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Morgenausgabe

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47.Jahrgang

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Blid in die

Vorwärts

Berliner   Bolksblatt

Donnerstag

26. Juni 1930

Groß- Berlin 10 Pf. Auswärts 15 Pf.

Die stalpattige Ronpareillezetle 80 Pfennig. Reflamezeile 5.- Reichs. mart Kleine Anzeigen das ettge brudte Wort 25 Pfennig( zufäffig zwei fettgebrudte Borte), jedes weitere Bori 12 Bfennig. Stellengesuche das erste Bort 15 Bfennig, jedes mettere Bor 10 Pfennig. Borte über 15 Buchstaber gählen für zwei Worte. Arbeitsmarkt Beile 60 Pfennig. Familienanzeigen Zeile 40 Pfennig. Anzeigenannahme imhaupt geschäft Lindenstraße 3, wochentäglich von 81%, bis 17 Uhr.

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Brüning fährt nach Neudeck Notopfer der Kranken.

Hindenburg   soll die Kabinettsbeschlüsse sanktionieren.

Die Aussprache des Reichsfabinetts über die gesamtpolitische| liche Inhalt der Vorlagen dahin abgeändert worden sein, Cage wurde, wie offiziös gemeldet wird, gestern abend unter Bor- daß das Notopfer der Beamten nicht 3 sondern nur 2% Proz. fit des Reichskanzlers Dr. Brüning zu Ende geführt. Die Beratun­gen führten zu völliger Einigung über die zu ergreifenden finanzpolitischen Maßnahmen. Reichskanzler Dr. Brüning wird im Laufe des heutigen Tages dem Reichspräsidenten   hierüber Vortrag erstatten, nach seiner Rückkehr ist am Freitag die Bekanntgabe der Beschlüsse der Reichsregierung zu erwarten.

Angesichts der Lage des Reichskabinetts wirkt der Aus­brud ,, völlige Einigung" im offiziösen Bericht geradezu tragikomisch. Die völlige Einigung" ist erreicht worden durch die Ausschiffung Moldenhauers, in Abwesen heit des nach Augsburg   verreisten Bredt und durch Aus­einandereinigung der Volkspartei mit Curtius. Nach einer Meldung der Telegraphen- Union soll der sach­

betragen soll. Ueber die entscheidend wichtige Frage, ob die Einbringung eines Ermächtigungsgefeßes beab­fichtigt ist- was höchstwahrscheinlich den sofortigen Ron­flift zur Folge hätte oder ob Reichsrat und Reichstag um Verabschiedung der Deckungsvorlagen auf dem normalen Beg ersucht werden sollen, schweigt sich die offiziöse Mit­teilung aus. Ein Verzicht auf das Ermächtigungsgesetz würde noch feinen Verzicht auf den Artikel 48 bedeuten für den Fall, daß die Durchbringung der Steuervorlage im Reichstag miß­lingt. Herr Brüning will aus Neudeck offenbar nicht nur die Ernennung von Dietrich zum Finanzminister und von Treviranus   zum Wirtschaftsminister, sondern auch außerordentliche Bollmachten nach Hause bringen. ( Weitere Meldungen fiehe auch zweite Seite.)

Preußenfieg!

Die Weimarer Koalition unerschütterlich.

Der Breußische Landtag hat gestern in der Schlußmunist en mag man einiges Verständnis entgegenbringen, abstimmung den Etat mit 230 gegen 8 Stimmen ange nommen. Es wurden 12 Stimmen über die zur Beschluß fähigkeit nötige Zahl hinaus abgegeben.

Die Entscheidungsschlacht um den Etat und die Steuern ist am Mittwoch im Preußischen Landtag   geschlagen und von den Regierungsparteien endgültig und glänzend gewonnen worden! Bor Pfingsten hatten Nationalsozialisten und Kom­munisten, Deutschnationale, Deutsche Volksparteiler und Wirt schaftsparteiler in trauter Roalition gemeinsame Obstruktion gegen den Staatshaushalt getrieben und verhindert, daß ein beschlußfähiges Haus zusammenfam. Ihre Taktik stützte sich auf die Tatsache, daß die Regierungsparteien im Preußischen Landtag nur über 230 von 450 Abgeordneten verfügen und daß zur Beschlußfähigkeit 226 Abgeordnete gehören. Natür, lich ist es schwer, von 230, Abgeordneten mindestens 226 zu einer bestimmten Abstimmung im Landtag anwesend zu

haben.

Aber die Regierungsparteien hatten sich vorgenommen, trotz aller Schwierigkeiten diese Abstimmung durchzusetzen. und es ist gelungen. Bei den Regierungsparteien fehlten von 230 Landtagsabgeordneten nicht mehr als die entbehrlichen vier, Und zwar zufälligerweise alle vier beim Zentrum: die alten Abgeordneten Gottwald und Dr. Porsch sind seit langem schwer frant, und zwei jüngere Zentrumsabgeordnete haben wegen afuter Erkrankungen das Krankenhaus auf suchen müssen; sie konnten beim besten Willen nicht zur Ab­stimmung tommen. Aber von den 21 demokratischen Abge­ordneten waren 21 zur Stelle und von den 138 Sozialdemo­fraten waren auch 138 da. So verfügte die Koalition heute in der entscheidenden Abstimmung aus eigener Kraft über 226 Stimmen, und nun fonnte sie die Obstruktion brechen.

