Nr. 27747. Jahrgang
Hermann Hieber:
2. Beilage des Vorwärts
Die Beranstalter der Ausstellung ,, Alt- Berlin" haben sicher nicht daran gedacht, ihrer Baterstadt wehe zu tun. Im Gegenteil: dieje Sommerschau ,, Fundamente Sommerschau Fundamente der Weltstadt" sollte dem Ruhme Berlins dienen. Aber sie ist mit soviel wissenschaftlicher Gründlichkeit und tünstlerischer Anschaulichkeit zusammengestellt, daß das wahre Gesicht der Stadt sich enthüllt und ihre Entwicklung seit dem späten Mittelalter verfolgt werden kann.
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Diese Entwicklung gibt zu Stolz und Freude nicht den geringsten Anlaß. Man wird mit Ausnahme der amerikanischen Großstädte faum ein Beispiel so vieler Versündigungen gegen die Regeln eines gefunden Städtebaus finden wie hier. Dabei haben die nordamerikanischen Städte noch die Entschuldigung, feine Tradition zu besitzen. Aber Berlin hat und darauf wird mit besonderem Nachdruck und nicht ohne Erfolg am Kaiserdamm hingewiesen- Tradition. Berlin hätte etwas werden können, wenn diese Tradition weitergebildet worden wäre, Es fehlt nicht an Anfäßen zu einer vernünftigen städtebaulichen Gestaltung, und an fähigen Architefien war fein Mangel. Man hätte sie nur zu beschäftigen brauchen wie Dresden die Pöppelmann und Georg Bähr beschäftigt hat, Wien Fischer von Erlach und Hildebrandt und Würzburg den Balthasar Neumann , der vielleicht von allen deutschen Barockbaumeistern der
genialste gewesen ist. Berlin kann mit Johann Arnold Nering auf mit dem älteren Langhans und Friedrich Gilly , und schließlich mit
marten, mit Andreas Schlüter , mit Wengeslaus von Knobelsdorff,
mit solchen Kräften, sollte man meinen, ließ sich eine Stadt aufbauen, die sich mit jeder anderen messen konnte. Auf allen Gebieten finden wir eine reiche Zahl von hervorragend tüchtigen
Menschen: in der Literatur Lessing , Kleift, E. T. A. Hoffmann , Tied, Heine, in der Musif den Begründer der Singatademie, Fasch, Mendelssohn, Lorking, Reichardt, von bildenden Künstlern die Maler Chodowiecki , Blechen, Gärtner, Menzel, die Bildhauer Schlüter ,
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Straße ,, Unter den Linden " lief sich gegen die Innenstadt tot. Ebenso fehlte von der anderen Seite her, von der heutigen Königstraße, ein würdiger Abschluß. Man hatte den Hamburger Baumeister aus Polen kommen lassen, um das Schloß, die Wohnung des neugebackenen Königs, neu aufzubauen. Aber er wäre ein schlechter Architekt gewesen, wenn er nur den Königspalast und nicht auch deffen Umgebung einer Neugestaltung unterzogen hätte. Er beab sichtigte zweierlei: Schloß und Marstall mit einem neuen Dom als Quergebäude und Abschluß der Königstraße zu einer großartigen Plazanlage zusammenzufassen; zugleich wollte er die Nordwestecke des Schlosses weit vorschieben und mit einem hohen Turm, dem Münzturm", abschließen. Der hätte einen Blickpunkt von den Linden" her ergeben und ein neues Wahrzeichen für die an schönen Türmen arme Stadt.
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Es ist nichts aus diesem ausgezeichneten Plan geworden. Als 1705 der Münzturm während des Baus einstürzte, wurde Schlüter entlassen. Sein unwürdiger Nachfolger, Eosander Don Goethe, baute noch nicht einmal das Schloß zu Ende, das als Stüdwert liegen blieb, geschweige denn, daß er den Plan mit dem Dom zu Ende geführt hätte.
