Einzelbild herunterladen
 
oortigen Juristenkreisen gewaltiges Aufsehen. ES kam zu einem Disziplinarverfahren gegen Stenglein, und das Urtheil lautete auf Dienstenthebung für neun Monate und Versetzung in eine gleich hohe Stellung. Man wird bei diesem Urtheile an die merkwürdigen Erkenntnisse erinnert, die von dem Potsdamer Disziplinar-Gerichtshof in Sachen Leist und Wehlan ergangen sind. Unbegreiflich erscheint es zwar nicht, daß ein Mann, dem solche Dinge nachgewiesen sind, noch als Richter fungiren kann. Ueber das.was jemand zum Richter befähigt und nicht befähigt, weichen ja die Ansichten, die im Volke darüber vorherrschend sind, mannigfach ab von den Anschauungen in Beamtenkreisen. wie der Fall Brausewetter gezeigt hat. Aber wunderlich ist es doch, daß dem Staatsanwalt die Stenglein'sche Manipulation mit der französischen   Versicherungsgesellschaft nicht Anlaß zum Einschreiten gegeben hat. Uns erscheint Herr Stenglein wenig geeignet, in den Reichslanden moralische Eroberungen zu machen. Ungarn  . Budapest  , 6. April. Die Regierung ist dem Vernehmen nach entschlossen, falls Dr. Lueger nach Budapest   kommen sollte, diesen als politischen Agitatoren zu behandeln und sofort mittels gebundener Marschroute über die un- garische Grenze bringen zu lassen. Danach scheint es ja, daß die im Pester Ministerium allmächtigen Börsenjuden eine Heidenangst vor dem Wiener   Judenfresser haben. Frankreich  . Für den Senat haben sich das noble Wettrenn- Publikum und die Totalisatorwetter erklärt. Dies wird die Antipathie gegen diese reaktionäre Körperschaft nicht ver- mindern. Der Senat tritt drei Wochen früher als die Kammer zusammen, schon am 21. April. Dann wollen diezahnlosen Hampelmänner" den Sturm auf das radikale Kabinet wieder- holen. Dieses wird die Herren auslachen, und um so lustiger sein, je mehr sie sich ereifern. Ein wahres Glück, daß der Senat diesenKonflikt" heraufbeschworen hat, und dadurch das Ministerium Bourgeois zu einer Politik radikaler Reform oder derRevo- lution" zwingt, wie Tante Boß schaudernd sich ausdrückt. Die Chauvinisten sind wüthend auf den Kriegs- minister Cavaignac  , weil er so vernünftig war, den Offizieren die offizielle Theilnahme an einer chauvinistischen Festseier in Belsort zu verbieten. Italien  . Rom  , 7. April. Wie verlautet, fallen die diesjährigen Ranöver aus Sparsamkeitsrücksichten aus. Rom  , 5. April.  (Eig. Ber.) Der Umstand, daß man nicht sofort nach der Niederlage bei Adua das Ministerium Crispi regelrecht in Anklagezustand versetzt hat, hat dem Crispi'schen Anhang neue Zuverstchtßund selbst die Hoffnung, sich der Regie- rungsgewalt wieder bemächtigen zu können, eingeflößt. Der erste Schrecken, der das Ministerium Crispi zum Rücktritt ver- anlaßte. ist überwunden und die Abgeordnetenkammer, welche unter Crispi's Regierung, also durch den Einfluß der Crispi- scheu Präsekten gewählt worden ist, hat zwar unter dem ersten Eindruck der Katastrophe ein dem neuen Ministerium günstiges » Votum abgegeben, kann aber, wenn das neue Ministerium nicht anderweit Boden gewinnt, jeden Tag von ihm absallen. Der neuen Regierung steht nicht eine bloße Partei(eine solche hat Crispi aus Mangel an politischen Ideen niemals bilden können) sondern, was schlimmer ist. eine Verkettung persönlicher Interessen gegenüber, welche sich durch das neue Ministerium gefährdet oder wenigstens nicht gefördert sieht. Einen ersten Schritt zur Zurückdrängung dieser Camorra zu thun steht das Ministerium di Rudini im Begriff, indem es zahlreiche Versetzungen von Präfekten und Unter- präfekten vornimmt; auch an die durch das Ministerium Crispi völlig korrumpirten, ihrer eigentlichen Aufgabe entfremdeten und zu