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BERLIN  Montag 30. Juni 1930

Der Abend

Erscheint täglich außer Sonntags. Bugleich Abendaufgabe des Vorwärts". Bezugspreis Beide Ausgaben 85 Vf. pro Woche, 3,60 M. pro Monat. Redaktion und Ervedition; Berlin   SW68, Lindenstr. 3

Spalausgabe des Vorwärts

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10 Pt.

Nr. 300

B 149 47. Jahrgang

Anzeigenpreis: Die einspaltige Nonpareillezeile 80 Pf., Reklamezeile 5 M. Ermäßigungen nach Tarif. Postfcheckkonto: Vorwärts- Verlag G. m. b. H., Berlin   Nr. 37536. Fernsprecher: Dönhoff 292 bis 297

Hier sollt ihr sparen!

Reichswehr   und Geheimfonds.- Ratschläge für Dietrich.

Die Reichsregierung will an den Ausgaben im Haushalt für das Jahr 1930 100 Millionen einsparen. Wo diese Abstriche vorgenommen werden sollen, weiß sie entweder nicht oder will sie nicht fagen. Vor allen Dingen will sie den Reichstag von der Mitwirtung an diesen Ersparnissen ausschalten. § la der von der Regierung vorgeschlagenen Ergänzung zum Reichs­haushalt foll folgendermaßen lauten:

Bei den Ausgaben des ordentlichen Haushalts sind Beträge in der Gesamthöhe von 100 Millionen Reichsmart abzusetzen, deren Höhe im einzelnen von der Reichsregierung festgestellt wird." Zu dieser Ausschaltung des Reichstags liegt keinerlei fachliche Beranlaffung vor. Für größere Ersparnisse ist eine Mehr­heit im Reichstag leicht zu erzielen. Wenn dennoch die Reichsregie­rung diese Mitwirkung des Reichstags nicht wünscht, so bleibt nur die Annahme übrig, daß sie, die Ersparnisse am Wehretat zu Bermeiden wünscht, obwohl sie hier am leichtesten durchzuführen find 2ẞie ftart die Auffaffung, daß der

militärische Aufwand Deutschlands   unsere Leistungsfähigkeit übersteigt

und hier Ersparnisse notwendig sind, auch in bürgerlichen Kreisen verbreitet ist, zeigt eine Auslaffung der Kölnischen Wolfs= zeitung" in Nr. 326 vom Sonntag:

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,, An einigen Etats tann grundfäßlich gestrichen werden. Wer tein Geld hat, tann teine Schweizerreise machen, das heißt, das Auswärtige Amt fann nicht da Botschafter anstellen, wo es mit einfachen Ministerresidenten auch getan märe, und Heer und .Marine müssen in der Zeit einer so bedenklich angeschwollenen Not auf Reisen, Manöver, auf Munition und Erneuerungen verzichten, wenn nicht die Stimmung für vollständige Streichung des Wehr­etats wachsen foll. Diese lettere Stimmung fie ist mit Banif timmung vergleichbar greift in erstaunlichem Grade auch in Rreifen um sich, die empört wären, wenn man ihnen anti­nationale Gesinnung vorwerfen würde; mer ihr begegnen und den Erfolg einer zwölfjährigen mühevollen Arbeit am Wieder­aufbau eines Wehrkraftzentrums nicht gefährdet sehen möchte, muß zugeben, daß man, um Bestehendes zu erhalten und zu retten, auf gemisse Dinge für gewisse Zeiten verzichten muß. Man fann, um auf andere Ministerien zu fommen, nicht Fonds mit Mitteln ausstatten, die gar nicht vorhanden sind.

Will man aber Ersparnisse am Militäretat, so wird man nicht barauf verzichten dürfen, dem Reichstag   die letzte Entscheidung über die Art und die Höhe der Streichungen zu überlassen. Im Reichstabinett, wo

Herr Groener durch sein Dittat die Erhöhung der diesjährigen militärischen Ausgaben um 40 millionen durchgesetzt

yat, wird man den Anforderungen der Militärs weit geringeren Widerstand leisten können als das im Reichstag geschehen wird, wo nicht nur der Drud der Finanznot, sondern auch der Einfluß der öffentlichen Meinung fpürbar mirten fann.

