Einzelbild herunterladen
 

BERLIN Montag 23. Juni 1930

Der Abend

Erscheint täglich außer Sonntags.

12

Sugleich Abendausgabe des Vorwärts". Bezugspreis beide Ausgaben 85 Pf. pro Woche, 3,60 M. pro Monat. Redaktion und Expedition; Berlin SW68, Lindenstr. 3

Spätausgabe des Vorwärts"

H

10 Pf.

Nr. 288

B 143 47. Jahrgang

Anzeigenpreis: Die einspaltige Nonpareillezeile 80 Pf., Reklamezeile 5 M. Ermäßigungen nach Tarif. Postscheckkonto: Vorwärts- Verlag G. m. b. H., Berlin Nr. 37536. Fernsprecher: Dönhoff 292 bis 297

Der fächsische Wahltag.

Zusammenbruch der bürgerlichen Parteien/ Von den Nazis geschlagen Die Sozialdemokratie unerschüttert

Dresden , 23. Juni. ( Eigenbericht.)

Die fächsischen Landtagswahlen vom Sonntag haben den bürgerlichen Parteien, die bisher die Regierung bildeten, schwere Niederlagen gebracht. Die Krisenpartei des Herrn Scholz hat nicht weniger als fünf von dreizehn Mandaten verloren, die Hugenberger find von acht auf fünf Siße zurüdgegangen. Die Nationalfozialisten haben die bürgerlichen Parteien über den Haufen gerannt. Das Gefamtergebnis des Wahltages ist das folgende: Landtags wahl

Landtags­wahl

Man­date

Man­date

22. 6. 1930

12. 5. 1929

Sozialdemokraten.. 871 327 Deutsche Volkspartei 227.319 KPD .

32

922 932

8

363 382

33 13

355 552

13

345 530

12

Wirtschaftspartei.. 276 702 Deutschnationale.. 124 300 Sächs. Landvolt... 120 497 Nationalsozialisten. 376 724 Demokraten..: 83 671 Aufwert- und Volks.

10

304 884

11

5

211906

8

5

140 611

5

14

133 787

5

3

115 289

4

rechtpartei

44142

70 131

3

19 197

40 598

Komm. Oppofition

14 827

22 129.

.

Bolfsnat. Reichsver­

einigung

39 351

2

Christl. Soz. Bolts­

dienst

57.408

2

ASP.

21

21

Reichstags wahl 20. 5. 1923 999 421 316 017 381 568 232 052

in diesem Bande bei den Parteien die Einsicht durch, daß Länder 1 Partei ist endgültig verschwunden. Sie hat teir parlamentarismus etwas anderes ist als Reichs- Mandat mehr. Im Landtag werden jetzt 59 Size von 96 ein­parlamentarismus, und daß eine Länderregierung im wesentlichen genommen von Sozialdemokraten, Kommunisten und National­verwaltende Funktionen hat. sozialisten. Daraus geht hervor, wie sehr die Stellung der National= sozialisten im Landtag verstärkt worden ist.

Unter dem Gesichtspunkt der Konsolidierung der Regierungs­verhältnisse in Sachsen ist diese Wahl katastrophal ausgegangen. Vor allem aber ist sie

tatastrophal für die alten bürgerlichen Parteien.

Diefe haben eine fürchterliche Niederlage erlitten, und die Gewinner der Niederlage sind die Nationalsozialisten, die Volksnationale Reichsvereinigung des Herrn Mahraun und der Christlich - soziale Boltsdienst vor allem aber die Nationalsozialisten.

-

Die Nationalsozialisten haben sich verdreifa ch t. Sie sind 254 488 die 3meitftärkste Partei im sächsischen Landtag geworden. Ihre 145 476 Stimmenzahl ist von 133 000 auf 376 000 emporgeſchnellt. Ihre Mandatsziffer von fünf auf vierzehn. Die Mandatsziffern geben 147 356 deutlich die Verschiebungen wieder.

87 545 34 860

Sämtliche alten bürgerlichen Parteien haben an die National­fozialisten Stimmen und Mandate abgeben müssen, die Wirt­schaftspartei nicht ausgenommen.

