Einzelbild herunterladen
 

Beilage

Donnerstag, 12. Juni 1930

Die elastische Oberstufe

Ein Versuch und ein Plan

Für sechs Stunden in der Woche wurden die Klassen| verbände aufgelöst und die Knaben und Mädchen neu zu Arbeitsgemeinschaften geordnet. Da gab es Kurse für Englisch , Kurzschrift, Wirtschaftskunde, Technik, Holzarbeit, Papp­arbeit und Bucheinband, Zeichnen, Linolschnitt, Instrumentalmusik u. a. Zwei letzte Gruppen dienten der Schulzeitung, eine stellte die Schriftleitung dar, eine andere besorgte das Setzen und Drucken. An mehr als zwei Arbeitsgemeinschaften nahm im allgemeinen fein

Kind teil.

Zwei Gründe waren bei der Regelung maßgebend gewesen. Einmal wollte man die Klassenverbände für einige Wochenstunden sprengen, um das Gemeinschaftsbewußtsein zu weiten über die Klasse hinaus zum Schulganzen; zum anderen aber glaubte man, eine Arbeitsorganisation schaffen zu sollen, die wesentlich mehr als die bisherige Gelegenheit gab, die besonderen Anlagen der Kinder auszubilden und ihren Neigungen nachzukommen.

Erst nach einigen Jahren des praktischen Verfuchs ging man an eine gründlichere. Betrachtung der gedanklichen Zusammenhänge. Man untersuchte, ob denn wirklich so verschiedene Anlagen nicht nur vorhanden waren, sondern auch so deutlich in die Erscheinung traten, daß sich eine darauf aufgebaute Drganisation verantworten ließ. Das Erfahrungsmaterial ließ folgenden Schluß zu: Mit dem Eintritt der Pubertät lassen sich in der Regel die Anlagen der Kinder so weit feststellen, daß die Möglichkeit einer Sonderarbeit gesichert ist. Die bindliche Neigung geht ab und zu andere Wege; doch ist in den meisten Fällen ein Einklang zwischen Befähigung und Neigung zu erzielen. Die Untersuchung an verschiedenen Klassen führte zu einem Ergebnis, das zahlenmäßig folgendes Bild

ergab:

A. eine deutliche Veranlagung nach der so­

genannten wissenschaftlichen Seite zeigten 17 Broz. der Kinder B. eine deutliche Anlage für Handarbeit zeigten

19

"

C. Begabung für Wissenschaft" und Handarbeit"

"

14

H

D. Begabung für Zeichnen oder Musik( bei der guten Hälfte dieser Kinder gepaart mit intellektueller oder praktischer Be­gabung)

E. Ohne deutliche Anlage

25

п

"

25

"

Die Kinder unter A waren beschäftigt mit Englisch , Wirtschafts­tunde, Geschichte; die unter B mit Holzarbeit, Papparbeit; die unter C mit Technik und in der Druckerei; die unter D mit Graphit, Linol­schnitt und im Orchester. Die E- Gruppe enthielt ganz allgemein fchwache Arbeiter. Die Kinder zeigten einen starken Mangel an Energie, an geistiger Beweglichkeit, aber jie waren auch ungeschicht mit der Hand, wenigstens soweit als irgendein Anspruch an felb ständige Leistungen gestellt wurde. Um ihren Arbeitswillen und ihr Selbstvertrauen zu stärken, beschäftigte man sie mit einfachen, aber interessanten Aufgaben, wie z. B. fremde Tiere" oder ,, Unglücks­fälle". Zu Leistungen in der Handbetätigung brachten sie es, als man ihnen Aufträge gab, die sich mit ganz, mechanischem Tun be­wältigen ließen; Bändchen mit einem Dedel versehen, Kästchen aus zugeschnittenem Material bauen.

