Kr. 216* 47. Jahrgang
*1. Beilage des Vorwärts
Sonnabend, 40. Mai 4930
Wochmiute
Ausflüge In Ali-Landsberg. Große Ereegmsie werfen auch in kleinen Städten chre Schatten voraus und so erscheint Alt»Landsberg schon heut« in dem Eck/muck der Embleme, die sein TOOsöhrigcs Dasein verkünden sollen. Zu Pfingsten wird das Fest selbst gefeiert werden. Ilm 1230 unterwarfen die Markgrafen den Barnim , und auf einer vorhandenen Wendenschanz« erstand die deutsche Burg — der ..Landsberg '— ein vorgeschobener Posten zur Sicherung des neu gewonnenen Gebietes. Und wie es so geht: das wirtschaftlich« Interesse verband stch bald mit dem politischen— die Orte an den damaligen chandelsstratzen gewannen früh Stadtrechte und hielten ihre Bedeutung aufrecht, solange der Sandweg und die Chaussee noch nicht vom Schienenwege abgelöst waren. Dann wurde der durch eine Nebenbahn bei der Station choppegarten an die Berlin — Küstriner Strecke angeschlossene Ort eine kleine, geruhsame Stadt. die freilich in der Neuzeit als Schnittpunkt der Autoweg« von Norden nach Süden und Westen nach Osten Sonntags Lärm genug empfängt, um davon die Woche über zu zehren. Mit ihren 3000 Einwohnern wird sie von dem am Anfang der Kleinbahn liegenden �Dorf' Neuenhagen (ebenfalls 3000 Einwohner) bald übertroffen werden. Di« zentrale Lage zwischen Blumberg — Wer neuchen , dem Blumenthal und choppegarten ist heute, wo alles auf Berlin hinzielt, nicht mehr ausschlaggebend. So sind denn auch die Wahrzeichen der alten Beste— Tortürme, Mauer- rcste— nicht von den bekannten„Beriehrserfopdernissen' beseitigt worden— darin in kleinem Maßstabe dem Borbilde Bernaus folgend, dessen Stadtaltertünckichkeit freilich in der l1vrg«bung Berlins einzig dasteht. Schön ist der Alt-Landsberger Forst, der— nach% Stunden dem nach Osten Wandernden sich öffnend— bis zu den Strausbcrger Waldungen und dem Blumenthal hin sich erstreckt. Namentlich der berühmt« Gamengrund, dessen Reize schon den Dichter-Pfarrer Schmidt von Werneuchen begeisterten, fällt in das Ausflugsgebiet der Stadt. An dem von Norden kommenden Langsn�flsen-Fließ und dem
Umgebung
gleichgerichteten Mühlemließ gelegen, fehlt es Alt-Landsberg nicht an malerischen Punkten— seine materielle Zukunft richtet sich freilich nach Süden, wo längs der Ostbahn nicht nur Häuser sondern ganz« Kolonien aus dem Boden wachsen, ein Beweis, daß der Landhunger und die Wohnungsnot den Berliner heute mehr nach dem billigeren Osten als nach den alleren Siedlungen in den anderen Himmelsrichtungen drängen.
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Oer Tote im Gpaudauer Gtadiwalö. Gelbstmord eines Schwerkriegsbeschädigten. Den Nachforschungen der Berliner Srlmlnalpovzei ist e» schnell gelungen, die Persönlichkeit des Zoten, der gestern mittag im Spandaner Stadtwald gefunden wurde, festzustellen. Es ist ein ZSjähNger Albert Dahns aus der Surstraße 19 in Spandau . Die Polizei rechnet nach den bisherigen Ermittlungen nicht mehr damit,. daß Dohms einem Verbrechen zum Opfer gefallen ist. Vielmehr glaubt man mll Bestimmtheit annehmen zu können, daß er selbst Hand an sich gelegt hat. Dohms ist Schwerkriegs- beschädigter, den rechten Arm hat er im Kriege eingebüßt.
