Morgenausgabe 196 Q
Nr. 295
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47.Jahrgang
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Volkspartei gegen Curtius. gegen Curtius. Bürgerkrieg in Permanenz
Der Reichsaußenminister soll zum Rücktritt aufgefordert werden.
Die Flucht der Deutschen Bolfspartei aus der Verantwortung scheint schon heute ziemlich sicher. Sie wird wahrscheinlich darin zum Ausdruck kommen, daß die Reichstagsfraktion der Volkspartei ihren Vertreter im Kabinett, den Reichsaußenminister Dr. Curtius, in den nächsten Tagen zum Rüdtritt auffordert.
Der Reichsaußenminister hat den Deckungsplänen der Regierung zugestimmt und sich damit in widerspruch zu der Mehrheit feiner Fraktion gefeht. Das soll ihm den Kopf fosten. Der fchwerindustrielle Flügel der Volkspartei ist entschloffen, ihm das
gleiche Schicksal zuteil werden zu lassen, wie Herrn Moldenhauer. Auch Curtius soll in die Wüste geschickt werden, weil er nicht gehandelt hat wie befohlen wurde. Schon ist der erste Sturm gegen ihn entfacht. Eine am Donnerstag, während der Reichstagsfihung, abgehaltene Fraktionssihung der Volkspartei ließ keinen Zweifel dar. über, daß die Mehrheit dieser Fraktion in schärfster Oppofition zu Curtius steht und seine Freunde von gestern zu seinen bittersten Feinden zu werden drohen. Die endgültige Entscheidung über die fünftige Haltung der Volkspartei gegenüber der Regierung Brüning wurde schließlich vertagt, bis die Gesetzentwürfe des kabinetts im Wortlaut vorliegen. Das wird heute der Fall sein.
Curtius hat sich mit dem kabinett durch seine Zuftimmung zu den Deckungsvorlagen folidarisch erklärt und soll eutschloffen sein, daraus ebenso die Konsequenzen zu ziehen, wie feine Fraktion entschloffen ist, die Konsequenzen aus seiner Haltung zu zehen. Das würde darauf hinauslaufen, daß Curtius, ftatt aus der Regierung auszutreten, feiner Fraktion den Rüdentehrt Rüden kehri und wahrscheinlich sein Mandat niederlegt, während feine Fraktion zur Regierung in Opposition tritt. Mit dieser Möglichkeit hat die Regierung von vornherein gerechnet. Sie beabsichtigt deshalb, aus der Flucht der Volkspartei keinerlei Schlußfolgerungen zu ziehen.
Neues Diftaturgerede. Die ,, Germania " hat gestern die Reise des Reichskanzlers Brüning zum Reichspräsidenten mit folgenden Sägen fom
mentiert:
,, Die Regierung ist entschlossen, ihr Programm in die Wirklichkeit umzusetzen. Zu diesem Zweck unterbreitet sie dem Reichstag wohl erwogene materielle Borschläge. Die Regierung wird ihrerseits nichts unversucht lassen, um diese Borschläge auf parlamentarischem Wege durchzuführen. Sie lehnt es weit von fich ab, eine Diktaturregierung zu sein. Es ist jedenfalls ihr Wille, alle parlamentarischen Mittel zur Verabschiedung der notwendigen finanziellen Maßnahmen zu erschöpfen. Es wird an den Bar teien liegen, ob sie der Regierung diesen ordnungsmäßigen Weg ermöglichen, den diese mit äußerster Energie erstreben wird. Aus der Reise des Reichskanzlers zum Reichspräsidenten von Hinden burg aber darf der Schluß gezogen werden, daß hinter dem Kabinett
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steht der handelt nicht im Sinne der Verfassung, sondern gegen die Verfassung. Sollte man im Zentrum wirklich glauben, daß man in Deutschland eine Diktatur der fatholischen Kirche im Bunde mit der Reichs wehr aufrichten fönnte? Das Experiment würde seinen ment würde ſein Anstiftern auf die Dauer übel bekommen!
