10 Pf.
282 140
Der Abend™
Erfcheint täglich außer Sonntags Zugleich Abendausgabe des Vorwärts". Bezugspreis beide Ausgaben 85 Pf. pro Woche, 3,60 M. pro Monat. Redaktion und Expedition; Berlin SW68, Lindenstr. 3
Spätausgabe des„ Vorwärts
47. Jahrgang
Anzeigenpreis: Die einspaltige Nonpareillezeile 80 Pf., Reklamezeile 5 M. Ermäßigungen nach Tarif. Poßscheckkonto: Vorwärts- Verlag G. m. b. H., Berlin Nr. 37536. Fernsprecher: Dönhoff 292 bis 297
Brünings Regierungsfrise.
Moldenhauer als„ Sündenbock der Zentrumsschuld".
Die Krife der Regierung Brüning- Moldenhauer soll nicht gelöst, sondern verschleppt werden. Der Reichskanzler wird sie auch nicht selbst erledigen, er wird zum Reichspräsidenten fahren und sich dessen Entscheidung unterwerfen. Aber er fährt nicht heute zu Hindenburg . er fährt auch nicht morgen, sondern er wird feine Reise nach Ostpreußen wohl erst Anfang nächster Woche unternehmen. Bis dahin bleibt Moldenhauer Reichsfinanzminister zwischen Tod und Leben.
In der Preffe der Parteien, die vor kurzem noch die Regierung Brüning als eine Fahrt zu neuen Ufern bejubelt hatten, fommt der Katzenjammer in der Vorsicht der Kommentare zum Ausdrud. Die„ Germania "
-
,, erinnert sich unwillkürlich jener Dezembertage es ist genau ein halbes Jahr her in denen der Vorgänger Moldenhauers, Reichsfinanzminister Hilferding, dem volksparteilichen Widerstand zum Opfer fiel. Sozusagen über Nacht! Der Widerstand der Bolkspartei richtet sich heute mit nicht geringerer Schärfe und Plöglichkeit gegen einen Reichsfinanzminister, der ihrer eigenen Fraktion angehört. Es ist gewiß nicht leicht, in der ungeheuren Notzeit, die Staat und Wirtschaft jezt durchzufämpfen haben, Finanzpolitif zu machen.
Roch schwieriger aber iff es offenbar, diese Finanzpolifit fo zu gestalten, daß die Volkspartei fie nicht zum Anlaß einer Krije nimmt."
Die Hoffnung der Germania " freilich, daß eine Klärung der Krise mit größter Beschleunigung" erfolgt, wird wohl enttäuscht werden.
"
Den Staatsmännern auf der Rechten ist noch weniger wohl zu Mute. So zeigt die Deutsche Tageszeitung" eine schlotternde Angst davor, daß der Appell an das Bolf wieder einmal in den Vordergrund treten und die Reichstagsauflösung verkündet merden fönnte. In der Sorge vor den nationalsozialistischen Aufstieg ouf Kosten der Deutschnationalen geht das Agrarierblatt auf die Suche nach einem neuen Finanzminister und empfiehlt Brüning für diesen Posten, da er ja ,, finanzpolitischer Fachymann" ist. Dann sucht das Blatt die eigene Furcht vor den Nazis hinter dem Schredgespenst eines sozialdemokratischen Wahlfieges verschwinden zu lassen:
me=
,, Unmöglich sollte auf der anderen Seite heute auch eine Reichstagsauflösung erscheinen. Durch die unglückliche Politik Moldenhauers ist zunächst die Sozialdemokratie nigstens für die Logik von Versammlungsagitatoren, die aber leider meist auf die Massen wirkt so weitgehend entlastet, daß gegenwärtig mit dem Vorwurf der Flucht aus der Verantwort lichkeit faum mehr erfolgreich gegen sie zu operieren ist; im übrigen hat sie mit den Parolen: Bucherzöllen, neue Steuern, Abbau der Sozialleistungen schon ungefähr alles, was ihr Herz begehrt. Eine Reichstagsauflösung aus diesem Anlaß und in der jetzigen Wirtschaftslage würde die extremen Barteien außerordentlich stärken; bleibt, um von den anderen Barteien hier abzusehen, höchstens noch zu sagen, daß die Mittelparteien ja eine ganz unmögliche Plattform für den Wahlkampf bekämen. Die Landwirtschaft aber sähe bei Neuwahlen in nächster Zeit alle ihre Hoffnungen auf durchgreifende Agrarhilfe wieder gefährdet; und dem Bauer würde zugemutet, zwischen dringendsten Erntesorgen zur Wahlurne zu gehen."