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Dienstag, 17. Juni 1930
hat. Aber die Tragödie mit Schlüter wiederholte sich: noch ehe der Meister sich seiner Hauptaufgabe zuwenden konnte, fiel er in Ungnade. Nicht einmal das Friedrichsforum", den Platz neben der Oper, hat er vollenden dürfen. Friedrich ließ die gar nicht zu dem schlichten Theater passende Kommode", die wild ausgeschweifte fönigliche Bibliothek daraufsetzen, und selbst die guten Bestandteile des Plages: Oper und Hedwigskirche , sind unter dem glorreichen Minister Becker für alle Zeiten verhunzt worden. Friedrichs II. Interesse erschöpfte sich in leeren Theaterbauten wie den beiden sinnlofen Ruppeln auf dem Gendarmenmarkt und dem schwächlichen Dom, der für die Linden" keinen Abschluß bilden fonnte, weil er an der Rückseite des Lustgartens da, wo Raschdorrfs Schandarchitektur heute das Auge beleidigt, aus der Achse dieser Hauptstraße herausfiel. Das ausgezeichnete Projeft des Franzosen Bour det für die einheitliche Bebauung des Gendarmenmarktes blieb unbeachtet.
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Schinkel hat dann noch einen letzten Versuch gemacht, die Ziellosigkeit der Linden zu korrigieren: er wollte einen Waren= hausbau für eine Pariser Firma im Jahre 1830 in ihre nördliche Flucht hineinrücken und dadurch dem Auge einen Ruhepunkt schaffen. Das gleiche sollte, noch wirkungsvoller, für die ins Leere verlaufende Leipziger Straße geschehen durch zwei monumentale Kirchenbauten am Leipziger Platz und am Spittelmarkt. Alles umsonst: die Maßgeblichen" ließen den Stadplan auseinanderlaufen wie einen mißratenen Kuchen. Es wurde ärger und ärger: als es sich darum handelte, den zweiten Gürtel zu sprengen und die Ministergärten zu durchbrechen zugunsten einer Verbindung mit den neuen westlichen Stadtteilen, versagten die Königlichen abermals wie beim inneren Festungsgürtel, und das Bayerische Biertel mußte neben die Innenstadt gebaut werden. Die groteske Scheußlichkeit des Königsplatzes auf einem toten Fled neben der Charlottenburger Chaussee besiegelte das Schicksal Berlins .
Um die Mitte des 18. Jahrhunderts ließ Friedrich II. den Festungsgürtel abtragen. Wenn er nun wirklich der große Kunstfreund gewesen wäre, als den ihn seine kritiklofen Bewunderer hin stellen, hätte er vor allem daran denken müssen, die alte Innenstadt und die neuen Vorstädte einander anzupassen. Er hatte das unverdiente Glüd, an einen Knobelsdorff zu geraten, der mit der Anlage von Rheinsberg und mit der„ Breiten Straße" in Pots föniglicher und kaiserlicher Fürsorge", für alle Seiten
Das Stadtbild der Reichshauptstadt ist, dank kurfürstlicher,
dam Proben eines überragenden städtebaulichen Könnens abgelegt verpfuscht.
Schadow, Rauch. Barum haben sie nicht schon im 18., spätestens Herbert Duckstein:
aber zu Beginn des 19. Jahrhunderts Berlin zu einem geistigen Mittelpunkt, zu einer Kunststadt gemacht? Warum ist statt dessen die preußische Hauptstadt das Gespött Europas geworden? Weshalb haben sich gerade unsere großen Männer: Goethe, Schiller , Lessing, Herder , Windelmann so abfällig über Berlin geäußert? Das kann doch nicht nur Vorurteil gewesen sein.