Außerdem machte ihm ein Nervenleiden, das er gleichfalls der »Korreichen' Kriegszeit verdankte, besonders in letzter Zell wieder schwer zu schaffen. Der Bedauernswerte, der laufend in ärztlicher Behandlung stand, mußte zu Beginn der Woche erst wieder krank geschrieben werden und seiner Dienststelle fernbleiben. Dohms hat sich am Mittwoch nachmittag aus seiner Wohnung entfernt. Seiner Frau«rzählle er, daß er noch«in« Besorgung zu machen habe. Bon diesem Ausgang ist der Mann dann nicht mehr zunickgekehrt. wahrscheinlich hat er in einem neuen Ncrveaansall zur Waffe gegriffen und sich einen Schuß in den Kopf beigebracht. Die Einschuß- öffnung liegt unter dein rechten Aug«, die Kugel ist in der Schädel- decke stecken geblieben. Der Tod muß auf der Stell« eingetreten sein. Bisher komUc die Waffe— es muß sich um einen kleinkalibrigen Revolver handeln— noch nicht gefunden werden.
Kalibergwerk verloren? Hoffnungslose Lage in Vienenburg. — Sämtliche Schächte ersoffen. Vienenburg , V. Mai. Die Lage im Kaliwerk Vienenburg hat sich dadurch stark verschlimmert, das« jetzt sämtliche drei Schächte ersoffen sind. Zn amtlichen Stellen hält man die Lage für sehr ernst, fast für hoffnungslos: Hoffnung auf Wiederinstandsetzung der Grubenbetriebe sei nicht vorhanden. Damit wäre das Schicksal der Saliindustric in Vienenburg besiegelt, was für die Berg- arbeiterschafl, für den Ort und seine Umgebung schwere wirtschastliche Schäden znr Folge haben müßte. Auch bei Wiedelah ist ein Trichter entstanden, ebenso aus dem Gelände von Sievers Fabrik: dieser Trichter hat einen Durchmesser von 30 Meter, et ist drei Meter tief. Durch den wastereinbruch aus dem Kallwerk sind bis jetzt etwa 400 Arbeiter au» Vienen burg und weitere 100 aus der Umgebung brotlos geworden. Nach Ansicht der Ingenieure bestehen mehrere Möglichkeiten. das Versiegen des Laugeneinbnichs zu erklären. Entweder ist der Durchbruch in die Kaligrube aus einem unterirdischen Reservoir erfolgt, das stch nun geleert hat, oder es handelt sich um den Durch- brach einer Wasserader, die an der Mündungsstelle im Schacht durch Geröll verstopft sein kann. Im ersten Fall wäre die Lage insofern günstig, als man dann versuchen würde, mit Hilfe großer Kreiset- pumpen das Bergwerk leer zu pumpen. Sollte dagegen eine unterirdische Wasserader durchgebrochen sein, dann wäre das Schick- sal der Graben wahrscheinllch besiegelt, da es fraglich ist, ob so viel Wasser aus den ersoffenen Schächten hcrausgepumpt werden kann, daß man am Einbruchsort die nötigen Slbdämmungsarbetteni vornehmen kann. Die Verwaltung der Grabe will zunächst noch drei bis vier Tage) warten, ehe sie den Versuch macht, durch Taucher festzustellen, i ob mit einem definitiven Aufhören des Einbraches gerechnet' werden kann. Im Laufe des Freitags haben sich nur noch wenige kleinere Risse gebildet, und man hofft, daß jetzt die Erdbewegungen allmählich aufhören werden. Der Ort Vienenburg selbst ist nicht gefährdet, obgleich in vielen Häusern sich Risse gebildet haben. In der Stadt hatte sich das Gerücht verbreitet, daß auch Vienenburg selbst geräumt werden müsse, doch hat sich diese Alarm- Meldung glücklicherweise nicht bewahrheitet. Dagegen sind die Anlagen der Zuckerfabrik, die übrigens feit mehreren Iahren schon stillgelegt ist. so ernsthaft gefährdet, daß man wahrscheinlich die Gebäude wird abreißen müssen. Der Bahnhof Vienenburg befindet sich noch immer in Gefahr, weil man nicht voraussähe», kann, ob mcht durch Nachstürze des Erdreiches die Gleis« und die Gebäude ernsthaft in Mitleidenschaft gezogen werden können. Die Haupkschwicrlgkeil befleht darin, die Stelle:,, an denen das Erdreich unter den Gleisen in die Tiefe gesunken ist. wieder so aufzufüllen, daß die Züge mit voller Sicherheit diese Trlchier passieren können. Der Verkehr muß deshalb auf unbestimmte Zeit umgeleitet werden. Epft im Laufe der nächsten acht bis zehn Tage wird es sich enr> scheiden, ob die Reichsbahn an die Wiederherstellung der Strecke gehen kann, oder ob man inzwischen eine Umzehungskinit' bauen muß. Cr schleifte seine Frau zu Tode. Aus Glatz wird gemeldet: Der Maurer Joseph Kl esse m Alt-Wilmsdorf, der seine Frau schon öfters schwer mißhandelt! hotte, schlug bei einer häuslichen Auseinandersetzung auf diese ein und schleift« sie an den Haaren solange im Zimmer umher, bis sie besinnungslos liegen blieb. Die Schwerverletzte wurde so- fort m das Krankenstift Scheibe übergeführt, wo sie bald darauf ihren Verletzungen erlag. Der Mörder wurde verhaftet.
