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BERLIN Donnerstag 5. Juni

1930

Der Abend

Erfcheint täglich außer Sonntags. Sugleich Abendausgabe des Vorwärts". Bezugspreis beide Ausgaben 85 Pf. pro Woche, 3,60 M. pro Monat. Redaktion und Expedition; Berlin SW68, Lindenstr. 3

Spalausgabe des Vorwärts

10 Pf.

Nr. 259

B 129

47. Jahrgang

66 Anzeigenpreis: Die einspaltige Nonpareillezcile

80 Pf., Reklamezeile 5 M. Ermäßigungen nach Tarif. Bosschecktonto: Vorwärts.Verlag G. m. b. H., Berlin Nr. 37536. Fernsprecher: Dönhoff 292 bis 297

Anklage gegen Lübeck .

Soll die Schuld der verantwortlichen Aerzte vertuscht werden?

Das Kindersterben von Lübed ist noch nicht zu

Ende aber schon sind Bemühungen im Gang, um

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die Schuldigen zu decken. Reichstagsabgeordneter Dr. Julius Moses schreibt uns darüber:

Den Berdacht, den wir gleich zu Beginn des Lübecker Toten­tanzes ausgesprochen haben, daß von gewisser ärztlicher Seite ver­jucht werden wird, die Schuldigenzuschüßen und die Affäre möglichst im Sande verlaufen zu lassen, bestätigt sich vollinhaltli.h. Jetzt sind wir glücklich so weit.

Noch immer nimmt das Sterben kein Ende, wieder sind Kinder gestorben, bis zur Stunde schon 28, und mehr als 100 liegen noch frank, aber um Lübeck ist es merkwürdig ruhig geworden.

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Die Herren Dottoren Altstädt und Deyde sind noch immer im Amte. Ihnen genügt offenbar der erste Beschluß der Bürger­schaft auf Suspendierung noch nicht. Sie müffen noch die zweite Lejung des Antrages abwarten- obwohl es ratsamer gewesen wäre, fie wären diesem Beschlusse freiwillig zuvorgekommen. Es genügt ihnen nicht, daß die Lübecker Bevölkerung von tiefstem Mißtrauen gegen sie erfüllt ist, ihnen genügt nicht die Miz­trauensvoten der Eltern der ums Leben gekommenen Kinder, sie bleiben als Angeschuldigte feelenruhig weiter im 21 mte und führen die Geschäfte weiter. Sie find um ihre Gemüts­ruhe wirklich zu beneiden. Als mollten sie sagen: Just und trog alledem. Troy 28 toten Kindern!! Da

Es bleibt merkwürdig ruhig um Lübeck . arbeitet eine Untersuchungsfommission des Reichsinnenministeriums ficherlich sehr gewissenhaft und sorgfältig fie hüllt sich in Echweigen, bis sie handgreifliche Resultate erzielt hat. Sehr lobens­wert! Immerhin fönnte man doch erwarten, daß fie zur Be­ruhigung der erregten Bevölkerung und namentlich der verzwei­felten Eltern der schwer franken Kinder, die um das Leben der Kleinen bangen, doch ein Sterbenswörtchen verlauten lassen fönnte. Wir wissen, daß sie vor einer schweren Aufgabe steht. Die Tubertel­fulturen, die den Tod brachten, sind weggeschüttet worden, viel wird, so fürchten wir, überhaupt bei der ganzen Untersuchung nicht herauskommen. Aber darum handelt es sich ja nicht. Die Bevöl­ferung ist garnicht so neugierig zu wissen, wie es zu einer Berun reinigung des Impfstoffes oder zu einem anderen Versehen ge= fommen ist. Damit wird fein totes Kind zum Leben gebracht werden. Sie ist viel begieriger darauf, zu erfahren,

wie die Kommission das Vorgehen der verantwort lichen Aerzte beurteilt.