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Unsere bürgerlichen Professoren haben das Schlagwort geprägt von der preußischen Nüchternheit"; das läßt dann immer noch die Anerkennung von besonderer Tüchtigkeit und schlichter Gediegenheit 31. Eine verlegene Phrase, nichts weiter. Eben jene geistigen Kräfte, die Gediegenheit gewährleisteten, haben sich in Berlin nie entfalten tönnen. Der preußische Korporalsstod hat immer wieder die Anfäße zu einer geistigen Kultur zerschlagen, so wie der Krüdfind des Philosophen von Sanssouci " das Meißener Porzellan und Die Spiegel im Schloß des fächsischen Kanzlers Brühl . Neben diesen Feldmebelnaturen wie Friedrich Wilhelm I. und Friedrich Bilhelm. III. stehen eitle, prahlerische Tröpfe wie Friedrich I Friedrich Wilhelm IV. und Wilhelm II. Die machen dann feineswegs in ..preußischer Schlichtheit", sondern in Kitsch und Bombast. In Fridericus vermählen sich beide Tendenzen: die barbarische und die fomödiantische. Der Fassadenschwindel von Potsdam , besonders das beinahe schon wilhelminisch anmutende Neue Palais ", zeugen dafür.
Ueberhaupt ist ja die Architektur der untrüglichste kulturelle Bertmesser. Von allen Künsten berührt sie sich am unmittelbarsten mit dem Leben. Enger als Poesie, Malerei, Musik ist sie an die Gesetze der Wirklichkeit gebunden. Mehr noch als von dem Einze! rebäude gilt das von einer Gesamtsiedlung, vom Städtebau. Der bat ausgesprochen sozialen Charakter: nicht den Wünschen und Launen eines einzelnen dient der Städtebauer, sondern den Be
alls
Der Pfingstochje zieht Bilanz
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gegen diese sich breitmachende Poesielosigkeit der Großstadt, die mur an das Wohl nebensächlicher Säuglinge und fleiner Kinder in sonnenlofen Mietfasernen denkt, die jeder Romantik bar ist, weil angeblich Romantik mit Luftmangel, mit Dreck und Schmutz und Krätze verbunden sein soll. Man anerkennt meine Arbeit nicht mehr. Man mill es nicht wahr haben, daß ich mich in meinen Verhandlungen aufreibe, die ich mit Petrus führe, dem Chef des meteorologischen Zentralbüros, die ich zu Pfingsten mit Oberförstern und Waldguts. befizern wegen, der Bereitstellung von Birfenbäumen führe. Nichts von alledem will man mahr haben. Nur bei christlichen Müttern finde ich zuweilen noch offene Herzen; wenn ich ihnen im Traum erscheine: fie sollten ihre Erziehungs- und Züchtigungspflichten nicht vernachlässigen, sie sollten zur Pfingstzeit( zuständigkeitshalber) stets emphatisch auf meine Allgegenwart hinweisen, die einzuschüchtern und Tränen zu loden vermag und die zuweilen sogar beglückt und Lachen und Freude wedt. Doch solche braven Mütter gibt es mur noch sehr wenige; meine Machtdomäne wird immer fleiner.
