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Morgenausgabe

Nr. 279

A 141

47.Jahrgang

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Vorwärts

Berliner Boltsblatt

Mittwoch

18. Juni 1930 Groß- Berlin 10 Pf. Auswärts 15 Pf.

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Man sucht ein Kompromiß. Stalin in der Gadgaffe.

Ein Deckungsvorschlag der preußischen Staatsregierung.

Das Reichskabinett hat sich gestern nur mit laufenden Angelegenheiten beschäftigt. Das Hauptaugenmerk des Rabi­netts ist augenblicklich noch nicht auf die Situation im Reichs­tag, sondern auf den Reichsrat gerichtet.

- Die der Volkspartei nahestehende Presse greift Herrn Moldenhauer heftig an. Die Deutsche Allgemeine Zeitung" gibt zu verstehen, daß Moldenhauer nach den Regeln des par­lamentarischen Systems die moralische Verpflichtung zum Rücktritt hätte. Das ,, Berliner Tageblatt", auch ein Regie­rungsblatt, meint dagegen, daß das Gesamtkabinett zurück­treten müsse.

Indessen ist ein Rücktritt des Finanzministers offenbar

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nicht zu erwarten zumal Bemühungen um eine Umgestal tung der Deckungsvorlage im Gange sind.

gen oder schärfere Besteuerung des Tabats gewonnen werden. Die Bertürzung der Besoldungen nimmt den Ländern und Gemeinden die lezte Reserve für einen etwa notwendigen Ausgleich von Fehlbeträgen. Besonders bedenklich ist dies für die Gemeinden, die durch die steigenden Lasten der Wohlfahrtsfürsorge immer stärter bedroht werden. Die preußische Staatsregierung beschloß daher weiter, der Reichsregierung die Einführung einer allgemeinen Ge­meindegetränkesteuer in der Form einer Schant verzehrsteuer vorzuschlagen.

Zu diesem Vorschlag der preußischen Regierung schreibt der Sozialdemokratische Pressedienst":

Die Absicht der Reichsregierung, nur die Festbefoldeten heranzuziehen, weil sie sich nicht wehren fönnen, iſt allgemein Umgestal- heranzuziehen, als so ungerecht empfunden worden, daß der Gedanke des allgemeinen Rotopfers neue Sympa thien gewonnen hat.

In der gegenwärtigen Form werden die Deckungsoor­lagen im Reichsrat feine Mehrheit finden. Die sächsische Regierung hat beschlossen, die sogenannte Reichshilfe ab­zulehnen. Die preußische Regierung tritt mit einem eigenen Vorschlag hervor.

Ueber den Dedungsvorschlag der Preußen regierung wird amtlich mitgeteilt:

Die preußische Staatsregierung befaßte fich am Dienstag mit der Vorlage der Reichsregierung zur Deckung der Fehlbeträge im Reichshaushalt und im Haushalt der Reichsanstalt für Erwerbslosen

fürsorge.

Die preußische Staatsregierung beschloß. der Sonder steuer für Fest befoldete nicht zuzustimmen, vielmehr bei den Beratungen im Reichsrat vorzuschlagen,

die Beamten und diejenigen Angestellten, die ein ge= sichertes Einkommen von mehr als 8400 Mart be. ziehen, zu den Ausgaben der Reichsanstalt für Er­werbslosenfürsorge heranzuziehen.

Sie würden alsdann denselben Beitrag, das sind Broz, zu zahlen haben, den nach der Erhöhung der Beiträge die Arbeit nehmer zahlen müssen. Die Staatsregierung ließ sich bei ihrer Be schlußfassung von dem Gedanken leiten, daß es bei der außerordent lichen Notlage und Erwerbslosigkeit weiter Gruppen des Boltes nicht unbillig sei, auch den in gesicherter Lage befindlichen Beamten und Angestellten ein Opfer für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zuzumuten.

Die Vorschläge der preußischen Staatsregierung ergeben gegen über den Vorschlägen der Reichsregierung eine Mindereinnahme von

123 Millionen.

Die Staatsregierung beschloß, der Reichsregierung einen Ausbau des Ledigennotopfers vorzuschlagen, durch den eine Mehreinnahme von 50 Millionen er­zielt werden könnte.

Zum 16. Parteitag der russischen fommunistischen Partei. Von Peter Garwy.

Nach dem Tode des vergötterten Gründers des Bolsche­mismus behaupteten alle drei Gruppen der Epigonen im Be­siz des wahren Ringes Lenins zu sein. Der Ausgang des hef= tigen Richtungskampfes hat unbestreitbar bewiesen, daß weder Troßfi, noch Bucharin, sondern Stalin im Besiz des wahren Ringes Lenin ist. Denn dieser Zauberring besteht nicht in einer flaren Lehre alle drei Gruppen be­rufen sich mit gleichem Recht auf die vieldeutige Heilige Schrift des Meisters sondern vor allem in der rücksichtslosen Willenstraft und in der organisatorischen Kunst, den Partei­apparat als Machtmittel zu beherrschen und auszunuzen.