Doch

Nach sechs Jahren fonnte man den Versuch auf einer er­weiterten Grundlage aufbauen, denn einige Nachbarschulen beschlossen, daran teilzunehmen. Hatte vordem bei der verhältnis­mäßig geringen Zahl von Kindern, die nur aus der einen Schule zur Berfügung standen, dieser oder jene: Plan nicht durchgeführt werden fönnen, fo fonnte jetzt jeder auf Anlagerichtung aufgebaute Kursus zur Durchführung gelangen und trotzdem die Auswahl sorgfältiger vorgenommen werden. Zunächst bestand die Absicht, alle be teiligten fünf Schulen zu ,, föpfen", ihnen die beiden letzten Sahrgänge, die 7. und 8. Klasse, zu nehmen und diese Oberklassen zu einem neuen Schulorganismus zu vereinigen. Teider scheiterte dieser großzügige Plan. Der Gedanke fam sicher zu plötzlich, die Schulen wollten ihren Kopf" nicht hergeben. Auch war keine der Schulen bereit, sich um des Bersuches willen auf­zulösen. So wurde denn die Neugruppierung nur in den von der Schulverwaltung bewilligten 2 mal 2 Stunden vorgenommen. Die stundenplanmäßigen und anderen Schwierigkeiten waren nicht gering. An- und Abmarsch der Lehrer und Kinder zwischen den verschiedenen Schulen mußten in Kauf genommen werden. Aber es ging. Die Eltern wurden ausnahmslos für den Plan gewonnen. Die Kinder gewöhnten sich schnell an die neue Ordnung Geleitet wurde das Ganze von einem Verwaltungsausschus, in den jede Schule einen Lehrer entsandte. Rückschauend muß jedoch gesagt werden, daß die Arbeit fruchtbarer geworden wäre, wenn man die Köpfung" det Einzelschulen durch geführt und einen gemeinsamen Oberbau errichtet hätte. So ist vielfach ein Nebeneinander der Arbeit bestehen geblieben, wo es ein Miteinander hätte werden können.

Doch führen die Versuche und die Erfahrungen daraus not­mendig zu dem Plan einer gründlichen Neuorgani sation, wobei zunächst allerdings die höheren Schulen außer Betracht bleiben. Die vierjährige Grundschule soll fortbestehen. Die beiden folgenden Schuljahre werden ihr angegliedert im Arbeits­inhalt sowohl wie in der Arbeitsform und in der Schulorganisation. Je vier benachbarte Schulen bilden eine Schulengruppe oder eine Schulengemeinschaft. Alle Kinder dieser Schulen­gruppe werden mit dem 7. Schuljahr dem Oberbau zugeführt, der den zusammengeschlossenen Schulen gemeinsam gehört und in Berwaltungsgemeinschaft mit ihnen bleibt. Die überführten Klassen­verbände bleiben bestehen. Fünfzehn Wochenstunden wird eine Art Gesamtunterricht erteilt, der Gesellschaftskunde Erdkunde und Natur­tunde zum Gegenstand hat. Die Elementartechniken des Deutschen und des Rechnens sind dabei einzubauen. Für die restlichen fünf­zehn Wochenstunder findet eine Neugruppierung der Kinder nach der Anlagerichtung ftatt. Dabei merden Kinderneigung und schon vor­handene Berufswünsche Beachtung finden müssen.

Wahrscheinlich wird man sich zunächst auf vier Grundrichtungen beschränken können. Gruppe A: Kinder mit ausgesprochener Anlage für Handbetätigung. Werkarbeit der verschiedenen Richtung, Bert­zeichnen, Rechnen, Wirtschaftskunde werden Arbeitsgegenstände fein. Gruppe B: Kinder, deren Befähigung sich mehr den Wissenschaften" guneigt. Sie werden sich in ihren Kursen mit Englisch oder Efpe xanto, ferner mit Mathematit und Geschichte beschäftigen. Gruppe C:

