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Morgenausgabe

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47.Jahrgang

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Vorwärts

Berliner   Boltsblatt

Sonntag

11. Mai 1930

Groß- Berlin 15 Pt. Auswärts 20 Pf.

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Paris   hofft auf Henderson. Frids plagiat an Brandler

Bestürzung über Grandis Rede.

Paris  , 10. Mai.  ( Eigenbericht.)

Der englische Außenminister ist am Sonnabend nach Genf  weitergereist. Seit langem schon hat fein englischer Politiker eine fo marme Aufnahme in Paris   gefunden wie Henderson, dem die französische   Presse zum Abschied wahre Kränze flicht. Der Grund dieser plöglichen Neuermedung der alten Sympathie für den einstigen Alliierten ist das Bemühen der fran zösischen Regierung, gegen die Aggreffinität des faschisti schen Regimes zur See und zu Lande in England, wenn nicht einen Verbündeten, so zum mindestens einen freundlichen Bermittler zu finden. In dieser Richtung scheint die Aussprache zwischen Briand   und Henderson, wie aus den ziemlich einmütigen Kommentaren der Bresse   hervorgeht, durchaus positive Ergeb. nisse ergeben zu haben. Dieser günstige Eindrud geht sogar fo weit, daß ein Teil der offiziösen Blätter vom Beginn einer neuen era in der europäischen Außenpolitit" spricht.

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Das Ereignis fam um so gelegener, als die Rede Grandis in der italienischen Rammer die in Rom   offenbar beabsichtigte Wir­fung in Paris   ausgeübt hat, nämlich die einer

forgfam vorbereiteten Herausforderung.

mus noch niemals ein für das Gleichgewicht Europas   derart be. unruhigendes Gesicht gezeigt habe wie durch die Rede Grandis. Neben dem auf das Flottenproblem bezüglichen Teil der Rede Grandis, die in Paris   die erwartete einmütige Ablehnung erfährt, hat insbesondere der Baffus von der notwendigen An­gleichung der Friedensverträge an die geänderten Be dingungen Europas  " besondere Bestürzung hervorgerufen. Die latente Frage der Revison der Friedensverträge ist ja für die fon fervativen französischen   Politifer ein besonders empfindlicher Punkt, und die feinhörigen Franzosen haben sogleich herausgefunden, daß sich hinter den allgemeinen Wendungen Grandis über die Not­wendigkeit einer gleichen Behandlung von Siegern und Besiegten" eine sehr bestimmte Neu orientierung der italienischen Außenpolitif verbirgt.

Curtius nach Genf   abgereist. Ratssigung teilnehmen wird, ist gestern abend mit der deutschen  Außenminister Dr. Curtius, der zum ersten Male an einer Delegation nach Genf   abgereift.

Briand   hatte gestern im Hinblick auf die Genfer   Tagung Unterredungen mit dem holländischen Gesandten Loudon, dem Borsitzenden der Abrüstungskommission, und dem deutschen   Bot­

Die französischen   Blätter betonen übereinstimmend, daß der Faschis schafter p. Hoesch.

Die Gärung in Indien  .

Ueberfall auf ein Salzdepot geplant.

London  , 10. Mai.  ( EP.) Die heutigen Feiern in Indien   aus Anlaß des 73. Jahrestages der Meuterei im Jahre 1857 und des mohammedanischen Ber- Id- Festes sind bisher ohne Zwischenfälle verlaufen. In allen größeren Städten waren von den Behörden für heute große Vorsichtsmaßnahmen getroffen worden und zahl reiche Polizeimannschaften und Truppen waren zur Aufrechterhal. tung der Ordnung hinzugezogen worden. In einer Reihe von Orten maren verschiedene religiöse Riten, die gewöhnlich Anlaß zu Zusammenstößen zwischen Mohammedanern und Hindus gaben, untersagt. Diesen Vorbeugungsmaßnahmen ist es hauptsächlich zu danken, daß der heutige Tag im allgemeinen ruhig verlief.

Beunruhigender Natur ist die Meldung aus Amrit far, daß die nationalen Gifhs in einer Konferenz in Aritsar be­fchloffen haben, die von Gandhi   geleitete Bewegung gegen die indische Regierung zu unterstüßen. Der Führer der allgemeinen Gehor­famsverweigerung in Amritsar  , Tara Singh  , wurde zum Brä fidenten der Sith- Liga ernannt. Der Beschluß der Liga ist um so bedeutungsvoller, als sich die Siths bisher nur unter der Bedingung an der Gandhischen Bewegung beteiligen wollten, daß ihnen ein ge­wiffer Anteil an der Regierung in einem freien Indien   eingeräumt werde. Der Plan eines

Ueberfalls auf das Salzdepof

Radek wieder in Gnaden.