Von der Presse der Volkspartei selbst bezeichnet die Köl nische Zeitung" Moldenhauer als das Notopfer des Not opfers. Das Blatt fagt:
aber
--
,, Der volksparteiliche Finanzminister Dr. Moldenhauer ist nun das ist das Eigenartige dieser Borgänge nicht an seiner eigenen Finanzpolitik, sondern an der Durchführung eines 3 entrumsprodromms gescheitert. Und nun foll Dr. Moldenhauer als Sünden bod der Zentrumsschuld in die Wüste geschickt werden? Ob er es verdient hat oder nicht, ist vorerst gleich gültig. Jedenfalls steht fest, daß es die Herren Brüning und Steger mald, die eigentlichen Väter des Rotopferplanes, verdient haben, das Schicksal des Finanzministers zu teilen. Ueber sein Rücktrittsgesuch ist noch nicht entschieden, vor allem auch nicht darüber, ob das Gefamtkabinett seinem Beispiel folgen wird. Es würde zweifellos ein ganz falsches Bild der Lage ergeben, wenn das nicht geschehe. Wenn aber die Zentrumsherren wirklich bleiben oder nach dem Rücktritt der Regierung etwa wieder die Kabinettsbildung übernehmen mellen, dann mögen sie fünftig für ihre Finanzpolitif selbst ver antmortlich zeichnen. Wir haben genug von den falschen Parolen und den falschen Notopfern."
Ein Rathaus ohne kommuniffen. Die beiden kommunistischen Stadtverordneten des Bielefelder Stadtparlaments haben ihre Mandate niedergelegt. Ihre beiden Nachfolger auf der Borschlagsliste erklären, daß fie ein Mandat nicht annehmen würden,
150
55
TREVIRAN
F202572
Wallensteins Tod
BRUNING
MOLDENA
Vormarsch der Nassen.
Ex- Botschafter Morrow zieht in den Senat. New York , 19. Juni.
Die Nassen" haben einen großen Sieg zu verzeichnen. Der frühere amerikanische Botschafter in Merito, Morrow, ist bei den Senatswahlen in New Jersey mit überwältigender Mehrheit gewählt worden. Morrow erzielte insgesamt etwa 408 000 Stimmen, während sein„ trodener" Gegenkandidat Fort nur 114 000 Stimmen auf sich vereinigen fonnte.
In den letzten Jahren hat fein politisches Ereignis soviel Auffehen erregt wie der Sieg Morrows in den Senatsvorwahlen. Morrows Sieg ist ein weiteres Anzeichen für den wachsenden Widerstand gegen die Alkoholverbotsgesetze. Bei den„ Trockenen" ist man allerdings der Ansicht, daß New Jersey schon vonjeher naẞ" gewesen sei und daß dem Wahlergebnis infolgedessen keine besondere Bedeutung beizumessen sei.
Stadträte ohne weiße Wäsche,
aber mit einem braunen Hemd.
Nürnberg . 19. Juni.( Eigenbericht.) Als die Nationalsozialisten in der gestrigen Vollversammlung des. Stadtrats( Stadtverordnetenversammlung) in shin hitler Uniform erschienen, wurde die Sitzung auf Antrag der Sozialdemokratie vertagt. Vor der Abstimmung erflärte Oberbürgermeister Dr. Luppe, daß er in dem uniformierten Erscheinen einer ganzen Fraktion eine Störung der Geschäfts= führung fehe und im Wiederholungsfalle einschreiten werde. Bei der Abstimmung gefellten sich Boltspartei und Kommunisten zu. den Nationalsozialisten.
Mag bleibe bei mir, geh nicht von mir, Max!"
Ein Gattenmord vor Gericht.
Jm Schwurgerichtsjaal des Prenzlauer Landgerichtsgebäudes begann heute vormittag der sowohl vom friminalistischen wie vom psychologischen Standpunkt außerordentlich intereffante Gattenmordprozeß gegen den Zahnarzt Frih Gutmann aus Schwedt an der Oder. Dem starken Andrang des Publikums, das zum großen Teil aus Schwedt herübergekommen war, fonnte das Gericht nur wenig gerecht werden, da der Zuhörerraum mit Rücksicht auf die Anwesenheit von 20 Sachverständigen, mehr als 70 3eugen und zirka 30 Pressevertretern stark beschränkt werden mußte.