ape

Der Abend

Shalausgabe des Vorwars

Die Volksschule soll nicht nur die Welt der Jugend sein, sondern auch Lebens- und Arbeitsbezirk. Beim hinüberwechseln in den Beruf muß jeder Entwicklungsbruch ver mieden werden. Als dringlichen Schritt fordert Paulsen zweierlei: 1. den organisatorischen Neuaufbau des Volksschulwesens; 2. die Aenderung der in der Volksschule geltenden Lehrverfassung. Wie soll die neue Volksschule aussehen? Sie wird eine zehn­stufige Bolkseinheitsschule sein mit einer sechsjährigen Kinder, die flares Denken und eine geschickte Hand ihr eigen nennen. Grundschule. Die oberen vier Jahrgänge bilden die Volts­Von ihnen wird Technik, Chemie, Werkzeichnen und Wirtschaftskunde mittelschule. Der Uebergang erfolgt normalerweise ohne betrieben. Gruppe D: Kinder mit Befähigungen nach der künst- Prüfung. Das wird deshalb möglich sein, weil in der sechsjährigen lerischen Seite. Mujit, Zeichnen, Kunstgewerbe wird ihre Arbeit Grundschule je de Stoffüberhäufung grundfäßlich vermieden wird. sein. Der Plan sollte aber nicht so starr sein, daß nicht gelegentliche Die Grundschule dient in der Hauptsache der Auflockerung Abweichungen möglich wären. Kinder, denen in den gesellschaftsnot- schule berechtigt zum Eintritt in die oberen Fachschulen. Gegebenen­des Geistes und der Kraftübung. Der Besuch der Volksmittel­wendigen Techniken des Deutschen oder des Rehnens besonders ge­holfen werden muß. erhalten diese Hilfe in Förderkursen. Darüber hinaus sollte den Kindern jedoch auch noch Gelegenheit gegeben werden, sich für ein paar Stunden mit reinen Neigungsarbeiten oder Liebhaberkünften zu beschäftigen.

Diese Organisation ließe sich ohne weiteres über ein 9. und 10. Schuljahr fortführen, wenn man die Verlängerung der Schulzeit als notwendig erachtet.

Eine doppelte Betontheit liegt diesem Plan zugrunde. Auf der einen Seite ist es die Idee der Gemeinschaftsarbeit, von der niemand ausgenommen werden darf, und die jeden nach seiner Kraft zum Mitschaffen zwingt; auf der anderen ist es die Verpflichtung, dem Einzelwesen nach seinen besonderen Anlagen zur Entwicklung zu verhelfen, damit er vollwertiges Mitglied der Gesellschaft werde.

Der Gedanke der Allerweltsbildung" wird damit begraben. Jeder wird zur Leistung dort gebracht, wo seine Anlagen ihn zur Leistung befähigen. Der Mensch als lebendes Lexikon ist kein Ideal, auch nicht das Kind als lebendes Realienbuch. Von den Ansatz­punkten unseres elastischen Oberbaus geht der Weg geradeaus weiter über Beruf und Berufsschule in die Gesellschaft der Er­wachsenen. Und dieser Weg soll dazu beitragen, daß jeder besser als bisher an den Platz kommt, den einzunehmen er nach seiner Leistung im Wirtschaftsprozeß und im Gesellschaftsleben berechtigt ist.

Aevermann.

falls auch zum Eintritt in die Obersekunda der entsprechenden

höheren Lehranstalt.

Für viele ist Paulsen insofern eine Ueberraschung, als er im Gegensaße zur Zeitströmung die Berechtigungen nicht abgeschafft wissen will. Er hält sie für notwendig als Auslese prinzip für die Wirtschaft und andererseits für unerläßlich als Bildungs­maßstab für die Studierenden.

Der zehnstufigen Volkseinheitsschule schließt sich im System Paulsens die Volksoberschule an. Diese umfaßt drei weitere Schuljahre. Paulsen erblickt in ihr die Krone und das Schlußstück der deutschen Einheitsschule.

