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Rr. 230 47. 3ahrgang

1. Beilage des Vorwärtse

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Gonntag, 18. Mai 1930

Briands Europa Denkschrift.

Bildung einer europäischen Geftion des Bölferbundes.

Das Memorandum über die Organisation eines euro- Staates zu mahren, aber allen den Borteil einer tollettiven Soli-| Das Empfinden der Böffer scheint sich in dieser Hinsicht schon päischen Staatenbundes, das gestern mittag von den diplo darität zu gewähren. Auf mirtschaftlichem Gebiet wird als idealer deutlich befundet zu haben. Sache der Regierungen ist es heute, matischen Vertretern Frankreichs in allen Hauptstädten der Endzmed gedot: die Einrichtung eines gemeinsamen Mart ihre Berantwortung auf sich zu nehmen, wollen sie es nicht den Welt überreicht wurde, ist ein Dokument von ganz außertes zur Höchftsteigerung des Nineaus der menschlichen Wohlfahrt zufälligkeiten privater Initiative und regellojen Bersuchen über­Zum ordentlicher politifcher Bedeutung. auf dem Gesamtgebiet der europäischen Gemeinschaft". Es fönnte laffen, die materiellen und moralischen Kräfte zu gestalten, deren cine rationelle Organisation der Erzeugung und des Güteraus Beherrschung zugunsten der europäischen Gemeinschaft und der erstenmal in der Weltgeschichte tritt der Plan eines euro­tausches angestrebt werden, durch fortschreitende Erleichterung und päischen Staatenbundes so greifbar in Erscheinung, daß mit methodische Bereinfachung des Güter, Kapital und Personenver Menschheit ihre eigene Aufgabe ist." der Möglichkeit eines Anfangs der Berwirklichung in abseh tehrs, lediglich unter dem Vorbehalt der Bedürfnisse der nationalen barer Zeit gerechnet werden fann. Berteidigung in jedem Staate.

Das Memorandum beginnt mit der Erinnerung daran, daß am 9. September vorigen Jahres auf einer ersten Zusammenkunft in Genf die Vertreter der 27 europäischen Bällerbundstaaten den Vers treter Frankreichs damit betrauten, in einem Memorandum die mesentlichen Fragen einer europäischen Bundesorganisation darzu legen und die Ansichten der Regierungen darüber einzuholen. Der Gedante einer solchen Organisation ist zurückzuführen auf das Ge­fühl der Gesamtverantwortlichkeit angesichts der Gefahr, die infolge der im allgemeinen Wirtschaftsleben noch herrschenden Unaus­geglichenheit den Frieden bedroht. Die Zersplitterung der Kräfte beschränkt die Möglichkeit für eine Erweiterung des Marktes und für die Verbesserung der Produktion somie für die Ausschaltung Der Krisen auf dem Arbeitsmarkt. Die Gefahr einer solchen Zer­splitterung wird noch vermehrt durch die große Ausdehnung der

neuen Grenzen:

mehr als 20 kilometer Jollschranken, die durch die Friedens verträge geschaffen

menden mußten, damit den nationalen Bestrebungen Genüge getan murde. Die Dentschrift führt dann meiter aus, Europa müffe fich endlich seiner geographischen Ginheit bemußt merden und im engsten Anschluß an den Bölterbund eine Form der Zusammenarbeit finden. Von einer solchen europäischen Bundesorganisation würde der Bölkerbund nicht Schaden, sondern nur Rugen haben. Die Zu ftändigkeit des Bölferbundes als der Gesamtorganisation soll in feiner Weise angetastet merden. Auch gegen irgendeine andere Gruppe in anderen Erdteilen oder in Europa würde die Organisa­tion feine Spige haben. Es sei auch nicht der Sinn der europäischen Einigung, nach Art der früheren Zollunionen zu verfahren, hei denen innere Zölle abgeschafft murden, um gegen außen desto höhere einzuführen. Es sei auch nicht beabsichtigt, souveräne Rechte der Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen.

Nach meiteren Ausführungen über diefen Bunft geht die Dent jchrift dazu über, die verschiedenen Bunkte darzulegen, über die die Regierungen ihre Ansicht äußern sollen.

T.

Nofmendigkeit eines allgemeinen, menn auch noch so elementaren

Vertrages zur Auffellung des Grundjages der moralischen Union Europas und zur feierlichen Bekräftigung der zwifchen europäischen Staaten geschaffenen Solidarität.

