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BERLIN Freitag 4. Juli

1930

Der Abend

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Nr. 308

B 153 47. Jahrgang

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Letzter Ausweg: Vertagung!

Das Zentrum will nicht mehr bis auf weiteres.

Jm Sozialen Ausschuß des Reichstags, der sich in feiner heutigen Beratung mit den eigentlichen Lei. stungsabbauvorschlägen zu beschäftigen hatte, wonach allen Erwerbslosen, die vorher weniger als 52 Wochen in Arbeit gestanden haben, die Unter­stügung gekürzt werden soll, gab es eine politische Ueberraschung! Das Zentrum beantragte, die weiteren Abstimmungen auf morgen zu vertagen!

Offenbar ist man im Zentrum nicht mehr geneigt, für alle die Verschlechterungen in der Arbeitslojen versicherung die Verantwortung zu tragen, wenn anderer­seits die Deutsche Volkspartei als Regierungspartei ihre hemmungslose Agitationspolitik in Gemein­schaft mit den Deutschnationalen fortsett.

Vorher wurde zu§ 90 des Gesetzes beschlossen, daß ein Arbeits­loser nicht mehr wie bisher berechtigt ist, eine Arbeit zu verweigern, wenn die Versorgung der Angehörigen nicht hinreichend gesichert ist, sondern ein Ablehnungsgrund ist neben den anderen Gründen zur Arbeitsablehnung nur noch dann gegeben, wenn der Arbeits­lose zur Verrichtung der Arbeit einen neuen Wohn- oder Aufenthalts­ort nehmen muß und insolgedessen die Bersorgung der Angehörigen nicht hinreichend gefichert ist.

Ferner wurde ein neuer§ 99a angenommen. Er trifft die Fälle, in denen ein Arbeitsloser, der die Anwartschaft nicht erfüllt, aber wenigstens dreizehn Wochen in einer versicherungspflichtigen Beschäftigung gestanden hat, Krisenunterstützung erhalten hat. Jetzt foll in solchen Fällen den Arbeitslojen die Krisenunterstüßung info fern angerechnet werden, als die Dauer der Krisenunterstützung von der Höchstdauer der versicherungsmäßigen Unterſtüßung abgezogen wird, wenn die bereits benutzte Anwartschaftszeit für die ver­ficherungsmäßige Unterstützung ganz oder teils nochmals be­

nötigt wird.

Diejenigen Bestimmungen, deren Abstimmung auf Antrag des Sentrums vertagt wurde, waren die folgenden:

§ 105a führt für die Lohnklassen sieben bis elf den Grundsatz ein, daß sich die Höhe der Unterstützung nicht nur nach der Höhe des Arbeitsentgelts bemißt, sondern auch nach der Dauer der ver ficherungspflichtigen Beschäftigung. Nach dem Entwurf soll die volle Hauptunterstützung denjenigen Arbeitslosen gewährt werden, die in den letzten 18 Monaten vor der ersten Arbeitslosmeldung, die auf den Erwerb der Anwartschaft folgte, mindestens 52 Wochen in einer versicherungspflichtigen Beschäftigung gestanden haben.

§ 107a soll nach der Vorlage gestrichen werden. Er beschränkte während der berufsüblichen Arbeitslosigkeit die Unterstützung auf die Höhe der Krisenfürsorge.

Nach einer eingehenden Aussprache über die weiteren Bestim­mungen wurden die Beratungen abgebrochen. Die nächste Sigung, in der die Abstimmungen vorgenommen werden und in der man die erste Lesung zu Ende zu bringen hofft, soll für den Fall, daß morgen feine Blenarsizung ist, Sonnabend stattfinden.

Fauftkampf in der Kammer.

Um Ferry, den Vater der weltlichen Schule und Bernichter der Kommune.