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Es unterliegt taum einem Zweifel, daß auf dem bevor­stehenden Parteitag der KPDS. Stalin , der Autor der mißlungenen Agrarrevolution von oben. auch diesmal den Sieg davontragen wird. Der allmächtige General­fetretär wird seine Generalfinie durchsetzen, obwohl sie soeben Er wußte im letzten Augenblic einzulenten und damit die die Parteidiktatur an den Rand des Abgrundes gebracht hat. heranziehende Katastrophe wenigstens aufzuschieben. Er mußte die Verantwortlichkeit auf die Glieder der Parteifette abzuwälzen. Er wußte alle Hebel des ihm unterstellten Parteiapparates einzuseßen, um einen linien­treuen und gefügigen Parteitag vorzubereiten. Alle Orts- und Provinzkonferenzen der KPDSU., die dem Parteitag voraus­gingen, haben die Generalilnie des 3K., d. h. Stalins, ein­ftimmig" gebilligt und voll Begeisterung" dem bei Leb­zeiten vergötterten bolschewistischen Duce untertänigst ge= huldigt.

Damit steht allerdings der Vorschlag der preußischen Regierung teilweise im Widerspruch. Seine Absicht, die Fest­befoldeten mit Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung her­anzuziehen, die für die Dauer der Wirtschaftskrise gelten sollen, ist ebenfalls einseitig. Allerdings will die preußi­sche Regierung gleichzeitig durch eine Ausgestaltung der Ledigensteuer auch aus der allgemeinen Einkommensteuer einen Teil des Fehlbetrages decken. Solange die Absichten offiziell unter dem Zeichen des Kampfes nach rechts und nach Die Vorbereitungstampagne zum Barteitag stand zwar der preußischen Regierung nur in diesen groben Umrissen links. Aber es war ein einseitiger Kampf. Nur die Mehr­bekannt sind, wird man Zweifel daran haben müssen, ob heit, nur die Stalinisten hatten das Wort. der Gedante steuerlicher Gerechtigkeit ausreichend weder die Rechtsoppofitionellen, deren Stellung in der Partei durch ihn gewahrt wird. Eine Sonderbelastung derjenigen dank dem Scheitern des Stalinschen Agrarerperiments sich in­Boltsschichten, die sich in gesicherter Lebensstellung befinden, zwischen verstärkt hatte, noch die Troglisten hatten die Mög­fann doch immer nur dann als vertretbar angesehen werden, lichkeit, offen aufzutreten, Kritik frei zu üben. ihr Programm wenn zuvor und daneben alle Leistungsfähi- zu formulieren. Zwar erscheinen in der Brawda" langipal­gen ausreichend herangezogen worden sind. tige Diskussionsblätter". Aber nur die waschechten Stali­Ob aber, wenn dies geschieht, dann der Weg der richtige ist, nisten nehmen an dieser Diskussion" teil. Dabei handelt es oder ob es nicht besser ist, diese Belastung als Abgabe für sich um eine reint scholaftische Haarspalterei über die Aus­die Reichstaffe zu erheben, ist doch außerordentlich zweifel- mürfe zum Parteitag, die seine Ergebnisse vorwegnehmen legung der vom 3R. ausgearbeiteten Resolutionsent haft. Auf jeden Fall muß die Heranziehung aller Leistungs- sollen. Hiermit ist die Bonapartisierung der Partei vollendet: fähigen zur Ueberwindung der Wirtschaftsnot die erste Es gibt in ihr wie übrigens im ganzen Lande fein Stelle in jedem Sanierungsprogramm einnehmen. geistiges Ringen mehr. In der Parteipreffe, in den Versamm­lungen- Monologe, aber feine Dialoge.

Die sozialdemokratische Reichstagsfrat tion, die sich bereits am Montag und Dienstag eingehend mit diesen Fragen beschäftigt hat, wird wahrscheinlich am Mittwoch ihre Beratungen abschließen und der Deffent­lichkeit ihr Ergebnis unterbreiten.

Das Zentrum wartet ab.

Die Zentrumsfraktion des Reichstages wird zu den Deckungs­vorlagen der Reichsregierung, insbesondere zur Frage des Not opfers, erst Stellung nehmen, wenn die Beschlüsse des Reichsrats vorliegen, was frühestens Anfang nächster Woche der Fall sein.

Der dann noch verbleibende Unterschied müßte durch Einsparun dürfte.

Schober antwortet Steidle.

Billigung der Ausweisung Pabsts im Bundesrat.

Wien , 17. Juni. ( Eigenbericht.)

Im Bundesrat( etwa dem Reichsrat in Berlin entsprechend), der das sogenannte Entwaffnungsgesetz mit 26 gegen 15 Stimmen annahm, entwickelte sich eine ziemlich erregte Debatte über die Ausweisung des Put­schisten Pabst.

