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BERLIN  Donnerstag 3. Juli

1930

Der Abend

Erfcheint täglich außer Sonntags. Zugleich Abendausgabe des Vorwärts". Bezugspreis beide Ausgaben 85 Pf. pro Woche, 3,60 M. pro Monat. Redaktion und Expedition; Berlin   SW68, Lindenstr. 3

Spätausgabe des Vorwärts

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10 Pt.

Nr. 306

B 152 47. Jahrgang

Anzeigenpreis: Die cinspaltige Nonpareillezeile 80 Pf., Reklamezeile 5 M. Ermäßigungen nach Tarif. Poftfcheckkonto: Vorwärts- Verlag G. m. b. H., Berlin   Nr. 37536. Fernsprecher: Donhoff 292 bis 297

Hungerstrafen für Arbeitslose.

Der Bürgerblock feiert sozialreaktionäre Orgien.

Die henfige Sigung des sozialen Reichstagsausschusses war von heftigen Auseinandersehungen über die geradezu drakonischen Strafbestimmungen ausgefüllt, die in das Arbeitslosenver­ficherungsgefeh eingefügt werden follen und nach denen die Ar­beitslosen unterstühung bis zu 16 Wochen ent. jogen werden kann.

Der deutschnationale Abgeordnete Leopold und der Bolts­parteiler Hued forderten jogar Sperrfristen bis zu sechs Monaten! Auch bei freiwilliger Arbeitsaufgabe sollen diese furchtbar harten Sperrfristen verhängt werden.

Trotzdem wurden fie von den bürgerlichen Parteien nach der Regierungsvorlage angenommen, mit Ausnahme des§ 93, der bei freiwilliger Arbeitsaufgabe Sperrfristen bis zu 8 Wochen vorfieht. Hier wurde die Regierungsvorlage abgelehnt, so daß es bei den bisherigen gesetzlichen Beffimmungen verbleibf.

Wirtschaft, Horatio!

50 Millionen gefordert, nur 10 werden gebraucht. Der Ausschuß für den Reichshaushalt behandelte in feiner Donnerstagsizung als ersten Punkt die inzwischen neu eingegangene geänderte Vorlage des Reichswehrministeriums über den An­fauf von Remontepferden. Während in der endgültig abgelehnten Borlage vom Haushaltsausschuß die Bereitstellung von 2,1 Millionen gewünscht worden war, wollte das Wehrministerium sich in der neuen Vorlage mit der vorab zu bewilligenden Veraus­gabung von 799 000 m. begnügen. Dieser Betrag werde aber un­bedingt benötigt, um die bis zum 18. Juli seit Februar 1930 an gejezten Remontemärkte abzuhalten.

Nachdem der Antrag von Vertretern des Wehrministeriums noch mündlich begründet worden war, ersuchte Abg. Schöpflin S03.) den Ausschuß, aus den wiederholt angegebenen Gründen auch die neue herabgeminderte Vorlage abzulehnen.

In der Abstimmung wurde die Vorlage dann auch mit 16 gegen 15 Stimmen verworfen. Mit den Sozialdemokraten und Kom­munisten stimmte mur ein Demokrat gegen die Vorlage, alle übrigen Parteien waren nunmehr bereit, entgegen ihrer bisherigen Haltung die Wünsche der Reichswehr   zu befriedigen.

Der Ausschuß setzte dann die Beratung der Osthilfsmaß= nahmen bei dem wichtigsten Abschnitt Kredithilfe fort. Bu dem§9, der von der Betriebssicherung handelt, hatte die sozial­demokratische Fraktion einen Aenderungsantrag gestellt, der tie Reichsmittel in den Rechnungsjahren 1930, 1931 und 1932 in Höhe von 10 Millionen Mart begrenzen und Vorsorge treffen wollte, daß von diesen Mitteln

mindestens die Hälfte den klein- und Mittelbetrieben zugute

tommt.

