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Beilage

Montag, 30. Juni 1930

Der Abend

Shalausgabe des Vorwärt

Politische Dichtung im 18. Jahrhundert

Wie sich die Zeit vom Alten Fritz bis zur Französischen  Revolution in der deutschen   Dichtung widerspiegelt

Der Berlag Philipp Reclam   jun. in Leipzig   hat es im Rahmen eines großen Sammelwerkes Deutsche Literatur  " unternommen, in sieben Bänden auch von der politischen Dichtung der Deutschen   einen bedeutenden Begriff zu vermitteln. Der erste Band, von Professor Dr. Emil Horner gut bearbeitet, eingeleitet und mit Anmerkungen versehen, gibt unter dem Titel ,, Vor dem Untergang des alten Reichs  " rund 120 politisch lyrische Ausstrahlungen der Zeit von 1756 bis 1795. Allerdings ist in diesen Jahrzehnten die politische Muse auf farge Kost gesezt; denn nur wo das Volk an der Politik teilhat, durch die Politik bewegt wird, kann sich die politische Dichtung voll entfalten; in der Luft des Absolutismus und Feudalismus  , die als dicker Brodem über dem Deutschland   des achtzehnten Jahrhunderts liegt, gedeiht sie nicht. Auch hindert der Knebel der Zenjur den Dichter, auszu­sprechen, wie ihm ums Herz ist; warnendes Beispiel jener Chr. Fr. D. Schubart, den sein württembergischer Tyrann für zehn lange Jahre auf dem Hohenajperg einferfert.

Was der sozusagen politischen Lyrik gestattet bleibt, sind in erster Reihe verhinumelnde Oden zum Preis der Halbgötter  , die auf Deutschlands   Thronen sihen, und Kriegs- und Siegeslieder, wenn sie ihre Schlachten schlagen. Vor allem wird dem Fridericus Rer ein voller Kranz solcher Carmina gewunden, da sein Kampf gegen halb Europa   und seine genial- drastische Erscheinung die Phantasie der Maffen zu entzünden weiß. Die byzantinische Note ihm zu Ehren wird denn mächtig angestrichen von dem volkslied­haften:

Triumph, Triumph, Victoria  !

Es lebe der Große Friedrich allda!

Voll Jubel lobpreist er die neue Welt ,,, wo jüße Gleichheit wohnet und nicht Adelbrut, Europas Pest, vom Schweiße des Land­manns schwelgt", aber jäh zuckt er zusammen:

Die eiserne Fessel tlirrt

Und mahnt mich Armen, daß ich Deutscher   bin.

Dem Deutschen   wird die Kette um so fühlbarer, als einige Fürsten   den amerikanischen   Unabhängigkeitsfrieg benützen, um ihre Landeskinder als Kanonenfutter andie Krone England zu verschachern; dem berüchtigsten Seelenverkäufer, dem Landgrafen von Hessen  - Kaffel, gilt ein schön und wahrhaftig Soldatenlied", gilt ,, ein jo" das ist natürlich blutige Ironie! ,, anno 1775 am 19. Of­tober zu Cassel auf der Parade von den abziehenden Militärs mit admirabler bonne humeur( bewundernswerter guter Laune) vor Ihrer Durchlaucht gesungen ward":

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Juchheisa, nach) Amerika  !

Dir, Deutschland  , gute Nacht! Ihr Heffen präsentiert's Gewehr, Der Landgraf kommt zur Wacht.

Ade, Herr Landgraf Friederich,

Du zahlst uns Schnaps und Bier!

Schießt Arme man und Bein uns ab, So zahlt sie England dir!

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Ganz anders noch als der geographisch ferne Freiheitstampf der Amerikaner rüttelt ganz nah, gleich überm Rhein  ! die Französische   Revolution die Gemüter auf. Entflammt wenden sich ihr die heißesten Herzen, die freiesten Stirnen zu;

bis zu der geledten Rabinettspoefie eines Spieß auf den Klopstod jubelt auf: Hubertusburger Frieden  :

Kinder von den jüngsten Jahren

Lallen schon von deinem Ruhm Und dem Greis in Silberhaaren Ist dein Bild ein Heiligtum.

Auch der biedere Johan Ludwig Gleim mit seinen Preußischen Kriegsliedern von einem Grenadier", der nach einem

Wort Schubarts

des Liedes Feuerpfeil wie die Grenade wirft,

tann fta) hter fchen faffen.

