Morgenausgabe
Nr. 216
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47.Jahrgang
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Sonnabend
10. Mai 1930
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Bentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands
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Eine Programmrede in Breslau .
Breslau , 9. Mai. In einer Bertrauensmännerversammlung der Zentrumspartei sprach heute Reichskanzler Dr. Brüning in seiner Rede u. a. aus: Der Young- Plan mit den schwierigen Komplikationen für die Innen- und Außenpolitik hat uns monatelang in großem Maße in Anspruch genommen. Die Zentrumspartei hatte das Verlangen gestellt, daß man nicht einfach den Young- Plan annehmen solle, der so viele Bedenken in sich schloß, sondern daß man gleichzeitig audy wenigstens einen Teil der innenpolitischen Konsequenz ziehen solle. Weshalb ist das Kompromiß von den Sozialdemokraten im lehten Augenblid abgelehnt worden?
Angeblich wegen der Befürchtungen in bezug auf die Ar beitslosenversicherung. Erst die nächsten Monate weiden darüber Aufklärung bringen, was die Sozialdemokraten veranlaßt hat, damals aus der Regierung zu gehen. Gicher ist das eine, daß der Schritt, den die Reichstagsfraktion gemacht hat, nicht von der Sozialdemokratischen Partei gebilligt wurde. Nun wird es Außenstehende verwundert haben, daß gerade nach der Kabine tsbildung sich schlagfertig eine scharfe Agitation der SPD - Presse zeige. Die Sozialisten hatten sichtlich ein Interesse daran, die Fehler der Politik der eigenen Fraktion durch Angriffe gegen die übrigen Parteien möglichst vor den eigenen Wählern zu verdecken.
Die SPD - Preffe hat das aber in einer Form und in einem Ausmaß getan, das mit der Wahrheit oft auf stärkstem Kriegsfuß stand.
Es ist mir nicht leicht geworden, die Führung zu übernehmen, tenn ich mußte, welch ein schwieriger Weg für die Zukunft zu gehen ist. Es geht nicht mehr so weiter, daß die Regierung aus mancher lei Schwierigkeiten heraus nicht mehr die Politif macht, sondern daß die Poluit in den Frattionsverhandlungen gemacht wird.
Eine Regierung muß den Mut haben zu führen und entschlossen sein, mit allen Mitteln dafür einzutreten, daß das zur Rettung des deutschen Volkes als notwendig Erfannte auch tatsächlich parlamentarisch durchgeführt wind.
Der Blid des deutschen Boltes, der vorher nach dem Westen gerichtet war, muß sich nunmehr dem Osten zuwenden; wir haben zunächst den Wiederaufbau der sehr schmer daniederliegenden Landwirtschaft im deutschen Osten im Auge. Man fann nicht mit fleinen Summen helfen, sondern man muß schrittweise die Wirtschaft des deutschen Ostens wieder aufbauen. Das Agrar programm ist der neuen Regierung von den Deutschnationalen nicht aufgezwungen worden!
Wie ungeheuer verschuldet die östliche Landwirtschaft ist, wissen Auswirkung verhindern, und es gilt weiter,
zu einer Sanierung des gesamten Grundbesitzes im Osten zu tommen.
Wir müssen auch zu einer Gesundung der kommunalen Wir müssen auch zu einer Gesundung der tommunalen Finanzen fommen.
Die Erwerbslosenfrage werde die neue Reichsregierung
ganz besonders beschäftigen. Sie werde eine Reihe von Maßnahmen zu treffen haben, um den Arbeitsmarkt, vor allem den Baumarft, in Gang zu bringen. Dazu gehöre vor allen Dingen
die Aufhebung der Kapitalertragssteuer für die feftverzinslichen
Papiere,
die den 3wed haben, billige Pfandbriefzinsen und damit billige Hypothefenzinsen herbeizuführen.