Im übrigen möchten wir die Aufmerksamkeit auch auf den legten Sah der Auslassung der Kölnischen Boltszeitung" lenten. Es gibt in der Tat im Reichsetat Fonds, aus denen Ausgaben ge­leistet werden, die mit der Zweckbestimmung nicht in Einklang zu bringen find. Auch neuerdings fordert die Reichsregierung zur Durchführung des deutsch   polnischen Liquidations. abtommens eine erste Rate von 27 Millionen an( Kriegslaften: etat, Rapitel 5, Titel 3). Es besteht Grund zu der Annahme, daß tatsächlich im Jahre 1930 nur etwa 14 bis 15 millionen Mart für Entschädigungszahlungen erforderlich sind und daß der Reft zu Zwecken verwendet werden soll, die mit diesem Titel nicht das geringste zu tun haben!

Wir möchten den neuen Reichsfinanzminister Dietrich darauf aufmertfam machen, daß er hier eine der leichtesten Sparmöglichkeiten vor sich hat, wenn er sein Amt mit dem Willen antritt, für Klarheit im Reichsetat zu forgen und überflüssige Ausgaben zu vermeiden.

Brünings Strategie.

Die Dedungsvorlagen der Reichsregierung sollen im Reichsrat pätestens Mittwoch erledigt werden, jo daß sie Am Donnerstag dem Reichstag vorliegen könnten. Die Regierung erflärt, sämtliche Deckungsvorlagen als zusammenhängen des Ganzes anzusehen, aus dem einzelne Vorlagen nicht heraus

Der gestörte Hugenberg.

Hetzrede

HUGENBERG

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DER RHEIN  IST FREI!

Fenster zu es zieht!"

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Abzug der letzten Truppen.

Alliierte Flaggen in Wiesbaden   niedergeholt.

Wiesbaden  , 30. Juni.

baden verlassen. Gegen 9% Uhr rückte die Ehrenwache zum letzten Die Befahung hat um 12.10 Uhr in einem Sonderzug Wies­male vor den Sitz der interalliierten Rheinlandkommission, dem Hotel Wilhelma, an, von dem dann unter den klängen der National­hymnen die drei Fahnen der Bejahungsmächte eingezogen wurden. Nach dem Einholen der Fahnen formierten sich die Truppen und 30gen unter flingendem Spiel über die Wilhelmstraße nach dem Hauptbahnhof.

Ehrung für die Gefallenen.

Mainz  , 30. Juni. Am Sonnabend nachmittag fanden sich die noch anwesenden französischen   Truppen des Infanterieregiments 8 im Kremato rium ein, wo ein Rundgang an die Kriegerehrenmäler angetreten wurde. An sämtlichen deutschen   und ausländisch en Kriegerdenkmälern älterer und neuerer Zeit wurden unter den Klängen der Marseillaise   durch General Guillaumat, den Reichs. kommissar Langwerth von Simmern und die Bertreter Belgiens  , Englands usm. nach einer kurzen stillen Andacht Kränze und Blumen mit Schleifen in den Farben der einzelnen Länder nieder gelegt.

heute einen besonderen Triumphtag, denn in der Räu­mung des Rheinlandes vollziehe fich endlich eine Forderung, die die fozialistische Internationale schon gleich nach Kriegsende erhoben habe.

Der ehemalige Ministerpräsident Poincaré   nimmt die Räu­mung im Excelfior" zum Anlaß eines Proteftes gegen die Defizite wirtschaft im deutschen   Budget und gegen die übertriebenen Aus­gaben des Reichswehrministeriums. Der Reichswehretat, so schreibt Poincaré  , sei ein Meisterwert von Berdunkelung und Bertuschung". Es sei erstaunlich, daß der Reichswehrminister für seine Geldforde­rungen, mögen sie noch so groß sein, immer leicht eine gefügige Mehrheit im Reichstag finde, während über die Steuerpolitik ein Finanzminister nach dem anderen stürze.

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Daily Herald" im Norden.

Riefenpropaganda für neue Nord- Ausgabe.

London  , 30. Juni.  ( Eigenbericht.)

Der Daily Herald" wird in den nächsten Tagen in Mandheffer eine nordenglische Ausgabe seines Blattes heraus­geben. An der zu diesem Zwed in Manchester   abgehaltenen Pro­pagandaveranstaltung beteiligten sich am Sonnabend nahezu eine halbe million Menschen.

