Nr. 224 47. Jahrgang
2. Beilage des Vorwärts
raded
Das Auto des kleinen Mannes
Ja... jetzt mußt mir noch um 20 Pfennig in der Apotheke ein Benzin holen..!"
Und es tam eine Zeit, da die Sehnsüchte der Menschen grenzenlos| und nur Präzisionsinstrumente verwendet, es kann doch immer wurden und mur mehr das eine Ziel fannten: ein Auto zu be- noch' was dazwischen kommen!" fizzen, das dem Nächsten den Staub der Reifen unter die Nase pudert. Jeder Traum, jedes. Heiratsinserat und jede Kindtaufsrede begann mit ,, Auto" Tippfräuleins und Empfangsdamen bei Zahnärzten seufzten in ihren schicksalstiefsten Stunden: Ja, das Leben wär' schön, wenn man 200 Mark Monatsgehalt hätt' und einen Liebhaber, mit' nem Automobil!"
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Aehnlich geformte Wünsche bewegten sich schlängelnd auch im Busen der Damenschwimmbadkassiererin Annemarie Dadfobel. Sie war seit einigen Tagen mit dem Schwimmlehrer Kaver Hahnrieder nah und näher bekannt geworden. Gestern schlug sie ihm ihre Haustüre wie eine Briefmarke auf die Nase, so daß er heute Augendeckel machte, als ob er sie zu leihen genommen hätte:
„ Fräulein Schwimmbad", sprach er alſo,„ Ihnen tät i jeden
Wunsch erfüllen, um die Tiefen Ihres Gemüts aufzuspülen..."
„ Herr Oberlehrer, ich weiß, daß Sie ein weiches Herz und alles haben, was eines Mädchens Sinn betöret- aber das haben meine Berflossenen auch gehabt. Meiner Entwicklung zum Höheren bin ich es aber schuldig, daß ich in die Schichten der edleren Lebensformen aufsteige und dazu braucht man heutzutage ein Auto und sei es auch noch so flein...!"
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Xaver Hahnrieder dachte lange darüber nach und fand diese Kritik des Herzens auch berechtigt. Der Frau, die man lieb hat, die man gern hat muß das Außergewöhnliche und Uebergroße geboten werden, dann fällt aus ihr die himmelsreine Gegenliebe wie die Schokolade aus dem Bahnhofsautomaten hervor. Und es war ihm messingklar, daß das Werf, das große, getan werden müſſe Er konnte für sie teine Schlachten gewinnen, Pyramiden bauen oder den Weltmeisterschaftsrekord im Bogen aufstellen. Aber ein Auto, das liegt nicht jenseits der Menschheitsgrenzen! Und die Liebe und eine auf die Nase geschlagene Haustüre machen erfinderisch und die Frage: Wie schenkt der fleine Mann aus dem Bolke einer Frau von Welt und Leben ein Auto?" harrte nicht allzulange der erlösenden Antwort. Und sie hieß: er baut es selbst mit Hebeln und mit Schrauben.
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Er begann also gleich. Den Grundstein des Schaffens bildeie
Sie eilte, tam zurück und Xaver schüttete es diesmal vorsichtshalber nicht mehr in den Motor sondern direkt über das ganze Auto hin... Somit war auch das Ankurbeln nicht mehr nötig.
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Er entzündete mit Hilfe eines Streichholzes den ganzen Wagen, Funken fnisterten, Xaver und seine Geliebte sprangen auf die Seite und das Auto tam jetzt jäh in eine plögliche Bewegung war es vor überstürzter Haft an Ort und Stelle in eine solche fliegende Eile geraten, daß es gar nicht dazu kam geradeaus zu laufen... Es flog nämlich direkt in die Luft..! War explodiert..!
