Morgenausgabe
Nr. 228
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47.Jahrgang
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Sonnabend
17. Mai 1930
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2ondon, 16. Mai.( Eigenbericht.)
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Der Sonderberichterstatter des Daily Herald" in Genf ist in der Lage, seinem Blatt einen authentischen Ueberblick über das Briandsche Memorandum für eine europäische Föderation zu geben. Briand hat, wie der ,, Daily Herald" feststellt, nicht ein mal den in Genf anläßlich der Völkerbundsversammlung anwesenden Außenministern den vollen Zegt mitgeteilt und die französische Delegation hatte kein Exemplar nach Genf mitgebracht. Das Memorandum zerfällt in eine Präambel, vier Kapitel und ein Schluß Es ist nicht, wie Zeitungsmeldungen wissen wollten, ein bloßer Fragebogen, sondern es entwickelt den Gedanken der europäischen Föderation nach allen Richtungen hin und bittet jede Regierung um eine Meinungs äußerung.
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Im Vorwort, entwickelt Briand die Notwendigkeit für Europa , eine Föderation zu bilden. Das erste Kapitel regt an, daß zunächst ein Borvertrag abgeschlossen werden soll, in dem sich die verschiedenen Staaten verpflichten, je de mögliche Anstrengung zur Verwirklichung einer europäischen Föderation zu machen. In den übrigen Kapiteln werden die Methoden ge prüft, die zur Berwirtlichung des Gedankens angewendet merden sollen. Ferner gibt Brimb Einzelheiten über die Art, in
Der die
europäische Liga innerhalb des Bölferbundes
funktionieren soll. Briand betont mehr als einmal, daß der Plan feineswegs gegen den Bölferbund gerichtet sei, noch den Bölferbund zu ersetzen sucht, es sei überbies gegen teine einzelne Macht oder Mächtegruppe außerhalb Europas oder außerhalb des Völkerbundes gerichtet. Briand besteht darauf,
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Märchen und Wirklichkeit.
Von unserem italienischen Korrespondenten.
daß eine solche Föderation die Souveränität der einzelnen auch an schädlichen Persönlichkeiten und verfehlten EinrichStaaten nicht aufheben werde. Es foll
Wie man an den trefflichsten Menschen und den besten Institutionen Fehler entdecken fann, so läßt sich natürlich tungen Gutes und Brauchbares finden. Man darf sich also nicht darüber wundern, menn von Zeit zu Zeit ein Tagesschriftsteller oder ein schreibfreudiger Tourist angenehme Eindrüde aus Italien berichtet. Im großen und ganzen
Föderation ist folgender: Der Grundgedanke für den Aufbau einer europäischen gönnt man Mussolini seine Lobredner, von den rein
Die europäischen Staaten bilden eine europäische Versammlung, die offenbar nach dem Muster der Völkerbundsversammlung fonftruiert werden soll. Außerdem ist ein europäischer Rat und ein ständiges Getretariat der Föderation vorgesehen, welches ihre Zentrale in Genf haben würden. Die europäische Versammlung würde alljährlich einen Präsidenten wählen.
Briand hofft, daß die Organisation bereits im Laufe des nächsten Jahres ihre Tätigkeit aufnehmen kann. Im Schluß Wärme darauf hin, daß die europäische Föderation den Wünschen wort weist Briand in seinem Memorandum mit überzeugender der europäischen Böller entsprechen und daß es dabei staatsmännische Weisheit darstelle, dieses Verlangen der Bölfer in eine feste or ganisierte Form zu bringen.
Das Memorandum wird am Sonntag, 6 Uhr nachmittags in Paris der Oeffentlichkeit übergeben werden, und es verlautet, daß zur gleichen Stunde die französischen Botschafter in Moskau , Washington und Angora und in jenen anderen Ländern, die nicht dem Bölkerbund angehören, den betreffenden Regie. rungen einen turzen Ueberblick über den Inhalt des Memorandums geben werden. Die Botschafter werden bei dieser Gelegenheit nachdrücklichst darauf hinweisen, daß dieser politische Schritt keinerlei feindselige Wendung gegen eine europäische Macht darstelle.
Die Nachrichten aus Indien lauten am Freitag wieder außer ordentlich ernst. Schwere Ausschreitungen haben fich in der Stadt Mymemjing( Bengalen) ereignet, wo die Menge die Ablieferung von£ itör auf einem von Truppen beglei
hyaya, die beabsichtigt hatte, während des fommenden Wochen endes von dem staatlichen Salzdepot in Wadana Besiz zu ergreifen, ist verhaftet und in Bombay zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt worden.