Wie steht es nun aber mit dieser Reform auf dem platten Lande? Paulsen verkennt die Schwierigkeiten nicht und verlangt zentral gelegene Volksmittelschulen. Hier wird die Reform zu einer finanziellen und verkehrstechnischen Frage.

In der Volksmittelschule herrscht der Fachunterricht gegen­über dem allgemeinen Unterrichte vor. Sie gliedert sich in gewerba liche, technische, haus- und landwirtschaftliche, sozialfürsorgerische, kaufmännische, fünstlerische und wissenschaftliche Abteilungen. Die spezielle Berufsausbildung scheidet aber aus der Volksmittelschule aus. Dagegen ist sie zuständig für die allgemeine Berufsausbildung. Der Schüler erhält in einem berufsschulmäßigen, zeitlich begrenzten Unterricht, in Fach- und Wahlfurfen, in freien Arbeitsgemeinschaften Gelegenheit, seinen Begabungs, Fach- und Sachinter­

Schulreform von Braunschweig aus? eifen zu folgen. Der allgemeine Unterricht umfaßt folgende

In steigendem Maße wird Wilhelm Paulsens Buch ,, Neues Schul- und Bildungsprogramm"( auf das bereits an dieser Stelle aufmerksam gemacht wurde) beachtet und lebhaft besprochen. Das ist kein Wunder. Die Gegenwartsnöte der Volksschule sind faum noch zu ertragen. Paulsens Buch ist da eben zur richtigen Zeit erschienen und bringt Licht in die Problematik.

Niemand kann den beklagenswerten Uebelstand übersehen, daß die Bolksschule trotz des Umsturzes, trok radikaler Schulreformer starr und unbeweglich geblieben ist. Nach wie vor stellt sie eine Bildungssadgasse ohnegleichen dar. Was fordert nun der Was fordert nun der ehemalige Berliner Stadtschulrat von der Schule? Zunächst soll sie den ferneren Bildungsverlauf des in die Schule eintretenden Schülers, der an fich feinem Alter entsprechend bereits gebildet ist, durch geeignete Maßnahmen unterstügen. In erziehlicher Hinsicht soll von Anfang an Wert darauf gelegt werden, daß sich der individuelle und individualistische Mensch als lebendiges Glied in die Gemein fchaft einordnet, wobei stets die Interessen des einzelnen mit den Gesamtinteressen in Einklang zu bringen sind.

Muß Gehorsam sein?

Unterhaltung mit frau Meier

Frau Meier ist jetzt öfters in unserer Redaktion als Gast, um sich Rat wegen ihres Schüßlings Hänschen Miesemann zu holen. Eine der letzten Unterhaltungen wird auch die Deffentlichkeit interessieren.

,, Ehe ich den Jungen hatte", fing Frau Meier an ,,, war ich ganz Ihrer Meinung, Herr Redakteur: Nur fein Kasernenhofton, alles in Liebe und Güte und mit freundlichem Zureden. Aber das konnte ich ja gar nicht voll halten, konnte ich auch gar nicht verantworten. Denn mit solcher Nachsicht fann man ja ein Kind in den Tod treiben!"

,, Da sehen Sie sicher zu schwarz, Frau Meier; wie wäre so etwas möglich?"

,, Mir scheint, Sie haben keine Kinder, sonst tönnten Sie so ein­fältige Fragen nicht stellen. Haben Sie' ne Ahnung, was das bei 1 Uhr herum für ein Verkehr bei uns ist? Um die Zeit bleibste von der Straße meg, sage ich zu dem Hänsten. Benn du da mal unter die Räder fommst, dann fann ich dich als Müllpaket wieder zu Muttern schicken! Aber den Bengel hört ja nicht. Er geht natürlich mit dem Emil von der Nachbarschaft, dem Chauffeursjungen, mit dem er sich angefreundet hat, doch auf die Straße. Und nach einer halben Stunde, was glauben Sie, bringen sie den Emil mit'm gebrochenen Bein nach Hause. Ist von einem Motorrad­fahrer angebufft worden, als er nocy grad' vorher über die Straße wollte. Der Hans ist mit dem Schrecken davongekommen."