Protokoll aufgenommen mit der Zeugin üelene Delius.(Die Zeugin langte dringend, vorgelassen zu roerden.) „Herr Jacob sen, ich komme geradewegs aus meinem> Bett. Es wird mein Tod sein. Aber das ist mir gleichgültig. Ihr wollt mich eben alle unter die Erde bringen! Eine beispiellose Roheit, eine schwerkranke Frau..." „Aber gnädige Frau, so beruhigen Sie siel) doch." „Mein Herz! O mein Herz! Dieser Skandal! Nicht auszudenken! In aller Früh schon Polizei in meinem Hause. Ich telegraphiere nach Kopenhagen , ich telephoniere mit dem Justizministerium. Was fällt Ihnen denn ein. eine Dame wie Birgit Hasting, eine weltberühmte Schriftstellerin, ver» haften zu lassen, ohne Grund, ohne Sinn, ohne Zweck." „Doch, gnädige Frau, es hat einen Zweck." „Sie gaben ja nicht einmal an, weshalb, ließen sie einfach mir kurzweg abführen. Wie wollen Sie das je entschuldigen. Iacodsen. Das kommt davon, wenn man einem so jungen Menschen die wichtigsten Funktionen überläßt. Mein Herzl Mein Herz! So reden Sie doch!" „Es geschah im Interesse der öffentlichen Zucht und Ordnung, gnädige Frau." „Das ist eine Frechheit! Das ist eine Unverschämtheit! Setzen Sie sofort meine Freundin wieder in Freiheit. Die Geschichte kann Sie Ihre Stelle tosten!" „Tut mir leid, gnädige Frau, aber ich muß darauf bestehen, daß Fräulein Hasting bis auf weiteres in Hast bleibt." „Weiß Gott, Birgst hat rccht. Sie gehen über Leichen, über Frauenleichen,«ehen Sie denn nicht, wie ich leide. Mein Herz! Mein Herz! Wenn ich an diesem Skandal zugrunde gehe, so werden Sic vor Gott die Verantwortung tragen." „Gnädige Frau, glauben Sie mir, es fällt mir wirklich nicht leicht, Sie so vor mir zu sehen. Aber ich kann nicht anders, ich kann nicht anders. Uebrigens bin ich im Interesse der Untersuchung außerordentlich froh, daß Sie sich zu uns in dicjStadt bemüht haben." ..Im Interesse welcher Untersuchung?" „Im Interesse der Untersuchung gegen Thorvald Stirre." „Hören Sie mir auf mit diesem Schwindler, mit diesem Betrüger." (Fortsetzung folgt.)