In der Tat erhielt der Etat 230 Ja- Stimmen und 8 Nein Stimmen; es waren also 238 Stimmen abgegeben, 12 mehr als die zur Beschlußfähigkeit notwendige Zahl. Diese zwölf überschüssigen Stimmen stammten, soweit sie mit Ja abge geben waren, vom Treviranus  - Flügel der Deutschnationalen; Die acht Nein- Stimmen von den Aufwertlern( Graf Posa­dowsky und Pohl) und den Welfen. Es ist erfreulich, daß sich im bürgerlichen Lager noch vereinzelte Abgeordnete gefunden haben, die den staatsfeindlichen Akt der Etatobstruktion nicht mitgemacht haben. Aber notwendig war diese Hilfe nicht: die Regierungsparteien hatten allein die zur Annahme des Etats notwendige beschlußfähige Zahl gestellt.

Die Obstruktion ist nicht nur gebrochen worden, sondern die Barteien, die sie getrieben haben, sind auch bis auf die Knochen blamiert. Nationalsozialisten und Rom  

menn sie gemeinsam den Staatshaushalt und seine Berab schiedung zu vereiteln suchen. Sie markieren zwar wechsel­seitige Todfeindschaft; aber jeder Unterrichtete weiß, daß sie dauernd heimliche Verbündete gegen den republikanischen Staat sind. Die Wirtschaftsparteiler haben sich dieser Obstruktion angeschlossen, weil der bornierte Eigennug engster Krämerinteressen, den sie vertreten, vor feiner Schä­digung der Allgemeinheit zurückschreckt, wenn nur ihre private digung der Allgemeinheit zurückschreckt, wenn nur ihre private nationalen in Hugenbergs Geist haben den Beweis er Gewinnsucht auf ihre Rechnung kommt. Die Deutsch­bracht, daß sie den letzten Rest konservativer Staatsgesinnung verloren haben. Ihr giftiger Haß gegen die sichere sozial­demokratische Führung in Preußen und ihre wilde Gier nach der Macht im alten fonservativen Stammland ließen sie Maß und Ziel vergessen und blindlings nicht gegen eine Regierung, sondern gegen den Staat an sich wüten.

Aber alle diese Staatsfeinde wurden geführt von der Deutschen Volkspartei  ! Die Partei Strese­ mann   obstruiert fnapp ein Jahr nach seinem Tod den Etat der Republik  ! Die Partei Moldenhauers wehrt sich auch mit unerlaubten Mitteln gegen einen geordneten Staatshaushalt. Eine Partei, die noch immer mit einem Minister in der Reichsregierung vertreten ist, eine Partei, die sich vor ein paar Wochen Staatspartei nennen und als Partei aller ver­antwortungsbewußten Staatsbürger neu gründen wollte, tritt alle staatlichen Interessen mit Füßen, spricht allem politi­schen Verantwortungsbewußtsein und allem Sinn für staat­liche Ordnung geradezu Hohn. Wüßte man nicht, daß die Deutsche Volkspartei   in einem Zustand gänzlicher geistiger Berwirrung ist diese Etatobstruktion würde jahrelang im Mittelpunkt der politischen Betrachtungen stehen bleiben.

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Es ist nicht anzunehmen, daß die Opposition in Preußen sobald wieder den Mut zu einem neuen Borstoß findet. Was hat sie denn erreicht? Der Etat Otto Brauns ist mit 230 gegen 8 Stimmen angenommen worden.

Jedenfalls hat die preußische Regierungskoalition den Gegnern ihre Stärke und Geschlossenheit vorbildlich vor Augen geführt und zu den heillosen Zuständen im Reich ein drastisches Gegenbeispiel geliefert.

Der Landtag dürfte am Donnerstag und Freitag noch den Finanzausgleich zwischen Staat und Gemeinden für das Jahr 1930 und einige dringende Wirtschaftsarbeiten-neue Staatsaufträge zur Belebung des Arbeitsmarktes vor nehmen und dann in seine Sommerpause gehen.

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Die Notverordnung über die Erhöhung der staatlichen Grundvermögenssteuer wurde mit 221 gegen 54 Stimmen gutgeheißen.

Die Regierungspläne der Kranfenfaffenreform.

Von Karl Litke  .