,, Aber beste Frau Meier, Sie können die Berkehrsunfälle doch nicht mit Ihrer Predigt vom Gehorsam aus der Welt schaffen..

,, Nette Ansicht das! Soviel ist sicher: hätte der Junge gehorcht, dann wäre überhaupt nichts passiert. Meinem Manne konnte ich die fatale Geschichte natürlich nicht erzählen; Sie wissen ja, wie der über solche Sachen denkt. Gehorsam ist das A und O. Befehl ist Befehl. Wer ihn nicht befolgt, fliegt ins Loch. Das maren die Grundsäge bei den Preußen. Als Soldaten haben wir mit der Zahnbürste den Fußboden geschrubbt, wenn es befohlen murde, und nicht einer hat sich geweigert!"

Der Untertan von

,, Sie haben das richtige Gefühl, Frau Meier, daß es mit diesem Kadavergehorsam nicht ganz richtig jein fann früher, gewiß, der sollte, der durfte nicht nachdenken. Dafür maren ja Borgejezte über Borgesetzte, Borschriften über Vorschriften da, um ihn auf Schritt und Tritt zu gängeln und auf dem rechten Wege zu halten. Sie haben doch ganz gemiß nicht den Ehrgeiz, einen solchen Hampelmann aus Ihrem Pflegekind zu machen?"

,, Nee, ich danke für die preußische Zucht. Aber ebensowenig will ich den Bengel zu Apfelmus fahren lassen! Und wenn ich das durch strenge Borschriften verhüten tann, so bab' ich als Pflege­mutter sozusagen die verdammte Pflicht und Schuldigkeit dazu."

,, Aber Sie sehen ja selbst, daß Sie es nicht verhüten tönnen. Gewiß hatte der Junge Thr Berbot i den Wind geschlagen; Sie hätten ihm gut und gern ein paar Stunden Hausarrest dafür auf­brummen tönnen. Uns interessiert nun wirklich zu erfahren, ob Ihr

Fächer: Deutsch , Geschichte, Soziologie, Erdkunde, Wirtschafts- und Handelsgeographie, Gesundheitslehre, allgemeine Naturwissenschaften, Rechnen und Gymnastik.

An zwei Tagen in der Woche werden die Schüler der Bolts­mittelschule in ihre Wahl-, Berufs- und Sonderarbeit entlassen. Die Schule hat an diesen beiden Tagen das typische Gepräge der Berufs- und Begabungsschule.

Nun hat der Reformplan Baulsens allerdings die Schwierigkeit vor sich, daß an eine Aenderung der gesetzlichen Bestimmungen be züglich Grundschule und Boltsschulpflicht nicht zu denken ist. Der Plan fest Freiwilligkeit des Besuches der Boltsmittelschule wenigstens für zwei Jahre voraus. Die mit 14 Jahren abgehenden Schüler sollen die weiter bestehenden Berufsschulen besuchen und ihre Allgemeinbildung in Berufsschul mittel flaffen erhalten, die wohl abends zu besuchen wären.

polchi

Man muß es Paulsen hoch anrechnen, daß er die Schaum schlägerei nicht mitmacht, über die schon Kerschensteiner 1911 geflagt hat, und ehrlich die Wunden zeigt, an der die heutige Bolts­schule trantt. Dr. Otto Seeling .

Hänschen sich nicht schon öfter gegen den blinden Gehorsam auf gelehnt hat."