Dietrich ernannt.
Auch Wirtschaftsministerium wird fommiffarisch verwaltet Amtlich wird mitgeteilt: Der Reichspräsident hat nach dem Bor trag des Reichskanzlers in Neuded den Reichsminister Dietrich unter Entbindung vom Amt des Reichswirtschaftsministers zum Reichs minister der Finanzen ernannt und den Staatssekretär im Reichswirtschaftsministerium Dr. Trendelenburg bis auf weiteres mit der Wahrnehmung der Geschäfte des Reichs. wirtschaftsministers beauftragt.
Das Gerücht, daß Herr Treviranus das Wirtschaftsministerium übernehmen sollte, hat sich nicht bestätigt. Daß gerade dies Ministerium, dem bei ernsthaften Bemühungen um eine Preissentung überaus wichtige Funktionen zus fallen, nicht politisch besetzt wird, sondern nur kommissarisch verwaltet, ist eine der Grotesken, an denen das Kabinett Brüning reich ist. Es ist ein Kabinett im Umbau, auf Abbau und der fünftigen Erwartungen.
Vielleicht soll das Reichswirtschaftsministerium wieder der Volkspartei zufallen, wenn erst die Finanzvorlagen ohne sie und gegen sie erledigt sein werden gewissermaßen als Belohnung für Krisenmacherei und Opposition.
Reichs erklärten der Parteivorsigende Abg. Koch- Weser und der
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Die Demokraten behalten sich freie Hand vor. Die demokratische Reichstagsfrattion teilt mit: Am Donnerstag fand im Reichstag eine Besprechung der demokratischen Reichstags: fraktion mit dem geschäftsführenden Vorstand des Reichsbeamtenausschusses der DDP. unter Hinzuziehung namhafter Beamtenführer statt. Zur Frage der Deckung des Finanzdefizits des Borsitzende der Reichstagsfraktion Abg. Meyer- Berlin , daß die Fraktion an der veröffentlichten Erklärung, daß sie ihre Zustimmung zur einseitigen Belastung der Beamtenschaft nicht gebe, unbedingt festhalte. Der Reichswirtschaftsminister Dietrich habe die schwere Bürde des Amtes des Reichsfinanzministers trotz schwerster Bedenken der Reichstagsfraktion auf eigene Berantwortung auf sich ge: nommen. Es herrscht zwischen dem Minister und der Fraktion Uebereinstimmung in der Auffaffung, daß eine Bindung der Fraktion zu seinen zu erwartenden Vorschlägen nicht besteht und daß die Fraktion damit völlig freie Hand zur Wahrung ihrer Grundhaltung hat.
Die chinesische nationalrevolutionäre Bewegung erhielt ihren Schwung durch den leidenschaftlichen Kampf gegen den fremden Imperialismus und seine Vorrechte in China . Seit dem grausamen Schanghaier Blutbad vom 30. Mai 1925 stand der Befreiungskampf im Zeichen der Beseitigung der ungleichen Verträge". Der siegreiche Straffeldzug der Südfalls im Grunde gegen die Fremdmächte gerichtet, die hinter revolutionären gegen die Nordreaktionäre 1926/27 war eben den halbfeudalen Militaristen des Nordens standen.
Nun ist es bemerkenswert, daß dem neuen Bürgerkriege in China die spezifische antiimperialistische Zuspizung fehlt. Zum Teil ist dies darauf zurückzuführen, daß der neue Bürgerkrieg im großen und ganzen innerhalb der früheren nationalrevolutionären Einheitsfront geführt wird, wo der Kampf gegen die„ Ungleichen Verträge" als eine Selbstverständlichkeit gilt. Zum Teil aber ist die Beseitigung der antiimperialistischen Rampfziele im neuen Bürgerkrieg auf die allmähliche übrigens zu langsame- Umstellung der imperialistischen Politik der Fremdmächte in China zurückzuführen. Nach dem Revolutionssturm 1925/27 räumt die Kanonendiplomatie immer mehr der Dollardiplomatie den Blaz ein.
