Nr. 76.
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Vorwärts
13. Jahrg.
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Fernsprecher: Amt 1, Nr. 1508 Telegramm- Adresse: " Sozialdemokrat Berlin".
Redaktion: SW. 19, Beuth- Straße 2.
Mit
Sonntag, den 29. März 1896.
Expedition: SW. 19, Benth- Straße 3:
kit der Sozialdamokratie Deutschlands , mit den Bur Frukkikizirung des Falles zu verschaffen." klaffenbewußten Proletariern der ganzen Welt, wissen Wendtland durch den Kriegs- 1. Februar hatte ich mit Hilfe der Magdeburger wir uns eins, wenn wir an dem heutigen Jubeltage Wilhelm Liebknecht unsere wärmsten Glückwünsche entgegenbringen.
Wie Liebknecht ward, schildert an anderer Stelle einer seiner ältesten Freunde; was Liebknecht ist und, wie alle hoffen, noch Jahrzehnte bleiben wird, weiß jeder, der die größte Volksbewegung der neueren Beit, die sozialdemokratische, mit erlebt. In wenigen Säken sein Lebenswerk zusammenzufassen, ist unmöglich. Jeder weiß, das Liebknecht einer deemer' reuesten Freunde des arbeitenden Volkes, ein selbstloser, unermüdlicher Vorkämpfer des Sozialismus, ein Deteran der Demokratie, die Derkörperung der internationalen Gemeinschaft der Proletarier aller Länder ist.
mühungen, die er meinetwegen gethan, mir eine derartige Stellung Diese Antwort war vom 21. Januar datirt. Am Parteigenossen eine Stellung in der„ Kaufminiffer. männischen Orts Krantentasse" als" Hilfs= Der Fall Wendtland hat in der Reichstagsfizung vom arbeiter erhalten, tärglich besoldet, geit. 23. März durch den Kriegsminister Bronsart raubend, ohne Befriedigung. Die Unterstüßung, v. Schellendorff eine Beleuchtung erhalten, die Herrn die ich von der Partei erhalten, wurde durch Aufwendungen aller wendtland als ein Opfer sozialdemokratischer Undankbarkeit und Art so ziemlich aufgebraucht; bei den Parteizeitungen durch als einen Gegenstand zärtlicher Fürsorge eines Hauptmannes er- Nebenarbeit eine Beschäftigung zu erhalten war mir durch die bruch gelitten hat, aber noch nicht ganz verkommen ist, seinem geschlossen; überdies bin ich nicht der Art, dort zu betteln, wo scheinen läßt als einen Menschen, der selbst wenn er Schiff- ablehnende Stellung, die die Partei als solche mir zeigte, aus- Borgesetzten nicht blos Treue und Anhänglichkeit, sondern auch man mich nicht haben will." das Vertrauen bewahrt, daß er ihn nicht verlassen wird selbst ( Stenographischer Bericht.) im bürgerlichen Leben, wenn ihn Noth und Sorge bedrängen."
Daraufhin hat nun Herr Wendtland dem Hamburger & cho" ein Schreiben gesandt, das, nach Ansicht unseres Bruderorgans, geeignet ist, für die merkwürdige Hilfsbereitschaft des Hauptmanns eine vollständig genügende Erklärung zu geben, auch zu zeigen, daß nicht nur Sozialdemokraten unbefugter Weise Gebrauch von fremden Schriftstücken machen, sondern auch andere Leute."
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Da tam am 28. Februar ein zweiter Brief des Herrn Hauptmanns. Er schrieb, daß es trotz seiner Bemühungen ihm und einflußreichen Persönlichkeiten noch nicht gelungen, für mich eine passende Stellung sicher zu stellen.
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Da es wohl immer noch eine Weile dauern wird, bis Sie in Stellung kommen, so bitte ich Sie, zum Schutz vor vielleicht eingetretenen Verlegenheiten von mir eine Unterstützung oder ein Darlehen anzunehmen. Ich nehme natürlich bestimmt an, daß Sie mit Ihrer Vergangenheit völlig gebrochen und daß es Ihnen nicht unangenehm sein kann, wenn ich überall, wo ich zu ihren Gunsten gewirkt habe, dies öffentlich erklärt habe."