Und dazu ist unseres Erachtens feine wochen oder gar monatelange Unterfuchnug nötig. Hier handelt es sich ganz einfach um folgende Fragen:

1. Haben die Aerzte pflichtgemäß gehandelt, als sie ein Mit­fel angewandten, das heute noch in der Wissenschaft abfolut umftritten ist? Medizinische Autoritäten von Rang und Ansehen bezeichnen es als gefährlich, ja fotbringend( Lignières , Pirquet u. a.), andere als zwar ungefährlich aber wirkungslos( Schloßmann), andere bezweifeln überhaupt die Richtigkeit der Calmettefchen Statistiken? Darf unter folchen Umständen eine Gesundheitsbehörde das Mittel an Hunderten von Säuglingen ausprobieren? 2. Haben die Aerzte pflichtgemäß gehandelt, als sie die Einwilligung der Eltern durch die Vorspiegelung der falschen Tatsache crzielten, das Mittel sei erprobt und bewährt, wobei sie bewußt die Einwände der Gegner verschwiegen? Heute erklären die Lübecker Eltern, sie hätten nie und nimmer ihre Justimmung gegeben, wenn sie gewußt hätten, daß von wissen­schaftlicher Seite so schwere Bedenken vorgebracht worden sind, daß es fich also um ein Egperiment handelt.

Stahlhelmdämmerung

Hitler

TEW

Stahlhelm

Seldte

Duster berg

Wenn zwei sich prügeln, freut sich der Dritte.

Zeppelin über Lissabon .

Die portugiesische Küste erreicht. Lissabon , 5. Juni.

Das Luftschiff Graf Zeppelin" erreichte um 10.50 Uhr( M.E.3.) die portugiesische Küste bei Cascäs an der Mündung des Tejo und überflog bald darauf die im Hafen von Lissabon ankernden deutschen Kriegsschiffe. Der Graf Zeppelin nahm nach der Ueberfliegung von Lissabon südöstlichen Kurs in der Richtung auf Sevilla .

Pfarrer Schenk erklärt.

Er legt die Vormundschaft nieder und bestreitet ein Liebess verhältnis mit Gertrud Frenzel.

Pfarrer Schent aus Bornim erschien heute auf Borladung vor dem Potsdamer Bormundschaftsrichter Assessor Sühring und legte die Bormundschaft über Gertrud Frenzel nieder. Der Pfarrer erklärte, daß er niemals ein Liebes­verhältnis mit der Gertrud Frenzel unterhalten habe. Ferner mies er den Vorwurf der Beeinflussung gegenüber der Ger­trud zurück. Das Mädchen ist bereits seit dem 26. Mai aus dem Pfarrhaus fort und in Berlin in einer Pension untergebracht. Der Aufenthalt muß geheim bleiben, da sie nach den seelischen Auf­regungen größter Schonung bedarf.

Frick will verschleppen.

Er schickt Baum zu Verhandlungen.

Der thüringische Staatsminister Dr. Baum weilt

heute in Berlin . Wie verlautet, beabsichtigt er mit dem Reich sinnenminister nochmals über den Konflikt zwischen dem Reich und Thüringen in der Polizeifrage. zu verhandeln. Der Streit soll dann am Freitag, wiederum das thüringische Kabinett beschäftigen. Nach alledem scheint der thüringischen Regierung bei ihrer Saltung gegen das Reich doch nicht ganz wohl zu sein.

geführt. Wie verlautet, soll Wiegand demnächst als Mitglied des neuen Generalfinien vorausgeahnt und gleich in die Bragis ein­3entralkomitees der KPD. berufen werden.

Uniformverbot in Bayern .

Die Folge der politischen Schlägereien.