ästhetisch durch die Aufmachung Beeindruckten, deren Liste mit Bernard Shaw anfängt, bis herab zu denen, deren Eindruckfläche ganz woanders fißt.
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Daß wir aber einen Vorfämpfer der Demokratie wie Theodor Wolff von der Tribüne des„ Berliner Tageblatts" Wohlwollen und Sympathie für Mussolini äußern hören, fordert Beachtung und Einspruch. Solange andere dasselbe sagten, war es eben etwas anderes. Die Worte haben anderen Klang und Widerhall in einer Heimwehr - oder Stahlhelmversammlung, als in einem Organ der Demofratte von stolzer Unabhängigkeit. dann Mussolini selbst. Was hat nun Theodor Wolff in Italien Eindruck gemacht? Zunächst die Aufforstungsbestrebungen,
dem Faschismus. Im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts Aufgeforstet hat man in Italien längst vor haben sich die nackten Felsabhänge der Abruzzen mit Nadelbäumen befleidet, womit man auch damals, wie heute, den ausdrücklichen Zwed verfolgte, den periodischen Ueberschwemmungen vorzubeugen, da ein murzelgefestigtes Erdreich die Niederschläge zurückhält. die der kahle Stein talmärts stürzen läßt. Im faschistischen Regime forstet man weiter auf. Ob man in den Jahren 1928/29 wirflich, wie sich Theodor Wolff hat sagen lassen, neuntausendfünfhundert Hektar bepflanzt, fünfundfünfzig Millionen samen dem Boden gegeben hat, darüber wollen wir nicht Pflanzen und fünfhundertsiebenunddreißig Kilogramm Waldftreiten. Wenn es wahr ist, ist es zweifellos ein Berdienst. Wer tann das tontrollieren? Da man dem deutschen Jour nalisten die faschistische Waldmiliz als eine neue Einrichtung hingestellt, ihn also hierüber falsch unterrichtet hat, tönnte man ihm auch falsche Zahlen aufgetischt haben. Die faschistische Waldmiliz ist nur das umgetaufte Personal der längst vor dem Faschismus be stehenden staatlichen Forstverwaltung. Früher hießen die Beamten Forstmeister, heute heißen sie Konsuln, früher trugen sie ein weißes, heute tragen sie ein schwarzes Hemd. Was den Aquädukt von Apulien betrifft, so war er von Anfang an für 56 Ortschaften berechnet. Wenn man Theodor Wolff gesagt hat, man hätte ,, auf Mussolinis Geheiß ein ganzes Neh von Nebenfanälen angelegt", so gibt man diesem Geheiß, wie Mussolinis Strafgesehen, rüdwirkende Kraft.
Daß die Malariabefämpfung ein schnelleres Tempo unter dem Faschismus angenommen hätte, ist eine falsche Information. Richtig ist, daß man heute
telen Wagen zu verhindern fuchle. Die Menge durchbrach die po 50000 Menschen an Troelstras Grab. ungefähr wieder das zurückerobert hat, was während des
lizeiliche Absperrung, zertrümmerte einige der Fässer und setzte den Wagen in Brand. Nach wiederholten Mahnungen an die Menge, auseinanderzugehen, wurde der Befehl zum Feuern erteilt. Auf seiten der Polizei gab es 32, auf feilen der Menge 53 Berlegte.
Der indische Kongreßausschuß in Allahabad hat die Boykot. tierung aller britischen waren, den vollständigen Steuerstreit, die Mißachtung der Forstgefeße und die Verschärfung des Rampfes gegen das Salzmono po I be schlossen.
Das Kriegsgericht in Scholapur hat am Freitag eine Reihe schwerer Strafen verhängt. So erhielt der Präsident des Kongreßausschusses sieben Jahre und der Sekretär des Kriegsrates zehn Jahre fáyweren Rerfers zuerteilt.
Frau Naidu verhaftet und wieder freigelaffen.
New Delhi, 16. Mai. ( Eigenbericht.) Die Polizeibehörden haben dem Stellungstrieg zwischen Frau Naidu bzw. ihren Anhängern und der Bolizei nach 28stündiger beiderseitiger Untätigkeit ein Ende bereitet. Frau Naidu und 100 ihrer Anhänger wurden ver. haftet und nad) dem Feldlager der Anhänger Gandhis in Dhar fane zurüdgebracht. Dort wurden sie wieder auf freien Fuß gefeßt. Bor der Berhaftung hatte die Polizei Frau Naidu und ihren Anhängern jede Zufuhr an Nahrungsmitteln und Wasser abgeschnitten.
