in Dagens Ryheder steht, dann ist Ihnen nicht zu helfen, Fräulein Sandel. Glauben Sie wirklich, daß ich meine Häftlinge ver- schmachten lasse? Dann fragen Sie mich doch bitte auch, ob ich wirklich von geradezu sadistischer Grausamkeit bin, wie Fräulein Hosting sich auszudrücken beliebt." Wer ist Fräulein Hasting?" Die Korrespondentin von Dagens Nyheder. Haben Sie denn nicht gelesen? B. H.   Das ist Birgit Hasting, immer wieder nur Birgit Hasting." ..Ach dann meinen Sie, daß Dagens Nyheder nicht ganz die Wahrheit sprechen?" Ja, das meine ich." Dann ja dann dann entschuldigen Sie bitte, ich möchte Ihnen Ihre kostbare Zeit nicht länger rauben ich glaube Ihnen, daß mein Bräutigam nicht wahnsinnig ist und nicht schwindsüchtig nehmen Sie mir bitte ein M'ß- trauen nicht übel und grüßen Sie meinen Bräutigam und dann fahre ich wieder nach Hause." Halt, holt, liebes Fräulein, so schnell geht das nicht. Was fällt Ihnen ein, gleich wieder davonzulaufen! Sie wallten doch Ihren Bräutigam eben erst noch befreien" Ja. aber ich glaube Ihnen. Sie sind sicher nicht von geradezu sadistischer Grausamkeit. Ich sehe es Ihnen an. fgie werden sein« Unschuld sicher auch ohne wich herausfinden. Entschuldigen Sie also mochmols und besten Dank und auf Wiedersehen?" »Halt, hall, find Sie dam ganz des Teufels. Ich werde
Si« jetzt doch nicht einfach wieder davonlaufen lassen.'Nein, nein, Fräulein Sandel, das gibt es nicht. Sie wollten uns doch dringliche Mitteilungen machen. Sollten diese Mit- teilungen sich nur auf«inen wahnsinnigen und tuberkulösen Bräutigam beziehen und bei einem normalen und gesunden keine Geltung mehr haben?" Ja." Fräulein Sandel, Sie haben sich selbst freiwillig zu einer Aussage gemeldet. Ich werde Sie jetzt etwas fragen und Sie haben mir darauf zu antworten: Halten Sie Ihren Bräutigam für unschuldig oder nicht?" Mein Bräutigam hat mir Treue geschworen, und ein Mann wie mein Bräutigam bricht seine Schwüre nicht." Wenn ich aber hier, sehen Sie, in diesem Aktenbündel mehrere Aussagen von verschiedenen Frauen habe, daß er sie oerführt, belogen, überfallen und Gott weiß was noch hat es tut mir leid, Ihnen das mitteilen zu müssen was sagen Sie dann dazu?" ,T) es nicht wahr ist." Das ist eine etwas einfache Erklärung." Alle diese Frauen sind böse, daß er sich nichts aus Ihnen gemacht hat. Alle diese Frauen lügen. Ich allem, ich kenne meinen Bräutigam. Er ist so zart, daß er es kaum gewagt hat, mich zu küssen. Kann ich jetzt gehen?" Nein, zum Donnerwetter! Setzen Sie sich, setzen Sie sich sofort wieder hin." Was wollen Sie denn noch von mir?" Ich will, daß Sie dableiben, daß Sie solange dableiben, bis es mir gelungen ist, Torben Rist aus einem Gespenster- gewebe von Lügen und Verleumdungen zu befreien. Ich w'll. daß Sie mir dabei helfen. Verstanden! Schon hat sich einiges, was gänzlich unerklärlich schien, aufgehellt. Vielleicht gelingt es uns. Licht in die Sache zu bringen. Sie können jetzt nicht einfach davonlaufen. Sie müssen mir helfen, seine Unschuld zu beweisen. Ich muß nur rasch noch dieses Tele- gramm durchlesen. Entschuldigen Sie einen Augenblick, dann sprechen wir weiter"
Fräulein Maria Sandel, so leid es mir tut, ich sehe mich gezwungen, Sie im Auftrage der Polizeidirettion von Oslo   m Haft zu nehmen. Sie sind dringend verdächtigt, mit ihrem Bräutigam, dem Bankdefraudanten Tharwald Stirrs im Bunbe zu sein und Norwegen   fluchtartig verlassen zu haben." Das Protokoll wird abgebrochen. Kgl. Amtsgericht Sändrup, 15. Juli 1929. gez. H. G. Iatobieu.
Radiogramin. richter jakobfen sändrup amtsgericht abgängig fett vierzehnten dieses maria sgndel stop reist unter paß auf sandel stop blond zöpfe dreiundzwanzig jähre be­sondere Merkzeichen keine mittelgroß stop dringend ver- dächtig Mitwisserschaft an bankdefraudation stop erbitten wenn möglich sofortige Verhaftung stop torben rist nach Photos sicher identisch mit thorwald stirre stop bantdefrau- dant aus oslo   stop bräutigam der sandel stop vermitten sandel sändrup stop erbitten auslieferung stirre sandel stvp Polizeidirektion oslo  . Protokoll aufgenommen mii dem TJntersuehu.net gefangenen Torben Rist, rede Thorvald Bürre. Herr Thorwald Stirre. ich habe Ihnen mitzuteilen, daß die Polizeidirektion Oslo Ihre Auslieferung von uns ver- langt hat." ,L> Gott, o Gott!" .Herr Stirre, Ihre Braut Maria Sandel   ist vor wenigen Minuten ebenfalls auf Aufforderung der Palizeidircktion Oslo   van mir in Haft genommen worden." Sie ist unschuldig. Sie hatte von nichts eine Ahnung. Ich schwöre es bei meiner Liebe zu ihr. Aber was soll denn das alles heißen? Wo bin ich denn? Und wie konnten Sie Maria in Hast nehmen?" Sie war hergereist, um Ihnen zu Hilfe zu eilen." Sie ist hier? Hier in diesem Hause? Herr Untersuchimgs- richter, ich flehe Sie an, ich will alles gestehen, alles, alles, ich habe genug gelitten, ich ich lassen Sie mich Maria sehen, lassen Sie sie mir sprechen, ein paar Worte nur, o Gott, was wird sie von mtr denken." Ihre Braitt ist von Ihrer Unschuld ich meine natür ­lich wir van Ihrer Unschuld auf der Insel überzeugt, Her,: Rist Herr Stirre. Weinen Sie doch nicht. Sie sind ja ein Mann. Sie können doch nicht so fürchterlich wckinen. Ich werde Sie mst Fräulein Sandel zusammenführen, sowie unser Protokoll hier zu Ende ist. Ich muß dann sofort mtt Oslo   telephonieren. Also nehmen Sie sich zusanrmen." Diese Schande, diese entsetzliche Scliande!" .�tetzt passen Sie auf. Sie müssen mir nur ein paar Fragen beantworten, dam, können Sie mit Ihrer Braut sprechen, natürlich nicht allein, sondern im Beisein einer Amtsperson. Weinen Sie nicht so jämmerlich. Ich kann das nicht aushalten" (Fortsetzung folgt.)