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BERLIN  Mittwoch

4. Juni 1930

Der Abend

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Nr. 257

B 128 47. Jahrgang

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Konflikt Scholtz- Reuter.

Will Bürgermeister Scholtz den Verkehrsdezernenten verdrängen?

Heute mittag ist der Berliner Magistrat zusammen­getreten, um über die finanzielle Lage der Verkehrs. gesellschaft zu beraten. Die katastrophalen wirtschaft­lichen Verhältnisse, die sich in der Riesenstadt Berlin   be sonders stark auswirken, haben einen Verkehrs. rückgang zur Folge gehabt, dessen Ausmaß niemand voraussehen konnte. Die Tatsache eines dadurch be. dingten Ausfalls der Einnahmen in Höhe von rund 10 Millionen Mark hat Bürgermeister Schol bekanntlich benutzt, um in der Ceffentlichkeit den Ein­druck einer schweren finanziellen Depression hervor zurufen. In der heutigen Sigung dürfte sich Stadt. rat Reuter zu den erhobenen Beschuldigungen aus­führlich äußern und die Kritik des Bürgermeisters energisch zurückweisen.

Bürgermeister Scholz, der vor einigen Tagen von Locarno  zurückgekehrt ist, hat seine Tätigkeit damit begonnen, daß er die Berline Stadtverwaltung aufs neue in Mißkredit zu bringen sucht. Er hat gestern in der Stadtverordnetenfigung Ausführungen über die Finanz! age der B2G. gemacht, die nur aus der Absicht zu erklären sind, eine Panitstimmung zu erzeugen, in der dann politische Geschäfte gemacht werden können.

Die Auswirkung der Rede läßt sich in der Rechtspresse von heute morgen erkennen. Sie spricht von roter Mißwirtschaft, Finanz tatastrophe der BBG., ja jogar vom Bantrott der BBG. Die Schuld an diesen ungeheurlichen hezerischen Uebertreibungen trägt Bürgermeister Scholz.

Es handelt sich darum, daß die Konjuntturtatastrophe und das Andauern der Massenarbeitslosigkeit zu einem Verkehrs:

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rückgang geführt haben. Wie die Wirtschaftskrise den Wohlfahrts­etat belastet, so selbstverständlich auch die Bilanz der BVG. Es wurde mit einem Bruttoergebnis von etwas über 70 Millionen Mark gerechnet, das wirkliche Ergebnis wird Andauer der Krise voraus­gesetzt mach pessimistischen Schätzungen etwa um 10 Millionen Mark hinter der Schätzung zurückbleiben. Im übrigen hat sich noch nicht einmal der Aufsichtsrat der BVG. mit der Schägung des Ausfalls befaßt. Die Methode des Bürgermeisters Scholt iſt deshalb ausgesprochene Panitmache. Glaubt der Herr Bürgermeister, sich mit solchen Methoden ein Relief geben zu

können?

Die Presse des Herrn Hugenberg spitzt die von Scholz erzeugte Stimmung gegen den sozialdemokratischen Stadtrat Reuter zu.

Groener

Reitswehrminister Groener verweigerte dem Abg. Künstler die Antwort auf eine Anfrage.

FEDRATH

Künftig bekommen nur noch die Abgeordneten Antworten, deren Fragen ich vorher gebilligt habe."

Die Beschlüsse des Kabinetts.

Nächste Kabinettssigung am Donnerstag.

Ueber das Ergebnis der Kabinettsfihung wurde gestern um Mitternacht folgende Amtliche Mitteilung ausgegeben: Das Reichs­fabinett beschäftigte sich in seiner heutigen Sizung unter dem Bor­fih des Reichskanzlers zunächst sehr eingehend mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Aenderung der Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung. Das kabinett billigte grundsätzlich die vom Reichsarbeitsminister vorgeschlagenen Abände­rungsbestimmungen, deren definitive redaktionelle Festlegung am tommenden Donnerstag erfolgen soll.