Da es anfahren wollte
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gebrauchsfertig zu ihrer einstigen Bestimmung, nebeneinander Und so glücklich, daß die einzelnen Teile wieder, vollkommen lagen. Die Reifen wurden wieder zu Gummiabsäzen, der Benzinbehälter zur Sigbadewanne, der Auspuff zum Grammophontrichter und der Motor zum Flaschenfüllapparat für Limonaden fabrikanten
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Ja, sogar die beiden Insassen warf es wieder in ihr gewohntes Milieu zurück. Xaver Hahnrieder ward wieder Schwimmlehrer und Fräulein Annemarie Dachkobel Kassiererin des Damenschwimmbades.
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Denn das Schicksal ist einmal rein fapitalistisch gesinnt vergönnt dem kleinen Mann und der einen Frau aus dem Volke nicht das Auto, das ihrer sozialen Stellung allein schon dem Bau und der Zusammenfeßung nach entsprechen würde.
Xaver Hahnrieder aber baute von nun an aus seiner Broschüre nur mehr die leichteren Arbeiten. Und als Ersatz befam Fräulein Dachlobel von ihm zu Weihnachten eine Lendener Flasche und ein Aquarium mit selbsttätigem Springbrunnen.
Im Sommer darauf bauten sie zusammen auf ihrem gemeinsamen Familienheimgarten Kohlrabi an, die an Güte und Gediegenheit das ehemalige Auto weit übertrafen.
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T Die Lunge wird gefilmt!
die Broschüre„ Der fleine Maschinenbauer Ein Bastelbuch für jung und alt, Ausgabe C für Realschüler". Daraus fonnte man Nach mühsamen Vorarbeiten ist es Dr. Werner Siebert von ersehen, wie man sich aus Bierflaschen und Stanniolpapier eine Elektrifiermaschine baut, wie man für 37 Pfennig eine Klingelanlage herstellt und in die Wunder der Physik und Technik vom Kanapee aus einzubringen vermag. Es war fultusministeriell empfohlen wie es im Vorwort hieß„ besonders für unsere Kleinen auf
und
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den Weihnachtstisch zu legen geeignet" Da Xaver Hahnrieder aber 1,83 Meter groß war und man gerade mitten im Sommer lebte, schien es ihm nicht ganz für sein Vorhaben zu passen. Troß dieser Bedenten aber fing er an das ersehnte Auto in die Welt zu fezen.
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Ms Karofferie benügte er das abmontierte Obergestell eines Kinderwagens, das er sich bei einer fiebentindrigen Beamtenfamilie gegen eine Patentmatrate eingetauscht hatte. Den 69- PS- Motor
versuchte er aus dem Flaschenfüllapparat eines Limonadenfabrikanten herzustellen, die Kühlanlage gewann er aus einem lädierten Eisfasten, zum Benzinbehälter arbeitete er eine Sitzbadewanne um, den Auspuff ergab ein geftugter Grammophontrichter und die Bereifung war nicht allzuschwer aus schiefgetretenen Gummiabsäzen herzustellen. Dann waren die Hupenzeichen nur noch durch Magengeräusche zu erzeugen und das ganze in die übliche Form des Automobils zu versezen und schon warteten Wald und Flur auf die aufsteigende Staubwolfe, hinter der her die Bauern ihre Rechnungen für das totgefahrene Geflügel schrieben...
Und das Schönste ist dies: so ein Auto fommt nicht allzu teuer, ist leicht zu steuern und unschwer zu beschreiben. Man braucht nur die geniale Idee zu haben, daß das Einfache und Nächstliegende immer auch das Beste ist und nicht nur Xaver Hahnrieder, sondern eigenen Autos werden...
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jeder fleine Mann aus dem Bolfe Bolke kann zum Erbauer feines
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Aber wer zählt die Flüche, nennt die heiligen Namen, die schwitzend hier zusammenfamen..! Und nur die Allgewalt der Liebe zu Fräulein Schwimmbad hielt den Xaver zu diesem Werk aufrecht und waagerecht. Er arbeitete Tag und Nacht durchgehend, wie ein Schlafmagenfellner. Er überjah Brotzeiten und Feierabende und fümmerte sich, wie Parzival, weder um des Jahres Anfang, der Wochen Zahl und der Tage Namen...
