Beilage Freitag, 6. Juni 1930
Der Abend
Snalausaabe des Verwärte
Sie faßen auf den Bänken, ste saßen um ihren Tisch,
fie ließen Bier sich schänken und zechten fromm und frisch. Sie fannten feine Sorgen,
fie fannten kein Weh und Ach,
fie tannten fein Gestern und Morgen,
fie lebten nur diesen Tag.
Sie saßen unter der Erle
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schön war des Sommers Zier- wilde, zornige Kerle
Sie fangen aus rauhen Kehlen,
fie saßen bis zur Nacht,
fie ließen sich erzählen
von der schlesischen Weberschlacht".
Und als sie alles wußten,
Tränen vergossen sie fast, auf fuhren die robuſten
Gesellen in toller Hast.
Sie ballten die Fäuste und schwangen die Hüte im Sturme da;
Wälder und Wiesen flangen:
Blüd auf, Silefia!
Es ist längst vergessen, daß Georg Beerib diese Verse en das deutsche Proletariat richtete. Damals zählte man das Jahr 1845. Das Jahr vorher brachte die erste große soziale Krisis in Deutschland , Erschütterungen, die auch das schlesische Industriegebiet heimsuchten. Der Weberaufstand, der ein grelles Licht auf die verzweifelte Lage der ausgebeuteten und halbverhungerten Beinenarbeiterschaft geworfen hatte, war in aller Munde. Jeder tennt Heines Weberlied, das damals entstand, und dessen dreifacher Fluch bereits eine dunkle Ahmung von der tommenden sozialen Revolution aussprach. Und so gab es viele Gedichte, Zeugen der allgemeinen Anteilnahme" an diesem ersten deutschen Arbeiteraufstand. Selbst der junge Hauptmann gestaltete ja noch diesen Stoff und gab jene ergreifende Darstellung des Weberelends, über die feine typisch Meinbürgerliche Jdeologie aller dings nicht heraustam.
Georg Weerth schrieb mun auch ein Webergedicht. Aber dieses war bezeichnend genug
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feine Jeremiade, wie sie damals verfertigt wurden.
Man muß diese anderen Webergedichte gegen das Georg Weerths stellen. So begreift man erst Weerths Kunst! Denn was die Beck, Freiligrath und Büttmann und wie diese sozialistischen" Dichter sonst hießen, dichteten, war bom proletarischen Standpunkt gesehen- fläglich. So erschrecklich pauvre", wie es Friedrich Engels einmal nannte, etwas Menschentum", wie man das Dings neuerlich tituliert, etwas ,, Realisierung dieses Menschentums oder vielmehr Ungetüms, etwas Proletariatsjammer.. nebst einer grenzenlosen Unwissenheit über die politische Dekonomie und die wirkliche Gesellschaft." Und mit dieser Langeweile, fragt Engels , will man Deutschland revolutionieren, das Proletariat in Bewegung sezen, die Massen denkend und handelnd machen? Aber so waren diese Webergedichte, von dem Heines abgesehen: Sie trieften vor ,, sozialem Mitleid". Sie schilderten das Elend, sie jammerten über das Elend, und sie verdammten es mitsamt dem ,, reichen" Bourgeois und einer ökonomischen und politischen Entwicklung, deren unerbittliche Gesetzmäßigkeit und unaufhaltsamkeit Marg und Engels längst dargetan hatten. Diese Dichter appellierten an das menschliche Herz, Utopisten trotz ihres ehrlichen Wollens. Das einzige raditale Mittel zur ,, Abhilfe der Not" sahen sie nicht; nicht die wirkliche, geschichtliche Aufgabe des Proletariats und nichts davon, daß der Anstoß zu einer universellen Revolution nur von dem Aufbegehren der Proletariermassen zu erwarten sei.
Doc) Georg Weerth wußte darum; und aus diesem Grunde war auch sein Webergedicht ein Kampfgedicht! Es war ein schlichter, aber um so wärmerer Glückswunsch an das deutsche Proletariat: Möge fein Befreiungswert gelingen! Die Arbeiter Lancashires grüßen das deutsche Proletariat, und sie fühlen sich eins mit ihm in feinem tapferen Befreiungskampf!