München , 5. Juni. Das Bayerische Ministerium des Innern hat heute mit foforfiger Wirkung bis auf weiteres für das ganze Land alle die­jenigen Bersammlungen unter freiem Himmel, insbesondere Auf­denen sich Mitglieder von politischen Vereinigungen oder von Schuh­züge, Aufmärsche, Propagandamärsche, Kundgebungen verboten, an einrichtungen solcher Bereinigungen in einheitlicher klei­einrichtungen solcher Bereinigungen in einheitlicher klei­

Die bewaffneten Mordbanden. Untersuchung von Hasenfreuzlern fördert Waffen zu Tage. Der Polizeipräsident feilt mit: Bei einer am Mittwoch abend im Cofal von Sigmund, Tegeler Weg 14, vorgenommenen poli­zeilichen Durchsuchung wurden bei Angehörigen der NSDAP . eine Anzahl Waffen gefunden. Es handelt sich um drei Scheintodpistolen, zwei Stahlruten, zwei Tofschlägern, einstöße von Angehörigen verschiedener, politischer Richtungen, die im Den Anlaß zu dieser Anordnung gaben zahlreiche Zusammen­Schlagring und eine Mauserpistole. Fünf zwangsgestellte Personen Laufe der letzten Monate wie im übrigen Reiche so auch in Bayern würden nach ihrer Vernehmung entlassen. vorgekommen find.

Kommunisten als Nazifreunde. Offenbarungen eines tommunistischen Kreistagsmitgliedes.

In einer Reichsbannerversammlung in Idstein i. T., die sich mit dem Thema Nationalsozialismus und Faschismus" beschäftig: c, ergriff ein kommunistischer Diskussionsredner das Wort. Seine Ausführungen verdienen allgemeines Interesse, da er, nach dem Bericht der Frankfurter Boltsstimme", ganz offen von einer Waffenbrüderschaft der Rommunisten mit den Hafenkreuz lern sprach. Wörtlich sagte Herr Wiegand, fommunistischer Stadt

3. Haben die Aerzte pflichtgemäß gehandelt, als sie nach den ersten Erkrankungen und Todesfällen die Anwendung des Calmettejchen Berfahrens noch immer fortsetten? 3ft es nicht ein erschütternder Beweis schlechten Gewissens, daß sie nach Angabe der Lübecker Eltern nach Eintritt der Katastrophe Schein präparate verteilten, um den Tatbestand zu verwirren? Um diese berufsethischen Verstöße der. Lübecker Gesundheitsverordneter in Jostein und Mitglied des Kreistages: behörde öffentlich festzustellen, braucht die Kommission nicht Wochen und Monate zu untersuchen. Jeder Mensch mit Pflichtgefühl fann hier jofort eine Antwort geben.

In Lübeck wird die Untersuchung auf ein falsches Gleis geschoben.

Selbstverständlich müssen auch die technischen Ursachen des Unglücks festgestellt werden. Aber damit ist die Aufgabe der Kom­( Fortsetzung auf der 2. Seite.)

,, Wir Kommunisten stehen geschlossen zusammen mit den Nazis zum Sturz dieses Staates und dieser Gesellschaftsordnung."

Auf Vorhalten wiederholte Herr Wiegand seine Worte noch einmal. Das sind die Früchte fommunistischer Erziehungs arbeit!

Natürlich hat Wiegand mit seinen Ausführungen gegen olle bisherigen ,, Generallinien" seiner Partei verstoßen; er hat die

dung beteiligen.

Chriftlich- Soziale und Heimwehr.

Ein flägliches Kompromis.

Wien , 5. Juni( Eigenbericht).

Der große Club der Christlich Gozialen Partei faßte am Mittwoch nach endlosen Verhandlungen mit der Heimwehr eine Entschließung, nach der zwischen dem neuen Heimwehreid und den Grundfäßen der Christlich - sozialen Partei ein, unübera brüdbarer Gegensah" nicht besteht. Der Beschluß wurde unter Stimmenthaltung zahlreicher Mitglieder des großen Clubs gefaßt.

Hoover und die Zollvorlage.

Washington , 5. Juni. ( Eigenbericht.) Aus einer Erklärung des Weißen Hauses , die zur allgemein nen lleberraschung der Senatoren am Mittwoch abend b- gegeben wurde, ist ersichtlich, daß sich Präsident Hoover noch­feineswegs an die heiß umtämpfte 3ollvorlage des Senats gebunden fühlt.