Mein Bater war der unqufgeklärte Geist, der unter blauem| heiligungs- und Profanierungstendenz der modernen Welt gekämpft, Himmel auf brauner Scholle, zwischen Wald und Feld lebte, der beim Donner Gottes Gnade anflehte und im Sonnenschein Gottes Liebe anbetete, der in den gefüllten Scheuern Gottes Segen erkannte und der bei mißratener Ernte megen seiner Ungnade weinte ein Geist, dessen Kräfte brachlagen, aber nicht tot waren. Der, ein ungenutztes Land, Kraut und Disteln und Hederich aus sich erzeugte, weil sich niemand gefunden hatte, ihn umzugraben und zu pflegen. Seine Fruchtbarkeit schoß in wucherndes Untraut. Aus folchem Geistesader erwuchsen wir eines Tages: ich, meine Schwestern, meine Brüder. Der Same war gefommen aus einfamen, warmen, naturnahen Sommerabenden, an denen die arbeitsmüden Menschen auf grünen Bänten vor ihren Häusern fizen, an denen Abendläfer jummen und trunkene Fledermäuse taumeln. Vom Sternenhimmel waren die Urzellen, aus denen ich wurde, als Schnuppen gefallen; und gegen Mitternacht, wenn die Nachteulen bereits schrien, wenn es draußen unheimlich wurde, wenn die Geister umgingen, dann fand ein Mensch das Wort, das alle dachten:„ Da hinter der Schlehbornhede feht doch. Alle sahen jegt tommt er auf uns zu." und erkannten ihn fofort, diesen unheimlichen, gespenstigen Niemand. Man froch flugs zu Bett. Ohne schlafen zu können. Im Bewußt zappelte feinsneg blieb etwas gefangen zappelte. Ein Traum wurde daraus und aus dem Traum eine vage Vermutung und
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Ich hasse die Kinder mit dem offenen und freien Bhd in diese nüchterne Welt, weil sie nichts mehr wissen von uns: dem Pfingst chsen, dem Klapperstorch, dem Weihnachtsmann-id) hajie sie, weil ihr Blid nicht mehr nach unten gerichtet ist wie der von Hunden, die Prügel erwarten. Ich sehe fie morgen und übermorgen schon das Land, wo mein Vater nicht arbeitete, der Mensch mit dem Geistesader, auf dem Disteln und scharlachener Matschmohn und giftgrüner Nachtschatten wucherten: das ist so lange, lange her!
dürfnissen einer Gesellschaft. Mit diesen Bedürfnissen ist er durch e Vermutung, die Summe der Vermutungen verdichtete sich zu hinauswandern in die grünen Wälder und über sommige Wege, in
seine Aufgabe verknüpft. Bis in die Einzelformen des Schmucks in das, was dem Laien als das Wesentlich: an einem Baustil erscheint läßt sich dieser Zusammenhang verfolgen.
Die Hohenzollern sind stets mit einer stupiden Hartnäckigkeit hinter ihrer Zeit zurüfgeblieben. Von der Mitte des 15. Jahrhunderts cb, als Sturjurit Friedrich II. , der„ Eisenzahn", seine 3wingburg auf die Spreeinsel baute, mitten in das Weichbild der bescheidenen Fischer. und Handwerkerstadt, bis zu Wilhelms Sturz läßt sich das von der Baugeschichte ablesen. Die Errichtung der Burg war als Symbol gedacht für die Vernichtung der städtischen Rechte der Berliner und Köllner. Und wenn Wilhelm I. die alte Gerichtslaube, das Ueberbleibsel ihres Rathauses, im Part seines Schlosses Babelsberg als Spielzeug wieder aufstellte, so liegt diese Tat auf derselben Linie.
Da stand nun die Burg der Hohenzollern und daneben der alte Dom. Während die Bürger eingepfercht waren in enge Gassen und in viele Arme der Spree , in eine richtige Wasserstadt, hatten die Kurfürsten Raum genug für einen Turnierhof, an den noch heute die Bezeichnung An der Stechbahn" erinnert. In der späteren Renaissancezeit, als dieser rauhe Sport abtam und galanteren Freuden Plazz machte, wurde im holländisch- französischen Stil der ..Lustgarten" angelegt, der heute seinen Namen zu Unrecht führt: fauber abgezirtelte Beete mit einem Orangenhaus" als Abschluß. Für dieses Orangenhaus" mußte ein eigener Steg über die Spree gebaut werden. So prangte neben der düsteren mittelalterlichen 3wingburg unvermittelt die höfische leppigkeit des Südens.