Friedrich Engels nannte Weerth daher den ersten Dichter des deutschen Proletariats. Und es gibt sicherlich keinen zweiten deutschen Dichter, der diese Auszeichnung mehr verdient hat wie Weerth ; selbst Freiligrath nicht, der ihm diesen Platz eine Zeit streitig gemacht hat. Aber Georg Weerth bildeten ganz andere Berhältnisse, ein an Ereignissen reiches Leben: Er wurde 1821 geboren.
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Sohn eines Generalfuperintendenten,
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schlug er wie so mancher andere niederrheinische fozialistische Dichter den kaufmännischen Beruf ein. Wie für Freiligraths Poefte murde aber auch für die feinige diese Wahl wichtig. Kommis feiner deutschen Firma, fam er 1843 nach Bradford, wo er mit Friedrich Engels und ebenso wie Friedrich Engels und Marg mit den reifen ökonomischen Verhältnissen dieses industriell fortgeschrittenften Landes bekannt wurde. Und dies war ent scheidend. Die in der Enge ihrer ökonomischen und politischen Verhältnisse verwurzelte deutsche zeitgenössische Dichtung spiegelte diese Enge zurück. Sie sang Lieder vom armen Mann"! Weerths Boefte dagegen gedich auf einem ganz anderen Boden. Die Freundschaft, die ihn mit Marg und Engels verband, und der Kampf für das Protetariat, das er durch eine enge Fühlungnahme mit der Arbeiterschaft von Vort und Lancashire tannte, wurden der Antrieb zu seiner Poesie. Während das deutsche Proletariat aber in Unfemminis feiner wirklichen Macht und Aufgabe taum
felbständig aufgetreten war, hatte das englische Proletariat] bereits eine eigene organisierte Arbeiterbewegung. Und so fam es auch, daß Georg Weerth die fleinbürgerliche Misere, die Kraftlosigkeit und schlappe Sentimentalität der deutschen sozialistischen " Poesie weit hinter sich ließ. Weerth sah die historische Aufgabe des Proletariats. Er erlebte dank seines englischen Aufenthalts die ersten Ansätze zu ihrer Berwirklichung; aber ein solcher Dichter brauchte keine Lieder vom armen" Mann mehr zu singen! In der Folgezeit sehen wir ihn daher
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im Kampf für das Proletariat;
und er fämpfte Schulter an Schulter mit Karl Marg und Engels . Als diese in Brüssel wohnten, war auch Weerth dort. Er übernahm die kontinentale Agentur seines Handlungshauses, und er richtete es so ein, daß er sein Hauptquartier ebenfalls in Brüssel nahm. Nach der 1848er Revolution fanden sich alle drei wieder in Köln ein. Sie gründeten die ,, Neue Rheinische 3eitung", Weerth übernahm das Feuilleton und vielleicht", schreibt Engels , ,, hat nie eine deutsche Zeitung ein gleich glänzendes und lustiges Feuilleton gehabt".
In der Neuen Rheinischen Zeitung " erschien auch Weerths Hauptwerk: Leben und Taten des berühmten Ritters Sdnapphansti", eine Schilderung des von Heine so bekannten Fürsten Lichnowski. Es erschien 1849 als Buch und trug seinem Verfasser auch prompt eine Gefängnisstrafe ein. Lichnowiti war zwar längst tot; er fiel 1848. So richtete denn die deutsche Reichsverweserschaft eine Anflage gegen Georg Weerth wegen Beleidigung des toten Lichnowski. und Weerth , der, mie Engels berichtet ,,, längst in England war, befam drei Monate Gefängnis, lange nachdem die Redaktion der Neuen Rheinischen Beitung" ein Ende gemacht hatte".
