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Sonnabend

5. Juli

1930

Der Abend

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Spätausgabe des Vorwärts

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10 Pt.

Nr. 310

B 154 47. Jahrgang

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பாம்

Brot nach Gewicht.

Endabstimmung im Reichstag / Die Stellung der Sozialdemokra ie.

Der Reichstag fehte heute, um 12 Uhr, zunächst den von der Wirtschaftspartei eingebrachten. Gesetzentwurf über Arbeits= dienstpflicht von der Tagesordnung ab. In der zweiten Beratung des Brotgesetzes gab

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Abg. Simon- Franken( Soz.) folgende Erklärung ab: Bereits am 3. März ist dem Reichstag von dem damaligen Ernährungsminister Dietrich der Entwurf eines Brotgeleges vorgelegt worden. Er sah vor eine scharfe Unterscheidung zwischen Roggenbrot und Weizenbrot und die Ber­pflichtung, Brot fünftig nur nach Gewicht zu verkaufen. Beide Bestimmungen dienten dem Schuße der Verbraucher bei gleich zeitiger Förderung des Berzehrs von Roggenbrot. Aus diesem Grunde stimmte die Sozialdemokratie in der ersten Lesung des Boltswirtschaftlichen Ausschusses diesem Gesezentwurf zu, der auch angenommen wurde. Daß er trotzdem nicht in Kraft trat, beruht auf der Tatsache, daß die Deutschnationale Volkspartei und die Wirtschaftspartei unter dem Einfluß von Abgeordneten, die damit ihre persönlichen Berufsinteressen bedroht sahen, dagegen stimmten, die zweite Lesung im Ausschuß verzögerten und damit das rechtzeitige Inkrafttreten dieses Gefees am 1. Mai un

Abgeordnete geraubt.

Lappiffen verschleppen Kommunisten aus dem Reichstag Helsingfors , 5. Juli.

In den Sitzungssaal des Grundgesetausschusses des Reichstages drangen heute vormittag vier unbe= tannte Männer ein. Sie ergriffen zwei kommu­nistische Mitglieder des Ausschusses, schleppten sie in Autos und verschwanden. Einer der Eindringlinge mies das Abzeichen der Zentralfriminalpolizei vor. Der Vorsitzende des Ausschusses zeigte den Vorfall beim Staatsministerium an.

möglich machten. Die Nachteile, die dadurch für die Landwirtschaft eingetreten sind, haben daher ausschließlich die angeblichen Ber­treter der agrarischen Interessen zu verantworten.

Der nunmehr vorliegende Entwurf des Ausschusses enthält gegenüber dem ursprünglichen Entwurf der Reichsregierung Ber­fchlechterungen. Wenn trotzdem die Sozialdemokratie dem vorliegenden Gesetzentwurf ihre Zustimmung gibt, so geschieht das aus zwei Gründen, erstens, weil auf ihren Antrag ihrer seit Jahren erhobenen Forderung nach gesetzlicher Festlegung des Brotverkaufs nach Gewicht entsprochen worden ist, und zweitens, weil sie den Bersuch einer Förderung des Roggenverbrauchs, wie ihn das Ge­sez in der Hauptsache bezweckt, als geeignetes Mittel zur Ueber­windung der Notlage auf dem Roggenmarkt bejaht.

Abg. Frau Wurm( Soz.):

Das deutsche Volt hat nach dem Abg. Rieseberg weiter feine Sorgen, als sich schleunigst mit Roggenbrot ein­zudecken. Bon meiner Fraktion ist in den Ausschußberatungen immer wieder betont worden, daß die Gewichtsbestimmun= gen wesentlich für uns und die gesamte Verbraucherschaft sind. Dieses Gesetz hat nicht dieselbe Formulierung, wie der von der Regierung Müller eingebrachte Gefeßentwurf. Unter der Regierung Müller wurde das Gesetz gegen die Stimmen der Deutschnatio­ nalen und Wirtschaftsparteiler in erster Lesung angenommen. Die­felben Barteien haben dann durch ihren Widerspruch das In­trafttreten des Gesetzes über den 1, Mai hinaus ver zögert. Trotz der Mängel des neuen Gesetzes würden wir ihm zustimmen. Fallen aber die Verbraucherschutbestim­mungen weg, sind wir nicht dazu in der Lage. Je mehr die Konsumgenossenschaften geschmäht werden, desto besser haben sie fich bisher entwidelt. Wenn also nach der Absicht der Wirtschafts­partei und der Deutschnationalen der§ 4 des Gesezes mit den Schutzbestimmungen fällt, so erfläre ich für meine Person, daß wir gegen das Gesetz stimmen.( Lebh. Beifall b. d. Soz.)