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3mar gelang es der Nantingregierung nicht, am 1. Januar die Erterritorialitätsrechte einseitig aufzuheben. Troß
dem ist ein gewiffer Fortschritt in den Beziehungen zwischen China und den Fremdmächten nicht zu leugnen. Am 6. Mai ist das chinesisch- japanische 3ollabtommen in Kraft getreten. Nunmehr haben sämtliche Fremdmächte die seit Jahren von China erstrebte Bollautonomie anerkannt. Auf Grund des Abkommens vom 1. April wird nach der Rückgabe von Tsingtau- Kiautichou auch die Rückgabe Weihaiweis durch England zur Tatsache. Die Rückgabe des französischen Kuangchou- wan wird offensichtlich in nicht
allzu ferner Zeit folgen. Damit wird das imperialistische Bachtsystem schrittweise liquidiert. Biel schlimmer steht es dant dem neuen Bürgerkrieg und dem drohenden Zerfall mit der Aufhebung der Erterritorialitätsrechte, zum Teil Chinas .
nationalen" Nantingregierung auf die russisch- chinesischen Besonders nachteilig wirkt sich die Schwächung der Beziehungen aus. Das Chabarowsker Protokoll, das die Feindseligkeiten in der Mandschurei abgeschlossen hat, war legierte Mo Te hui am 1. Mai nach Moskau zur längst ein Provisorium. Zwar hat sich endlich der chinesische Deverabredeten russisch- chinesischen Konferenz begeben. Aber seine Befugnisse sind durch Nanking absichtlich auf Verhand= feits eine Bereinigung aller Streitfragen und vor allem der lungen über die Ostchinabahn beschränkt, während russischerWiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen angestrebt die Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen eine wird. Es wird von chinesischer Seite befürchtet, daß durch die Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen eine tretungen) für die Propaganda der Komintern geschaffen diplomatische Basis( Gesandtschaft, Konsulate, Handelsverwerde. Das hartnäckige Beharren der Sowjetdiplomatie auf die Vorbedingungen" zur Eröffnung der Konferenz und auf scheint selbst weit linksstehende Kreise in China zu verlegen. Immerhin bleibt die Lage an der Grenze der Mandschurei , die übrigens von einem von Nanking fast autonomen Diftator regiert wird, höchst labil und unsicher
auch der Wille des Reichspräsidenten stehen wird, und daß der Re- Die Räumung des Rheinlandesas von Nanking angefochtene Chabarowsker Protokoll
gierung infolgedeffen alle Möglichkeiten in die hand gegeben sein werden, ihr fachliches Programm zu verwirklichen. Es hängt von der Volksvertretung ab, ob sie sich für die parlamentarische Lösung entscheidet oder ob sie die Anwendung anderer verfassungsmäßiger Mittel, die im Artikel 48 der Reichsverfassung Liegen, selbst herbeiführt."
Dieser auf Stelzen gestellte Ton des Zentrumsblattes lehrt, wieweit man im Zentrum bereits die Verfassung und die verfassungsmäßige Stellung des Barlaments vergessen Man rasselt mit dem Reichswehrsäbel gegen den Reichstag , und wenn das so weiter geht, wird man schließlich auch noch in der Art Pilsudskis gegen das Parlament auftreten!
hat.
Die Großspurigkeit und Verblendung dieses Auftretens steht in grotestem Gegensatz zu der Schwäche des Ka= binets. Wer stüßt es denn eigentlich noch? Nach dem Handel um die Deckungsvorschläge, nach der„ Stornierung" des Moldenhauer- Programms ist nun das Dietrich- Programm das, was Deutschland unbedingt braucht. Das sind nun die wohlerwogenen materiellen Vorschläge". Wohlerwogen, jawohl, bis zur nächsten Stornierung oder bis zur nächsten Abänderung auf Wunsch einer Gruppe wie der Wirtschaftspartei.