Nach Meinung der fanzösischen Regierung sollen sich die Res gierungen verpflichten, in periodisch wiederkehrenden oder in außer ordentlichen Tagungen regelmäßig miteinander Fühlung zu nehmen. Der Vertrag müsse möglichst allgemein und furz gehalten sein, aber doch den Charakter dieses Zusammenschlusses als eine Abmachung über bestimmte Gebiete nach Artikel 21 der Böllerbundsjagung defi­nieren. Auch wäre der europäische Vertrag anfänglich den euro­ päischen Staaten vorzubehalten, die Mitglieder des Bölferbundes find.

II.

"

Notwendigkeit einer Einrichtung, die der europäischen Union die zur Erfüllung ihrer Aufgabe erforderlichen Organe sichert. Hier mird die Einrichtung einer europäischen Konfe renz vorgeschlagen. Ihrer Befugnisse, die Organisation thres Borfizes ufm. müßten bei der nächsten Zusammenkunft bestimmt werden. Zur Bermeidung jedes llebergewichts eines Staates über die anderen müßte der Borsi jährlich wechseln. In Ge stalt eines ständigen politischen Ausschusses müßte ein Vollzugsorgan geschaffen werden. Die Zusammensetzung, die Be fugnisse des Ausschusses und die Art, die Nennung seiner Mitglieder zu bestimmen, müßte Aufgabe der nächsten Zusammenkunft sein. Auf alle Fälle müßte der Ausschuß am Siz des Bölferbundes in Genf tagen, eventuell zugleich mit den ordentlichen Sizungen des Völkerbundsrates. Die Tätigkeit dieses europäischen Ausschusses ist zunächst als eine konstituierende und organisierende gedacht. Poli­tische, wirtschaftliche und andere Fragen, die Europa besonders an gehen und vom Bölkerbund noch nicht behandelt worden sind, sollen geprüft werden, die Durchführung der allgemeinen Bölferbunds. befchliffe foll erleichtert werden. Dann ist auch noch von der Bil dung technischer Sonderausschüsse die Rede, die aber immer unter unnittelbarem Einfluß der Regierungen bleiben müssen. Schließlich wird zu diesem Puntt die Notwendigkeit

eines diensttuenden Sekretariats dargelegt, möge es auch anfangs noch so flein sein. Zunächst fönnte man das Gefre tariat der Regierung angliedern, die jeweils den Vorsig im Europa ausschuß hat. Ständig geworden, müßte das Sekretariat seinen Sitz in Genf haben.

III.

Notwendigkeit der vorherigen Fefflegung der wesentlichen Ceit gedanken, die den allgemeinen Begriff des europäischen Ausschusses bestimmen und ihn bei seinen Vorarbeiten für die Aufstellung des Programms der europäischen Organisation leifen sollen. Dazu mird ausgeführt, daß jeder Fortschritt zur Wirtschafts. einigung eng von der Sicherheitsfrage abhäagt und daß barum der Aufbau zunächst auf politischem Gebiet einfegen muß. Auf dieser Grundlage müßte dann erst die Wirtschaftspolitif aufgebaut werden. Die ungefehrte Reihenfolge würde schwächeren Nationen geeignet erscheinen, für sie die Gefahr einer politischen Beherrsdung duró wirtschaftlio) ftärfere Staaten herbeizuführen. Nur auf diesem Wege werde man

zu einer liberalen Zollpolitit

gelangen. Endzwed sei ein Bund zur Cinigung nicht zur Einheit, has heißt, er muß elastisch genug fein, um die Unabhängigkeit jedes

T

IV.

3medmäßigkeit alle Fragen der Durchführung entweder der nächsten europäischen konferenz oder dem fünftigen europäischen Ausschuß vorzuhehallen. Als solche Fragen merden unter anderem aufgezählt: Kontrolle der Politik der Industrieverbände und artelle zwischen den verschiedenen Ländern. Zusammenwirken bei großen öffentlichen Arbeiten ( Autostraßen, Kanalbauten ufm.).

Regelung und Berbesserung des europäischen Berkehrs. Vereinbarungen über Flußschiffahrt, Eisenbahn, Boft, Radio ufm. Unterstützung des Kreditmesens für die Aufschließung der wirtschaftlich minderentwickelten Gegenden Europas , Währungs fragen.

Lösung gewisser Sonderfragen der Arbeit, wie in der Flußschiffahrt und in der Glasindustrie, Regelung der sozialen Folgen der Auswanderung, Anwendung der Unfallversicherung und der sonstigen Sozialversicherung non Land zu Land. Hygiene förderung, gemeinsame Seuchenbekämpfung. Zusammenmirten im Kampf gegen Berufsfrankheiten, Kindersterblichkeit ufm.

