Morgenausgabe
Nr. 297 A 150
47.Jahrgang
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Sonnabend
28. Juni 1930
Groß- Berlin 10 Pi Auswärts 15 Pf.
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Baldwin- Westarp.
Zeitungsfönige und Parteiführer.
Das englische Arbeiterblatt beglückwünscht die deutsche Republik. minifter Stanley Baldwin am Dienstag in einer
London , 27. Juni. ( Eigenbericht.) Das Blatt der Arbeiterpartei, der ,, Daily Herald", schreibt zur Rheinlandräumung: ,, Der letzte französische Soldat zieht westwärts zurück über die Rheinbrücken. Die zwölfjährige Besetzung ist zu Ende und kein fremder Soldat wird mehr auf dem Boden der deutschen Republik bleiben. Fünf Jahre früher war wenig Hoffnung, daß dies so bald erreicht sein würde. Mächtige französische Einflüsse hatten einen Vorwand für eine dauernde Besehung des Rheinlandes gesucht und die Ruhrbesekung sowie das Komplott einer rheinischen Republik waren verdächtige Anzeichen. Der gesunde Menschenverstand und die Gemeinschaftsarbeit haben es jedoch verhindert. Hender. son 3 zähnestumpfender Mut im Haag brachte die Dinge in das richtige Fahrwasser. Die Truppen ziehen ab. Unser erster Glückwunsch gilt dem republi. tanischen Deutschland , dessen stetige Selbstkontrolle
trok aller schweren Provokationen zuletzt doch belohnt worden ist. Der zweite Glückwunsch gilt den Franzosen , die in der letzten Zeit ihr äußerstes getan haben, das Unrecht und die Fehler der Vergangenheit wiedergutzumachen. Der dritte Glückwunsch geht an Europa und die gesamte Welt, denn der gesunde Menschenverstand ist in der Politik ein guter Wechsel für die Zukunft. Schade, daß nicht mehr davon im Umlauf sind."
Flaggerlaß zum 1. Juli.
Amtlich wird mitgeteilt:
Aus Anlaß der Befreiung der rheinischen Lande flaggen am 1. Juli im ganzen Reich alle Behörden und Stellen des Reichs, der Länder und der Gemeinden. Außerdem werden von 12 bis 1 Uhr mittags die Kirchen sämtlicher Konfeffionen ein feierliches Geläut veranstalten.
Gegen die hohen Pensionen.
Ein Antrag der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion.
Die fozialdemokratische Reichstagsfraktion hat die Einbringung eines Initiativgefeßentwurfes beschlossen, nach dem die Pensionen in 3utunft in feinem Fall mehr den Betrag von 12.000 Mart im Jahre übersteigen dürfen.
Außerdem wird in dem Gesezentwurf bestimmt, daß Pensionäre oder Bartegeldempfänger, die neben ihrer Pension oder ihrem Bartegeld ein privates Einfommen haben, das den Betrag von 6000 Mart übersteigt, sich eine Kürzung ihrer Bezüge aus öffentlichen Mitteln gefallen lassen müssen. Die Kürzung beträgt die Hälfte des Betrages, um den das private Eintommen die Summe von 6000 Mart im Jahre übersteigt.
Finanzvorlagen heute im Reichsrat. Amtlich wird mitgeteilt: Reichskanzler Dr. Brüning, der gestern vormittag nach Berlin zurückgekehrt ist, berichtete in der gestrigen Kabinettssigung zunächst über seinen dem Reichspräsidenten erstatteten Bortrag. Das Reichskabinett verabschiedete sodann die inzwischen fertiggestellten Texte der dem Reichsrat und Reichstag vorzulegenden De dungsvorlage. Die Reichsregierung wird bereits am Sonnabend durch den Mund des Reichskanzlers und des neuen Reichsministers der Finanzen im Reichsrat in öffentlicher Sigung den Staats- und Ministerpräsidenten der deutschen Länder ihre Vorlagen unterbreiten und auf schleunigste Erledigung im Reichsrat dringen, um sie sodann möglichst noch im Laufe der nächsten Woche auch dem Reichstag zur Entscheidung vorzulegen.
Die Deckungsvorschläge.
Die Dedungsvorschläge sehen im wesentlichen vor: Fünfprozentiger 3ufchlag zur Einkommensteuer mit Ausnahme der Gewerbesteuerpflichtigen, Notopfer der Beamten und der bei Behörden auf Brivatdienstvertrag Angestellten von 2½ Proz( Freigrenze 2000 m., die fich für je ein Kind um 250 m. erhöht.) Jedoch soll der Regierung in Form einer Ermächtigungsklausel die Möglichkeit gegeben werden, auch auf die Fest befoldeten der freien Wirtschaft zurückzugreifen, falls sich herausstellt, daß das jetzige Deckungsprogramm nicht ausreicht, um den Haushaltsfehlbetrag zu decken. Streichungen am Etat, die ungefähr 130 Millionen ausmachen, Verzehrsteuer, evtl. Kopfsteuer für die Gemeinden und schließlich Ledigensteuer. Bayerische Volkspartei und Deckungsprogramm.