Als Mitglied des westeuropäischen Büros der Komintern  . Wie der TU. aus Mostau gemeldet wird, wurde Karl Radet zum Mitglied des westeuropäischen Büros der fommu­nistischen Internationale ernannt. Diese Ernennung Radets bedeutet seine Rückkehr in das politische Leben Moskaus  . Radet hat sich vollfommen mit Stalin ausgeföhnt und unterſtüßt dessen Politik.

Parteirevolte im Raufafus gegen Stalin  . Weiter wird der TU. aus Mostau gemeldet, daß sich in der letzten Zeit in den kaukasischen Parteiorganisationen eine starte Opposition gegen Stalin   herausgebildet hat. Die Opposition tonnte eine Entschließung durchbrücken, in der der Rüd tritt Stalins verlangt wird. Wie amtlich gemeldet wird, hat das Politbüro der Kommunistischen Partei auf Borschlag Stalins den Beschluß gefaßt, die Kommunisten 2aminadse und Zschaplin nach dem Raufajus zu entsenden und dort eine Säu­berung der Partei einzuleiten. Die beiden wurden gleich zeitig zu Sekretären der kaukasischen Parteiorganisation ernannt. Die oppofitionellen Führer wurden sofort von ihren Posten ab­berufen und dürften wahrscheinlich aus der Partei ausgeschlossen

merden.

in Darsana, wie ihn der Führer der Gandhischen Freiwilligen 2bbas Tyabbje in der fommenden Woche durchführen will, wurde in einer Bersammlung der Kongreßführer in Gujerat, an der auch Patel teilnahm, gutgeheißen. Patel hat dabei der Bersammlung vorgeschlagen, die Erstürmung des Salzdepots zu einer allgemeinen Frage zu machen, sowie in den Bezirk von Gujerat einen Feldzug der Steuerverweigerung und einen Bontott ausländischer Stoffe einzuleiten. Es wird be­richtet, daß in Gujerat etwa 300 Freiwillige aufgefordert worden find, mit den Begleitern Gandhis   an dem Sturm auf das Salzdepot in Darjana teilzunehmen.

Der Polizeichef von Peshawar   hat heute ein Telegramm an den Präsidenten des allindischen Krongreffes, Motilar Nehru, gerichtet, in dem er dem vom Kongreß ein gesetzten Unterausschuß über die Unruhen in Beschamar ver bietet, das Gebiet der Nordwestprovinz zu betreten. Wie der Polizeichef erklärt, werde er alle Schritte unternehmen, um die Kommiffion

an der Einreise zu verhindern.

In Rangoon   find mehrere tausend Hafenarbeiter in den Streit getreten, wodurch der Hafenverkehr vollständig zum Stillstand gekommen ist. Von den Streifführern soll die Verhaftung Gandhis   als Ursache des Streits angegeben werden.

Die Lynchgarde von Texas  . Flucht der Neger vor der weißen Kultur.

Austin  ( Texas  ), 10. Mai. Die Negerbevölkerung von Sherman, wo sich gestern der Lynch mord abspielte, beginnt zu fliehen, da es im Drt immer bebroh licher wird. Die Straßen werden von den to benden Böbei massen beherrscht, die mit der Einäscherung der ganzen Stadt drohen. Als Vorspiel wurde das Geschäft eines Negers in Brand  geftedt, um als Scheiterhaufen für den gestern Ermordeten zu dienen. Während der Nacht hat es Zusammenstöße zwischen der National­garde und der Masse gegeben. Die Trupepn gaben schließlich Feuer, wobei zwei Personen verwundet wurden. 7 Neger wurden schwer verlegt. Die Miliz nahm 12 Rädelsführer fest.

Nazis in der Reichswehr  .

Am 17. Mai steht vor dem 4. Straffenat des Reichsgerichts unter Borfig von Senatspräsident Lorenz der Haftprüfungs. termin für die wegen nationalsozialistischer Bellenbildung in Haft befindlichen Reichswehroffiziere an. Die Verteidigung liegt in den Händen der Berliner   Rechtsanwälte Dr. Sad und Kamete.

Das Thüringer   Experiment und die Hakenkreuzpartei.