Das Reichskabinett wurde sich dann in Fortsetzung seiner Be­ratungen über die Dedungsvorschläge zum Reichshaus­halt einig. Den Refforts wurde aufgegeben, die detaillierte ge­Jchgeberische Ausarbeitung der Beschlüsse des Kabinetts für 1. ab­jchließende Kabinettsjihung am Donnerstag vorzulegen.

Zeppelin fährt mit Rückenwind. Freitag vormittag voraussichtlich wieder in Friedrichshafen  . Friedrichshafen  , 4. Juni.  ( Eigenberidjt.) Das Luftschiff ,, Graf 3eppelin" überquert den Ozean auf feiner Rückfahrt nach Friedrichshafen   bei außerordentlich günsti= gem Rüden wind in einem Tempo vou 70 bis 80 Meilen. Das Luftschiff befindet sich nach seiner legten Positionsmeldung von heute vormittag 5 Uhr etwa 2500 Kilometer von der spanischen   Küste ent­fernt und hofft Sevilla   im Laufe des Donnerstagvormittag zu erreichen. Die Rückkehr des Schiffes wird in Friedrichshafen  für Freitag vormittag erwartet.

Ein zweiter Fall Bessedowski.

Hoher Sowjetfunktionär legt in Paris   sein Amt nieder.

Paris  , 4. Juni.  ( Eigenbericht.) sein, als er Kenntnis von gewissen Hintergründen der Vera

Der Generalsekretär der Handelsbank für Nordeuropa", Ru- chleppungsangelegenheit Rutie pows haben sol! off, feif 1905 Mitglied der kommunistischen   Partei, hat sein

mit niedergelegt. In feinem Demiffionsfchreiben erläutet, General Guillaumat über Räumung. daß er von seinem Posten aus das Treiben der Sowjets allzu habe beobachten können, und daß ihn seine Erfahrungen dazu ge. Deutsche Behörden und franzöfifches Militär arbeiten nift ifchen Partei abzubrechen. Anstatt der versprochenen nichtungen hätten, jede Berbindung mit der kommu­reibungslos. nistischen Freiheit habe der Kommunismus den arbeitenden Massen nichts anderes als Unterdrüdung gebracht. Zunächst habe er, Rufoff, geglaubt, daß der Fehler an den Persönlichkeiten der Führer liege, doch habe er sich überzeugen müssen, daß das ganze System faul sei.

Er soll angeblich seines Boſtens enthoben werden und ein anderes Dezernat erhalten. Im Anschluß daran ruft der Lotal. Anzeiger" pathetisch: Schluß mit der roten Mihwirtschaft! Man versteht, wie es gemeint ist! Weil man Stadtrat Reuter nicht anders verleumden tann, mill man ilym wenigstens den Verkehrs­rüdgang zur Last legen. Wenn es zu Pfingsten regnet und der erwartete Riesenverkehr mit entsprechenden Einnahmen ausbleibt, dann ist das selbstverständlich auch rote Mißwirtschaft, an der Stadt­rat Reuter die Schuld trägt.

Der Berliner   ,, Lofal- Anzeiger" erzählt weiter, Stadtrat Reuter sei nach der Sigung zusammengebrochen. Es ist ein Schwindel, der auf die Spießbürgerpsychologic berechnet ist. Zusammenbruch von Stadtrat Reuter das soll zu verstehen geben, daß hier wieder etwas nicht in Ordnung ist. Es ist die niederträchtige Methode der Berleumdung und des Ehrabschneidens durch Andeutung, die nicht faßbar ist!

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Diesen Leuten hat Herr Scholz in die Hand gespielt, und wir stellen fest, daß seine Methode pielleicht bürgerlichen politi. schen Absichten dienen soll, daß sie aber den Interessen der Stadt Berlin   abträglich ist. Und wenn die Rechtspreffe von einem

Nachfolger für Reuter rebet, so wollen wir rechtzeitig feststellen, daß Herr Scholz wiederholt zu erfennen gegeben hat, daß er dies Dezernat felbst zu haben wünschte.