Und eines Sonntagmorgens stand das Werk schöpfungswarm fertig vor ihm da..! Der veilchenblaue Strohhutlad war troden geworden, wie Amerika vom Alkohol. Sogleich schob er es vom Küchenbalkon ins Treppenhaus, wo es dann in Gottes freier Natur hinaus zum Stapel laufen sollte.
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Unten wartete Fräulein Dackkobel auf die erste Ausfahrt. Zur Bollendung der stilistischen Einheit hatte sie sich Beilchensträuße auf ihres Hutes Plattform gepflanzt und das himbeerfarbige Reform fleid übergezogen. Xaver fam nun, mit dem Auto auf dem Rücken, die Treppen herab. Und sie umarmte beide und vor Rührung weinten fie vereint lange hin und her und waren des Gottes voll Xaver fagte unter Tränen:„ So jekt weinen wir noch fünf Minuten, dann fahren wir ab. Inzwischen vollziehe ich die Benzinfüllung..!"
,, Gut", erwiderte sie, solange möchte ich auch gerne noch
weinen..!"
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Die Zeit war um und Xaver kurbelte die Maschine an. Der schönste Augenblick meines Lebens ist da..!" rief Fräulein Dachkobel- und sie erinnerte sich aller anderen erhebenden Stunden ihres Daseins. Aber keine gab es, die sich mit diesen Minuten voll Jubel und Aufschwung der Seele messen konnte.
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Xaver turbelte noch immer. Bis ein fabrikneuer Motor sich an die Arbeit gewöhnt, das dauert oft lange. Plöglich aber gab es einen Knacks.. ,, Es zündet schon!" wollte sie frohlocken, aber es war nur die Kurbel abgedreht und abgebrochen worden. ' s Benzin faugt nichts..!" rief Xaver unter dem Wagen hervor, wo er den Tücken des Motors nachgerutscht war. Begib dich nicht in Lebensgefahr, Liebster, denn wenn der Wagen plöglich losfahren würde, über dich hinweg..! Entseßlich..!" Der fahrt so schnell net. da brauchst teine Angst nicht zu haben. Es fehlt am Benzin... das Benzin funktioniert Da rieds einmal, das schmeckt gar nicht nach.?" nicht..! Na, das ist ja tohlenjaures Wasser.
...
,, Aha! Das ist noch von dem Limonadenfabrikanten im Flaschenfüllapparat zurückgeblieben, den i' zum Motor umgebaut hab Da fieht man's aber..! Menn man noch fo eratt arbeitet
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eine zweckentsprechende Verbindung des Brustspiegels mit dem
Donnerstag, 15. Mai 1930
Die läftige Männerkleidung
Immer wieder sind lebhafte Proteste der Männer gegen ihre unbequeme, unpraktische und unhygienische Kleidung aufgetaucht. Das Kleid der arbeitenden und sporttreibenden Frau ist von Jahr zu Jahr leichter, zweckentsprechender und gesundheitsmäßiger geworden. Dadurch hat sich die Abwehr der Männer gegen den Zwang zu Kragenknöpfen, zu zahllosen Schnallen und Knöpfen, zu steifen Hemdtragen, Hosenträgern und wie alle die anderen Unbequemlichkeiten noch heißen mögen, immer mehr verschärft. Es ist wirklich nicht einzusehen, warum sich nicht im Anzug des Mannes eine durchgreifende Aenderung durchsetzen lassen soll.
Vor einiger Zeit hat nun einer der eifrigsten Borkämpfer für eine durchgreifende Reform der Männerkleidung, der Tänzer Kurt Hagen, eine Gesellschaft zur Reform der Männerkleidung" in Stuttgart gegründet.