Die Reichstagsfraktion der Bayerischen Volkspartei beschäftigte sich in ihrer Freitagsizung mit dem Deckungsprogramm der Regierung. Entgegen anderslautenden Darstellungen läßt die Fraftion erklären, daß fie eine abschließende Stellungnahme er st dann treffen wird, wenn die Deckungsvorlagen an den Reichstag
tommen.
Die Opposition in der Koalition. Gegen den Inhalt des Deckungsprogramms, soweit es bekannt gemorden ist, haben sich Boltspartel, Demokraten und Wirtschaftspartei, auch die Chriftlichnationalen Bauern, erklärt. Das gibt der Kölnischen Zeitung " Anlaß zu folgender Betrachtung:
Die Regierung steht also einer Opposition gegenüber, die Bah, menn man von den grundfäglichen Oppofitionsparteien ab
sieht, aus Christlich nationalen Bauern, Deutscher Boltspartei, Wirtschaftspartei und Demokraten zufammenfekt. Bugunsten der Regierung spricht lediglich die Tatfache, daß sich diese Parteien infolge des taftischen Ungeschics ihrer zur Führung berufenen Persönlichkeiten bisher nicht zu einer Einheitsfront zusammengefunden haben, sondern noch(!) getrennt marschieren."
Das ist eine allerliebste und vielversprechende Anregung! Wenn sich erst eine Einheitsfront der Opposition in der Koalition auf dieser Grundlage herausbildet, so würde das erstaunliche Fattum eintreten, daß die Regierung die Mehrheit ihrer Koalition gegen sich hat!
Curtius und die Bolkspartei.
Die Fraktion der Deutschen Volkspartei wollte nach der Befanntgabe des Wortlauts der Deckungsvorlagen Beschlüsse fassen über die Erklärung von Curtius, daß er in Rabinett für das Dedungsprogramm gestimmt habe. Da die offizielle Bekanntgabe der Deckungsvorschläge erst heute erfolgt, hat die Frattion ihre Sigung vertagt.
Dafür ist der 3entralvorstand der Deutschen Bolkspartei zum 4. Juli nach Berlin berufen worden.
Die Steuereinnahmen im Mai.
Rückgang der Lohnsteuer- Erstattungen. Nach den Mitteilungen des Reichsfinanzministeriums betrugen im Monat mai die Einnahmen des Reiches an Steuern, Zöllen und Abgaben 629,6 Millionen Mart. Auf Befiz- und Bertehrssteuern entfallen hiervon 423,9 Millionen, auf Zölle und Berbrauchsabgaben 205,7 Millionen.
Da im April 1930, wie stets in dem ersten Monat eines Vierteljahres, das Steueraufkommen erheblich durch Vorauszahlungen be einflußt wird, kann das Aufkommen an Einkommen, Umfaß- und Körperschaftssteuern im Mai nur mit dem entsprechenden Monat des Borvierteljahres, dem Februar, verglichen werden. Hierbei ergibt fich für den Monat Mai 1930 gegenüber dem Februar 1930 ein geringes mehr, und zwar bei der veranlagten Einkommen steuer von 4,5, bei der Körperschaftssteuer von 4,6 und bei der Umfagsteuer von 2,7 Millionen Mart. Dagegen erbrachte die Vermögenssteuer im Mai nur 87,6 gegen 124,1 Millionen Mart im Februar. Die Mindereinnahme von 36,5 Mil36,5 mil lionen Mart ist hauptsächlich darauf zurückzuführen, daß im Februar erhebliche Abschlußzahlungen ein gingen und außerdem noch der achtprozentige Zuschlag zur Vermögenssteuer zu entrichten war. Die Lohnsteuer erbrachte im Mai 110,1 Millionen Mart gegenüber 104,9 millionen Mart im April, mithin 5,2 Millionen mehr infolge des Rüdganges der Erstattungen von 13,4 Millionen im April auf 5,6 mil
lionen Mart im Berichtsmonat.
An Zöllen und Verbrauchsabgaben find insgesamt 9,3 Millionen Mart weniger als im April aufgekommen. Die Bölle allein brachten mit 66,3 Millionen Mart 14,4 millionen Mart weniger als im April, immerhin fast ebensoviel wie im Mai 1929. An Tabat steuer sind 5,5, an Biersteuer 5,6 Millionen Mart mehr, dagegen an Buderfteuer 2,8 und an Zündwarensteuer 2,6 Millionen meniger aufgetommen als im April.
Zornbebend hat der ehemalige fonservative Premier großen Tagung der Abgeordneten und feiner Partei mit den Presselords Rothermere und Beaverbrook abgerechnet. Mit dem Mut der Verzweiflung tämpft er um seine Stellung als Führer der konfervativen Partei, von der ihn die beiden Zeitungsmagnaten mit vereinten Kräften verdrängen wollen. Die Anklagerede, die Baldwin bei dieser Gelegenheit gegen seine mächtigen Widersacher gehalten hat, ist nicht nur für England von größter Bedeutung. Ihre moralische und politische Tragweite erstreckt sich auch auf andere Länder, in denen sich ähnliche Erscheinungen bemerkbar machen; sie reizt vor allem zu Ber gleichen mit Ereignissen, die sich erst in jüngster Zeit in Deutschland abgespielt haben.