Herr Scholtz scheint uns viel mehr an tommende Wahlen zu denken als an die Interessen der Stadt Berlin  . Man wird fünftig feine Meinungsäußerungen und seine Handlungen in erster Linie unter diesem Gesichtspunkt prüfen und beurteilen müssen. Der Bürgermeister, der der politischen Hezpreffe und der Sensations presse zu einer Gelegenheit zu Panifmache und Heze verhilft, wird fich folche Bearbeitung gefallen laffen müffen!

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Der revoltierende Bankgewaltige wurde sofort zur Rechtfertigung in die ruffische Botschaft geladen. Er lehnte es jedoch ab, dieser Aufforderung Folge zu leiffen.

Bon der GPU.   überwacht.

Paris  , 4. Juni,

Ein zmeiter Fall Bessedowitn ereignete sich am

Dienstag in Paris  . Der Generalsekretär der russischen Handelsbank für Nordeuropa  , Rukoff, hat seinen Boften verlassen, um endgültig mit dem gegenwärtigen sowjetrussischen System zu brechen. Um feinen Schritt vor der Deffentlichkeit zu rechtfertigen, fandte Rufoff der Pariser Presse ein Schreiben, in dem er mitteilte, daß er bereits feit dem Jahre 1905 ber revolutionären Bewegung in Rußland  angehöre und feit 1917 Mitglied der Kommunistischen Partei Ruß­ lands   sei. Im Laufe der letzten Jahre sei er aber zu der Ueber­zeugung gekommen, daß man in Rußland   die Arbeitermassen unter­drücke, anstatt ihnen die langersehnte Freiheit zu geben. Der Fehler liege im Syſtem. Er wolle jetzt mit allen Kräften für seine polis tischen been fämpfen. Rufoff murde bereits seit geraumer Zeit durch den Unterdirektor der Bank, der in Wirklichkeit ein Geheim agent der GPU.   ist, überwacht. Den Befehl, sich nach Moskau  zu begeben, lehnte er aus naheliegenden Gründen ab. Die ruffische Botschaft soll über die plötzliche Ablehr Rutoffs um jo verärgerter

Paris  , 4. Juni.

,, Journal" bringt einige Erklärungen des Generals Guillau= in at über den Verlauf und die Abwicklung der Räumung des Rhein­lands zum Abdruck. Seit einem Monat würden, so erklärt der General, alle Tage 40 Waggons abgelassen. Genau in 30 Tagen werde nicht ein franzfischer Soldat mehr am Rhein   stehen. Er hoffe, daß fid) weiterhin alles ohne Zwischenfall abwickeln werde, wie sich das gehöre; auch in der Pfalz  , wo die Einstellung stets etwas schwieriger gewejen fei als in Mainz  , wo völlige Ruhe herrsche. Er, Guillaumat, fönne die Höflichkeit, die die deutschen   Behörden und Beamten stets bewiesen hätten, nur an erfennen. Jeder von ihnen habe sich ihm gegenüber sehr liebens­würdig gezeigt, und auf französischer Seite habe man auch sein möglichstes getan. Auf diese Weise würden die Besatzungstruppen beim Verlassen des Rheinlands feine schlechte Erinnerung hinter­laffen.

Tägliche Schreckensmeldung aus Lübeck  .

Jeder Tag fordert neue unschuldige Opfer.

Cübed, 4. Juni. Nachdem schon an den beiden vorhergehenden Tagen je zmei von Säuglingen an den Folgen der weitere Todesfälle Calmette- Fütterung eingetreten waren, sind auch im Laufe des gestrigen Tages wiederum zwei Kinder gestorben. Damit steigt die Zahl der Todesopfer auf 28. Krank find 101 Säuglinge, gebessert 36; gesund bzw. in ärztlicher Beobachtung befinden sich 81.