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Kurt Hagen hat einen Anzugschnitt ausgearbeitet, bet dem alle Knöpfe, die Weste, die Hosenträger, Kragen usw. überflüssig werden. Der Anzug, den er Schlupfzug" nennt, wird von ihm selbst getragen. Er hat in allen großen deutschen Städten Vorträge mode gehalten und sehr viel Anhänger für seine Ideen geworben. über die Vorzüge einer durchgreifenden Neugestaltung der HerrenDie Intendantur des Stuttgarter Stadttheaters unterstützt die Reformbestrebung Kurt Hagens, der dort als erster Solotänzer tätig ist. Er erscheint in seinen Tänzen auf der Bühne ebenfalls in feinem Schlupfzug", der für diesen Zweck aus farbenprächtigem Material gearbeitet wird.
Auch im Ausland verfolgt man die Reformbestrebung sehr
intereffiert.
Die Bestellungen, die auf Kurt Hagens Schlupfzug einlaufen, mehreren Firmen geführt, von denen eine bei der wachsenden Nachmehren sich täglich und es werden jetzt bereits Verhandlungen mit fragedie Herſtellung der Schlupfzüge im großen übernehmen soll.
Eine große amerikanische Kleiderfabrik hat Kurt Hagen bereits das Angebot gemacht, ihm 10 000 Dollar zu zahlen, wenn er ihr das Herstellungsrecht für seinen Schlupfzug überträgt. Gleichzeitig müßte er sich verpflichten, in einem Auto, das ihm die amerikanische Firma zur Verfügung stellt, die ganze Welt zu bereisen und überall Werbevorträge für eine gründliche Umgestaltung der heutigen Herrenmode zu halten. Drei Jahre soll sich Kurt Hagen der Firma
mindeſtens als Propagandist verpflichten. Bisher hat Kurt Hagen weil er ſeine Künstlerlaufbahn nicht aufgeben möchte.
fich noch nicht zur Annahme dieses Angebotes entschließen fönnen,
Der neue Anzugtyp erinnert sehr stark an die Arbeitskleidung der Monteure und die Anzüge, die die Motorradfahrer tragen. Auch diese Anzüge sind ganz aufs Prattische und Bequeme gestellt Auch diese Anzüge sind ganz aufs Praktische und Bequeme gestellt und man hat sich jetzt schon vollkommen daran gewöhnt, die Motorradfahrer in dieser Kleidung bei dem Rasten in den Restaurants auftauchen zu sehen. Man wird sich sicher sehr schnell an die äußere Sommeranzüge Erfolg haben und von da aus wird die EntwickWandlung gewöhnen. Zuerst werden vielleicht praktische leichte lung dann weiter gehen. Es ist auch wirklich bei ernsthafter Ueberlegung nicht einzusehen, warum sich ausgerechnet die Gestaltung der Männerkleidung allen Erkenntnissen der modernen Hygiene verschließen und der Mann für alle Zeiten zu dem heute gültigen Anzugtyp verurteilt sein soll.
F. K.
Mit dem Flugzeug um die Welt in 30 Tagen. Der Engländer
der 1. Medizinischen Klinik der Charité gelungen, einen Film von Gegenständen und Vorgängen im Pneumothoraɣraum( dem luftgefüllten Bruſtfellraum) eines lebenden Menschen aufzunehmen. Diese aufsehenerregenden Aufnahmen sind ermöglicht wurden durch Kurbelkasten, wobei mittels einer seitlichen Beobachtungsvorrichtung der aufzunehmende Gegenstand genau eingestellt werden konnte. Da die Lichtverhältnisse im Brustraum sehr tompliziert find, so war die Konstruktion eines ganz neuen Linsensystems für den Brustspiegel erforderlich. Der Forscher wurde jedoch aller entgegenstehenden Schwierigkeiten Herr und konnte bereits sehr schöne Aufnahmen der eines Berwachungsstranges), die er mit Hilfe des Brustspiegels geatmenden Lunge und einer Zungenoperation zeigen( Durchtrennung macht hat. Auch den Rhythmus des pulsierenden Herzens konnten die Zuschauer im Film beobachten und damit einen tiefen Einblick gewinnen in die Werkstatt des Lebens selbst. Ausgegangen ist Siebert von den Arbeiten I I. Stugins, der bereits früher in ähnlicher Weise Filme vom Blafeninnern hergestellt hat. Ein neues Forschungsprinzip ist damit gefunden, kinematographische Aufnahmen in lichtdicht abgeschlossenen Körperhöhlen zu machen, und gleichzeitig ein ausgezeichnetes diagnostisches Mittel, das auch für den Lehrbetrieb von großer Bedeutung ist. Denn während man bisher immer nur einen einzelnen Menschen in den Bruſt- bzw. Blasenspiegel hineinsehen lassen konnte, was zudem noch mit Un- Auf Grund seiner Erfahrungen äußerte er sich sehr zuversi.htlich, bequemlichkeiten für den Patienten verbunden war, kann man jetzt im Film das erkrankte Organ Hunderten von Studenten gleichzeitig demonstrieren.