Der Antrag wurde von Dr. Hilferding ausführlich begründet, der forderte, daß bei der Durchführung des Gesetzes nicht nur die Großbetriebe bedacht werden. Für den Haushaltsausschuß seien die jetzt diskutierten Bestimmungen mit die wichtigsten. Für die Zwecke der Betriebssicherung sollen in diesem Rechnungs. jahr 50 Millionen im Etat vorgesehen werden. Diese Summe fönne aber in diesem einen Rechnungsjahr nicht ausgegeben werden und es erscheine geradezu absurd, in diesem einen Rotjahr die volle Summe zu bewilligen.

Ministerialdirektor Wachsmann gab zu, daß in der Tat die ganze Summe nicht sofort gebraucht werde fönne, es sei daher wohl an sich möglich, etwas abzusehen. Die Verwal tung müßte aber unbedingt missen, mit welcher Summe fie im ganzen rechnen fönne. Wenn man für dieses Jahr auch mit einer leineren Summe sich begnügen fönne, so sei es doch notwendig, erst bei den Kanalbauten die ganze Summe in den Etat einzusehen und sie übertragbar zu machen.

Dr. Hilferding   erwiderte, daß durch den Uebertragbarkeits­Derinerf die wenigen fonkreten Bestimmungen des Gesetzes verwischt würden und die Reichsregierung eine Blankovollmacht erhalte, die nicht tragbar sei.

Abg. Heinig( S03.) ergänzte die letzteren Ausführungen von Dr. Hilferding noch nach der etatsrechtlichen Seite und seßle auseinander, daß durch das Etatsdispositiv das Ministerium das Recht erhalte, über alle bewilligten Osthilfemittel frei zu verfügen. Durch die Novelle zur Reichshaushalts. ordnung seien solche Möglichkeiten beseitigt worden. Jetzt würden sie aber, und zwir unter Mitwirkung des Reichsfinanzministeriums, Durch eine geschickte Formulierung im Etatsdispositiv wieder zum Leben ermedt

" Nationaler" Mob am Werke.

In der bergan

Racheaft gegen ehemalige Separatisten.

Mainz  , 3. Juli.  ( Eigenbericht.)

schweren Ausschreitungen gegen ehemalige Separatiften. In der vergangenen Jacht fam es auch in Mainz   zu Gegen Mitternacht zogen größere Trupps meist junger Leute unter Füh­rung einiger älterer Personen durch die Straßen. Bor den Ge­schäften und Wohnungen früherer Separatisten wurde Halt gemacht.

Mit großen Quaderfteinen und mit Instrumenten aller Art wurden die Wohnungen und Läden gestürmt und alles, was nicht niet- und nagelfest war, aus den Fenstern auf die Straße geworfen. Die Schaufenster und Ladeneinrichtungen wurden völlig zet stört. Erst in den Morgenstunden wurde das Bild der Zerstörung sichtbar. In allen Teilen der Stadt sieht man zer­frümmerte Geschäfte und Wohnungen. Die Straßen sind übersät von Laden- und Wohnungsgegenständen.

Die Terroristen waren mehrere hundert Mann start. Sie be­gleiteten das Zerstörungswerk mit dem Gesang des Deutschland­liedes und mit Rufen wie Deutschland   erwache!" Stellenweise wurde auch geplündert. Personen famen nicht zu Schaden, da die bedrohten Familien ihre Wohnungen zum Teil schon gestern

am Tage verlassen hatten.

Die Polizei hatte einen schweren Stand. Sie ging schließlich mit dem Gummifnüppel vor und säuberte die Straßen. Mehrere Personen wurden verhaftet. Seit heute morgen find an allen be­drohten Häusern Polizeipoften aufgestellt.

Das Klavier auf der Straße.

Eine Erinnerung.

verwüstete. Aus der Wohnung des Knobloch wurde das Klavier aus dem zweiten Stock auf die Straße gemorfen und die gesamte Wohnungs­einrichtung zertrümmert.