politischen Agenturen verwandelten Polizeibehörden soll die Reihe kommen. Aber es ist ein Uebelstand, daß man es, aus Mangel an einem tüchtigen Beamtenpersonal, bei der bloße» Versetzung kompromittirter Präfekten u. s. w. von dem einen Ort an den anderen bewenden lasten muß, ohne die schadhaften Persönlichkeiten völlig ans dem Staatsdienst entfernen zu können. Eine Probe für das, was man von dem gegenwärtigen Ministerium erwarten kann, wird dessen Verhalten gegenüber der sehr verwickelten sizilischen Frage abgeben. Es fehlt nicht an Zeichen, welche eine neue politische Gährung in Sizilien ankündigen. Es ist ja ganz selbstverständlich, daß die bloße Thatsache des Ministerwechsels und daß auch die Amnestirung der unter Crispi von den Militärgerichten ver- urlheilten Sizilianer nicht ausreicht, die tiefgewurzelte, auf soziale Gründe wie auf verjährte Verwaltungsmißbräuche zurückgehende Unzufriedenheit der sizilianischen Bevölkerung zu beseitigen. Nachdem Crispi's Regierung für die Abstellung der Miß- Verwaltung und für die Besserung der ökonomischen Lage der Landarbeiler nicht das mindeste geleistet hat, fällt die gefammte Aufgabe dem neuen Ministerium zu. Daß dieses sich mit der sizilischen Frage beschäftigen will, geht daraus hervor, daß, während Crispi alle sieben Provinzen, in die Sizilien zerfällt, zur Unterdrückung der Unruhen einem militärischen General- gouverneur unterstellte, jetzt für ganz Sizilien   ein Zivil- gouverneur ernannt werden soll, damit die die Insel be- treffenden Fragen im ganzen ersaßt werden. Aber dies ist vor- läufig eine blos formale Maßregel: es kommt darauf an, welcher Inhalt der neuen Institution gegeben wird. Ohne eine sehr be- lrächtliche Kraftäußerung wird das Ministerium di Rudini schwerlich einen haltbaren Erfolg erlangen. Der Zivilkommissar für Sizilien. Die Agenzia Stefani" veröffentlicht ein Dekret des Königs vom b. d. M., durch welches für ein Jahr ein kgl. Zivilkommissar für alle Provinzen Siziliens   mit dem Amtssitz in Palermo   eingesetzt wird, der zugleich die Präscktur von Palermo   verwalten wird. Der Kommissar ist mit den politischen und administrativen Machtvollkommenheiten der Minister des Innern, der Finanzen, der öffentlichen Arbeiten, des Unterrichts und des Ackerbaues für diejenigen Angelegenheiten bekleidet worden, welche speziell die öffentliche Sicherheit und die Ver»valtung der Gemeinden Siziliens   betreffen. Auch über die- jenigen Angelegenheiten, welche der Kompetenz der tentralregierung vorbehalten sind, werden die Präfekten iziliens mit dem Kommissar sich zu benehmen haben. Dem Kommissar wird eine außerordentliche Revision der Budgets der Provinzen und Gemeinden obliegen, damit alle Ausgaben den Steuerlräften angemessen seien. Dieses Dekret wird dem Par- lament vorgelegt und zum Gesetz umgewandelt werden. Die Regierung wird außerdem im Parlament Gesetzentwürfe, be- treffend die Ausfuhrzölle auf Schwefel und die Errichtung einer Vertretung derBergwerksinteressen. einbringen. Bei letzterem Gesetzentwurf wird besonders die Lage der Bergarbeiter berücksichtigt werden. Durch ein weiteres Dekret ist der Senator Gras Codronchi zum Minister ohne Porte- seuille und Zivilkommissar für Sizilien ernannt worden. Spanien  . Madrid  , 6. April. Der Marineminister bereitet die Ent- sendung von weiteren 40 000 Mann nach Ku da vor; die Ex- pedition dürfte aber nicht vor September abgehen. In Ferrol  liegt ein aus vier Panzerschiffen und mehreren Torpedobooten bestehendes Geschwader znr Abfahrt bereit. Madrid  , 0. April. Der Marineminister Beranger wird morgen dem Ministerrath eine außerordentliche Forderung in Höhe von 23 Millionen zum Bau von Schiffen vorlegen. Norwegen  . Die republikanischeStrömungist infolge der Haltung des Königs zu gunsten Schwedens   in der Unionfrage nicht im Abnehmen. Auch bei der diesjährigen Etatberathung wurde die Zivilliste de? Königs von 336 000 auf 256 000 und die des Kronprinzen von 80 000 auf 30 000 Kronen gekürzt. Bei Berathung dieser Etatposten erklärte sich Gunnar Knudsen   als Republikaner und meinte, daß freisinnige Männer nicht gut Royalisten sein könnten; der Erblichkeitsbegriff sei eine Sinn- losigkeit, die nicht vor dem Richterstuhl der Vernunst bestehen könne. Ruhland. Eine nihilistische Druckerei. AuZ Krakau wird derN. Fr. Pr." gemeldet: Warschauer   Blätter berichten, daß im Keller einer Bäckerei in der Krakauer Vorstadt   die Polizei eine geheime Druckerei entdeckt habe. Es wurden russische nihilistische Druckschriften ergriffen; mehrere russische   Studenten wurden arretirt. Bulgarien  . Fürst Ferdinand von Bulgarien   ist vom Papste exkommunizirt worden, der Papst hat ihm den Empfang der Osterkommunion verboten. Dafür ist der Zar jetzt dem frommen Fürsten gewogen. Die Religion muß dem Volke er- halten werden. Amerika  . Aus Kanada   wird gemeldet, daß die dortige Regierung in den Staatsbetrieben versuchsweise den Achtstundentag ohne Lohnherabsetzung eingeführt hat. Cleveland   und die kubanische Frage. Alle den Londoner Morgenblättern aus New-Uork zugegangenen Telegramme stimmen darin überein, daß Präsident Cleveland  wahrscheinlich keine Schritte thun werde auf grund der Kuba   be- treffenden Resolution, welche gestern im Kongreß angenommen wurde und in welcher die Aufständischen als kriegführende Macht anerkannt werden. Das Repräsentantenhaus war mit 244 gegen 27 Stimmen dem im Senate zu gunsten der aufständigen Kubaner gefaßten Beschlüsse beigetreten. Kuba  . Die Abtheilung der Aufständischen unter Maceo wurde bei Bignales geschlagen und verlor 30 Tobte. Eine Niederlage von Waffen und Munition für di« Insurgenten wurde in Ciensuegos entdeckt. Mexiko und die Monroe-Doktrin  . Der Prä- sident von Mexiko   erklärte bei Eröffnung des Kongresses(Parla- menteS), daß er es früher für inopportun gehalten habe, sich über die Botschaft des Präsidenten Cleveland   auszusprechen. Jetzt wolle er offen erklären, daß er die Monroe-Lehre für ein Sicherungsmittel gegen die Eingriffe der europäischen   Re- gierungen in die Unabhängigkeit der amerikanischen   Republiken halte. Die Vereinigten Staaten   sollten aber nicht allein die Rolle des Protektors übernehmen. Sämmtliche amerikanischen  Republiken sollten die Monroe-Lehre verkündigen und sich im Falle der Roth gegenseitig beistehen. Mädchenhandel in Uruguay  . Zeitungen aus Montevideo   von Ende Februar melden, daß zwei Agenten, die mit dem Spitznamen Kasten bezeichnet werden, mit dem italienischen Dampfer Victoria 22 unglückliche Mädchen nach Montevideo   brachten. Die Mehrzahl bestand aus Minder- jährigen. Alle waren für die Bordells in Montevideo  und Buenos Aires   bestimmt. Die Ausschiffung und vorläufige Unterbringung der Mädchen in einem übel berüchtigten Restau- rant geschah unter den Augen der Polizei. Die Presse tadelt dieses Verhalten der Behörden scharf und konstatirt, daß die Kasten in Rio de Janeiro   und Buenos Aires   jetzt scharf überwacht und rücksichtslos verfolgt und bestraft werden, wie es sich für zivilisirte Länder gebührt. In Montevideo   aber stehen die Kasten anscheinend gut mit der Polizei. Die Zeitungen fordern deshalb ein Einschreiten der Regierung, damit Montevideo   nicht der Stapelplatz für derartige menschhche Waare werde. Alle diese unglücklichen Mädchen kommen auS Europa  . Wie ist es aber möglich, daß den Augen der Polizei in europäischen  Hafenstädten die