Einen wesentlichen Bestandteil des großen Regierungs­programms zur Sanierung der Finanzen und zur Ent­lastung der Wirtschaft" bildet der Gesezentwurf über en derungen in der Krantentassenper ficherung.

als ein Notopfer der Kranten zur Entlastung der Dieser Entwurf sieht nicht mehr und nicht weniger vor Wirtschaft Der bisherige Finanzminister Moldenhauer hat diesen Gesezentwurf selbst als eine Entschädigung der Wirt­fchaft für die Beitragserhöhung der Arbeitslosenversicherung auf 4% Proz. bezeichnet, wobei er allerdings hinzuzufügen losenversicherung gleichfalls betroffenen Arbeit vergaß, daß den von der Beitragserhöhung der Arbeits­nehmern durch die vorgesehene Reform der Kranken­versicherung eine weitere schwere Belastung zugemutet wird.

hinreichend gefennzeichnet, daß er sich im wesentlichen die Der Inhalt dieses Gesezentwurfs wird dadurch schon Forderungen zu eigen macht, die in der Denkschrift der Ver­einigung deutscher Arbeitgeberverbände im März dieses Jahres aufgestellt wurden. Dieser Spizen­verband der Unternehmer erwartet von der geplanten Re­form eine jährliche Ersparnis von 500 Millionen Mark, also einen Betrag, der etwa der Höhe der Zuschüsse entspricht, die in den kommenden Jahren die Invalidenversicherung er­fordert.

Der Gesezentwurf sieht zunächst vor, daß die Versiche­rungsberechtigung in allen Fällen erlischt, wenn das regelmäßige Jahreseinfommen 8400 m. übersteigt. Damit wird also den Angestellten, die bis zu diesem hohen Jahres­gehalt emporgestiegen sind, der Versicherungsschuß genommen, obwohl sie durch jahrelange Beitrags­leistungen sich einen berechtigten Anspruch auf die Benutzung der Krankenversicherung erworben haben.

enthüllt sich aber erst in den folgenden Bestimmungen. Der Der unsoziale Charafter dieses Gesezentwurfes Grundlohn soll von 10 m. auf 9 M. herabgesetzt werden. Die Beiträge wurden auch weiterhin für sieben Tage in der Woche erhoben, Krantengelder dagegen nur noch für jeden Berttag, also für sechs Wochentage, gewährt. Die Folge ist, daß die Versicherten in der höchsten Lohnstufe im Falle der 50prozentigen Regelleistung statt 35 nur noch 27 M. Krankengeld die Woche erhalten. Zahlt an Krankengeld, so tritt in der höchsten Lohnstufe nach dem beispielsweise eine Krantentaffe 60 Broz. des Grundlohnes leistungen von 42 auf 27 m. wöchentlich ein, da nach neuen Gesezentwurf sogar eine Kürzung der Kassen­der Reform erst nach Ablauf der sechsten Woche ein Krankengeld in Höhe von 60 Proz. des Grundlohnes ge­zahlt werden soll.

ftrophalen Leistungsabbau bei den Krankenkassen Mit diesem für jeden erkrankten Arbeitnhmer fata= begnügt sich aber der Regierungsentwurf feineswegs. Er sieht zugleich eine neue direkte Belastung der Versicherten vor, die als völlig absurd bezeichnet werden muß. So Stärkungsmittel von den Kosten jeder Berordnung 50 Pf. als soll fünftig der Versicherte für Arznei, Heil- und Beitrag zahlen. Außerdem muß aber der Versicherte nach den neuen Vorschriften vor der Behandlung einen Krantenschein lösen, für den eine Gebühr von einer Mart zu zahlen ist. Diese Belastung der Kranken­scheintoften trifft alle Versicherten mit einem Grundlohn von 4 M. aufwärts, für Versicherte unter diesem Grundlohn tann die Gebühr auf die Hälfte herabgesetzt werden. Da­gegen darf die Gebühr für die höheren Lohnklaffen von 7 M. Grundlohn aufwärts sogar auf 1,50 m. herauf­geschraubt werden.

Krantenbehandlung mit 1,50 m. für den Krankenschein Im Durchschnitt wird also jeder Bersicherte bei der und die Arzneibeiträge vorbelastet. Für die Familien­mitglieder soll der Versicherte die Hälfte der Arzneikosten tragen Für den Krankenschein ist die gleiche Gebühr für jedes Familienmitglied zu zahlen, die auch für die Versicher= ten gilt. Bei einer Grippe- Epidemie fann es also passieren, daß eine Familie von Mann, Frau und zwei Kindern eine Gebühr von 6 M. entrichten muß. Diese ungeheuerliche Be­ſtimmung trifft den Betriebsarbeiter ebenso wie den Ar­beitslosen, den Arbeitsunfähigen, den Un­fallverlegten, den Invaliden, wie die werdende und die junge Mutter. Sollte der Reichstag   diese Vorlage verabschieden, so würde er den wich­tigsten Bestandteil der Sozialversicherung für die Massen der werttätigen Bevölkerung in einer Weise verschlechtern, lehnt hat. Im Jahre 1911 wurde bei der Beratung der die sogar der legte Borfriegsreichstag abge­abgelehnt wonach die Versicherten einen Teil, höchft en s Reichsversicherungsordnung ein Antrag der Konservativen jedoch 20 Pro 3., der ärztlichen Behandlungs- und Arznei­toften selbst zu tragen hätten. Die jetzt beabsichtigte Koften­

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