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Nur wenigen ist es vergönnt gewesen, in so hohem Herr Wendland begründet seinen Brief mit den Worten: Alfer noch ein Kämpfer zu sein für das arbeitende Wiewohl es sich allerdings um eine rein persönliche Angelegen heit handelt, möchte ich doch diesmal nicht den Argwohn aufVolk. Ein Jüngling heute noch an Enthusiasmus, fommen laffen, daß ein überzeugter Sozialdemokrat, welcher ich Ich schrieb zurück, es thue mir leid, wenn der Herr einem an Hingabe für sein Ideal, an Frische, hat ihn nun einmal geworden und geblieben bin, fich derart vergangen falschen Glauben sich hingegeben hätte, ich hätte weder die harte Bürde der schweren Jahre, der bifferen und gefehlt hat, wie es nach den Berichten über diese Reichstags- völlig mit meiner Vergangenheit gebrochen; mir wäre es darum Weiter heißt es dann in dem Briefe: nur zu thun, nicht wieder eine politische öffentliche Stellung Noth, des Exils, des Kerkers, der Hekjagd unterm" Die Redewendung Bebel's: als ich bei der Partei abgeblitzt zu erhalten. Ueberdies wäre ich schon geborgen, ich Sozialistengesek, noch die Verurtheilung, die er an wäre, habe ich mich an den Hauptmann gewendet, ist falsch. hätte eine Stellung, die, wenn auch die, wenn auch schlecht befoldet, der Berührung mit der p0= der Schwelle den 70. Lebensjahres erdulden mußte, Man kann hieraus entnehmen, daß ich mich um eine Unterſtügung mich abseits stellt durch die Partei bemüht habe. Dem ist anders. Die Unter litischen Deffentlichkeit, bie aber boch geeignet körperlich schwächen oder gar brechen können. stüßung, die mir die Partei nach meiner Entlassung gab, ist ohne mich fortgesetzt mit den Dingen zu beschäftigen, für die ich So steht er an diesem Wendepunkte feines Lebens mein Ersuchen in dieser Form und gegen meine persön nach Studium und früherer Berufsthätigkeit hinneige. Ich müßte ruhig und kampfesfroh uns Jüngeren allen als Führerlichen Wünsche mir zu theil geworden. Ich hatte auf daher die Bemühungen um Beschaffung einer paffenden Stelle und nicht auf materielle dankend ablehnen. Ueber die eventuelle Annahme der gebotenen und Meister da. Unterstüßung; als diese Mitte Januar doch kam, war Unterstützung sprach ich mich nicht aus." morte des Genossen Biannfuch- Genosse Gerisch hielt sie ver- mann sprach seinen Dant aus über die Zeilen, die ihm Gewißich durch die Höhe überrascht und durch die sie begleitenden Gleich am 2. März hatte ich die Antwort; der Herr Hauptbindlicher- eines befferen belehrt. Die Existenzfrage, die sich beit geben, daß ich meinem Vorsatz treu geblieben; er bedauere, mehr und mehr verdunkelte, Rücksichten auf meine Familie, von daß frog der ihm gemachten Zusicherungen mir noch keine Hilfe der ich seit Gründung derfelben ununterbrochen getrennt war, mit geschaffen wäre; es freue ihn, daß ich Stellung habe und er Ausnahme von Mitte Mai, von wo ab ich mit meiner Frau hoffe mit mir, daß eine Verbesserung, von der ich geschrieben zusammen lebte, bis Ende Juli 1891 und von Anfang Juli 1893 d. h. aber in dieser Stellung selbst in absehbarer Zeit komme. bis Ende Januar 1894, wo ich eingezogen wurde, zwangen mich, In der ihm und der ganzen Arbeiterklasse un- mich- und das ist der erste Fehler, den ich begangen und eine Stellung außerhalb der Partei zu suchen... Ich_andte entreikbaren Buversicht auf den Sieg des Sozialismus den ich eingestehe an meinen früheren Kompagniechef mit der feiern die deutschen Arbeiter mit ihren Gesinnungs - meines Charakters eine Stellung in einer Versicherungsanstalt, Bitte, mir auf grund seiner Kenntniß meiner Persönlichkeit und genossen in der ganzen Welt den siebzigjährigen einer Aktiengesellschaft oder dergl. mehr zu beschaffen. GleichGeburtstag des Seniors der Partei.
So wenig ihm, dem spartanisch genügsamen, das lange Leben geboten hat, so groß waren die Erfolge der Sache, für die er selbst seine beste, seine ganze Kraft eingefekt hat.
In dem Bewußtsein vollerfüllter Pflicht kann er auf zwei Menschenalter zurücksehen.