Nur von Engels wissen wir dann über Weerths weiteres Leben. Es gäbe Stoff zu einem Roman: 1850/51 reiste er im Interesse einer anderen Bradforder Firma nach Spanien , dann nach Westindien und über fast ganz Südamerika . Dort wollte er sich das Vergnügen nicht versagen, das wirkliche Original des Louis Napoleon III., den Negerfaiser Soulouque auf Haiti , einmal anzusehen. Aber er bekam Schwierigkeiten mit den Quarantänebehörden, mußte sein Projekt aufgeben und sammelte auf der Tour die Keime zu dem gelben Fieber, das er mit nach Havanna brachte. Er legte sich nieder, eine Gehirnentzündung trat hinzu,
und am 30. Juli starb Georg Weerth in Havanna , Etwas von dieser Unrast spiegelt sich auch in Weerths Poesie. Einmal hingeschrieben, waren ihm seine Verse gleichgültig. Er fümmerte fich nicht mehr um sie, und so manches Gedicht verrät die Spuren dieser Eile in seiner gesamten Anlage sowohl wie in seinem Stil. Seine Gedichte sind hingeworfen, aber sie haben auch die Borzüge dieses Schaffensweise: eine starte Dynamik und eine mit reißende Frische, ganz zu schweigen von ihrer unphiliströsen Sinnlichkeit und Erlebnispähe. Wie dem Leben, gewann er zudem auch der Poesie neue Seiten; es find moderne Themen, die Beerth an schlägt:„ Die Industrie", das große Grubenunglüd von Haswell usw. Am unvergleichlichsten gelingen ihm jedoch jene Proletariergestalten aus dem Manchester Distrikt, jene armen Teufel, in denen ein rauhes, aber ebenso heißes Herz für die proletarische Sache schlägt.
Die bürgerliche Literaturwissenschaft hat Georg Weerth übergangen. Das deutsche Proletariat aber, das das Andenken an Marg und Engels ehrt, wird auch diesen Namen behalten: der erste Dichter des deutschen Proletariats ist Georg Weerth ! Erich Kunze,
Streifzug durch Franken
Deutschland ist reich an Nature schönheiten, und der Süden stellt ein Wunder der Landschaft oder Städtebautunft neben das andere. Deutschland ist aber auch reich an jogenannten Heimatdichtern, und im Norden, Süden, Westen und Often finden wir die fleinen Schillers oder Körners in Hülle ohne Fülle, die sich in grausamen, poetischen Ergüssen ausplätschern. Aus einem Lobgesang über die Fränkische Schweiz sei mir eine Strophe zitiert: Deine Täler, deine Höhen Grüßen mich gar oft im Traum, Und bei jedem Wiedersehen Find' vor Freud ' ich Worte taum. Deine Schlösser und Ruinen, Deine Burgen, stolz und hehr, Deine Felsen, deine kühnen, Ach, vergeß' ich nimmermehr! Und so geht es stundenlang weiter, der Mann findet trotz seiner Beteuerung immer neue und schlechtere Worte und stößt dabei noch manches herzliche Ach" aus und fann sein Wasser nicht halten. Jean Paul stimmt auch einen Gesang auf diese Landschaft an, der Dichter schildert einen Spaziergang, und mir hören beglückt:
Wolframseschenbach
,, Der Weg lief von einem Paradies durch das andere.. Die Berge schienen sich gleichsam tiefer auf die Erde niederzulegen, damit der Mensch leichter ihre Rücken und Höcker beſteige. Die Laubholzwaldungen waren wie Kränze bei einem Jubelfest der Natur umbergeworfen, und die einfintende Sonne glimmte oft hinter der durchbrochenen Arbeit eines Laubgeländers auf einem verlängerten Hügel wie ein Purpurapfel in einer durchbrochenen Fruchtschale.