Es fann mir nichts geschehen! Das ist die Lehre, die Herr Frid aus dem Verhalten der bürgerlichen Parteien in Thüringen   und des Reichsministers Dr. Wirth gezogen hat. Er spekuliert auf die Angst des Landbundes und der Deutschen Volkspartei   in Thüringen   vor der Sozialdemo tratie. Das ist seine Stärke: weil das Bürgertum den For­derungen der Arbeiterschaft in nichts entgegenkommen will, muß es vor den Forderungen der Nationalsozialisten einen Schritt um den anderen zurückweichen. Das Reich fürchtet Herr Frick nicht mehr, nachdem ihm der Reich sinnenminister die Zuschüsse für die Polizei freigegeben hat. Es fann mir nichts geschehen: meine Koalitionspartner sind an mich ver­tauft, und das Reich ist schwach- so sagt sich Herr Frid, und fündigt luftig weiter gegen die Verfassung.

Herr Manfred von Killinger   in Sachsen   ist noch nicht ganz so weit wie herr Frid, aber er ist auf dem besten Wege. Die unentwegte Bürgerblodgesinnung des sächsischen Bürgertums, das dem thüringischen nicht nach­steht, arbeitet für ihn. In Thüringen   wie in Sachsen   nimmt die Nationalsozialistische Partei eine Stellung ein, die in feinem Verhältnis zu ihrer wirklichen Stärke steht.

In Thüringen   frondiert sie offen gegen das Reich und die Reichsverfassung. Nicht still, sondern mit erheblichem Geräusch. Herr Frick macht aus seinem Herzen keine Mörder­grube. Er jagt, wie ers meint, was er treibt.

Als das Reichsinnenministerium von dem Genossen Severing geleitet wurde, mußte sich Herr Frick auf Bedin­gungen seiner Koalitionspartner einlassen und vor ihnen zu­rückweichen, damit seine Partei in der Koalition bleiben durfte. Jetzt steht Dr. Wirth an der Spize des Reichsinnen­ministeriums und jetzt stellt Herr Frick seinerseits Bedingun gen. Bedingungen wofür? Nun, damit er der thüringischen Roalition weiter erhalten bleibt. Darin liegt eine inter­effante Wandlung.

Die Bedingungen sind danach. Seine Partner sollen einmal Zuschüsse für die Erwerbslosen herausrücken, dann sollen sie einwilligen, daß Herr Frick die verstaatlichte Polizei nationalsozialistischn Polizeidirektoren übergibt, und daß er Nationalsozialisten als Polizisten oder sonstige Beamte anstellt. Der Reichsinnenminister hat die Polizeizu= schüsse freigegeben auf die Zusicherung hin, daß feine nationalsozialisten in die Polizei geschoben worden seien nachdem die Zuschüsse zur Verfügung Fricks stehen, sollen seine Koalitionspartner ihre Zustimmung zu der Einschiebung geben.

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Herr Frid behandelt diese Angelegenheit und seine Roalitionspartner-gelinde gesagt taltblütig. Dieselbe Kaltblütigkeit zeigt er gegenüber Herrn Wirth. Wie tief muß er überzeugt sein, daß ihm nichts geschehen kann!

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Man darf die Barallele zwischen dem Regime Frid in Thüringen   und Sachsen   1923 nicht aus dem Auge lassen! Man kann diese Parallele bis in Einzelheiten hinein verfolgen. Im Jahre 1923 stellten die sächsischen Rommunisten unter Brandler gemiffe Bedingungen und Forderungen für ihre Regierungsteilnahme, die sehr große Aehnlichkeit mit den Bedingungen haben, die heute von den thüringischen Nationalsozialisten für die Er­haltung der kostbaren Persönlichkeit des Herrn Frick für das Land Thüringen   formuliert werden.

Aber das waren im Jahre 1923 gerade die Haupantlage­punkte, die schließlich die Reichseretutive herbei­führten. Daß der tommunistische Finanzminister Böttcher den Kommunisten gestattet hatte, in den staatlichen Morig­burger Teichen zu fischen, daß er zu anderen Zwecken über­wiesene Reichsmittel der Erwerbslosenhilfe zugeführt hatte, war der eine Kompler. Der andere bestand in der Aufstellung Don Rommunisten als eine Art Polizei in der vermeint­lichen oder wirklichen- Bewaffnung von Kommunisten, und im Hineinschieben fommunistischer Funktionäre in den Staatsapparat.

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Die Thüringer   Nationalsozialisten von 1930 fordern: Sondermittel für Erwerbslose; Auslieferung der Polizei an die Nationalsozialisten; Hineinschiebung von nationalsozia­listischen Funktionären in die Verwaltung.

Heute wie damals: demagogische Ausnutzung der be­sonderen sozialen Notlage, um sich Resonanz von unten zu verschaffen, und Versuch, sich des Staates und seiner Macht­mittel zu bemächtigen, um sie zu gegebener Zeit zu putschisti­schen Zwecken gegen den Staat zu benutzen

Es handelt sich nicht um zufällige Aehnlichkeiten, es han­