An der Kontinuität unserer Handelspolitit müsse unbedingt festgehalten werden. Desgleichen habe das Reichskabinett den deutsch polnischen Handelspertrag verabschiedet. ficherung müsse das Reichstabinett jetzt herangehen. Es sei zu Auch an das große Problem der Erwerbslosenver nächst auch in diesem Sommer mit einer erheblich höheren Erwerbs lofenziffer als in den vergangenen Jahren zu rechnen. Kapital jei aber nicht vorhanden, da für langfristige Anlagen das Vertrauen fehle. Es müsse deshalb eine sparsame Finanzpolitif ge macht werden, damit das Vertrauen zurückkehre.
Das zwinge uns aber noch, für die Erwerbslosenversicherung in diesem Jahre erheblich höhere Mittel aufzubringen. Der Reichstanzler hob zum Schluß hervor, in welcher schwieri. gen Lage sich das Rabinett angesichts der scharfen Opposition der Rechten und der Linken befinde.
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Entscheidend ist, im Parlament nicht zu gestatten, der Berant wortung auszuweichen, sondern es zu zwingen, die Berantwortung zu übernehmen.( Lebhafter Beifall.) Ich bin überzeugt, daß der Pessimismus gegenüber dem Parlament nicht machen wird, sondern ganz im Gegenteil, der Glaube an das Parlament wird wachsen, und das brauchen wir, um wieder gesunde Ber hältnisse herbeizuführen.
Die verwerfliche Agitation von rechts und lints fann man am besten dadurch beseitigen, daß man ganz flare parlamenta. rische Verhältnisse herbeiführt und die Parteien zur rische Verhältnisse herbeiführt und die Parteien zur Verantwortung zwingt. Es geht nicht an, daß immer die Mittelparteien gezwungen sind, allein einspringen zu müssen. Ohne parlamentarische Verantwortung ist es nicht möglich, zu einer Gesundung der Verhältnisse zu kommen.
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Herr Brüning beschwert sich über die scharfe Opposition alle. Es gilt, Maßnahmen zu treffen, die eine solche katastrophale der Sozialdemokratie. Die Schärfe der Opposition iſt begründet durch die Taten der Regierung Brüning . Worin besteht im wesentlichen die Agitation der Sozialdemokratie gegen das Kabinett Brüning? In der Aufzählung feiner Taten und in der Enthüllung der Methoden, mit denen Dies Kabinett Mehrheiten und Beschlüsse zusammenbringt. Es sind die eigenen Taten und die Selbstzeugnisse aus dem eigenen Lager, die Herr Brüning so schmerzhaft emp findet. Daß über seinem Kabinett unauslöschlich das Wort des Herrn Schlac steht:„ Das reattionärste Rabi nett feit der Revolution" das ist seine eigene Schuld!
Die Förderung der Neu- und Anliegersiedlung muß hierzu mithelfen. Es tommt darauf an, daß wir im Osten die Bevölkerung nicht nur erhalten, sondern vergrößern und ver mehren, damit gleichzeitig der nötige Absazmarkt für die östliche Industrie geschaffen werden kann. Die gesamte gesetzgeberische Aftion muß in den Rahmen eines meitzielenden Programms für die nächsten Jahre hineingestellt werden.
Die Arbeiten der SAJ.
3wei Kommiffionsberichte fertiggestellt. Bon den in Berlin gegenwärtig arbeitenden Kommissionen der Sozialistischen Arbeiterinternationale haben bisper zwei ihre Arbeit beendet, die Kommiffion für die Kriegsgefahr im Nahen Osten , die unter dem Vorsitz von Friedrich Adler tagte, und die Kommission für die Abrüstungsfragen, deren Tagung Albarda Holland präsidierte. Die Berichte beider Kommissionen werden der Sonntag beginnenden Tagung der Erefutive der SAJ. vorgelegt werden.
Heute nachmittag tritt unter dem Vorsitz von Bandervelde das Büro der SAI. zusammen.