Die Bewohner dieser verklärten Landschaft sind arme Teufel, ling und Sommer, wenn die Fremden kommen. Don der Naturschönheit wird fein Mensch satt, höchstens im Früh
Die Fremden fahren nach dem Süden, fie fahren in die Fränfische Schweiz oder weiter nach den Alpen. Die Reise aber sollte in Bamberg und Nürnberg und auch in Würzbung unterbrochen werden. Diese Unterbrechung ist kein Berlust, sie ist ein Gewinn. Bamberg zeigt neben dem berühmten Dom und vielen Kunst[ dhätzen eine revolutionäre Tat mittelalterlicher Bildhauerei: die ersten nackt dargestellten Menschen in Deutschland . Ein Streifzug den alten Fischerhäusern, dem bedeutsamen Rathaus, das im Wasser durch diese alte, behügelte Stadt mit den vielen Kirchen, Brauereien, errichtet werden mußte, weil das Land der Kirche gehörte, ein Streifzug zeigt viel Schönheiten und auch die Zukunft der Stadt als großer Umschlaghafen an dem geplanten Main- Donau- Kanal . Wir kommen aus dem Norden und verstehen, warum Herder 1788 an seine Frau schreiben fonnte: Es ist hier die schönste Gegend von der Welt, und man errötet, wenn man an die Länder über dem Thüringer Wald zurückdenkt." poj
Wir fahren nach Nürnberg . Die Burggrafen von Nürn berg wurden die Markgrafen von Brandenburg und später die Könige von Preußen und die Kaiser von Deutschland . Das wurde in der Schule jedem Kind gelehrt. Den Nürnbergern sei diese Fürstenabgabe verziehen; denn sie haben es schwer büßen müssen. die ehemals freie Reichsstadt fiel an Bayern . Einen Troft haben die Nürnberger doch: fie dürfen auf Berlin und auf München
schimpfen. Nürnberg zeigt einen Stadtfern, wie er vollendeter und füßer felten anzutreffen ist. Der Reisende aber gehe mit Bedacht den Fremdenführern aus dem Wege. Die meisten der Führer find redselige Barbaren, die ihre Unwissenheit als Kunstgelahrtheit und historische Wissenschaft verkaufen. Auf den Fremdenverkehrsvereinen bekommt man umsonst oder für billiges Geld die notwendigen Hefte oder Prospekte, diese Ariadnefäden durch die Labyrinthe der schönen, alten Frankenstädte. In Nürnberg muß man auch die Neuzeit aufsuchen, die großartigen Siedlungen und das herr liche, wohlgegliederte Stadion, in dem gezeigt wird, wie solche Sportanlagen gebaut werden müssen. Und wenn schon ein Führer gebraucht wird, die Nürnberger Genoffen zeigen den nördlichen Freunden gern und mit berechtigtem Stolze ihre Stadt.
Bon Nürnberg nach Rothenburg ob der Tauber ist es nur ein Sprung mit der Bahn oder dem Postauto. Unterwegs sieht man ein grünendes Experiment, den Zedernwald, der eine Bleiftiftfabrit vor 60 Jahren anlegen ließ, um das für die Fabrikation notwendige Holz an Ort und Stelle zu ziehen. Das Experiment verunglückte und wuchs sich zu einem Naturschutzdential aus. Ein steinernes Naturschutzdenfmal, wenn auch fein Nationalheiligtum, wie ein begeisterter Schwärmer schreibt, ist Rothenburg ob der Tauber . Diese Stadt ist lieblich und vermittelt trotz der sehr aktiven Fremdenindustrie bedeutsame Einblicke in mittelalterliche Stadttultur. Um dieje alten Mauern tobten Kriege, innerhalb der Mauern fämpften die Gilden gegen die Patrizier, und auf dem schönen Marktplatz wurden aufständische Bürger und Bauern im Großen Bauernfrieg hingerichtet. Der Markgraf von Ansbach ( ein Hohenzoller) hielt das Gericht, und das Blut floß wie ein Bächlein die Schmiedegaffe hinunter, schreibt der Chronist.
Bon der hochgebauten Stadt geht der Blick weit ins blühende Band. Da unten im Tal liegt das alte Reichsdorf Dettwang, Nürnberg :
Blick von der Burg
Spittlertor
dahinter ist die württembergische Grenze, und im Süden liegen die romantischen Städte Feuchtwangen , Wolframs. eschenbach, Dinkelsbühl und Nördlingen . Wir wenden uns dem Westen zu, kommen nach dem stillen, schönen Ochsen furt und machen Station in Würzburg und finden alte Stultur und Liebe für die Gegenwart.
Das fränkische Land, das wir flüchtig durchstreift haben, bietet auch dem proletarischen Reisenden Schönheiten und viele Ueberrasdungen, und es wäre sehr zu empfehlen, daß der Reichsausschuß für Sozialistische Bildungsarbeit eine Ferien- und Wanderfahrt nach jenen Landschaften und Städten organisierte,