Verständlich, wenn die österreichische Gegenstrophe im Volkslied dem Preußenkönig zuruft:

Bieltausend schöne Leut hast du jetzt schon Um Leib und Leben bracht, höre nur an; Kropfete, fchieglete, frumbe und lahm Noch zu Soldaten laßt fangen zufamm.

Reiner ist noch gewest, feiner fommt mehr, Welcher die Länder ruinieret so sehr, Dieses die Nachwelt wird jagen von dir. Wenn dich der Tod wird abfordern von hier.

Aber auch in der nichtösterreichischen, ja preußischen Lyrik flingt oft ein wenig triegsbegeisterter Ton an; das Bürgertum hatte damals noch feine militaristischen Haare auf den Bähnen, und statt der Lissauer mit ihren Haßgesängen gab es einen Klopstock, der den Krieg ,, das zischendste, tiefste Brandmal der Menschheit" heißt. In einer Ode Ewald Chriftian v. Kleists, An die preußische Armee  " steht eine Strophe, die in der hurrapatriotischen Reimerei der Jahre 1914 bis 1918 fehlt:

Nur schone wie bisher im Lauf von großen Taten Den Landmann, der dein Feind nicht ist! Hilf seiner Not, wenn du von Not enffernet biſt! Das Rauben überlaß den Feigen und Kroaten  !

Nachdem der Stebenjährige Krieg schon sechs Jahre gewütet hat, entringt sich einem namenlos Gebliebenen, der aber sicher nicht durch den Geist der jüdischen Demokratie" entheldet ward, der mehr als pazifistische Stoßseufzer:

Soll denn gar fein Frieden werden, Nimmt der Krieg denn noch kein End? Unsere Länder sind verheeret, Städt' und Dörfer abgebrennt; Jammer überall und Not Und dazu auch mehr fein Brot. Friedrich, o du großer König, Stecke doch dein Schwert nun ein, Denn wir haben nur noch wenig, Was dir fönnte. dienlich sein: Alles wüste, alles feer

Länger geht das so nicht mehr.

In die stillen Jahrzehnte nach den großen Kriegshändeln platzt der Unabhängigkeitstampf der amerikanischen  Kolonien gegen England. Da der Deutsche   weder Freiheit noch Baterland hat, ergreift ihn der Anblick eines Volkes, das sich beides aus eigenem schafft; das Boltslied fündet:

Ihrer Staaten, zehn und drei Sprechen sich von England frei, Wollen fein Respublica, Freier Staat Amerika.

Sehnsucht erwacht, es denen um Washington   gleichzutun; ein Dichter, der wohlweislich mit seinem Namen zurückhält, prophezeit auch unserem Erdteil republikanische Zukunft:

Und du, Europa  , hebe das Haupt empor! Einst glänzt auch dir der Tag, da die Kette bricht, Du, Edle, frei wiest, deine Fürsten  Scheuchst und ein glücklicher Boltsstaat grünest.

Hätt' ich hundert Stimmen, ich feierte Galliens   Freiheit Nicht mit erreichendem Ton, fänge die göttliche schwach. Was vollbringet sie nicht! Sogar das gräßlichste aller Ungeheuer, der Krieg, wird an die Kette gelegt!

Aber überraschend schnell regt sich der ewige deutsche Untertan, der nichts als Untertan sein will, der fromme Knecht Fridolin; schon 1789 entrüstet sich ein Volkslied:

Das sind ja sehr tolle Dinge, Die man jehl pon Paris   hört! Umgestural och und Geringe Alle Ordnung ganz zerstörf, Die Gefangenen losgelassen, Die Bastille demoliert, Freiheitsschreien auf den Gassen, Wo man alles ruiniert.

Als vollends ein gejalbter König als Hochver: äter auf der Guillotine gestorben ist, fehrt sich Klopstock  , der zugleich die

Walther G.   Oschilewski:

mörderin Marats  , die erhabne Männin Corday" feiert, trauernd von der Revolution ab:

Ach, des goldenen Traums Wonn' ist dahin,

Mich umschwebet nicht mehr sein Morgenglanz, Und ein Rummer wie verschmähter

Liebe fümmert mein Herz.