Der Verlust der Deutschen Volkspartei beträgt fast 40 Broz., der Berlust der Deutschnationalen . ist noch stärker. Die, altsozialistische"

Eine so schlagartige und außergewöhnliche Umstellung der Wählerschaft bedarf der Erklärung. Diese Erklärung ist nicht allein damit gegeben, daß die schwere Wirtschaftsfrise den Hang zum Extremismus fördere, und daß also das schwache Wachsen der Kom­munisten und das starte Wachsen der Nationalsozialisten konjunkturell bedingt sei. Die Nationalsozialisten haben den Wahlkampf in Sachsen vorwiegend mit sozialistischer Phraseo­logie bestritten. Sie haben aus propagandistischen Gründen an der Maifeier teilgenommen. Sie haben dennoch nicht vermocht, die Sozialdemokratie und die Kommunisten zu schwächen. Aber sie haben jene Maffen aus den bürgerlichen Parteien an sich gezogen, die klaffenmäßig nicht zum Bürgerfum gehören. Sie haben mit ihrem primitiven Sozialismus der Phrase auf die Schichten gewirkt, die im Laufe der Krise proletarisiert worden sind. In den alten bürgerlichen Parteien ist die Klassen­linie offen aufgerissen. Es ist ein Einbruch in das traditionelle Gefüge der alten bürgerlichen Parteien, die bisher immer noch vermocht hatten, sich proletarische Schichten dienstbar zu machen. Das tann eine Hoffnung für die Zukunft

Reichs- Arbeiter- Sporttag im Stadion

Die Zahl der abgegebenen Stimmen befrug 2 611 017. Die Wahlbeteiligung ift alfo um mehr als 80 000 Stimmen geringer als bei der Wahl im letzten Jahre.

Die Lehren der Wahl.

Diese Wahl ist ein Signal und eine Warnung. Seit 1923 haben sowohl die sächsische Sozialdemokratie als auch die Deutsche Volkspartei , als Führerin des Bürgertums, Niederringungs. strategie getrieben. Jeder glaubte den anderen bei der nächsten Wahl endgültig in die Knie zwingen zu können. Seitdem hat Sachsen wiederholt gewählt, ohne aus der latenten Krise heraus­zukommen. Nun endet dieser Kampf mit einem Erfolg der faschisti schen Nationalsozialistischen Bartéi. Also hat das Bürgertum gefiegt? Das ist nicht richtig. Der Erfolg der Faschisten ist zugleich eine schwere Niederlage der bürgerlichen Parteien, und der Vormarsch der Hakenkreuzler ist nicht erfolgt unter der schwarzweißroten Fahne, sondern unter der roten Fahne mit dem Hakenkreuz!

Nach dieser Wahl gibt es in Sachsen nur eine einzige große Frage: Warum haben wir gewählt? Wie soll bei dieser Zusammensetzung des Landtages die neue Regierung aussehen. Im legten Landtag hätte eine Koalition aus Sozialdemokraten, Deutsche Volkspartei und Demokraten, die Große Koalition, 50 Man­date von 96 gehabt. Jetzt bringt es die Große Koalition einschließ­lich des Zentrumsabgeordneten, der auf der Lifte der Wirtschafts­partei gewählt worden ist, nur auf 44 Mandate! Sie hat also feine Mehrheit. Ohne Einbeziehung anderer Parteien gibt es feine Mehrheit für die Große Koalition. Welche Parteien fämen. für eine Erweiterung einer solchen Regierung in Betracht. Ent­weder nur die Wirtschafts- oder die kleineren Gruppen, die Auf­wertungspartei, die Mahraun - Gruppe, der Chriftlich- soziale Volks­dienst. Aber gibt es eine Kombination des Bürgertums mit den Nationalsozialisten, wie in Thüringen , dann müßten sowohl die Demokraten als auch die Jungdeutschen der ,, Boltsnationalen Reichs­nereinigung" mit von der Partie sein. Man kann die Kombinationen drehen und wenden wie man will. Diese Wahl hat die

Situation in Sachsen noch verworrener

gestaltet, als sie es ohnehin schon war.

Was soll nun werden? Irgendeine Berwaltungsregierung mit Tolerierung von links und rechts, wie sie schon vor der Auflösung des Landtages geplant war, die schlecht und recht die Geschäfte meiterführt, oder ein Experiment nach dem Vorbild von Thüringen ? Bielleicht jetzt sich angesichts des 3wanges der Lage nun menigstens

Unser Bild zeigt den Einmarsch der Sportler beim Reichs- Arbeiter- Sportlag, der am Sonntag große Zuschauermassen nach dem Grunewaldstadion gelockt hatte. Ausführliche Meldungen im Sportteil dieses Blattes.