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Nach dem Dreißigjährigen Krieg machte sich der Große Kurfürst" die neue Befestigungskunst der Franzosen zunuze er war ja auch sonst sehr gut Freund mit dem„ Sonnenfönig", von dem er jahrelang fette Schmiergelder einfassierte und zog einen sternförmigen Gürtel von Schanzen, Bastionen, Laufgräben um die Innenstadt. Am Spittelmarft, am Hausvogteiplatz, an der Wallstraße war die Herrlichkeit der Residenzstadt zu Ende. Diese Abschnürung des Festungsterns mit dem Schloß als Zitadelle wurde für die Entwicklung der Stadt zum Verhängnis. An die Brachtallee ,, Unter den Linden " nämlich, die der Kurfürst außerhalb des Festungsgürtels anlegte, hängte Friedrich Wilhelm I. eine Barod it a dt an mit lauter regelmäßigen Häuferblöden und schnurgeraden Straßen. Der heutige Belle- Alliance- Plak und der Leipziger Blaß Ganz schematisch maren die Grenzen diefes neuen Stadtteils. gedankenlos, ohne Rücksicht auf den stärkeren oder geringeren Verfehr, wurden alle Straßen genau gleich breit angelegt. Noch heute hat die ,, Friedrichstadt unter diesem Mangel zu leiden: die Friedrich straße ist nicht breiter als ihre vollkommen toten Querstraßen. Ein guter Architeft versteht es, auch innerhalb der Festungs man braucht nur mouern eine brauchbare Wohnstadt anzulegen Das alte Würzburg anzusehen. Andreas Schlüter hätte das 3eug gehabt, die Fehler des 17. Jahrhunderts gutzumachen. Die
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einer Bunschwelt, zu einem Phantasieparadies: zu einem Glauben. Alles Tote belebte sich: um die sichtbare Welt, dieses Konglomerat von Wasser und Luft und Wald und Erde, sponn sich der poetisch verflärende Schleier einer zweiten, unsichtbaren, fubjektiven Welt. Mit Nebel, Myftit, Mythos, Glauben. Von dort tomme ich.
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Ich habe das Gefühl, das Eiszeitriesen gehabt haben müssen, als im Often die warme Sonne aufging, die die blauen Eisfelder rot, blutrot färbte, daß diese schmelzen mußten. Wie ein fleischgewordener man zum Denken erzog.
Künstlerischer Tanz und Theater
In jener Zeit wurde ich. Das ist lange, lange her. Heute beginnen die Pfingſstbirken und die Linden meiner Heimat bereits Anachronismus wante ich in die kommende Welt von Menschen, die schwindsüchtig zu werden. Sie können den Kohlenstoffatem der 3ivilisation nicht vertragen, fie tranfen an dem Rauche, den die Zehntausende von himmelshohen Essen täglich über das Land legen. Wir werden mit ihnen frant. Meine Schwestern und meine Brüder: Wir werden mit ihnen frank. Meine Schwestern und meine Brüder: Der langbeinige Storch sucht vergeblich nach fleinen Menschenkindern in Wassern, die die Dellachen von Fabrifwässern bedecken und erstiden. Mein Bruder Langbein schreitet zuweilen schon am Rande eines lärmvollen Schulhofes entlang und flappert: Meine Mission ist erfüllt; fragt eure Lehrer und eure Mutter, ob sie bereits so weit sind, euch die Wahrheit sagen zu können." Und auf und davon flappert er. Die Kinder zerreißen zotige Bilder und freuen sich, Das Zuder wenn es läutet, auf den naturkundlichen Unterricht. schokoladentonterfei meines großen Stiefbruders, des Weihnachtsmannes, verzehren am Heiligabend die fleinen Menschenfinder und triumphieren über den Gertenmann, der sie nun nicht mehr mit der Rute bedroht, und bei dessen Erscheinen feine Kindertränen mehr in den Schnee tropfen. Die Wohnungen und die Schränke sind wohl durchforschbar und nicht mehr groß genug, als daß noch Geheimnisse in ihnen schlummern könnten! Die Herzklopfen bereiten und halb. durchwachte Nächte, in denen die Kleinsten ängstlich nach der Mutter rufen.