Der Heimwehrführer Dr. Steidle, der als Christlichsozialer Dom Tiroler Landtag gewählt ist, bezeichnete die Ausweisung Pabsts als eine Ungeheuerlichkeit und warf der Regierung Amtsmißbrauch vor. Es gebe Leute auf der Regierungsbank, die den Polizeistaat erfehnten.

Bundeskanzler Schober wies die Angriffe zurüd. Wenn ihm jemand, der nicht wie Steidle immun fei, Amtsmißbrauch vorwürfe, so würde er gerichtich gegen ihn vorgehen. Pabst habe als Aus­länder die Grenzen des politisch zulässigen weit überschritten und sei deshalb ausgewiesen worden. An sich sei die Ausweisung schon längst beabsichtigt worden. Der Innenminister fei jedoch von ihm( Schober) in dieser Absicht vorerst zurückgehalten worden, um den politischen Kampf nicht zu verschärfen. Nach der Neuenburger Rundgebung, in der Pabst erklärt habe, daß der

Heimwehrgeist auch in das Heer und die Polizei perpflanzt werden müsse, habe er, Schober, dem Innenminister fein Hindernis mehr in den Weg gelegt und sein Vorgehen gegen Babst nicht nur als vollkommen berechtigt betrachtet, sondern auch

ausdrücklich gebilligt.

Steidle und vierzehn Sozialdemokraten stimmten gegengejezten Gründen gegen das Entwaffnungsgesetz.

Was Pabst anzetteln wollte.

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aus ent­

Ein Wiener Abendblatt meldet über die Gründe zur Aus= weisung Pabsts, daß Pabst mit Faschisten einer be nach bar ten Machtoffenber Italien - Verbindungen angefnüpft und von ihr finanzielle Unterstübungen für die Heim wehr erhalten habe. Babst habe sich auch verpflichtet, bei einem Konflikt dieser Macht mit eirer anderen Macht- Jugo flawien slawien durch die Heimwehr prattische Hilfe zu leisten und ihr den Weg durch Desterreich zu öffnen. Wegen dieser Busage sei seinerzeit der Wiener Gesandte des berührten Staates Jugoslawien bei dem Bundeskanzler Schober vorstellig ge­worden, der vollkommen beruhigende Erklärungen ab gegeben habe.

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Nur hier und da sind einzelne schüchterne Stimmen der Kritik zu hören, die bald rücksichtsles erstickt werden. Wer ist für die verheerenden Folgen der Zwangskollektiviſierung ver­antwortlich die Ortsorganisation, wie es Stalin behauptete, oder das Zentralfomitee? Handelt es sich nur um die Ber­frümmungen" oder um die Generallinie selbst? Was bürgt für die richtige Führung in der Zukunft? Diese und ähnliche Fragen werden als gegenrevolutionäre Diskreditierung des Leninschen 3K", als versteckter Angriff gegen den unfehlbaren Parteiführer oder zum Reuegeständnis gezwungen.

Konnte noch vor kurzem der dumpfe Kampf der unter­drückten und zum Schweigen verurteilten sozialen Kräfte Sowjetrußlands in dem Richtungskampf innerhalb der herr­schenden Monopolpartei einen Ausweg finden, so hat die voll­endete Stalinisierung der Partei auch diesen Ersatz der poli tischen Meinungsfreiheit und Interessenvertretung beseitigt. Dadurch hat aber die Diktatur den legten Kompaß zerbrochen, der ihr die Orientierung einigermaßen noch ermöglichte. 1.

Weder Bolksvertretung noch Parteidemokratie! Rätefon­greffe und Parteitage werden zu lauten Baraden, die Sowjet­und Barteiwahlen zum von oben manipulierten Blebiszit. Die Diktatur tastet nunmehr im Dunkeln. Einst schrieb der be­rühmte russische Freiheitskämpfer Herzen über die Zeit Ni­folaus I: Das Winterpalais ist vom Reiche des Schweigens umgeben und in ihm hört man nur die Ge­neraladjutanten des 3aren sprechen". Auch der Kreml ist jetzt von einem Reiche des Schweigens umgeben und in ihm haben nur die Generaladjutanten des bolschemistischen Alleinherrschers das Wort.!

Die Dittatur hat ihren letzten Kompaß zerbrochen. Sie wird immer mehr zum Spiel der elementaren Kräfte. Sie hat die Richtung verloren. Indessen wird die Lage kritisch- nicht nur für die Dittatur selbst, sondern auch für das ganze Land. Der von Stalin eingeschlagene Linksturs ift in die Sadgaffe geraten. Das Chaos auf dem flachen Lande. eine Folge des sinnlosen Agrarerperiments, droht mit einer Mißernte zu en den, die die Ernährung der Städte und Dörfer, wie die Ver­sorgung der Industrie mit Rohstoffen gefährdet.

Als wichtigste Fragen stehen auf der Tagesordnung des Parteitages: Fünfjahresplan, Kollektivifierung der Landwirt schaft, Gewerkschaftspolitik. Die Resolutionsent­