Im Einklang mit diesen allen, denen er ein raftlofer Dorkämpfer war, bringen ihm die heißesten Glückwünsche dar seine Kollegen in der
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zeitig betonte ich aber, daß ich an Gesinnung und Üeberzeugung der Alte wäre, daß ich aber durch das Zeugniß, das ich mir durch meine tadellose Führung während meiner militärischen Dienstzeit erworben, überall im stande wäre, meine Pflicht zu thun."
" Zum Schuße vor Verlegenheit, die Sie und Ihre Familie ( unterstrichen) augenblicklich haben werden, nehmen Sie also bitte das anliegende Geld. Wenn es Ihnen wieder ganz gut geht, fönnen Sie dasselbe gegebenenfalls ja wieder zurückzahlen. Ich bin im stande, Ihnen diese Summe( 160 M.) zur Vera fügung zu stellen."
,, Und ich nahm das Geld; das ist der größte Fehler, den ich begangen und der mir kosten sollte das Abschwören meiner politischen Uederzeugung. Ich dankte dem Herrn Hauptmann sofort und schrieb davon, daß ich beharren würde auf dem Wege, den ich eingeschlagen. - Ich glaubte nun ein Ende gemacht zu haben dem Brief= wechsel, der ohne mein Hinzuthun diese Formen angenommen, als ich am 11. März einen vom 10. datirten Brief des Herrn
,, Die Antwort des Herrn war, daß er sich freue über meinen Entschluß; zum anderen, daß er hoffe, nach den Be- wieder erhielt, einen Brief, der mir Klarheit verschaffte über die
Dichter von„ Danton's Tod", seine letzte Ruhestätte hat. Als Neun Monate mußte Liebknecht im Gefängniß auf Liebknecht nach Paris tam, war der Kampf bereits zu Ende. seine Aburtheilung warten. Die Praxis, politische Verbrechen Um so ausschließlicher wirkte er für den Plan des Dichters in gemeine Verbrechen umzuprägen, datirt nicht erst von heute. Herwegh , aus den deutschen Arbeitern in Paris eine Legion zu Der Staatsanwalt begnügte sich daher nicht, gegen LiebMan schlägt sich in Paris !" Nur wer damals selbst jung bilden, welche die Republik über den Rhein tragen sollte. Ver- knecht und seine Schicksalsgefährten die Anklage auf Hochgewesen, wer sie mitgefühlt, die fiebernde Erregung, als der gebens, daß Marx und Engels, deren persönliche Bekanntschaft und Landesverrath zu erheben, sondern bezichtigte sie, um sie Telegraph am 23. Februar 1848 den Ausbruch der Revolution ie bknecht erst später machte, das Unternehmen eine Re- auch moralisch zu vernichten, noch des Kassenraubes, gewaltsignalisirte, die das Bürgerkönigthum aus Frankreich hinweg- volutionsspielerei nannten. Die politische Unerfahrenheit ließ samer Erpressung, der Brandstiftung, der Anstiftung zum Diebfegte, nur derjenige wird sich etwa eine Vorstellung machen sich nicht warnen und Liebknecht, der bereits in Zürich der stahl und Raub, sowie des Mordversuches und des Mordes. können von der dämonischen Gewalt, mit welcher die Nachricht Arbeiterklasse als ein Lernender näher getreten, war in seiner Wahrlich, es war genug, um dem Tage des Gerichts mit einiger den zweiundzwanzigjährigen Jüngling ergriff, der in dem Leip- jugendlichen Begeisterung der festen Ueberzeugung, daß es ge- Besorgniß entgegenzusehen.