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Massen hungern trotz reicher Ernte. Waentig über den Widersinn des Kapitalismus  . Frankfurt   a. M., 30. Juni.  ( Eigenbericht.) Die Frankfurter   Gewerkschaften veranstalteten am Sonn­tag ein Fest der Arbeit". Im Verlauf seiner Festrede wies der preußische Innenminister Dr. Waentig darauf hin, daß die Organisation aus dem Arbeiter erst den Men fchen gemacht hat, der sich selbstbewußt als unentbehrlicher Faktor im Wirtschaftsleben bejaht. Es sei ein Irrtum, zu behaupten, die Solidarität der Arbeiterschaft sei eine Gefährdung der Einheit der Nation. Das Wort Klassentampf sei nicht eine Forderung, sondern eine Erkenntnis, daß die Interessen der Arbeiter und der Unternehmer gegeneinander abgewogen und aufeinander abge= ftellt werden müßten zum Wohle des gesamten Bolkes. Es gelte heute, auch jene Klassengenossen, die noch im gegnerischen Lager ständen, zu gewinnen, und das Ziel, von dem uns noch weite Weje trennten, im Auge zu behalten: die sozialistische Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung.

wirtschaft heute beherrscht und die Plan. und sinnlosig feit der fapitalistischen Gesellschaftsordnung offenbart. Massen hungerten heute, trotz der überreichen Ernten, deren sich alle Land­wirtschaft treibenden Länder in den letzten Jahren erfreuen durften. Das zeige den Widersinn des Systems. Mit einem Hinweis dar­auf,

Dr. Waentig gedachte zum Schluß der Krise, die die Welt­

Gemischte Räumungsgefühle. daß die deutſche Arbeiterschaft troß aller Schwierigkeiten in

Frankreich   zwischen Mißtrauen und Versöhnung. Paris  , 30. Juni.  ( Eigenbericht.)

dem Kampf um die Verwirklichung der sozialistischen   Ideen bis zum siegreichen Ende verharren werde, schloß Waentig seine mit großem Beifall aufgenommene Ansprache.

Ueberall halten fich das alle Mißtrauen und ein ernstliches Die Revolution in Bolivien  .

Die Räumung des Rheinlandes wird von der gesamten bürger­lichen Preffe mit recht gemischten Gefühlen kommentiert. Bemühen um den Frieden die Waage. Die Ueberpatrioten, schwerster Gefahr, weil das Verbrechen" der Räumung der Abg. Marin an der Spike, sehen das Vaterland wieder in durchgeführt worden sei, ohne daß die Feftungsbauten an der Grenze beendet wären. Leon Blum   gibt diesen patriotischen Klagewelbern im Populaire" die richtige Antwort, indem er ihnen vorhält, daß die Sicherheit Frankreichs   noch vielmehr bedroht wäre, wenn nicht dank der Sozialisten die Politik des Friedens und der Versöhnung mit Deutschland   angebahnt worden wäre. Der Sozialismus feiere

genommen oder durch andere ersetzt werden könnten. Dagegen mürde sich die Reichsregierung, wie es scheit, mit Abände rungen mnerhalb der einzelnen Vorlagen einverstanden erklären, wenn dadurch nicht die beabsichtigten Einnahmen beein­trächtigt werden

Diese Haltung der Reichsregierung ist besonders der Deu fdjen Volkspartei sehr unangenehm, da sie große Luft gehabt hätte, ein­zelne Deckungsvorlagen verschwinden zu lassen und den Ausfall auf andere Weise, etwa durch Erhöhung des Ertrags, zu ersetzen.

Wahlen nach dem Umsturz.

Buenos Aires  , 30. Juni.  ( Eigenbericht.)

Ein bolivianisches Militärdirettorium von sechs Offi­zieren unter General Blanco Galindo veröffentlichte eine revo lutionäre Siegesproflamation, die die ursprüngliche Landes­verfassung wiederherstellt und die Wiederwahl des Präsidenten ver­bietet. Es werden baldige Rongreßwahlen und Verwaltungsver­befferungen angefündigt. Die Ruhe ist im ganzen Land wieder­hergestellt. Die Meldung von dem Tode des Militärchefs Kundt ist unrichtig. Rundt war in die deutsche   Gesandschaft geflüchtet. Expräsident Siles   beschloß eine beschleunigte Auslandsreise nach Merito- City.

Die Regierungsparteien veranstalteten angesichts der bevor­stehenden Kongreßwahl große Wahlumzüge, an denen über 30 000 Personen teilnahmen. Die Arbeiterpartei hatte gleichfalls eine start besuchte Gegendemonstration einberufen. D Veranstaltungen verliefen ohne jeden zwischenfall. Die Kono wahl findet am tommenden Sonntag statt.