Geistiges 3usammenwirten, Zusammenfassung der Forschung, Berbesserung des Pressewesen der Beziehungen zwischen den Nachrichtenbüros, des Zeitungsversandes ufm.

Förderung der interparlamentarischen Beziehun

gen im Anschluß an die interparlamentarische Union .

Das sind im mesentlichen die Punkte, zu denen sich die euro. päischen Regierungen äußern sollen, und zwar werden fie gebeten, ihre

Antwort bis zum 15. Jufi

dieses Jahres zu erteilen. In einem Schlußwort führt die Dent. schrift aus: Es tomme nicht darauf an, mit einem Schlage einen Idealbau aufzurichten, man müsse fich vielmehr vor jeder por gefaßten Meinung hüten und sich praktisch mit der Berwirklichung eines ersten Anfangs zur Herstellung einer dauernden Solidarität bescheiden. Dann heißt es wörtlich:

,, Nie war die Stunde günstiger und nie war es dringender, ein Wert des Aufbaus in Europa zu schaffen. Durch die Regelung der wichtigsten materiellen und moralischen Probleme, die der Krieg gezeitigt hat, wird das neue Europa fich bald von der Bürde befreien, die so schwer auf seinem Geiste wie auf seiner Wirtschaft gelaftet hat. Schon jetzt erscheint es zu einer positiven Anstrengung befähigt, die einer neuen Ordnung der Dinge entspricht. Es ist eine Entscheidungsstunde, in der ein maches Europa sein Schicksal selbst bestimmen farm.

Einig sein, um zu leben und zu gedeihen das ist die ge­bieterikhe Notwendigkeit, vor der die Bölfer Europas ffehen.

el

*

Der bedeutungsvolle Schritt der französischen Regierung ist zu einer Zeit erfolgt, in der sich die Sozialdemo fratische Partei Deutschlands nicht in der Re­gierung befindet. Doch möchten wir aus dieser Tatsache noch teine pessimistischen Schlüsse ziehen. Bisher hat sich die aus wärtige Politik der deutschen Republik in ihren Hauptlinien nach den großen Gesichtspunkten entwickelt, die von der So­3ialdemokratischen Partei aufgestellt waren, und diese Ent­micklung ist bisher auch in solchen Zeiten ziemlich ungestört meitergegangen, in denen sich die Sozialdemokratie in der Opposition befand. Daß dem so war, ist in erster Linie das Verdienst der Sozialdemokratischen Partei selbst, die sich ganz besonders auf dem Gebiete der Außenpolitit stets nur von allerfirengsten Sachlichkeiten leiten ließ, mochte sie nun in der Regierung sein oder nicht.

Der Gedanke der Bereinigten Staaten von Europa ge hört zum geistigen Erbgut der Sozialistischen Arbeiter- Inter­nationale. So heißt es auch im Heidelberger Programm der deutschen Sozialdemokratie von 1925:

Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands .. tritt ein für die aus wirtschaftlichen Ursachen zwingend gewordene Schaffung der europäischen Wirtschaftseinheit, für die Bildung der Bereinigten Staaten von Europa , um damit zue Interessensolidarität der Bölfer aller Kontinente zu gelangen.

Die Sozialdemokratische Partei muß von der deutschen Re gierung erwarten, daß sie jede sich bietende Gelegenheit er­greift, um den großen Gedanken der europäischen Völker folidarität der Berwirklichung näherzubringen. Eine solche Gelegenheit ist jetzt durch den Vorschlag der französischen Re­gierung gegeben. 3war haben ganz gescheite Leute schon längst herausgebracht, daß die Initiative der französischen Re­gierung feinen anderen 3wed verfolge als den, die Ober­herrschaft Frankreichs über ganz Europa zu stabilisieren. An­genommen, diese Entdeckung träfe das richtige, so könnte die deutsche Regierung nichts dümmeres tun, als etwa die fran­ zösischen Vorschläge sabotieren. Denn dadurch würde sie die ösischen Vorschläge sabotieren. Denn dadurch würde sie die moralische Isolierung Deutschlands und infolgedessen auch die tatsächliche Vorherrschaft Frankreichs mur um so sicherer her­beiführen. Ernstlich fann der Sache des deutschen Volkes nur dadurch gedient werden, daß die deutsche Regierung vor den Augen aller Welt im Streben nach der Berwirklichung des großen Gedankens den Wettbewerb mit Frankreich aufnimmt, daß sie loyal und so positiv schöpferisch mie nur möglich an der Berwirklichung mitarbeitet.