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ziger Hochverrathsprozeß von sich selbst bekannte:" Seit ich lingen müßte, in Deutschland die Republik zu errichten. Eine Liebknecht's tapferes Herz aber kannte die Furcht fähig bin, zu denken, bin ich Republikaner." Wilhelm Krankheit, die ihn in Paris zurückhielt, ersparte ihm die Theil- nicht und just in diesen schwer bewölkten Wintertagen grüßte Liebknecht befand sich in Zürich , wo er sich auf die Laufnahme an dem Mißgeschick der Legion, die bei Niederdoffenbach ihn ein frühlingswarmer Sonnenstrahl. Im Kerker erblühte bahn des Advokaten vorbereitete, sicher aber mit geringerer Auf- am Rhein von würtembergischen Truppen überfallen und nach ihm das Glück, das sich später an dem Herd des Flüchtlings merksamkeit über den trockenen Pandekten saß, als er den Gr- tapferem Widerstande zersprengt wurde. Georg Herwegh ent- als seine Gattin niederließ und in allen Stürmen, die noch sein eignissen des Sonderbundkrieges folgte, der die Lawine der tam nach der Schweiz . Dorthin nach Zürich begab sich nach Haupt umwettern sollten, fest zu ihm stand, bis er sie europäischen Revolution ins Rollen brachte. In Gießen 1826 feiner Gesundung auch Liebknecht ; jedoch nur, um auf den zu früh! unter dem rasch erblichenen Glanz der neuen Aera geboren, hatte er in dem außerordentlich jugendlichen Alter von Ruf Struve's, der im September die Fahne der Republik auf- in Sachsens Erde bestatten mußte. 16 Jahren die Universität seiner Vaterstadt bezogen, wo er, wie warf, mit einem Duhend Gefährten bei Lauffen über den Rhein Am 11. oder 12. Mai standen er und seine Kameraden später in Marburg und Berlin , mit Fleiß in den verschiedensten zu eilen. Innerhalb drei Tagen hatten sie eine ziemlich be- vor dem Schwurgericht. Aber zwei Tage vorher hatten sich in Wissenschaften sich umfah. Denn nicht um ein Brotstudium war trächtliche Freischaar zusammengebracht und Liebknecht Freiburg und Rastatt die Soldaten empört und sich mit den es ihm zu thun, sondern er wollte vor allen Dingen lernen. machte sich nach dem Oberlande auf, um die Freikorps , die Bürgerwehren und dem Volke verbrüdert, worauf am 14. Mai Auch waren die politischen Zustände Deutschlands unter dem dort in der Bildung begriffen sein sollten, heranzuziehen. Aber Karlsruhe dem Beispiele folgte; der Großherzog flüchtete. Da absoluten Polizeiregiment Metternich's so jammervoll, daß bereits in Lauffenburg erhielt er die Kunde, daß Struve vom war es denn begreiflich, daß sich das Publikum in leidenschaftLiebknecht, dem bereits auf dem Gymnasium die Schriften Feinde sich hatte in die Ebene locken lassen, daß er geschlagen licher Erregung an die Angeklagten herandrängte, daß Hunderte St. Simons eine andere Welt erschlossen hatten, nicht daran und gefangen worden. Trotzdem versuchte Liebknecht weiter sie grüßten, Hunderte ihnen die Hand drücken wollten und man denken konnte, in den Staatsdienst zu treten, wenn er nicht ins Oberland zu dringen, anstatt sich über den Rhein zu retten, ihnen von allen Seiten zurief: Ihr seid bald frei! Es geht seine ganze Wesenheit aufgeben wollte. Robert Pruz hat an dessen Ufer er sich befand. Denn wie es sein ganzes wieder los!" Unter solchen Umständen waren sie in der Deutschland eine Wochenstube genannt; es war in Wahrheit späteres Leben bis zu dieser Stunde bewiesen hat: er war schon heitersten Stimmung, Staatsanwälte, Richter und ein Theil der eine Bedientenstube und die schlechte Luft in derselben drohte damals nicht der Mann, die Flinte ins Korn zu werfen, ob Geschworenen dagegen verlegen und befangen. Der öffentliche Liebknecht zu ersticken. Er mußte fort. Er wollte nach seine Sache auch noch so bedenklich stand. Er wurde von einem Antläger stotterte und haftete einiges daher und beantragte Amerika . Im Postwagen aber machte er die Bekanntschaft eines biederen Bürgermeister und seinen Bauern gefangen genommen selbst die Freisprechung. Eiliger noch erfolgte das„ Nicht Mannes, der in der Schweiz als Lehrer angestellt war, und an- und erhielt zunächst in dem trompeterberühmten Säkkingen, schuldig!" der Geschworenen und der Befehl des Präsidenten, statt über den Ozean ging er nach Zürich . später in Freiburg Staatsquartier. Daß er nicht gestandrechtet die Gefangenen in Freiheit zu sehen. Liebknecht protestirte Der Ausbruch der Februar- Revolution riß ihn von dem See wurde, verdankte er nur dem glücklichen Zufall, daß der optische umsonst dagegen. Denn die Angeklagten wollten sich nicht das hinweg, an dessen Gestade sein Landsmann Georg Büchner , der Telegraph versagte. Recht der Vertheidigung nehmen lassen, wollten ihrerseits als