Mathias ins Zeug:

Claudius   geht gegen die Jafobiner derber

Sie dünkten sich die Herren aller Herrn Zertraten alle Ordnung, Sitt' und Weise Und gingen übermütig neue Gleise, Von aller wahren Weisheit fern. Sie mordeten den König, ihren Herrn, Sie morden sich einander, morden gern Und tanzen um das Blutgerüste.

Friedrich Leopold Graf Stolberg wettert gegen die ,, West­hummen": Ihr sollt nicht Franken nennen der Völker und der Zeiten Abschaum! und der alte Gleim tommt angemadelt und stimmt als Tyrtäus des gegenrevolutionären Kreuzzugs seine abgegriffene Leier: Sansfülott!

Bem ist vor deiner Herrschaft bange?

Mir nicht, Pariser Hottentott! Wir trogen deinem Blutgefange!

Der Preuße lebt, und Gott ist Gott  !

Nur Gottfried August Bürger   sagt auf einem Blatt, das allerdings in seiner Schublade verborgen bleibt, unverhohlen, was hinter dem Krieg der Potentaten gegen die französische Republik  stedt; ein fühnes antimonarchisches und antimilita. ristisches Manifest ist sein Gedicht:

Für wen, du gutes deutsches Bolt, Behängt man dich mit Waffen? Für wen läßt du von Weib und Kind Und Herd hinweg dich raffen? Für Fürsten   und für Adelsbrut Und fürs Geschmeiß der Pfaffen. Sie nennen's Streit fürs Vaterland, In welchen sie dich treiben.

O Bolt, wie lange wirst du blind. Belm   Spiel der Gautler bleiben? Sie selber find das Vaterland, Und wollen gern befleiben.

Aber Bürger ist auch der einzige, der sich nicht die Nacht­müße des Philisters über die Ohren zieht und unters Federbett friecht, als sich das prachtvolle Wetterleuchten in Frankreich   in ein gewaltiges Gewitter mit Blitz und Donnerschlag verwandelt. Hermann Wendel  .

Franz kann reden!

Das ist richtig: Reden macht es nicht allein! Einen großen Mund können auch Dummtöpfe haben. Hier muß es fizen", fagte der Dreitäsehoch Franz, der Obmann unserer Roten Falken Gruppe, und tippte sich mit einer Schlaumeiermiene, die eine Gruppe, und tippte fich mit einer Schlaumeiermiene, die eine Gehörige Portion selig vererbten Mutterwiges verriet, an feinen schmalen, braungebratenen Schädel. Hier! Und wenn es darin leer ist, hilft auch keine Pause."

Reden! Ja, das kann nun unser Franz. Er vertritt uns bei allen Streitigkeiten, die wir mit den anderen Gruppen unseres Be­

airfs von Fall zu Fall nicht umgehen können, und bietet mit seinen Gemeinschaft mit unseren Eltern feiern, eine wirtungsvolle Reprä­13 Jahren bei unseren festlichen Veranstaltungen, die wir in froher Tentation. Nicht, daß er zur allgemeinen Bewunderung auf einem filbernen Tablett herumgereicht wird, ich meine nur, daß die Freude, ihn nach vorn zur Begrüßung springen zu jeben, eine allgemeine ist. Was er den Leuten dann an den Kopf wirft, allzu nette Worte mitunter, die manche nur im Futteral tragen.... hat Hand und Fuß, ist lebendig, durchwachsen mit einem schon feltfam reifen und natürlichen Humor, das Organ laut genug, um selbst bei Wind­stärke 9 durchzidringen; feht, alles rühmliche Eigenschaften der Mi­niaturausgabe eines Bolksredners von morgen!

Tatsächlich, laßt erst mal den Kerl älter werden!