,, Leider, leider, Herr Redakteur! Er hat seinen eigenen Kopp. Er meint es ja nicht böse, aber er hat immer ein ganzes Schoc Einwendungen: Tante Meier, das müssen wir so machen, das ist viel praktischer; das ist ganz anders, Tante Meier, ich hab es doch selbst gesehen. Aber mit Gehorsam hat das alles nichts zu tun.

40

,, Da jehen Sie's, Frau Meier: die Jugend von heute will nicht gegängelt fein, zumal nicht von Erwachsenen, die ihr vielleicht etwas überängstlich oder weltfremd vorkommen. Im Grunde ist das gut. Die Kinder fangen schon beizeiten an, nachzudenken, sich ihre Ge­danken um die Dinge zu machen, eigene Entschließungen zu fassen. ,, Und da meinen Sie, man braucht sie bloß gewähren zu lassen, meil dieses Grünzeug von selber das Richtige trifft? Nette An­sichten, wahrhaftig!".

,, Sachte, Frau Meier. Sie sollen sich bloß abgewöhnen, Befehle zu erteilen, ohne auf die Einsicht des Kindes Rüd­sicht zu nehmen. Befehle wirken aufreizend, fordern zum lleber treten heraus. Es sind unnüze Kraftproben, bei denen oftmals das Kind mit seinem Eigensinn, meistens aber der Erwachsene mit seiner größeren Muskelkraft, seinem strafenden Arm triumphiert."

..Befehlen soll ich nicht, das Kind mit dem Dickkopf durch die Wand lassen sall ich auch nicht was soll man denn anfangen?" ,, Kleinere Kinder kann man durch Beispiel und Gewöh= nung gefügig machen. Größere, wie Ihr Hans, lassen sich schon mit Hilfe ihrer besseren Einsicht in ihrem Wollen beeinflussen. Der Junge will zur Mittagszeit auf die Straße, vermutlich, weil ihn der Verkehrstrubel der Großstadt fesselt. Berständlich bei einem Kleinstädter. Und bitter notwendig, daß er sich an den Verkehr gewöhnt. Nur iassen Sie ihn nicht plantos jaujen. Geben Sie ihm eine Aufgabe, irgendeine Direktive mit. Beranlassen Sie thn, auf solche Leute zu achten, die sich komisch, linkisch oder hilflos im Ver­fehr bewegen; laffen Sie ihn beobachten, ob der Verkehrsschußmann seine Sache richtig macht. Auf alle Fälle befehlen Sie nicht, sondern ermuntern Sie seinen guten Willen, dieses zu tun, jenes zu unterlassen. Sehen Sie ihm einen Zeitpunkt, bis wann er seine Aufgabe gelöst haben soll Uhren gibt's ja genügend in der Stadt. Nun aber, nachdem Sie sich überzeugt haben, daß das Kind mit Ihnen eines Willens ist, halten Sie mit aller Energie und Strenge darauf, daß es sich an die Abmachungen hält. Dulden Sie nicht, daß es einmal gefaßte Vorsätze in den Wind schlägt." ,, Nun hören Sie aber auf! Soll ich wirklich um jeden Befehl ein solches Getue machen?"

-

,, Nennen Sie es, wie Sie wollen. Sie sollen sich nur in dem Maße um Ihr Kind bemühen, wie sie es wertschätzen, wie Sie feine mertvollen Kräfte entwickeln wollen. Erziehen ist kein Kinderspiel; man muß es sich schon etwas Nachdenken fosten lassen. Und noch eins, Frau Meier, was Ihnen das Getue, wie Sie es nennen, auf eine verblüffende Art abkürzt: Lassen Sie das Kind auf jeden Fall die Folgen seiner lebertretung spüren. Seien Sie in diesem Punkt tonsequent. Aber die Strafen bei Kindern, das ist ein Kapitel für sich."

,, Richt wahr, Herr Redakteur! Ich muß erst mal das Kapitel vom Gehorsam verdauen. Auf Wiedersehen."