Der Angriff, oder vielmehr die Gegenoffensive Baldwins hat eine längere Borgeschichte, die zusammenhängt mit der riesenhaften Entwicklung der beiden größten britischen Pressefonzerne unter der Führung des Lord Rothermere und des Lord Beaverbrook . Lord Rothermere ist der Bruder und Erbe des verstorbenen Lord Northcliffe , dem es als ersten in England gelungen war, ausgehend von der ,, Daily Mail" eine ganze Reihe von wichtigen Tageszeitungen in London und in der Provinz zu erwerben. Die Macht Northcliffe war durch die Daily Mail" schon in der Borkriegszeit sehr start, besonders als ihm der Meistergriff gelang, eine identische Ausgabe gleichzeitig in Manchester drucken zu lassen und damit auch in das industrielle Nordengland bis hinauf nach Schottland vorzubringen und damit den größten Provinzblättern Konkurrenz zu machen. Northcliffe starb in geistiger Umnachtung, nachdem er in seinen letzten Lebensjahren wiederholt deutliche Zeichen des Cäsarenwahnsinns gegeben gegeben hatte. Sein Werk aber, während und nach dem Kriege bedeutend ausgebaut, blieb und wurde von seinem Bruder Rothermere im selben Geiste fortgeführt.
Inzwischen war ein anderer Zeitungsmagnat groß und mächtig geworden, Lord Beaverbrook , der, ausgehend vom ,, Daily Expreß " und mit ähnlichen technischen Methoden wie Northcliffe, ebenfalls einen ungeheuren Einfluß über die öffentliche Meinung ganz Englands gewann. Man mag gewiß einwenden, daß die Leser der gelben Presse", wie sie in England genannt wird, sich nur zum Teil durch die Lektüre ihrer Zeitung politisch beeinflussen lassen. Denn zweifellos ist ein großer Teil der Millionen von Wählern der Labour- Party dennoch langjährige und regelmäßige Leser des ,, Daily Expreß " und der Daily Mail". Der ungeheure Aufschwung des Daily Herald", der sich in der Aufmachung und in den Methoden diesen beiden Borbildern neuerdings angepaßt hat und der jetzt mit ihnen den Kampf aufgenommen hat, läßt darauf schließen, daß Hundertnotgedrungen, ihrer blendenden Ausstattung wegen, gelesen tausende von Arbeiterwählern die gelbe Presse" bisher nur haben, ohne sich von ihr politisch beeinflussen zu lassen, und daß sie mit Freude die erste Gelegenheit ergriffen haben, ein ähnlich aufgemachtes Blatt zu halten, das ihrer Gesinnung und ihren Klasseninteressen entspricht.
Dennoch sind Rothermere und Beaverbrook auch eine tums, vor allem der konservativen Partei. Inpolitische Macht im Dienste des kapitalistischen Bürgerdessen gingen fie bisher ihre eigenen, meist getrennten Wege, und schienen feine persönlichen politischen Ambitionen zu haben. Erst neuerdings haben sich die beiden Rivalen geeinigt, und von diesem Augenblick an verschärften sie ihren Feldzug gegen Baldwin. Sie erreichten zunächst den Rücktritt des Parteivorsitzenden ( Organisators) Davidson und seine Erfegung durch Neville Chamberlain , der als radikaler und energischer gilt. Durch diesen ersten Erfolg ermutigt, forderten sie eine regelrechte Kontrolle über die Konservative Partei. Angesichts dieses Ultiinatums hat Baldwin die Flucht in die Oeffentlichkeit ergriffen. Er hat das Vorgehen der Presselords als eine Unverschämtheit" bezeichnet und ihnen vorgeworfen, daß ihnen ihr Geld und ihre Macht, die sie durch ihre Presse erworben hätten ,,, mie Wein in den Kopf gestiegen sei. Als Antwort darauf dürfte jetzt der Kampf gegen Baldwin durch die beiden Bressekonzerne in verschärfter Form in das ganze Land hinausgetragen werden, und es wird ihnen durch die Macht des Geldes vermutlich gelingen, manchen Erfolg zu erzielen.
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unter den deutschen Konservativen über den früheren Wer denkt dabei nicht an den Sieg, den Hugenberg Führer der Deutschnationalen Westarp errungen hat? Hugenberg verdantt seine heutige diftatorische Stellung in der Deutschnationalen Volkspartei ausschließlich der Macht jenes Geldes, das er mit seinem Zeitungstonzern erworben hat. Wie er diesen Konzern erobert und ausgebaut hat, ist eines der trübsten Kapitel der letzten fünfzehn Jahre. Mit einer Subvention des Kaiserreiches ist Hugenberg in den Scherl- Berlag eingedrungen, mit Kriegsgewinnen der