Einschiffung von 22 minderjährigen Mädchen entgehen kann? Das zeigt, daß nicht nur in Uruguay  «twas faul ist. Afrika  . Vom Sudanfeldzug liegen folgende Meldungen vor: K a i r o. S. April. Die Derwische rückten bis Mograkeh und Kirkeh vor, zwei Orten, die ungefähr 20 Meilen von Akascheh entfernt sind. Die Egypter besetzten eine Stellung am Nil auf der Akascheh gegenüber liegenden Seite. Größere Abtheilungen von Derwischen bedrohen sowohl Murat, wie das am Rothen Meer gelegene Fort ßflaib. Ein anderes Korps der Derwische ist in Kokreb, 50 Meilen westlich von Suakin   eingetroffen, wodurch die Entsendung eines Bataillons zur Verstärkung von Suakin nothwendig wird. Es ist augenscheinlich, daß di» Derwische sich anschicken, die ver- schanzten egyptischen Posten anzugreifen. Suakin, O.April. Ein Korps Derwische ist aus der Landschaft Berber   in Hayet(Hauid?) angekommen. Dasselbe wurde am I. d. M. von befreundeten Arabern überrascht und hatte einen Verlust von 20 Mann. Heute sind nach dem Fort Halaid Verstärkungen abgegangen.' Vavlamenkavislszc-s� Dem Abgcordnetcnhause geht soeben eine Vorlage be- treffend die Erweiterung des Staatseisenbahn- netzes und die Betheiligung des Staates an dem Bau von Priv at eis e n b a hn en und von Klein- bahnen sowie an der Errichtung von land- wirthschaftlichen Getreide- Lagerhäusern zu. Durch dieselbe soll die Staatsregierung ermächtigt werden I. zur Herstellung von Eisenbahnen und zur Beschaffung der für dieselben erforderlichen Betriebsmittel, und zwar: a) zum Bau einer Eisenbahn: 1. von Löwenhagen nach Gerdauen   die Summe von 4 534 000 M., 2. von Schönsee   nach Stras- bürg i. Westpr. die Summe von 3 555 000 M., 3. von Berent nach Carthaus die Summe von 2 680 000 M., 4. von Könitz nach Lippusch die Summe von 4110000 M., 5. von Bütow nach Leba   die Summe von 7 144 000 M.. 6. von Jellowa nach Kreuzburg i. Oberschl. die Summe von 1 318 000 M., 7. von Koberwitz nach Heidersdorf   die Summe von 1 510 000 M., 8. von Britz   nach Fürstenberg i. Mecklbg. die Summe von 4 534 000 M., 9. von Frankenhausen   a. Kyffhäuser   nach Sonders- Haufen die Summe von 1435 000 M., 10. von Soltau   nach Buchholz   die Summe von 2 851 000 M., 11. von Sulingen   nach Bassum   die Summe von 1 200 000 M., 12. von Paderborn   nach Brackwede   die Summe von 2 840 000 M., 13. von Corbach   nach Frankenberg   in Hessen-Nassau   die Summe von 3 285 000 M., 14. von Weidenhausen   nach Herborn   die Summe von 3 630 000 M., 15. von Friedrichsdorf   nach Friedberg   in Hessen  die Summe von 1 162 000 M., 16. von Wipperfürth   nach Marien- Heide die Summe von 1 485 000 M., 17. von Simmer» einerseits nach Kirchberg i. Hunsrück   andererseits nach Castellaun   die Summe von 2 027 000 M., 18. von Kreuzau   nach Heimbach   die Summe von 1552 000 M., b) zur Beschaffung von Betriebs- mittel»: die Summe von 6 651 000 M., zusammen 57 503 000 M. II. Zur Betheiligung des Staates an dem Bau einer Eisenbahn a) von Stralsund   nach Tribsees   durch llebernahme von Aktien die Summe von 268 000 M., d) von Oldenburg   i. Holstein nach Heiligenhafen   durch llebernahme von'Aktien die Summe von 550 000 M.; III. zur Förderung des Baues von Kleinbahnen die Summe von 8 000 000 M.; IV. zur Errichtung von landwirthschaftlichen Getreidelagerhänsern die Summe von 3 000 000 M., insgesammt 69 321 000 M. zu verwenden. Ueber die Verwendung der Fonds zu III und IV wird dem Landtage alljährlich Rechenschast abgelegt werden. Sozfoldemoltrttkisdje Vavkeikerge. Landesversammlung der sozialdemokratischen Partei Sachsens  . Dresden  , 7. April. Die Landesversammlung der sozialdemokratischen Partei Sachsens   wurde heute Vormittag 11 Uhr eröffnet. Der