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BERLIN  Freitag 20. Juni 1930

Der Abend

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Nr. 284

B 141 47. Jahrgang

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Reichstag gegen Württemberg  .

Der Rechtsausschuß fordert die Aussetzung verhängter Todesstrafen.

Im Strafrechtsausschus des Reichstags zitierte heute vormittag Abg. Dr. Rosenfeld( Soz.) die Meldung nus Stuttgart  , nach welcher das Gnadengesuch des zum Tode verurteilten Landwirts Zell   vom württembergischen Staatspräsidenten abschlägig beschie den worden sei und die Hinrichtung in den nächsten Tagen vollzogen werde. Nun habe im Oktober 1928 der das malige Reichs justizminister im Namen des Ka binetts ein Ersuchen an die Länderregie rungen gerichtet, die Todesstrafe nicht mehr zu voll. ziehen, solange die Frage der Abschaffung der Todesstrafe im Strafrechtsausschus noch nicht end gültig entschieden worden sei. Diesem Ersuchen haben

Brüning   Finanzminister.

Borläufig mit den Geschäften betreut.

Amflich wird gemeldet:

Reichspräsident von Hindenburg   hat auf Vorschlag des Reichs­fanzlers den Reichsminister Professor Dr. Moldenhauer auf seinen Antrag entlassen und den Reichskanzler Dr. Brüning bis auf weiteres mit der Wahrung der Geschäfte des Reichs­ministers der Finanzen beauftragt. Dem scheidenden Dr. Moldenhauer hat der Reichspräsident in einem Schreiben

Dank für die dem Reiche geleisteten Dienste in herzlichen Worten ausgesprochen.

die Länderregierungen bis jetzt auch Rechnung getragen. Hakenkreuz wird nicht geduldet.

Seitdem sei in Deutschland   kein Todesurteil mehr streckt worden. Abg. Dr. Rosenfeld bat den Reichsjustiz minister, alles zu tun, um die Württembergische Staats

regierung zu bewegen, dem damaligen Ersuchen Rechnung

zu tragen.

Reichsjustizminister Dr. Bredt gab die Erklärung ab, daß jene Anregung des früheren Kabinetts die jetzige Regierung natürlich nicht binde. Es habe sich überhaupt nur um eine Anregung gehandelt, der die Regierung von Württemberg   in Anbetracht der Schwere des Falles offenbar keine Folge geben wolle. Er habe zunächst telephonisch den württembergischen Gesandten um nähere Informationen gebeten und werde mit ihm im Laufe des Tages noch verhandeln.

Abg. Dr. Ehlermann( Dem.) hielt es im Inter

esse der Rechtseinheit in Deutschland   für dringend not­wendig, daß die Frage der Vollstreckung der Todesstrafe einheitlich in Deutschland   geregelt werde.

Mit 15 gegen 10 Stimmen wurde ein von den Ab geordneten Dr. Rosenfeld( Soz.), Dr. Ehlermann ( Dem.) und Dr. Kahl( D. Vp.) eingebrachter, Antrag angenommen, nach welchem die Reichsregierung der württembergischen Statsregierung nahelegt, vor der ge­setzlichen Entscheidung über die Todesstrafe das Todes. urteil gegen den Landwirt Zell   nicht zu vollstrecken.

4 Proz. Reichsbankzins.

Der Beschluß des Zentralausschusses.

Die Reichsbank hat mit Wirkung vom 21. Juni den Wechsel­diskont um auf 4 Prozent und den om bardzinsfah um ½ auf 5 Prozent her abgesetzt.

Die Reichsbank ist also, wie nicht anders zu erwarten war, der neuen 3inssentungswelle auf den internationalen Geld­märkten gefolgt. Die heutige Binssenkung ist die sechste Dis tontherabjegung in diesem Jahre, nachdem bereits im No­vember 1929 im Anschluß an die New- Yorker Börsenkatastrophe der erste Abbau des Zinssatzes von 7% auf 7 Prozent eingefegt hatte. Mit dem jetzt erreichten Wechselzinsjah von 4 Prozent ist ein Reford­tiefstand erreicht, wie er seit dem Jahre 1914 in Deutschland   nicht mehr bestand.

Der Berliner   Polizeipräsident gegen die Naziuniform.