Frick provoziert.
Deftige Angriffe gegen Groener.
Gotha , 9. Mai. ( Eigenbericht.) Anläßlich der bevorstehenden Stadtverordneten. wahlen in Gotha hielten die Nationalsozialisten hier am Frei tag abend drei Kundgebungen ab, zu denen sie Anhänger aus ganz Thüringen kommandiert hatten. In einer der Versammlungen sprach der Butschist und thüringische Boltsbildungsminister Frid. Er
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griff insbesondere den früheren Reichsinnenminister Severing und den Reichswehrminister Groener megen thres Rampfes gegen nationalsozialistische Einflüsse in der Polizei und Reichswehr heftig an. Wenn man demnächst in Thüringen in der einen oder anderen Stad: Nationalsozialisten zu Polizeidirektoren ernennen würde, würde man sich von Berlin nicht hineinreden faffen. Alles Uebel tomme von der Reichshaupt stadt, wo man eine geradezu schamlose Tributpolitit treibe. Die Nationalsozialisten hätten es gar nicht notwendig, die Berfassung zu stürzen. Dies geschehe von allein, und dann wür den die Nationalsozialisten ihre Macht antreten. Sehr zu begrüßen seien die Neuwahlen in Sachsen , damit dort die Nationalsozialisten ans Ruder gelangen würden und man dann durch einen mitteldeutscher Block, gebildet durch Thüringen und Sachsen , in Berlin mehr noch als bisher ein entscheidendes Wort mitreden
fönne.
Drufag Berhandlungen in Moskau . Direktor Dittloff von der deutschen Drufag. Ronzession in Rußland , der seit einiger Zeit zur Leitung der Frühjahrs. faattampagne im Ronzessionsgebiet meilte, ist in Moskau ein getroffen, um mit der Sowjetregierung über die Weiterführung des Ronzessionsbetriebes zu verhandeln.
Bostichedkonto: Berlin 37536.- Bankkonto: Bank der Arbeiter, Angestellten und Beamten. Wallstr 65 Dt Bu Disc.- Gef.. Depofitentafle Lindenstr. 3.
Gefahr im Osten!
3ft ein polnisch- russischer Krieg möglich? Von Felix Zeelens, Außenminister a. D., Riga .
Mit Ausnahme, der italienisch- französischen Beziehungen weisen die internationalen politischen Verhältnisse in West europa für die nächste Zukunft eine Tendenz zur Stabilität und zum Frieden auf. Aber wenn wir die Verhältnisse in Osteuropa betrachten, so sehen wir trotz des äußeren Friedens eine Situation der Unsicherheit und sogar der Kriegsmöglichkeiten. Und dieser Frage muß das gesamte internationale Proletariat die größte Aufmertfamfeit zuwenden, weil der europäische Krieg von 1914 nicht nur die großen imperialistischen Gegensätze der Weststaaten als Ursache hatte; eine gewisse historische Rolle haben auch die nationalen und politischen Gegensäge in Südosteuropa ( Balfan) mitgespielt.
Gegenwärtig stehen im Zentrum des osteuropäischen Friedens und auch der Kriegsmöglichkeiten die polnischrussischen Divergenzen. Weder Rußland noch Bolen sind imperialistische Staaten im Sinne der ökonomifchen Expansionsnotwendigkeiten zum Verkauf von Waren und Anlage des Kapitals in ausländischen Gebieten. Und doch bestehen politische Gegensäge zwischen diesen Staaten, die in einer gewissen Situation einen Kriegstonflikt auslösen fönnen.