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Ich großer, starter Pfingstochte, der ich durch die Jahrhunderte gewandert bin, eichen- und maienbefränzt, fam neulich auf den Gedanten, vor Senilität zu sterben. Sie alle haben mich ja altern und zerbrödeln lassen: der Geist von 1789, der an den eisernen Pforten des Glaubens und Unglaubens zu rütteln begann, der die Baumblüte analysierte, und der der menschlichen Statio die Erde erschloß mit ihren Millionen Geheimnissen und Glaubensstimulantien, der den Mond seiner Mildtätigkeit und seiner Poesie entkleidete, der die Best nicht einfach als gottgewollt hinnahm und der es nicht wahr haben wollte, daß die ganze tausendfache Erdennot gequälter Menschenfinder ein Nolitangere der göttlichen Weltordnung sein sollte, der sich nicht mehr recht um die Kirchen fümmern wollte, und der heutzutage weltliche Schulen erstehen läßt, in denen man Physit und Zoologie und Botanit predigt.
Dieser Geist, destruttiv für alles Metaphysische, hat auch mich nicht unberührt gelassen. Eigentlich ignorierte er mich vollkommen. Aber dafür betonte er die Welt, die ohne Bunder fei, ohne Heren, die an bestimmten Tagen nacht und auf Besenstielen ihren qualvollen Strafritt in die Berge tum müssen. Ich fühle mich als ein Opfer dieser Aufklärung.
Ich habe lange Jahre gegen meinen Untergang, gegen diese Ent
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Der dritte deutsche Tänzerkongreß, der vom 19. bis 25. Juni in München tagt, hat u. a. die Frage ,, Tanz als künstlerische Formung in Oper, Schauspiel und Chorische Bühne" in den Vordergrund der Erörterung gestellt. Ich kann dies nur begrüßen. Denn wir Tänzer, die wir uns aus tiefster Ueberzeugung zum modernen Tanz als dem Ausdrud unserer Zeit bekennen, wollen vom Theater nicht nur den Wir wollen nebengeordneten und gleichberechtigten Bühnentang. die Eroberung des gesamten Theaters von der tänzerischen Geste aus. Dieses fast anmaßend erscheinende Wollen trägt die höchfte Erfüllung tänzerischen Seins und die tiefste Bescheidenheit gleichzeitig in sich. Wir geben uns nicht zufrieden mit dem ästhetischen Teilgenuß, den uns das Theater heute vermittelt Wir wollen beteiligt werden am grandiosen Spiel und Spiegel des Lebens, das Theater in seinem legten Sinn sein kann. Nicht mur getanztes Theater wollen wir, sondern rhythmisch- beschwingtes und beschwingendes Theater. Kunstwert, nicht Machwert! Daß der Weg dazu weit und mühsam ist, wissen wir. Wir wissen aber auch, daß unser Wollen fein fanatischer Traum ist. Theatergruppen wie die russisch- jüdischen haben in ihrer Art das rhythmisch bewegte, in- und miteinander schwingende Spiel lebendiger Körper, und wir wissen, daß es gerade das tänzerische Element ist, das ihre Darstellung so starf macht. In all den vielen Hunderten von Tänzern, denen ich begegnet bin, mit denen ich gearbeitet habe, lebt die gleiche Idee, mag sie sich auch verschieden äußern. In ihnen allen ist soviel Hingebefähigkeit, soviel innere und äußere Leistungsbereitschaft. Und wenn man es versteht, diese Kräfte dem Theater nutzbar zu machen, so wird das Theater daran erstarken und sich von seinem heutigen Scheinleben wieder zum großen Lebenssymbol wandeln. In uns allen lebt ein Sinn für das Theater, ein Glaube an seine tiefe Berechtigung, die in alle Ewigkeit bestehen wird. Niemals wird es Tanz und Tänzern gelingen, das Theater von außen her zu erobern. Niemals wird ein schönes und leeres Scheintanzen sich auf die Dauer im Theater behaupten. Die tänze rische Geste muß sich dem Theatergeschehen bis in seine letzten Tiefen verwurzeln und muß bis zu den verschütteten Lebensquellen des Theaters vorbringen. Nur vom schöpferischen Prozeß aus kann jene Erneuerung des Theaters gelingen, deren Erwartung wir alle in uns tragen.