„Das können Sie mir nicht beweisen. Nie im Leben!" „Ich werde Ihnen gleich was vordeklamieren." „Um Gotteswillen!" „Spür ick) Scham in allen Schenkest, zittern--" „Hören Sie auf!" „Und dann reimt sich noch etwas mit Gewittern. Genau Hab ich mir es nicht gemerkt." „Fräulein Schmitt, ich verbiete Ihnen, derartige Schweinereien hier vor Gericht verlauten zu lassen, ich ver- biete Ihnen, es über Ihre Lippen zu bringen, ich verbiete Ihnen, daß Sie so scheußliche und unappetitliche, jawohl unappetitliche——" „Um Gotteswillen, Herr Jakobsen, Sie verlieren ja schon wieder Ihren Kopf." „Es liegt mir nichts dran, wenn ich den Kopf verliere, meinechalben kann ich auch meine Stelle verlieren, ich pfeife drauf, ich will sie überhaupt nicht mehr haben. Nein, nein, lassen Sie mich ausreden, bin ich hier der Unterfuchungs- richter oder nicht. Ich hätte nie diesen Beruf ergreifen dürfen. ich bin ihm nicht gewachsen, meine Nerven sind ihm nicht ge- wachsen, jawohl. Fräulein Schmitt, und wem, Sie mir noch zehn Gramm Brom zu essen �geben. Sie sehen ja. was es mir nützt. Ich kann diesen«schmutz und diese Gemeinheit nicht mehr ertragen, ich kann es nicht ertragen, daß man sich auf keilten Menschen, auf keinen Menschen mehr verlassen kann." „Armer Herr Jakobsen." „Lassen Sie. Ich schließe überhaupt die Einvernahme. Ich hätte sie schon längst schließen sollen." „Halt, erlauben Sie nur einen Augenblick. Sie sagten doch, daß Sie Ihren Beruf aufgeben wollen." „Ja." „Dann ist es ja gleich, ob Sie Ihre Stelle verlieren oder nicht. Dann tun Sie vorher rasch noch ein gutes Werk." „Und zwar?" L»Lerhastal Sie Birgit HafLag.
„Meinethalben. Mir ist alles gleich. Wir unterzeichnen noch das Protokoll und dann stelle ich den Haftbefehl aus. Ich mache dmnit die größte Dummheit meines Lebens." Kgl. Amtsgericht Sändrup. 1ö. Juli 1S2S. gez. Kamma Schmitt. Jakobsen. Sändrups Amlsovis, 16. Juli 1929: Torben R i st ein gewöhnlicher Defraudant. Amtlich wird gemeldet:„Es steht nunmehr ein- wandfrei fest, daß der Ilntersuchungsgcfangene Torben Rist, der unter dem Verdacht steht, an dem Brand des Bade- Häuschens von Aaresund beteiligt gewesen zu sein, mit dem ehemaligen Bankbeamten und Defraudanten Thorvald Stirre aus Oslo identisch ist. Seine Braut, Maria Sandel , die aus Norwegen gekommen war, um ihn aus der Haft zu befreien. wurde unter dem dringenden Verdacht der Mitwisserschaft ebenfalls in Sändrup in Haft genommen. Thorvald Stirre brach bei seinem Geständnis in Tränen aus. Seine Reue ist groß. Es handelt sich um einen Schaden von öOOtt Kronen." Wir können uns bei dieser Meldung eine gewisse Genug- tuung nicht versagen.„Sandrups Amtsavis" war die einzige Zeitung, die von allem Anfang an dem Kesseltreiben gewisser Kreise, die unser stilles Städtchen unbedingt im Mittelpunkt einer grauenhaften Sensation sehen wollten, auf das ener- gischste entgegentrat. Wir waren die ersten, die in dem romantischen Bild der schönen Maria mit den blonden Zöpfen nichts Verdächtiges finden konnten, unsere Vermutung, es handle sich hier bestimmt um eine harmlose Liebesbeziehung. hat sich bestätigt: Maria Sandel ist nicht das Opfer, sondern die Braut und Mitwisserin des Defraudanten. Frauen und Mädchen von Lynö! Wer hat euch rechtzeitig und leider doch vergeblich gewarnt, gewissen- losen Reportern blind zu vertrauen und eure kleinen Geheim- nisse, die ihr ja bestimmt nie gehabt habt, der össenttichen Sensationslust prelszugeben? Wir hoffen nur, daß ihr eine Lehre daraus ziehen und Leuten, die das gemäßigte und ge- ordnete Bürgertum der Stadt vertreten, in Zukunft mehr Gehör schenken werdet. Der Fall Rist erscheint uns also Gott sei Dank ein für allemal erledigt. Wir hoffen nur. daß Herr Thorvald Stirre und seine Komplicin möglichst bald über die norwegisch« Grenze'abgeschoben werden, und daß die ganze üble Ge- schichte, die sich nicht ohne Schuld von gewissen Revolver- blättern und gutaläubigan Behörden an seine Person knüpft, damit auch endgültig der Vergessenheit anheimfallen wird.