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Captain Barnard trifft gegenwärtig seine Borbereitungen zu einem Fluge um die Welt in 30 Tagen. Der erste Weltflug im Flugzeug wurde im Jahre 1924 von zwei amerikanischen Fliegern ausgeführt, englische Flieger dasselbe jetzt in 30 Tagen vollbringen will, so muß aber diese brauchten für ihre große Leistung 173 Tage. Wenn der er an 25 Tagen je 1600 Kilometer zurücklegen, und er behält dann nur fünf Tage für Ruhe und Ausbesserungen an seinem Flugzeug übrig. Barnard hat fürzlich bereits einen Flug von London nach Kapstadt und zurück in der Rekordzeit von 21 Tagen ausgeführt; er ist auch bereits nach Indien und zurück in Rekordzeit geflogen. durchführen wird. Es sei dabei daran erinnert, daß der Graf daß er die geplante Leistung des Rekordfluges um die Welt auch 3eppelin" die Reise um die Welt im vorigen Jahre in 21 Tagen vollbracht hat.
teed nedosin bu nedisinnm
Nansens Nordpolfahrt
ein wenig an unsern Tagebüchern; dann, mußten wir an den Aufbruch denten. Aber wie müde maren wir manchmal noch! Wie oft würde ich nicht alles darum gegeben haben, wenn ich wieder in den Sad hineinfriechen und volle 24 Stunden durchschlafen fönnte. Es fáyien, als ob dies der größte Genuß der Welt sein müsse, aber es galt, nach Norden zu tommen, immer nach Norden."
Unvergeßlich wird in der Geschichte der Polarforscher die kühne| Nachdem wir das Frühstück behaglich verzehrt hatten, schrieben wir Schlittenreise sein, die Nansen mit seinem Freunde Johansen unternahm, um den Nordpol zu erreichen. Am 25. Februar 1895 fand an Bord des Fram" das Abschiedsfest statt. Tags darauf traten die beiden Pioniere ihre abenteuerliche Reise an, tehrten jedoch sehr bald zum Schiff zurück, weil sich herausstellte, daß sie zu viel Gepäd mit sich führten. Nansen errechnete sorgfältig das Mindest maß an Proviant, Geräten und Kleidungsstücken, um vor neuen Ueberraschungen bewahrt zu bleiben.