Auf dem Gerichtstisch waren die Beweisstücke dieses Mordprozesses aufgebaut, der rote Morgenrod und das blut= befledte Nachthemd, mit dem die ermordete zweite Frau des Angeklagten, Rosi Gutmann geb. Ferber, befleidet war, als man fie im Badezimmer fand, das Schloß des Badezimmers, an dem der Angeklagte mit seinen Operationswerkzeugen herumhantiert hatte, um vorzutäuschen, daß seine Frau sich eingeschlossen habe, das Handtuch, das er ihr um den Hals gelegt haben will, ferner der Revolver des Zahnarztes, Morphiumpackungen, die noch von der ersten Frau stammen, deren merkwürdiger Tod ais Juustration zu dieser Anklage mit zur Erörterung kommen wird. Außerdem hat das Gericht ein großes Pappmodell des Gutmannschen Hauses in Schwedt , Schloßfreiheit 15, anfertigen lassen, deren Oberteil sich abheben läßt und einen Blick in die genau nachgebildete Wohnung gestattet. Man fieht in jeden Raum hinein, vor allem auch in das Badezimmer mit der am Boden liegenden Leiche, der scheinbar umgestürzten Leiter, der Badewanne, alles im genauen Verhältnis der tatsächlichen Größenmaße dargestellt. Unter diesen Umständen wird ein Lokaltermin in Schwedt voraussichtlich erspart werden können. Das Badezimmer ist ja der verhängnisvolle Raum dieser im übrigen recht großen Wohnung, denn hier wurde seinerzeit auch die erste Frau Gutmanns tot aufgefunden. Das verfluchte Badezimmer", soll ja auch der Angeklagte gerufen haben, als man die ersten Feststellungen
über den Tod seiner zweiten Gattin traf.
Wenige Minuten vor Beginn der Verhandlung wurde der Angeklagte Gutmann
An
Don Gefängnisbeamten vorgeführt. den 41jährigen Mann, dessen eingefallenem Geficht man die halbjährige Unter.
|
suchungshaft deutlich anmerkt, fällt der merkwürdige Bau des spitzen, fahlen Schädels auf, vor allem seine fliehende Stirn. Während er sich scheinbar ruhig und gelegentlich auch lächelnd mit seinem Verteidiger, Rechtsanwalt Dr. Frey, unterhält, schweift der Blick aus den tiefliegenden dunkelumränderten Augen lauernd und beobachtend über die Reihen der Presse und der Zuhörer. Der erste allgemeine Eindruck dieses von allen, die ihn fennen, als brutal und gewalttätig geschilderten Mannes ist jedenfalls kein günstiger, und man versteht, daß der Zahnarzt in Schwedt außerordentlich unbeliebt war und daß man ihm rein gefühlsmäßig sowohl die Schuld an dem Tod seiner ersten wie an dem der zweiten Frau sofort zugetraut hat. Nach der kurzen Bernehmung des Angeklagten zu seinen Personalien, bei welcher er angab, daß er am 30. Dezember 1889 zu Berlin geboren sei, in erster Ehe mit Lena, geb. Baer, in der zweiten mit Roft, geb. Ferber, verheiratet gewesen zu sein und zwei Kinder zu haben, daß er ferner den Krieg als Feldzahnarzt mitgemacht und das Eiserne Kreuz 2. Klaffe erworben habe, wurde der Eröffnungsbeschluß verlesen. Angeklagter: Ich bin als Sohn des Zahnarztes Adolf Gutmann in Berlin geboren. Ich habe, wie ich sagen darf, eine sorgfältige Erziehung genossen. Meine Eltern hingen an großer Liebe an mir( aufgeregt). The ich fortfahre, muß ich hier etwas einschalten. Man hat mir bei meiner Bernehmung im Borverfahren immer nur meine Straftaten vorgehalten, jedoch niemand hat sich um meine Verteidigung gefümmert, sonst hätte man all das Gerede und den Kleinstadtklatsch, der über mich im Schwung war, früher oder schneller zerstören fönnen. Ein großer Teil der Zeugen brachte starke Belastungen für mich aus meinem Vorleben, besonders aus meiner Jugendzeit.
Ich habe nie mit Geld wirtschaften fönnen, ich mußte nur, daß ich der Sohn des„ reichen Gutmann" war. Mein Vater war mit mir als Assistent sehr zufrieden, gab mir aber nicht genug Geld. So wurde ich leichtsinnig und unterschlug Gelder, die für meinen Bater eingingen. Zu diesem Umstand kam hinzu, daß meine Eltern sich mit meiner Braut, Fräulein Richter, nicht befreunden konnten, deshalb wurde ich schließlich nach Amerita zu einer Tante geschickt, mas das schwerste llnrecht war. Einmal war die Verbindung mit meiner Tante, die selbst in beschränkten Verhältnissen lebte, keine gute für mich, dann wurde aber auch meine deutsche Approbation in Amerifa nicht anerkannt. Schlecht und recht schlug ich mich durch,