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Vorwärts
Berliner Volksblatt
Sonntag
15. Juni 1930
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Putsch- Pabst ausgewiesen.
Der Faschistengeneral im Polizeigefangenenhaus.
Wien , 14. Juni. ( Eigenbericht.) Amtlich teilt die Polizeidirektion mit: die Polizeidirektion mit:„ Der deutsche Staatsangehörige Major a. D. Waldemar Pabst , der 1920 nach dem sogenannten Kapp- Butsch aus Deutschland nach Desterreich flüchtete, wurde, da er sich in Oesterreich in einer für einen Ausländer unzulässigen Weise politisch betätigte, am Sonnabend zur Bundespolizeidirektion vorgeladen und nach Durch führung des erforderlichen Verfahrens ständig aus Cesterreich ausgewiesen."
Der ausgewiesene Butschift tann gegen die Ausweisung bei dem Landeshauptmann von Wien ( dem Wiener Bürgermeister Seit) Einspruch erheben. Die Grenze, über die Pabst Defterreich verlassen will, fann er nach dem Gesetz selbst wählen. Man nimmt an, daß er sich entweder nach Italien oder nach Ungarn wenden wird. Pabst, der sich nach seiner Flucht aus Deutschland in Tirol aufhielt, besaß u. a. auch in Wien eine Wohnung und hielt sich in den letzten Monaten nur noch in Wien auf. Das österreichische Staatsbürger. recht hat der Butschist Babst nicht erworben, wie jezt ausdrücklich amtlich festgestellt wird.
Babst, der Urheber der militärischen Organisation der Heimmehr, heit seit Monaten immer wieder mit dem Butsch gedroht. Man
hat hier angesichts seiner Berhaftung und Ausweisung den Eindrud,
daß die Polizei in den nächsten Tagen irgendeine Aktion der Heimwehr gegen das Entwaffnungsgefeg er wartete und sich hauptsächlich deshalb entschlossen hat, endlich gegen Pabst vorzugehen.
Berlauf und Bedeutung der Berhaftung.
Die Verhaftung erfolgte heute nachmittag, als Babst das Biener Heimwehrbüro in der Herrengasse( der Straße alter Adels und Regierungspaläste) verließ. Mehrere Kriminalbeamte warteten vor
dem Haus auf ihn und übergaben ihm eine Ladung, sofort ins
Polizeigefangenenhaus zu kommen.
Pabst war sehr überrascht,
auf seine Frage nach dem Grunde fonnten ihm die Kriminalbeamten feine Auskunft geben. Pabst fuhr in einem Auto zum Polizei
er war der eigentliche Organisator des Kapp- Butsches, den die deutschen Arbeiter mit einem Generalftreit, wie die Geschichte einen zweiten nicht fennt, mit blutigen Opfern niederwerfen mußte. Als die Deutsche Republit den hochverräterischen Butsch niedergeschlagen hatte, floh Babst nach Bayern unter den Schutz der Putschregierung Kahr und von dort hat Steidle ihn nach Desterreich geholt. damit er hier das Putschgewerbe fortsetze."
Zur Zeit sind alle Heimwehrführer in Wien
versammelt und erwägen den Vorschlag, sich von den politischen Barteien völlig loszulösen und eine eigene Heimwehrpartei zu bilden. Die Berhaftung und Ausweisung Babst's ist partei zu bilden. Die Berhaftung und Ausweisung Babst's ist wahrscheinlich nach der Kundgebung von Korneuburg beschlossen worden, an der er auch teilgenommen hat und wo der Schwur auf den Faschismus abgelegt werden mußte die aber den Landbund und einen erheblichen Teil der christlichsozialen Partei empört und schwer gereizt hat.
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Zur Zeit als der Kapp- Butsch an der Gegenaktion der Arbeiterschaft scheiterte, bestand noch der Bisumzwang für den Grenzübertritt nach und von Deutschösterreich; aber Verbrecher gegen die deutsche Republik hatten keine Mühe, über diese Grenze zu kommen- Saken doch in der Polizeidirek tion zu München hilfsbereite Beamte. Wohl auch mit ihrer Hilfe kam Babst nach Tirol und profitierte da von dem Asylrecht, das die Republik Desterreich in ihrer Berfassung poli tischen Flüchtlingen verbürgte. Aber nicht als ruhiger Bürger lebte Pabst in Tirol, das Bürgerkriegshandwerk wollte er nicht lassen und er fand sein Feld in der Aufrüstung der Heimwehr gegen die sozialistische Arbeiterschaft. Mit dem Steidle, Pfriemer und Konsorten, mehr und mehr als ihr Haupt, hat er die Mazedonisierung der deutschen Alpenrepublit, die Organisation des Bandenkriegs, das viele Ar: beiterblut, das fanatische Heimwehrler vergossen haben, auf dem Gewissen.