Räumung befohlen.

Young- Plan in Kraft. - Im letzten Stadium noch eine Schwierigkeit.

Paris , 17. Mai. ( Eigenbericht.)

Der Befehl zum Beginn der Räumungs. operationen im Rheinland , dessen Erlaß die franzö­fche Regierung von der formellen Jukraftsetung des Young- Planes abhängig gemacht hat, ist um 18,30 Uhr von dem französischen Kriegsministerium an die militäri­fchen Stellen im besetzten Gebiet gegeben worden.

Young- Plan in Kraft gesetzt.

Radymittags fiinf Uhr tonnte dann die feierliche gemeinsame Fests. ftellung durch die Reparationsfommission und die Kriegsfasten­tommiffion erfolgen, daß nach Erfüllung aller Vorbedingungen der Young- Pian in Kraft getreten ist. Gleichzeitig wurden die letzten Dames Schuldverschreibungen A, B und C feierlis verbrannt.

Die Reparationsbank eröffnet.

Arbeitsaufnahme ohne Feierlichkeit.

Paris , 17. Mai. ( Eigenbericht.) Bafel, 17. Mai. 1 Die Reparationskommission und die Kriegslasten. Die offizielle Eröffnung der Tätigteit der Bant fire kommission haben in gemeinsamer Sihung den Young Internationalen Zahlungsausgleich ist am 17. Mai erfolgt. Da die Plan und die Haager Vereinbarungen in Kraft gesetzt. Hauptvoraussetzung für die Inbetriebnahme der Bant, die Unter­Im letzten Augenblid ergab sich noch eine ernfte Meizeidung des Trustee- Vertrages zwischen den Regierungen und der nungsverschiedenheit zwischen Deutschland und feinen 238, in Paris stattfindet, sah man von jeder Beremonie im Ge­Gläubigern. England trat plöglich mit der Forderung hervor, bäude der Bank in Basel ab. Die Bank fann mun an ihre be daß die legten 22 Annuitäten des Young- Planes, die nach der 2b deutungsvollen Aufgaben auf reparationspolitischem, mährungs­zahlung der eigentlichen Reparationslast zur Deckung der intertechnischem und notenbanttechnischem Gebiet herangehen und die alliierten Schulden dienen, in ihrer ganzen Höhe zu den un feit Jahren angestrebte Zusammenarbeit der Rotenbanken zur Wirl­geschügten Zahlungen gezählt werden follten. Das Anfinnen, lidleit werden lassen, ein Ziel, das schon allein durch das regel. das meder im Young- Plan noch in den Haager Verträgen irgendeine mäßige Sufaranentreffen der Rotenbankleiter, die zugleich Mifa Stüge findet, wurde von den deutschen Bertretern abgelehnt glieder des Bermaltungsrats der B33. find, erleichtert wird. Infolgedeffen konnte man sich auch über Tegt und Inhalt der vou Deutschland der Internationalen Zahlungsband in Basel zu über­gebenden Schulbenanerfemmungsurtunde nicht einigen. Die Reparationstommiffion trat deshalb zunächst allein zusammen und stellte fest, daß der Young- Blan nid) t in Kraft treten könne, weil die Deutsche Schulbenanerkennungsurkunde feble. Inzwischen aber spielte das Telephon amischen Baris und Basel und

mon fand eine Kompromißformel, die die Schuldenanerkennung Deutschlands in genügend bindender Form ausspricht, dabei aber den Streit um die lehten 22 Annuitäten offen läßt.

Fridtjof Raujeus. Ichter Fahrt in Oslo wahden außer dea offiziellen Persönlichkeiten und den Bertretern ausländischer Re­gierungen an 50 000 Menschen bei. Ganz Norwegen trauerte um feinen großen Sohn.

Der Warschauer Journalist Seinfeld, von einer Telegraphen agentur, hatte im Dezember n. 3. zufällig ein Telephongespräch des Staatspräsidenten mit dem Premierminister Bartel mitgehört und den Inhalt prinat und öffentlich verbreitet. Seinfeld wurde der politijden Spionage angeilagt, jegt ober freigesprrahen, zumal die Sadperständigen erklärten, solches Abhören sei auch ohne Ab­ficht möglich.