Erlaß an fämtliche preußische Polizeiverwaltungen das öffentliche

Bor acht Tagen hat der preußische Minister des Innern durch Tragen der nationalsozialiifchen Parteiuniform verboten. Darin hieß es, daß zur Uniform alle Gegenstände ge­hören, die dazu bestimmt oder geeignet find, abweichend von der üblichen bürgerlichen Kleidung die Zugehörigkeit zu den genannten Organisationen, insbesondere den sogenannten Sturmabteilungen, Schutzstaffeln und der Hitler- Jugend  , äußerlich zu bezeichnen, alfo auch kleidung und Ausrüstungsstüde( 3. B. Armbinden), die durch bestimmte Form, Farbe, Schnitt usw. ein Merkmal der genannten Organisationen darstellen".

Wie wohl faum anders zu erwarten war, haben die National­

Präsidenten Silos und dem Vizepräsidenten Saavedra wird vorgeworfen, daß sie durch Paktieren mit den Bereinigten Staaten Bolivien   sehr geschädigt hätten. Von den Aufständischen ist Hinojosa zum vorläufigen Präsidenten ausgerufen worden.

Länder und Reichsgewalt.

Heute die Aussprache im Ausschuß eröffnet.

Der Ausschuß der Länderkonferenz ist heute in der Reichskanzlei zusammengetreten und durch eine Rede Dr. Wirths über die Organisation der Reichsgewalt eingeleitet worden.

Der Feuerfampf an der Grenze.

Gemischte Kommission führt die Untersuchung. Der neueffe deutsch  - polnische Grenzzwischenfall

ftellt sich wie folgt dar:

Ein deutscher Zollbeamter stieß bei einer Streife auf einen 3ivilisten, der sofort das Feuer auf den Beamten eröffnete und drei Schüffe abgab, ohne zu treffen. Der Schuß, den der deutsche Beamte abgab, war fofort tödlich. Der Zivilist war im Besitz eines Passes und eines Lichtbildes, die auf den Namen eines polnischen Grenzbeamten lauteten. Heute 1 Uhr ist eine deutsch  - polnische Kommission zu­fammengetreten, um an Ort und Stelle Feststellungen zu machen.

sozialisten versucht, das Verbot zu umgehen. Statt der Uniform Brüning über Briand  : Memorandum.  

fleideten sich die Hiller- Anhänger einheitlich in weiße Hemden, auf die fie damit eine neue Parteiuniform geschaffen. Infolgedessen wird die das Parte abzeichen hefteten. Sie haben sich Berliner   Polizei in Zukunft auch gegen derartig gefleidete. National­sozialisten einschreiten und ihr Parteiabzeichen beschlagnahmen.

Kommunistischer Feuerüberfall.

Ein Schütze wegen Mordverfuchs verhaftet. Der Polizeipräsident teilt mit:

Gegen 5,45 Uhr heute früh wurde der 25jährige Arbeiter Pohnke, Friedrichsgracht 36 wohnhaft, Ede Grünffraße und Friedrichsgracht von mehreren Personen mit Pistolen füffen empfangen. Es wurden 12 bis 15 Schüffe abgegeben, die jedoch ihr Ziel ver­fehlten, weil Pohnke sich sofort auf den Boden warf. Nach Abgabe der Schüsse ergriffen die Schüßen die Flucht. Pohnte ist Angehö­riger der NSDAP  . Es gelang alsbald, einen der Täter in dem Arbeiter Wilhelm Bober zu ermitteln und festzunehmen. Bober ist geständig. Er hat aus einem Trommelrevolver angeblich nur einen Schuß abgegeben, und zwar hat er eine Schrot­patrone verfeuert. Gefunden wurden bei ihm acht weitere Schrof­patronen. Des weiteren hatte er bei sich eine Armeepistole ( 9 Millimeter) mit vier Schuß. Am Tatort wurden acht Hülsen ge­funden. Die Täter find kommunisten. Die Ermittlungen nach ihnen werden fortgefeht. Bober wird dem Bernehmungsrichter wegen verfuglen Mordes zugeführt.

Revolution in Bolivien  .

Paris  , 20. Juni.  ( III.)

Reichsbankpräsident Dr. Luther begründete in der Sizung des Zentralausschusses die Diskontjenkung mit der anhaltenden Blutige Kämpfe- Der deutsche General Kunt cefangen. Geldflüssigkeit auf den Weltmärkten, die sich durch die Verschärfung der Weltwirtschaftsfrise in letzter Zeit cher noch gesteigert hat. Die bisherigen Diskontsentungen haben noch nicht zu einer wirffamen Auf: oderung des Kapitalmarttes in Deutschland   geführt, und es besteht zur Zeit zwischen den Zinssäken auf dem Geldmarkt und den Anleihe- und Hypothekenzinfen eine so ungesunde Spanne, daß die tonjunkturpolitischen Wirkungen ter fortgelegten Binsfenkungen der Reichsbank dadurch außerordent­lich abgeschwächt sind. Es ist daher die dringendste Aufgabe der öffentlichen und privaten Bantpolitif in Deutschland  , die Geld­verbilligung auch für langfristige Kredite wirksam zu

machen.