Am Freitag wurde der langjährige Führer der niederländischen Sozialdemokratie, Troelstra , im Haag zur legten Ruhe gebettet. Zahlreiche Sonderzüge aus allen Teilen des Landes führten Tausende von Anhängern Troelstras nach dem Haag. Aus Amsterdam waren in drei überfüllten Extrazügen 5000 Teil nehmer erschienen. Auch aus Friesland , der Heimat Troelstras, und aus Groningen waren mehrere tausend Mitglieder der Sozial demokratie herbeigeeilt, um dem Toten die lehte Ehre zu erweisen. Aus den benachbarten Städten brachten Tausende von Autobussen große Menschenmassen in die Stadt. Im Auftrag der Internationale war Bandervelde erschienen, für die belgischen Sozialisten war Huysman und für die deutsche Sozialdemokratie Otto Wels anwesend.
Auf dem Friedhof defilierten etwa 50 000 Menschen an dem Sarge des verstorbenen Führers. Auch zahlreiche bürger liche Politiker erwiesen dem toten Gegner die letzte Ehre. In einer zweiten Gedächtnisfeier gedachte Albarda im Namen der jozialistischen Kammerfrattion, in Gegenwart der Frau, der Kinder und Entellinder des Berstorbenen, bes toten Führers, als eines Priesters der Menschheit, der sich selbst geopfert habe. Bander pelde widmete dem Toten Abschiedsworte im Namen der Sozia listischen Arbeiterinternationale. Otto Wels ehrte in packenden Worten den Mann, der wie ein Fürst zu Grabe getragen werde, als einen Berfünder der Menschenliebe und der Rein. heit im Handeln und im Wollen, der die sozialistische Welt wieder zu fammengeführt und sich den besonderen Dank der deutschen Sozialdemokratie ermorben habe.
Die Nachricht von dem Stellungstrieg zwischen Frau Naidu und der Polizei hat Tausende von Anhängern Gandhis in allen Teilen der Provinz Bombon veranlaßt, nach Dharjana zu wandern, um die gescheiterte Besizergreifung des staatlichen Salzdepots vorzunehmen. Die Polizei, die sämtliche Zugangs. ftraßen nach Dharsana abgeschnitten hatte, hinderte die Anhänger Am Freitag abend fanden in Holland überall lofale Bandhis an der Erreichung ihres Zieles. Frau Tattopad.' Trauerfundgebungen für Troelstra statt.
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Krieges durch Einstellung der Urbarmachungen, Bernachfässigung der Chininprophylaxe und Einschleppung schwerer Malaria aus Albanien verlorenging. Zahlenmäßig steht man nicht weiter, als nach dem vor dem Krieg erzielten Fortschrittstempo seit Rückkehr zu normalen Verhältnissen zu errechnen war; man steht sogar dahinter zurück.
Wenn man übrigens dem Journalisten Errungenschaften gezeigt hat, die es noch nicht gibt, so auch wieder Dinge, die es nicht mehr gibt. In Bagnoli Irpino hat man ihn glauben laffen, er werde vom Bürgermeister( Sindaco ) und dem Gemeinderat empfangen; dergleichen gibt es im faschistischen Italien nicht. Der Bürgermeister" mit der begeisterten Rede, von dem Theodor Wolff den Eindrud hatte, er spräche ohne Rücksicht auf den anwesenden Vertreter der faschistischen Regierung, war ja selbst ein Vertreter der faschistischen Regierung.
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Und hier kommen wir auf etwas, was gewissermaßen zur Technif politischer Entdeckungsreisen gehört. Man soll sich nicht in den Gefälligkeitsbereich derer begeben, über die man fich informieren will. Wer mir ein liebenswürdiger Begleiter ist, in dessen Auto ich siße, an deffen Tafel ich speise, der entwaffnet meine fritische Einstellung, ob ich es will oder nicht, selbst, ohne daß es mir zum Bewußtsein täme. Und dieselbe verminderte fritische Mehrhaftigkeit macht sich bei den Mussolini - Empfängen geltend. Der Angreifende hat auch hier den Vorteil. Und Mussolini greift an mit dem schweren Geschüß dessen, was Wolff feinen„ Charme" nennt, nämlich mit seiner fal= schen Treuherzigkeit, die jeder Deutsche beim Deutschen sofort durchschaut, für deren intuitives Erfennen ihm aber gegenüber dem Angehörigen eines anderen Landes der Instinkt versagt. Die gefrorene Pose scheint ihm echt,