Abg. Drewih( Wirtschp.) erklärt, daß das Brotgewicht in den Berliner Bäckerläden schon längst angegeben. werben müsse. Die Gewichtsbestimmungen des§ 4 feien aber schifanös und undurch­

führbar.

In der Abstimmung zur zweiten Lesung wird die Streichung des§ 4. abgelehnt und das Brotgesetz in der Ausschußfaffung an­

genommen.

Um 13% Uhr vertagt sich das Haus auf Montag, 3 Uhr: Haushalt des Reichsfinanzministeriums, neue Dedungsvorlagen, handelspolitische Borlagen,

und

Frick in der Minderheit.

Aber

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er flebt trotzdem am Amt.

Weimar , 5. Juli. ( Eigenbericht.)

den

In der gestrigen Landtagssitung fam es nach stunden­langer erregter Debatte um Mitternacht zur Abst im mung über die von der sozialdemokratischen Fraktion eingebrachten Mißtrauensanträge gegen den Minister Frid nationalsozialistischen Staatsrat Marschler. Dabei wurden für das Mißtrauen ab­gegeben 25 Stimmen( Sozialdemokraten, Kommunisten und Demokraten), dagegen nur 22! Die Volks parteiler enthielten sich der Abstimmung. So war Frick in die Minderheit geraten. Aber da nach der Landesverfassung ein Mißtrauensvotum zum Rücktritt nur zwingt, wenn mehr als die Hälfte der Abgeordneten dafür stimmt, so gedenkt Frick ruhig im Amte zu bleiben. Für die fünf Volksparteiler stimmte der Abg. Wizmann ein Ragelied über die Nationalsozialisten an, indem er ausführte:

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In wiederholten Erklärungen habe ich bei verschiedenen Ans läffen namens der Fraktion der Deutschen Volkspartei ausgeführt, daß und aus welchen Gründen wir die gegenwärtige thüringische Regierung nur unter schweren Bedenken mitgewählt und seither durch Stellung eines Staatsrates unterstützt haben.

Die grundsätzlichen Gegenfähe, die uns von den National­fozialisten trennen, machen uns ein Zusammenarbeiten mit ihnen naturgemäß schon an und für sich schwer. Die Art und Weise aber, in der auch führende Bertreter der nationalsozialistischen Bewegung im Reich und in den Ländern und auch bei uns in Thüringen vor­gehen, und in der sie gerade auch unsere Partei angreifen, hat in unseren Reihen sehr starte Berstimmung hervor­gerufen; zahlreiche Klagen von Parfeifreunden aus den ver­schiedenen Teilen des Landes und des Reiches, die uns in den letzten Wochen und Monaten zugegangen find, zeigen deutlich, welch tiefe Erregung sich weiter Kreise in unserer Partei bemächtigt hat, und wie schwer uns dadurch die Mitarbeit an der Regierung gemacht

wird.

Der gestern veröffentlichte Brief des Rettors der Uni­versität Jena gegen den Herrn Minister Dr. Frick stellt Zustände an der Universität Jena und in dem Verhältnis des Cehrkörpers der Universität zu dem Volksbildungsminister an das Licht, die auf die Dauer schlechthin nicht ertragen werden können. Diese Zustände find hervorgerufen worden einmal durch die Verlegung des Borschlagsrechtes bei der Professur von Dr. Günther und dann durch das die Autorität des Senats schädigende Eingreifen des Ministers in das Verhältnis zwischen Lehrtörper und Studentenschaft. Wir müssen auf rasche und gründe liche Beseitigung dieser Mißhelligkeiten den größten Wert Dringend notwendig erscheint uns auch, daß Streitigkeiten mit

legen.

Bölkischer Bruderzwist

FUR MICA

OTTE STRASSER 5

led sofa schifura

GREGOR STRASSER

FUR HITLER

FORATH

" Dimmeldonnerwetter, es muß sich doch feststellen laffen, wer von uns das stärkere Brett vorm Kopf hat!"