Teilweises Frauenwahlrecht in Frankreich  . Der Bahlrechts. ausschuß der Kammer hat sich für einen Gesegesvorschlag ausge­sprochen, der für die Witwen der Kriegsgefallenen und Vermißten das Wahlrecht und die Wählbarkeit vorsieht. Der Vorsitzende des Ausschusses wird die Beratung im Plenum beantragen.

Wie aus Buenos Aires   gemeldet wird, haben in Bolivien  Schwere Kämpfe zwischen den Aufständischen und Regierungstruppen stattgefunden, wobei es auf beiden Seiten viele Tote und Ver­wundete gab. Die Nachricht, daß der Führer der Aufständischen Hinojosa von den Regierungstruppen gefangen worden sei, ent­spricht nicht den Tatsachen. Die Aufständischen sollen, die Städte Oruro  , Cochabamba  , Potosi   und Sucri cingenommen haben. Es soll den Aufständischen ferner gelungen sein, den Generalstabschef der Regierungstruppen und den deutschen   General Kunt

gefangen zu nehmen, da ein Teil der Regierungstruppen zu den Aufständischen übergegangen sein soll.

Die Aufständischen haben einen Aufruf erlassen, in dem es heißt, daß die Revolution durch die Regierungsmethoden der Unkonstitutio­nellen hervorgerufen fei, die das Volt ausgebeutet hätten. Dem

Deutschland  / Frankreich  / Europa  .

Paris  , 20. Juni.

In Fortsetzung seiner Untersuchung über den Eindruck, den das Briandsche Memorandum in den europäischen   Staaten hinterlassen hat, veröffentlicht der Sonderberichterstatter des ,, Matin" Erlärungen des Reichskanzlers Dr. Brüning.

,, Das Briandsche Memorandum", so erklärte der Reichskanzler, ,, wird innerhalb der gewünschten Frist, d. h. vor dem 15. Juli, be= antwortet werden. Wir werden nicht nur auf die von Frankreich  formulierte Einladung antworten, sondern auch in großen Zügen eine Darstellung unserer 3iele über die von Briand   entwickelten Gedankengänge hinsichtlich der wirtschaftlichen und der politischen Probleme gegeben. Wir sind der Ueberzeugung, daß die Unternehmen zu ernst ist, als daß man sich in Wortgefechte verlieren könnte. Hier ist eine langwierige Arbeit zu tun, und wir denken, daß Deutschland   und Frankreich   eine ernste Rolle dabei zu spielen

haben. Der Meinungsaustausch zwischen unseren beiden Ländern wäre eine glückliche Eröffnung der europäischen   Debatte, und deshalb wünsche ich, daß die noch nicht geregelten Nachkriegsprobleme, vor

allem das der Saar, attiv vorwärts getrieben werden.

Der

Europapakt habe natürlich das erste Ziel, die 30llfäße zu er­mäßigen. Dabei müsse sich Deutschland   bemühen, die Interessent feiner Landwirtschaft zu wahren, die gegenüber den Nach­barstaaten mit ihrem reicheren Boden und ihren billigeren Arbeits­fräften im Nachteil sei. Für die Industrie dagegen liege das Hauptinteresse in der Eröffnung möglichst breiter Abjaßgebiete. Aber auch hier sei eine Ausgleichung des Lohnniveaus notwendig. Außerdem habe die gesamte deutsche   Volkswirtschaft ein Intereffe daran, für den Bevölkerungsüberschuß Platz in weniger bevölkerten Gebieten zu finden. Natürlich tönne Deutschland   an feiner Organisation teilnehmen, die die schweren Ketten der Berträge, die auf ihm lasteten, noch drückender gestalten könnten."

Urteil der Dunfelfammer.

Arbeit für Minifler Groener.

Kiel  , 20. Juni. 3m Kieler Munitionsprozeß wurde nach achttägiger Berhandlung heute vormittag das Urteil verkündet. Die Große Straffammer wies die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das freisprechende Urteil des Schöffengerichts auf Kosten der Staats. faffe zurüd. Auf Antrag des Oberstaatsanwalts wurde wegen Ge fährdung der Staatssicherheit bei Berlesung der Be­gründung des Urteils die Oeffentlichkeit wiederum in vollem Maße ausgeschlossen.