Raum für die Delegirten ist abgetheilt, anwesend sind deren zirka 80. Der übrige Theil des Saales, auch die Gallerien, ist von einer großen Zahl Zuhörer besetzt. Berichterstatter sind 25 anwesend. Im Namen deS Lokalkomitees begrüßt Genosse Haack die zahlreich erschienenen Delegirten und heißt sie willkommen. Hierauf wird das Bureau konstituirt. Es werden gewählt zu Vorsitzenden jdie Genossen Kaden- Dresden und Grenz- Leipzig, zu Schriftführern die Genossen Rehe-Leipzig und Rosenow  - Chemnitz  . Die vorgeschlagene Tagesordnung wird angenommen. Sie lautet: 1. Bericht des Zentral-Komitees: Berichterstatter E. Fischer- Dresden. 2. Die Thätigkeit des Landtags: Berichterstatter H. G o l d st e i n- Zwickau. 3. Wahlrechtsänderung und Stellung der Partei zu derselben: Berichterstatter Fr. Geyer- Leipzig  . 4. Anträge der Parteigenossen. Zu Punkt 3 wird Dr. S ch o e nj- lank-Leipzig als Korreferent aufgestellt. Zur Geschäftsordnung erklären die anwesenden Landtags« Abgeordnelen, daß sie bei Fragen, die sie persönlich angehen, sich der Abstimmung enthalten werden. Zur Prüfung der Mandate wird eine Fünfer-Kommission gewählt. Den Bericht des Zentral-Agitationskomitees erstattet E. Fischer- Dresden: Das letzte Jahr sei für die Sozial« demokralie in Sachsen   ein überaus günstiges gewesen, unsere Gegner hätten uns einen so reichlichen Agitations- stoff gegeben und so vortrefflich für die politische Aufrüttelung des Volkes gesorgt, daß sich unsere Partei diese günstige Gelegenheit nicht entgehen lassen konnte und eine Agitation im großen Stile entfaltete, die selbstverständlich auch das Zentral- Agitationskomitee in größerem Maße als sonst in Anspruch nahm und in dessen Bericht zum Ausdruck kommt. Der Bericht sei daher ein sehr erfreulicher zu nennen. Zweimal seien an einem Tagealle Mann an Bord" gerufen worden, um jedesmal 700 000, also insgesammt 1400 000 Flugblätter zu verbreiten. Eine weitere einheitlicheAktion war diePetilion an den Landtag; das Komitee habe die Unterschriftsbogen zu verschicken und wieder ein- zusammeln gehabt und dabei auch die Zählung der Unterschriften vorgenommen. welche sich auf 160 000 beliefen. Daß die Zahl der Unterschriften nicht noch größer war, liege nur an dem Umstand, daß viele Arbeiter, und darunter überzeugte So- zialdemokraten, nicht waglen, ihren Namen unter eine sozial- demokratische Petition zu setzen, da sie glauben, sich der Gefahr einer Maßregelung auszusetzen. Der größte Werth der Petition lag aber auch nicht in den Unterschriften, sondern in der Agitation, die mit dem Sammeln von Unterschriften verbunden war. Auf dem Lande gingen unsere Genossen von Haus zu Haus und suchten diejenigen auf, die nie in eine Äersammlung kommen, zu denen wir sonst nie reden können. Eine Agitation von Mund zu Mund wurde betrieben, wie sie bei keiner anderen Gelegenheit möglich ist. Bei der Landtagswahl war es die Aufgabe des Zentralkomitees, den schlechtgestellten Wahlkreisen Mittel und Agitationskräfte aus gutgestellten Wahlkreisen zu besorgen und nöthigenfalls die Agitation selbst zu leiten. Das Zentralkomitee sei öfters in Anspruch genommen worden, was sich z. B. daraus ergebe, daß von den 422 Referenten, welche das Komitee im letzten Jahre besorgt habe, 37 nach Orten außerhalb des Dresdener Agitationsbezirks kamen. Daß 603 Briefe, Pakete w. ein- und 584 ausgegangen seien, zeige, wie oft man sich des Komitees bediene, was auch nicht zu ver- wundern sei, wenn man bedenke, daß bei der Wahlrechts« bewegung allein ca. 150 Protestversammlungen innerhalb weniger Tage stattgefunden hätten. Dementsprechend seien auch die Kassenverhältnisse. Während die Einnahmen und Ausgaben des Dresdener   Agitationskomitees