Zum Regieren gehört nicht allein Projektemachen, sondern auch Mehrheiten finden! Wer von vornherein entschlossen ist, das Gesetzgebungsrecht des Reichstags zu verachten, der hat die Verfassung gebrochen in seinem Herzen, und wer zum Artifel 48 greift, weil er in der Folge einer Entwicklung, die er selbst verschuldet hat, ohne Mehrheit da
Schlußparaden
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Abschiedsbesuche.
Restgarnisonen. Um 17 Uhr nahm General Mangin eine Parade ab. Seute nachmittag fammelten sich die Truppen der franzöfifchen Die Trikolore auf dem Standquartier des Generals wurde unter Ehrenbezegung eingezogen. Darauf fuhren die Truppen, vier bis fünf Kompagnien, vom Güterbahnhof über Weißenburg nach Grant reich ab. Der General verließ Landau mit seinem Stabe im Kraftwagen. Am Nachmittag hatte er dem Regierungspräsidenten der Pfalz und den Landauer Oberbürgermeister Abschiedsbesuche abgestattet.
Nachmittags wurde nach Erledigung der Abschiedsbesuche die Trifolore von der„ Neuen Regierung" niedergeholt. Die Truppen falutierten und marschierten dann zum Hauptbahnhof, der 20 minuten gesperrt war. Mit dem Abzug dieser Truppen ist Trier geäumt. Von der Bevölkerung jubelnd begrüßt, wurde kurz nach dem Abtransport auf der Dewora- Schule die Reichsflagge gehißt.
Das fremde Militärgericht verschwunden.
französische Militärgefängnis untergebracht waren, werden morgen Die Gebäude, in denen das franzöfifche Militärgericht und das den deutschen Behörden übergeben werden. Die Angestellten des Gerichts begeben sich nach Frankreich zurück. Die noch schwebenden Berfahren gegen französische Soldaten werden in Frankreich zu Ende geführt, verschiedene Berfahren gegen deutsche Angeklagte wurden eingestellt
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Die Außenpolitik ist die Fortsetzung der inneren Politik auch in dem Sinne, daß feine nationale Regierung mit dem Bürgerkrieg und tatsächlichen Zerfall des Landes hinter dem Rücken eine feste und folgerichtige Außenpolitik führen tann. Die außenpolitische Stellung Chinas ist wiederum ungemein geschwächt, was die Widersacher Nankings offenfundig ermutigt.
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Der Krieg der Generale - dieser Fluch Chinas ist wieder da. Die nationale Vereinigung Chinas , als Folge der Revolutionsbewegung 1925/27, hat sich als brüchig erwiefen. Die zentralistischen Tendenzen der nationalen" Mankingregierung vermochten nicht die zentrifugalen Tendenzen des an fich losen Riesenreiches zu überminden. Vielleicht liegt die Lösung in der Bildung der Bereinigten Staaten von China , die den ProDinzeigenschaften und Ortsinteressen Rechnung tragen und Spielraum gewähren würden. Uebrigens scheinen die Provinzmachthaber, die als Widersacher Nankings auftreten, menig Sorge um den Staatsaufbau zu haben. Es sind meistens Militariſten aus Ueberzeugung und Bürgerkriegsgenerale von Beruf.
nerale, die unter der Herrschaft Fengs und Jensischans sich Der Kampf Nankings gegen die Nordfoalition der 57 Gezusammengefunden haben. hat bereits, besonders in Zentral china, zu blutigen Rämpfen geführt. Die militärische Lage ist einstweilen undurchsichtbar, da beiderseits nur überfriebene, meistens falsche Siegesberichte verbreitet werden. Immerhin ist die Lage Nankings um so mehr unsicher, als