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dem Reich nach Möglichkeit vermieden werden. Sie sind dem An­sehen unseres Landes abträglich, nehmen Zeit und Kraft aller Be­teiligten unnötig und über Gebühr in Anspruch und verursachen, stoffen. zumal wenn sie ungünstig für das Land ausgehen, außerdem noch erhebliche Kosten. In letzter Zeit sind ferner von der Regierung und zwar teils unmittelbar von dem nationalsozialistischen Minister, teils unter maßgebender Mitwirkung der nationalso izalistischen Regierungs­mitglieder Verwaltungsmaßnahmen getroffen worden, von denen nach unserer Auffassung zu erwarten steht, daß sie vom Gericht als mit den geltenden geschlichen und rechtlichen Bestimmungen nicht vereinbar erklärt und deshalb werden zurückgezogen werden müffen."

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Trotz aller dieser schweren Bedenken" und Vorwürfe erklärte der Redner schlechthin, daß sich die Volksparteiler der Stimme ent­halten würden, weil sie selbst entscheiden wollten, wann sie das Mißtrauen aussprechen. So blieb Frid als voltsparteilicher Nazi­

mann im Amte!

Der achtzehnfache Parlamentarismus, dessen wir uns in Deutsch­ land erfreuen, zeitigt mitunter seltsame Blüten. Hier ist der Fall- passiert, daß ein leidenschaftlich umfämpfter Kleinstaatminister nach allen Regeln des parlamentarischen Systems gestürzt ist, aber dennoch im Amte bleiben fann, weil die- Verfassung des Landes ihm das erlaubt. An sich läßt sich ja manches dafür anführen, daß man Schuß verleiht in diesem Fall aber wird aus Bernunft Unfinn, den Länderregierungen gegen politische Krisenmacherei einen gewissen denn hier verhindert die Krisenschutzbestimmung die Beendi­gung einer Krise.

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Seit die Volkspartei durch ihr Hinzutreten die Bildung der Frid- Regierung in Thüringen ermöglicht hat, befindet sich dieses Land in schwerstem Krisenzustand. Die Volkspartei konnte gestern diesen Krisenzustand beseitigen, indem sie für den sozial­demokratischen Antrag stimmte. Sie hat sich dazu nicht entschließen können und hat sich der Stimme enthalten. Damit kann sie aber natürlich auf die Dauer nicht durchkommen. Es liegt in ihrer Hand, Frick zu beseitigen; solange sie das nicht tut, bleibt sie auch mit ihrer Stimmenthaltung für das Fortbestehen dieses Standals verantwort lich. Sie bleibt verantwortlich für den Konflikt Thüringens mit dem Reich, fie fann sich dieser Verantwortung nicht durch eine Flucht in die Neutralität entziehen. Sie muß Frid stützen oder sie muß ihn stürzen!

Der kleine Diktator von Weimar befindet sich in einer tragi­komischen Situation. Er hat gegen Berlin die größten Bogen ge spuckt und muß jetzt bemerken, daß er nicht einmal die Mehrheit seines eigenen Parlamentchens hinter sich hat. Anständigerwetse müßte er jetzt, auch ohne Zwang der Verfassung, zurücktreten, aber wahrscheinlich denkt er gar nicht daran. Er will warten, bis er durch die Freundlichkeit der Volkspartei in Sachfen eine gleich­gestimmte Seele zum Kollegen bekommt.

Eine Reichsregierung, die über einige Autorität verfügt, tönnte freilich sehr rasch mit dem ganzen Theater Schluß machen!

Unterstützungsabbau beschlossen

Weil ein Kommunist fehlte- Zentrum behält sich alles vor

Der Soziale Ausschuß des Reichstags hat Sonnabend früh die zurückgestellten Abstimmungen vorgenommen. Bor Eintritt m die Abstimmung wiederholt Frau Abg. Teusch( 3.) heute noch­mals ihre Erklärung, daß das Zentrum alle Abstimmungen in der ersten Lesung nur unter Borbehalt vornehme und daß es sich für die zweite Lesung eine veränderte Haltung vorbehalten müsse.

Der entscheidende Abbauparagraph 105a, wonach Erwerbs lose mit weniger als 52 Wochen Beschäftigungs. zeit nur noch die Säße der Krisenfürsorge erhalten sollen, wird mit 12 gegen 11 Stimmen angenommen.

Wären die Kommunisten statt mit zwei mit den ihnen zu­ftehenden drei Ausschußmitgliedern anwesend gewesen, so wäre dieser Unterstützungsabbau mit Stimmengleichheit abgelehr.. worden.

Die in der Regierungsvorlage vorgesehene Kürzung bei