Die Grenzen Polens , die im Jahre 1921 im Rigaer Friedensvertrag zwischen Polen und Rußland gezogen wurden, gründen sich nicht auf das nationale Prinzip, mie das in den Friedensverträgen zwischen Finnland , Estland und Lett land einerseits und Rußland andererseits der Fall war. Bolen hat gewiffe größere fremdstämmige Gebiete, die son Weißruffen und Utrainern bewohnt sind, eingegliedert. Diese Grenze als solche ist dennoch nicht eine Ursache der Kriegsmöglichkeiten zwischen dem tommunistischen Rußland . und Polen . Die Frage der Revision der Ostorenze Bolens würde eher ein nichttommunistisches Rußland aufwerfen und womöglich mit Waffengewalt Korrekturen fordern.
Und trotzdem find in den Beziehungen zwischen Sowjetrußland und Polen wichtige Momente, die zum Kriege führen fönnen. Beide Staaten werden diktatorisch regiert, wobei die Diktatur sich im Grunde auf Militärmacht stützt. Die öffentliche Meinung ist als Friedensfaltor ganz oder teilweise ausgeschaltet, und über Krieg und Frieden entscheiden tleine Gruppen von Männern, in deren Mentalität sehr start das Moment des inneren und äußeren Prestige mitspricht und nicht die realen Interessen der Nation ausschlaggebend sind.
Die Macht politit, die militärische Dentart hat ihre innere Logif, die zu gewissen Attivitätstonsequenzen treibt. Das Entstehen des europäischen Krieges hat das zur Genüge bewiesen. Betrachten wir furz das machtpolitische Denken der ausschlaggebenden politischen Fattoren Sowjetrußlands und Bolens und die fonkreten Möglichkeiten und deren Auswirtun gen. Die machtpolitische Dentart der Sowjetherrscher ist bes fannt. Im Prinzip ähnelt sie derselben Methode, die in der großen Französischen Revolution große äußere Kriege auslöfte: Apporter avec les bayonnettes au Monde la liberté, l'egalité et la fraternité."( ,, An der Spitze der Bajonette der Welt die Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit bringen.") In den ersten Jahren der bolfchemistischen Revo lution, als die realen Möglichkeiten der Weltrevolution mehr oder weniger unflar waren, war auch diese Methode der Weltrevolutionsmacherei mit Machtmitteln eine Bedrohung des Friedens seitens Sowjetrußlands. Gegenwärtig, mo für jeden, auch für die Kremlherrscher, flar ist oder flar sein soweit stabilisiert haben, daß eine Weltrevolution im sollte, daß in Westeuropa die sozialpolitischen Verhältnisse sich bolschemistischen Sinne ausgeschlossen ist, ist auch eine attivistische Kriegspolitik der Sowjetherrscher gegenüber Wefteuropa bzw. gegenüber feinen westeuropäischen Nachbarn ( baltischen Staaten und Bola) nicht realpolitisch möglich. Ein Spielraum für die Auswirkung einer bolichemistischen Unterftügung der Revolution wenn auch nichtkommunistischer Revolution und indirekten Intervention ist wohl freigeblieben, nämlich in Asien , hauptsächlich in Indien . Die tiefe wirtschaftliche Krisis, die Sowjeteine Ursache zur Abschwächung der außenpolitischen Machtrußland aus verschiedenen Gründen gegenwärtig erlebt, ist attivität Rußlands . Mehr noch. Das gesamte wirtschaftliche Leben Rußlands ist- hauptsächlich durch die unvernünftige Agrarpolitik gründlich errüttet, was in der Verforgung der Städte mit Nahrungsmitteln zum Ausdruc tommt. Die Beziehungen zwischen Land und Stadt, zwischen Bauern und Arbeitern sind nicht nur gelockert, sondern in einen tiefen Gegensatz geraten. Ernste Bauernunruhen, hauptsächlich in der Utraine, find durchaus nicht aus geschlossen, sondern vielleicht sehr möglich.
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Die Triebfraft zu aktiven Unruhen in der Sowjetukraine ist nicht nur die Unzufriedenheit der Bauern mit der Wirtschaftspolitik der Kommunisten, sondern es spielt