Eine Erinnerung taucht auf: Der Lokal- Anzeiger" an einent

Augufttage des Jahres 1914. Damals war bildlich zu ſehen die demolierte Wohnung eines Deutschen   in London  . Die Möbel waren auf die Straße geworfen, zum Teil in Brand gesteckt, und halb aus dem Fenster, gerade bereit auf die Straße zu stürzen, hing ein Klavier. Dazu eine Unterschrift: Der Londoner  Pöbel..", oder war ,, Mob" gesagt? Aber damals war das natürlich ganz etwas anderes.. Neuer Skandal in Breslau  .

Breslau  , 3. Juli.

Auch in voriger Nacht versuchten eine Anzahl Personen, die sich, wie die Polizei ermittelte, als Nationalsozialisten be­kannten, die öffentliche Ruhe und Ordnung zu stören. Wiederholt mußte die Polizei eingesetzt werden, um Ansammlungen unter An­wendung des Gummifnüppels zu zerstreuen. Insgesamt wurden elf Personen verhaftet, in den Morgenstunden aber wieder ent­lassen. Unter ihnen befanden sich u. a. zwei Gerichts­referendare und fünf Studenten.

Eisenbahnunglück bei Bologna  .

14 Personen tot.

Bologna  , 3. Juli.

In dem 18 Kilometer von hier entfernt liegenden

Aus Kaiserslautern   in der Pfalz   meldet auch der Lokal- Bahnhof Saiso stießen heute früh kurz vor 7 Uhr ein Anzeiger": aus Mailand   kommender Personenzug mit einent Güterzug zusammen. 14 Personen wurden getötet, zahlreiche verletzt.

Die aus der Zeit des Landesverrats bekannten Kaufleute Rinsche, Knobloch und Mallach wurden von der Menge aufgesucht, die die Schaufenster der Läden zerschlug und die Läden selbst

Großfeuer auf der Olympiabahn.

Heute früh wurde ein Teil der Tribünen und mehrere an­grenzende Gerüste der Olympia­Radrennbahn am Königs­damm in plöhensee durch ein Großfeuer zerstört. Die Feuerwehr mußte stundeglang angestrengt ar­beiten, um die Radrennbahn vor der völligen Bernichtung zu schützen.

Das Feuer wurde kurz nach

3 Uhr von Laubenfolonisten bemerkt, als bereits ein Teil der Tribünen an der Südkurve in hellen Flammen standen. Die Feuerwehr rückte auf den Alarm Großfeuer" unter Lei­tung des Oberbaurates 3ilius mit vier Löschzügen an. Da von dem brennenden Teil der durch die Hize ausgedörrten Tribünen ohnehin nichts mehr zu retten war, mußten sich die Wehren darauf beschränken, ein Weitergreifen des Feuers zu ver­hindern. Aus zahlreichen Schlauch­leitungen großen Kalibers wurden ungeheure Waffermengen auf die Tribünen geschleudert. Nach zwei­stündigem Wassergeben war Brandherd endlich eingekreist und die Gefahr für den übrigen Teil der

der

simo

Radrennbahn behoben. Die Aufräumungsarbeiten zogen sich bis in| Radrennbahn nämlich Dirt Trad- Rennen statt. Nach Schluß die Vormittagsstunden hin. Die Entstehungsursache konnte nicht mehr ermittelt werden. Man nimmt an, daß das Feuer offenbar durch die Unachtsamteit eines Rennbahnbesuchers verursacht worden ist. Gestern abend fanden auf der Olympia

der Veranstaltung hat vermutlich ein Besucher einen glimmen. den Zigarren stummel achtlos beijeite geworfen, wodurch das ausgetrodnete Holz, das wahrscheinlich erst lange Zeit geschwelt hat, plötzlich in bellen Flammen aufloderte.