rund 3000 M. betrügen, habe das Zentralkomitee 2852,38 M. eingenommen und 2595,30 M. aus- gegeben. Dazu käme aber, daß noch ca. 4000 M. zu bezahlen seien, welche Summe sich aber wieder dadurch verringere, daß dem Komitee kurz nach der Abrechnung 1500 M. abgeliefert worden seien. Dem Antrage von Leipzig  , innerhalb 14 Tagen eine Landes- konferenz einzuberufen, habe das Komitee nicht entsprechen können, das sich hierzu nicht für kompetent erklärte, den Antrag selbst aber auch für unausführbar hielt. Unsere Partei ist ge- wappnet und wird siegreich aus dem Kampfe hervorgehen. Menge- Leipzig erklärt es für bedauerlich, daß das Zentral- komitee sich geweigert hat, die Landeskonferenz in 23 Wochen einzuberufen. Die Fraktion habe eine Verschleppungstaktik geübt. Walisisch- Dresden  : Ich stehe auch auf dem Stand- punkl der Mandatsniederlegung, bin aber der Ueberzeugung, daß das Zentralkomitee vollständig korrekt gehandelt hat. L ange-Leipzig  : Es fei ein Armuthszeugniß für die Parteigenossen, wenn man sage, sie könnten in 14 Tagen nicht zur Klarheit gelangen. Schuld daran sei die letzte Landes- konferenz, die der Fraktion Funktionen übertrug, welche dem Landeskomitee oblagen. Abg. Geyer: Die Uebertragung dieser Funktionen aus die Fraktion war kein Novum, sie ist von jeher geübt worden. E. Fischer- Dresden(zum Schlußwort): In der Lausitz  sagte man uns, daß es ganz unmöglich sei, in 14 Tagen sich schlüssig zu machen. Etwas anderes wäre es gewesen, wenn der Landtag aufgelöst wurde, aber die vorliegende Frage mußte zuvor in der Presse besprochen werden; wir hätten garnicht verantworten können, dem Leipziger   Beschluß nachzukommen. (Bravo  !) Der Bericht wird gegen die Stimmen der Leipziger   Dcle- girten genehmigt. Zum Bericht über die Thätigkeit der Landtagsfraktion erhält um VjI Uhr das Wort: G o l d st e i n- Zwickau: Erfreuliches ist nicht zu vermelden, unter Führung des dekannten Herrn Mehnert hat sich der Ord- nungsbrei im Landtage zusammengefunden. Das wichtigste Gesetz, das berathen wurde, war die Aenderung des Wahlgesetzes. Wir haben uns an den Debatten sehr stark betheiligt, aber es ist unrichtig, wenn behauptet worden ist. wir hätten nur Reden zum Fenster hinaus gehalten und es fehlte uns die nöthige Objektivität. Ich erinnere nur an die Fabrilinspektoreu-Debatte, wo wir durch- aus sachlich diskutirt haben. Beim Eisenbahnetat haben wir ebenfalls positive Mitarbeit geleistet. An Gelegenheit zur Kritik hat es uns nicht gefehlt. Wir mußten auf das schamlose Treiben der offiziösenLeipziger Zeitung" hinweisen, die die sozialdemokratischen Agitatoren des Landes verweisen wollte. Wir haben den Oederaner Unglücks- fall besprochen und an der Bereinsauflösung des VereinsFrohe Sänger", wie überhaupt an den Polizeichikanen den Vereinen gegenüber Kritik üben müssen. Die Sozialdemokraten sind überall für Forderungen im Kulturinteresse eingetreten, man läßt sie nur da nicht positiv mitarbeiten. Die jetzt angenommene Trennung des Fabrikinspektorats von der Kesselreviston ist schon längst von uns gefordert worden. Die Verhandlungen haben oft eine große Schärfe angenommen. Die Gegner bekämpfen uns mit den verwerflichsten Mitteln.(Der überwachende Polizist sKommissar Hohlfeldj ersucht den Redner, den Landtag nicht zu beleidigen.) Wir weisen nur die Au- griffe unserer Gegner zurück. Die Gegensätze sind nicht»lehr auszugleichen. Ich resumire mich; Die sozialen und sozialpolitischen Fragen treten immer mehr in den Vordergrund. Die Fraktion hat sich den ihr ob- liegenden Aufgaben gewachsen gezeigt. Die Eroberung des allgemeinen, gleichen und direkten Wahlrechts muß die wichtigste und vornehmste Ausgabe der sächsischen Sozial-