Paris , 4. Juli. ( Eigenbericht.) Die Spannung zwischen Sozialisten und Radikalen ist in der vergangenen Nacht in einer Nachtsizung der Kammer zum offenen Ausbruch gefommen, bei dem es auf beiden Seiten sogar Siebe abfente. Herriot hatte verlangt, daß im nächsten Jahr der 50. Tag der Gründung der Laienschule feierlich begangen, und daß dabei auch des Baters der Reform, Jules Ferry , gedacht würde. Abg. Brace protestierte gegen diese Ehrung Ferrys, der mährend der Kommune Baris habe verhungern lassen, der Hunderte von Revolutionären an die Wand gestellt und eine wilde Kolonialpolitik getrieben habe. Immer hätten die Sozialisten Ferry befämpft. Es sei ihnen unmöglich, ihn heute zu ehren. Diese Intervention rief einen 3wischenfall zwischen den Radi tolen und den Sozialisten hervor. Herriot verließ entrüstet den Saal. Der radikale Abgeordnete. Brapet stürzte sich mit erhobenen Fäusten auf Bracke und versuchte ihn zu schlagen. Léon Blum sprang dazwischen mit dem Erfolg, daß er die Schläge, die Bracke zugedacht waren, auffing. Die Sizung wurde mehrmals unterbrochen. Nach längerer Debatte wurde morgens gegen 4 Uhr die Feier der Laienschule und die Ehrung Ferrys genehmigt.

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Man prügelt in Ostpreußen !

Die Osthilfe und das Landarbeiterelend.

Reichstagsabgeordneter Carl Jäder, Gauleiter des Deutschen Landarbeiter- Berbandes in Ostpreußen , fendet uns diesen erschütternden Beitrag zu dem Kapitel Osthilfe". bürgerliche Tageszeitung war es, die vor kurzem in einem Bericht Nicht eine sozialdemokratische, sondern eine bekannte Berliner über die Verhältnisse in Ostpreußen folgende Fest­ftellungen machte:

Die Gerichte Ostpreußens haben im letzten Jahre in fast einem halben Tausend von Fällen schwerer und schwerster Mißhandlung von Landarbeitern durch Gutsbesizer und Inspektoren Recht gesprochen. Und das ist bestimmt nur ein fleiner Teil. Ostpreußen steht mit dieser Prügelstatistik an erster Stelle.

Hier macht also eine bürgerliche Zeitung dieselbe Feststellung, die sozialdemokratische Tageszeitungen bereits des öfteren bringen fein Einzelfall ist, in dem der Arbeitgeber sich selbstherrlich fonnten, daß es nämlich in Ostpreußens Landwirtschaft durchaus

ein Züchtigungsrecht über seine Arbeiter einräumt. Und berichtigend ist noch hinzuzufügen, daß es sich bei den zur Aburteilung tommenden Mißhandlungsfällen tatsächlich nur um einen Bruchteil der wirklich geschehenen handelt, denn der größte Teil fommt gar nicht an die Deffentlichkeit. Erschwerend tommt noch hinzu, daß die ostpreußischen Staats anwälte indirekt den großagrarischen Prügelhelden Vorschub leisten, da sie fast immer ein Einschreiten ,, mangels öffentlichen Interesses" ablehnen. Auch die Gerichte lassen nicht immer das er­

forderliche Maß von Einsicht erkennen. Auf Grund einer Privat­flage hatte sich das Amtsgericht Wartenburg mit einer Mißhandlung zu beschäftigen. Es kam zu einem Freispruch bei folgendem Tat­bestand:

forderte der Angeklagte den L. auf, vertretungsweise ein Gespann zu übernehmen. Als L. sich weigerte, ergriff der An­geflagte diesen am Arm, um ihn zu dem Gespann hinzuführen. Hierauf jagte L.: Lassen Sie mich los, sonst friegen Sie eins mit der Harke." Darauf versetzte der Angeklagte dem 2. einige

Hiebe ins Genid.

Diese Darstellung beruht in der Hauptsache auf den glaub­haft erscheinenden Aussagen des Angeklagten(!). Das teilmeije entgegenstehende Zeugnis des Zeugen 2. erschien dem Gericht unbeachtlich(!).

Das Urteil lautete: Die durch den Angeklagten vorgenommene Züchtigung hat die normalen Grenzen unstreitigerweise nicht überschritten. Der Angeklagte war daher freizusprechen." In einem anderen Falle erklärte das Arbeitsgericht zu

Goebbels ' orientalisches Sultanat

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Gobbels

15

Go nennt der nationalsozialistische Abg. Straßer die Berliner Gau leitung der RGDAP.

Sultan Goebbels:

AUS SCHLUSS

,, Knüppelt fie nieder, die Salonbolschewiften!"