Man kann eigentlich sehr wenig von dem Eigenleben der her­anwachsenden Generation unserer Zeit berichten, und wenn man es unternimmt, in der Hoffnung, deni Rhythmus ihrer naiven Lebens­akrobatik nachzuspüren, so wird sich das Erlebnis oder die Erfah rung nur in die verhältnismäßig groben Striche eines Porträts um sehen lassen. Die Jungens und Mädels haben schon einen ganz anderen Film vor Augen und schmecken auch die Luft ganz anders. Sie sind der immer wirkenden, geheimnisvollen Gejezmäßigkeit dieser Welt viel näher, weil sie ursprünglicher in sie hineintauchen, noch von Gedanken und Erfahrungen unbeschwert. Wenn man auf­paßt, und man soll es, und gut hinhören fann, erfährt man mit­unter etwas von der wunderlichen Welt ihrer Kindheit. Wie da alles durcheinander stürzt, die vielen kleinen Entdeckungen und Sorgen, und wieder aufgebaut wird zu dem wunderlichen Bau der Träume; überhaupt, so wie ein Kind träumen zu fönnen, wäre Verwandtschaftliche lebt wieder auf und erinnert uns an unsere etmas Herrliches! Ja, nun find wir schon einen Schritt näher, das eigene Kindheit. Wohl mögen schon die Spiele und Eroberungen und fleinen Leistungen andere sein als die, welche einen etwa zehn Jehre älteren begeisterten; auch hierin erfahren die äußeren Formen ihre ewige Wandlung. Doch föstlich ist es, sich in die ungeschrie­benen Geseze dieser heutigen proletarischen Kinderpelt einzufügen.

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Sch will nicht sagen, daß wir verträumter waren; nein, wir rea­gierten wohl unsere Gesundheit in eine andere Abenteuerlichkeit ab; die wilde Welt des Indianer- und Räuberspiels, Straßenschlachten im Riez, das war der Himmel unserer Kindheit. Heute sind die Spiele der Jugend, die durch Not und Schidfai unserer proletarischen Joeenwelt beheimatet ist, dem verantwortungsvollen Aufbau, einer größeren Ertüchtigung und Selbsterziehung zur Ordnung und Selbständigkeit näher. Zum Beispiel vier Wochen dazu beitragen, daß das Zeltlager der Roten Fal ten zu einer der glücklichsten Formen des gemeinschaftlichen Zu sammenlebens wird und darin Ordnung halten und hilfsbereit sein jüngsten Republikaner, denen die Zukunft gehören wird. in feder Stunde, die das erfordert, das sind schon Leistungen der

Franz ist einer von diesen Jungen. Am vorigen Freitag hat er die Eltern unseres Bezirks zusammengeholt. Es sollte ein luftiger Abend werden, und das ist es auch geworden. Go gegen 7 Uhr stieg Franz auf das Katheder, nuckelte ein paarmal mit der Naje wie ein Kaninchen, ein eindrucksvolles Zeichen, das Ruhe und Auf­merksamkeit gebieten sollte, und legte dann los. Es war ein Ver­gnügen, so einen Kief- in- die- Welt erzählen zu hören. Die Augen glänzten, wenn er an das Werk unserer Kinderrepublikaner er. innerte. Gut machte er es, und Zweck wird es haben, und zum Schluß jetzte er uns Aelteren noch ein paar Worte in die Ohren, die wir uns merken follten:

... und, liebe Genossen Eltern, wir sind noch jung, aber das braucht ihr uns gar nicht zu sagen, das wissen wir nämlich auch. Aber wir fönnen schon etwas, Freundschaft ist unser Gruß, jamoll, eine Sacke anpacken, daß der Stiebel fnact, und festhalten, bis was braus geworden ist, so machen wir's! Denn so eine Kinderrepublik zu bauen, nämlich eine sozialistische, das habt ihr noch nicht fertig bekommen. Wir wollen uns in unserem Gemeinschaftsleben im Beltlager und daheim in der Gruppe schon vorbereiten für die kämpferische Arbeit, die uns später einmal erwarten wird. Damit euer Staat auch einmal so einer wird wie unsere Rote Kinderrepu blit. Darin organisieren und verwalten wir alles selber. IIe für alle! Da haben wir auch ein Barlament, und das ist not­mendig. Darin wird gearbeitet. Vielleicht werden auch#nige von uns jpäter Abgeordnete, die die Ideale und Interessen der Ar­beiter vertreten sollen. Dann haben wir aber auch schon etwas bei uns gelernt. Denen, die wir gewählt haben, müssen wir vertrouen fönnen. Das ist selbstverständlich, und wenn sie uns enttäuschen, werden sie einfach abgebaut. So machen wir es auch in unserer Kinderrepublik. Wir suchen dann einfach aus unseren Reihen einen Genossen, der befähigter und geeigneter ist. Einen Kopi muß er haben! Ich weiß nicht, das ist doch so eine einfache Sache!"