Eine Tiroler Gemeinde hatte ihm Heimatsrecht gegeben, die Tiroler Landesregierung scheint auch die Verleihung der Staatsangehörigkeit versprochen zu haben, aber das dafür zuständige Bundeskanzleramt scheint selbst unter Seipel noch die Bedenken gegen einen solchen Zuwachs nicht überwunden zu haben, so daß Pabst jezt noch Reichdeutscher ist und als lästiger Ausländer ausgewiesen werden fann.
lich dant der Amnestie nicht mehr Untersuchungshaft und Geht er jetzt ins Reich zurück, so blüht ihm wahrschein Staatsgerichtshof, aber die Hitler , Seldte Erhardt und Wehrwolf- Stäbe werden taum den herrschsüchtigen Babst sich einzugliedern und überzuordnen geneigt sein. Blieben ihm also nur die erwachenden Madjaren" oder Mussolinis. Schwarzhemden als Betätigungsgebiet aber auch dort wie in allen faschistisch verseuchten Ländern wird der Bedarf reichlich aus dem Inland gedeckt sein.
gefangenenhaus, wo ihn ein Hofrat der Polizeidirektion in Empfang nahm und ihm die Ausweisung mitteilte. Pabst gab in der Unter Unterlich redung zu, daß er noch Reichsdeutscher ist. Der Beamte teilte ihm mit, daß er nach dem Gesetz das Recht der Berufung an den Landeshauptmann von Wien , auf eine dreitägige Bedentzeit habe und daß er auch einen Rechtsanwalt zuziehen tönne. Babit benannte als feinen Anwalt den Innsbrucker Heimwehrführer Dr. Steidle, der alsbald erschien. Nach Besprechung mit Steidle erflärt Babst, von der dreitägigen Bedentzeit Gebrauch zu machen. Es wurde ihm erwidert, daß er
zunächst in Polizeihaft bleiben
müffe und er wurde in die sogenannte Studentenzelle gebracht, die bei politischen Verhaftungen benutzt wird.
Vor der Polizeidirektion auf dem Schottenring war ziemlich viel Polizei aufgeboten, da man mit einer Demon stration der Heimwehr rechnete. Es ist jedoch zu feiner Demonstration gefommen.
Der Diffator im Schubwagen.
Die Arbeiter Beitung schreibt in ihrer Sonntag nummer: Bor wenigen Monaten hat Pabst geträumt, als faschistischer Heerführer den Marsch auf Wien zu tommandieren, als der Generalstabschef des tommenden österreichischen Duce.
Aus dem Marsch auf Wien ist die Fahrt in eine Zelle des Polizeigefangenenhauses geworden; der Traum der Diktatur endef im Schubwagen.
Bor wenigen Monaten noch hat keine Regierung gewagt, den eigent lichen Organisator, den eigentlichen Kommandanten der großen Bolksbewegung", den Mann, dessen Kopf aus dem Munde des Steidle sprach, verhaften und abschaffen zu lassen. Daß Schober und Schumy es heute wagen tönnen, ist ein Anzeichen, wie Macht und Prestige der Heimwehr gefunten sind. Pabst war einer jener Landsknechtsführer, die
im Eden- Hotel in den blutigen Januartagen wehrlose Frauen und Männer morden ließen,
Die Heimwehrleute beschweren fich.
Wien , 14. Juni. Die Nachricht von dem Vorgehen gegen Pabst hat allgemein ungeheures Aufsehen hervorgerufen. Bundeskanzler a. D. Dr Seipel und Bizetangler Baugo in sind nicht in Wien , Dr. Seipel ist in Deutschland , Baugoin in Graz . Eine Abordnung der Heimwehren begab sich schon im Laufe des Nachmittags zu Bundeskanzler Schober, der erklärte, daß es sich um eine Amtshandlung der Polizeidirektion handele, mit der er sich nicht befaßt habe. Er werde sich sogleich durch den zuständigen Referenten Bericht erstatten laffen.
Wir blättern zurück...
Wie es fam und was jetzt ist.
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25. März 1930. Die Regierung Müller Finanzminister Dr. Moldenhauer verhandelt mit den Regierungsparteien über Arbeitslosenversicherung und Steuern. Zugrunde liegt ein neuer Vorschlag, die Reichszuschüsse für die Arbeitslosen fest zu begrenzen, und zwar gleich für 1930 auf 150 Millionen Mt. Die Reichsanstalt soll damit ausfommen und darf zu diesem Zwecke auch von den Vorschriften der Gesetze abweichen. Sie hat das Recht, die Beiträge zu erhöhen; tommt sie zu feinem Entschluß, so soll die Regierung entscheiden.
Ueber die Verhandlungen berichtete am 26. März der ,, Vorwärts":
Vorschlag abgelehnt. Sie erflärten, sie müßten in ihm einen alten Antrag der Deutschen Volkspartei erblicken, der bereits in früheren Verhandlungen von der Sozialdemokratie als unmög ich bezeichnet worden sei. Er beschränke die Darlehnspflicht des Reiches für die Arbeitslosenversicherung und bezwecke bei ungenügenden Einnahmen der Versicherung den Abbau der Leistungen.