Königsberg , der Ausdruck: Berlogener Lorba ß!", den ein Verwalter einem Hofgänger gegenüber gebrauchte, sei feine grobe Beleidigung im Sinne des Gesetzes. Bei einer solchen, wenn helden unter Gutsbesitzern und Beamten geradezu auch nicht sehr häufigen Einstellung der Justizorgane, die im ,, Namen des Boltes" Recht sprechen, wird natürlich den Prügel­

die Mißhandlung von Arbeitern schmackhaft gemacht. Aus der Fülle der mir vorliegenden Mißhandlungsfälle führe ich hier einige an.

Der Oberschweizer D. fordert von seinem ehemaligen Arbeit­geber S. in W. auf dem Gerichtswege eingeflagtes Deputat. Diese Gelegenheit benuẞt der Arbeitgeber, um seiner But über den ver­

Drei Wochen in der Luft.

120 mal Brennstoff erneuert.

Chitago, 4. Juli.

Die Gebrüder Hunter befanden sich gestern abend dem hiesigen Flugplatz. Das Wetter ist ausgezeichnet. Die beiden 5.40 Uhr 529 Stunden seit dem Antritt ihrer Luftferien" über flugzeug mit Brennstoff versorgt, wobei ein Zwischenfall anderen Brüder Hunter haben gestern zum 119. Male das Reford­eintrat, der eventuell den vorzeitigen Abbruch der Rekordfliegerei flugzeug aufsteigen wollte, verjagte plöhlich der Motor. Man hatte zur Folge hätte haben fönnen. Als nämlich das Berproviantierungs­gerade noch Zeit, die Panne zu beheben, bevor den beiden Fiegern das Benzin ausgegangen war.

lorenen Prozeß Luft zu machen und verprügelt den D. derart, daß er mehrere Wochen im Krantenhause liegen muß.

Inspektor seines Gutes mit der Reitpeitsche geschlagen zu sein. Die Aus einem ärztlichen Attest: Der Instmann gibt an, von dem finte Schulter zeigt etma 25 rote Striemen, von denen einige blutig sind. Außerdem ist der linke Daumen verstaucht und der Bauch und die Brust druckempfindlich."

Schließlich ein Fall der leider durchaus nicht seltenen Miß­handlung von Frauen, ebenfalls durch ärztliches Zeugnis belegt, das ich auszugsweise wiedergebe:

Frau R. gibt an, von einem Wirtschaftsbeamten geschlagen zu sein und zwar mit einem dicen Krüdstod. Sie habe start aus dem Munde geblutet und empfinde noch jetzt am Arm und an der geschwollenen Oberlippe Schmerzen.

Befund: An der Außenseite des linten Oberarmes befindet sich ein etwa Zentimeter breiter und 7 Zentimeter langer blut­roter Streifen. Die Oberlippe zeigt wesentliche Schwellung. Am Zahnfleisch des Oberkiesers befindet sich eine 2 Zentimeter lange frische Quetschwunde mit gezackten Rändern. Beim Versuch, die Wundränder voneinander zu entfernen, entleert sich aus der Wunde Blut. Nach Entfernen des Blutes sieht man den freien Oberkiefertnochenrand.

Nach dem Befunde zu schließen steht es außer Zweifel, daß die Verlegungen in der angegebenen Weise entstanden sind. Die Handlungsweise muß als eine besonders rohe bezeichnet werden, zumal die Frau in deutlich sichtbarer Weise sich in anderen Umständen befindet."

So fönnte ich aus den einigen hundert mir vorliegenden zu gegangenen Mißhandlungsfällen weitere hundert schwerster Art aufzeigen. Doch mögen die angeführten Proben beweisen, wie felbstherrlich der oftpreußische Großgrundbesizer und manche seiner Beamten auf den Gütern der östlichen Provinzen haust.

Neben den tätlichen Angriffen ist es insbesondere auch der Umgangston, der zu lebhaften Beanstandungen der Arbeiter­schaft Anlaß gibt. Man braucht sich nur die 3 bis 4 legten Nummern des Ostpreußischen Landboten" einmal durchzulesen, um aus den dort enthaltenen Berichten über die Umgangsformen der Landwirte ein richtiges Schimpfwörterlegikon

anfertigen zu können. Und seltsamerweise sind es gerade hier die Proletarierfrauen, die den schimpfmütigen Agrariern Objekte zu be sonders gemeinen und abfälligen Redensarten sind.

Die Folgen einer solchen Behandlung machen sich in den Zahlen über die Abwanderung aus Ostelbien und insbesondere aus Ost­