Am 14. März 1895 erfolgte dann unter Mitnahme von drei Schlitten mit 28 Hunden und zwei Kajaks die endgültige Abreise. Mit beispielloser Kühnheit und Todesverachtung drangen die beiden tapferen Männer trotz schwierigster Geländeverhältnisse gen Norden vor und legten in etwa drei Wochen fast 300 Kilometer zurück. Angesichts der ungeheuren Strapazen verloren sie den Glauben an den Endfieg nicht. Und der Kampf gestaltete sich zuweilen titanisch: ,, Wie waren wir doch oft so schläfrig, wenn wir vom Froit geschüttelt im Schlafsack lagen und darauf warteten, daß das Abend. essen fertig werden sollte! Ich, der ich der Koch war, mußte mich einigermaßen wachhalten, um auf das Kochen aufzupassen; es gelang mir auch zuweilen. Aber oft erwachte ich und fand, daß die Speifen viel zu lange gefocht hatten. Endlich war das Abendessen fertig und ausgeteilt; es schmeckte immer köstlich. Diese Augenblicke waren die Glanzpunkte, auf die wir uns schon den ganzen Tag freuten. Allein manchmal waren wir so müde, daß uns die Augen zufielen und wir mit dem Löffel auf dem Wege zum Munde einschliefen. Die Hand fiel leblos zurück, und die im Löffel befindliche Speise flog auf den Sack. Nach dem Essen gestatteten wir uns in der Regel den Lugus eines Extratrunkes Waffer, so heiß, wie wir es schlucken konnten; in dem Wasser war Moltenpulver aufgelöst. Es schmeckte ähnlich wie gekochte Milch, und wir fanden es wunderbar belebend; es schien uns bis hinab in die Zehenspißen zu wärmen. Dann pflegten wir wieder tief in den Sad hineinzufriechen, die Klappe über den Köpfen sorgfältg festzuschnallen, uns dicht aneinander drängend und bald den Schlaf des Gerechten zu schlafen. Aber selbst in den Träumen marschierten wir unaufhörlich meiter nach Norden, quälten uns mit den Schlitten ab und trieben die Hunde an... Morgens war ich als Koch gezwungen, zuerst aufzustehen, um bas frühstück zu bereiken, mogu ich eine Sambe Seit brauchte...
Während des Monats März ging es in der Tat unaufhaltsam weiter nach Norden. Die Strapazen wuchsen; die Fahrt über altes, zusammengeschobenes, von breiten Spalten durchsetztes Scholleneis fostete manchen Schweißtropfen. Die Temperatur wechselte zwischen - 25 Grad und-45 Grad Celsius. Von der Mühseligkeit der Schlittenreise geben allein schon wenige Zeilen aus Nansens Tagebuchaufzeichnungen einen Begriff:
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,, Wir haben einige Kilometer zurückgelegt, Rinnen, Ketten und rauhes Eis. Es sieht wie eine endlose Moräne von Eisblöcken aus. Dazu das unaufhörliche Heben der Schlitten über die zahlreichen Unebenheiten; es würde allein genügen, Riefen zu ermüden... Wir sind nicht imstande, weiter nach Norden zu kommen; es wird eine ungeheure Arbeit, wenn wir auf dem Wege nach Franz- Joseph- Land solches Eis überwinden sollen."
Etwas wie Verzweiflung erfaßte die beiden Pioniere angesichts der Aussichtslosigkeit und ungünstigen Lage. Um diese Zeit hatte Nansen auch noch das Mißgeschick, daß seine beiden Uhren stehenblieben. So war er nicht einmal in der Lage, den genauen Standort zu ermitteln. Nansen erkannte trotz der bisherigen übermenschlichen Leistungen, daß er den Pol nicht werde erreichen können, so sehr ihn die stolze Aufgabe, die er sich gestellt hatte, auch locken mochte, den Kampf mit den zahllosen Mühseligkeiten, Entbehrungen, ernsten Gefahren und Hindernissen von neuem aufzunehmen. Er wollte aber auch die Kraft und das Leben seines treuen Schicksals gefährten nicht fahrlässig aufs Spiel sezen. So entschloß er sich zur Umtehr und schlug nunmehr weftlichen Kurs ein. Am Sonntag, dem 17. April, wurde die Schlittenreise zum Bol endgültig ab. gebrochen. Die Beobachtungen ergaben eine nördliche Breite von 85 Grad 14', genauer 86 Grad 13,6. Nansen war etwa noch 450 Kilométer vom Nordpol entfernt. Auf diesem nördlichsten Punkte, den damals noch teines Menschen Fuß betreten hatte, pflanzte Nansen amei Flaggen auf.