Von den Vertretern der Sozialdemokratie wurde dieser
Die Sozialdemokratie betrachte die Vorlage der Reichsregierung vom 5. März zur Arbeitslofenversicherung, der der Reichsrat inzwischen zugestimmt habe, als eine geeignete Grundlage für die Berständigung der Parteien.
Dieser Borschlag fieht neben einem festen Reichszufchuß für 1930 in Höhe von insgesamt 200 Millionen( 150 Millionen aus dem Berfauf von Reichsbahn vorzugsaktien und 50 Millionen
aus der Industriebelastung) erhöhte
Beitragseinnahmen bis zu 4 Proz. vor, durch die der Etat der Reichsanstalt in der Höhe von 1929 gesichert ist.
Am Nachmittag desselben Tages befaßten sich die Unterhändler der Regierungsparteien mit der Ausgabenbeschrän lung und der Steuersenkung. Auch hier bestanden zwischen den Regierungsparteien, besonders der Sozialdemokratie und der Deutschen Volkspatei, sehr weitgehende Meinungsver
schiedenheiten, deren Ueberbrückung nicht gelang, weil die Deutsche Volkspartei auf der Festlegung von Steuersenfungen im Betrage von 700 Millionen bereits in diesem Augenblick bestand.
26. März. Man verhandelt weiter. An die Stelle des schlag Brüning Mener: volksparteilichen Vorschlags tritt folgender Kompromißvor= Brüning- Meyer:
,, Das Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversiche
rung wird nach Maßgabe der folgenden Richtlinien geändert:
1. Kamm der Bedarf der Reichsanstalt aus den Beiträgen und aus dem Notstock nicht völlig gedeckt werden, obwohl der Beitrag rechtzeitig einheitlich für das Reichsgebiet festgesetzt ist, so gewährt das Reich 3uschüsse, deren Höhe alljährlich im Reichshaushalt festgesetzt wird.
2. Der Reichszuschuß für das Rechnungsjahr 1930 beträgt 150 Millionen Reichsmart, der
Beitrag zur Arbeitslosenversicherung 3% Prozent.
3. Um den Ausgleich zwischen Einnahmen und Ausgaben der Reichsanstalt zu erleichtern, soll der Vorstand der Reichsanstalt die erforderlichen Maßnahmen auf dem Wege der Berwaltung treffen. 3um gleichen 3wede soll er der Reichs regierung Vorschläge zur Reform des Gesetzes unterbreiten.
Die erweiterte Bundesführung der Heimwehren ist für Montag wohl die eigenen Mittel der Reichsanstalt wie auch die Reichseinberufen worden.
Nach der Berhaftung wurde in der Wohnung Pabsts eine auss u chung vorgenommen.
Baugoins Waffenwegnahme.
Der Heeresminister und Bizekanzler Baugoin hat dieser Tage behauptet, daß im Arsenal vom Heeresministerium seinerzeit Waffen der Schutzbündler beschlagnahmt worden seien. Der sozialdemokratische Nationalrat Dr. Deutsch erklärt dazu:
,, Der Heeresminister Baugoin hat im Arsenal nicht Waffen des Republikanischen Schutzbundes beschlagnahmen laffen, sondern Waffen, die nach einer zwischen den Parteien getroffenen Ber einbarung Eigentum der Gesamtheit gewefen sind. Die beschlagnahmten Waffen wurden nicht etwa für den Staat gerettet, sondern mußten an die Entente abgeliefert werden. Baugoin hat also durch seine eigenmächtige Attion den österreichischen Staat um Millionenwerte geschädigt."
4. Uebersteigt das tatsächliche Bedürfnis der Reichsanstalt sozuschüsse, so hat das Reich entsprechend Artikel 163 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung Darlehen zu gewähren, jedoch mit der Maßgabe, daß die Reichsregierung nach Prüfung weiterer Ersparnismöglichkeiten auf dem Wege der Gesetzgebung ein Gefeß vorzulegen hat, das entweder durch Beitragserhöhung die Rückzahlung der Darlehen ermöglicht, oder durch eine Reform des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung den Ausgleich zwischen Einnahmen und Ausgaben herstellt oder zur Deckung der für die Darlehen anzuwendenden Be träge dem Reiche die notwendigen Mittel zuführt."
Am 27. März abends beschließt die Sozialdemokratische Reichstagsfraktion, an der Regierungsvorlage, die bereits den Reichsrat passiert hat festzuhalten und den Vorschlag Brüning- Meyer abzulehnen.
In der folgenden Kabinetts igung schlägt Reichstanzler Müller vor, die Regierung solle erst ihre eigene Vorlage, wie sie schon vom Reichsrat angenommen sei, an den Reichs| tag gehen lassen. Der Reichsfinanzminister