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Nr. 317 47. 3ahrgang

1. Beilage des Vorwärts

Berlins   neues Spitzenkraftwerk

48 Staaten find in der meltum Spannenden Arbeitsgemeinschaft ver einigt, die im Jahre 1924 als Belt traftfonferenz" ins Leben gerufen murde, um durch internationale Zu fammenarbeit die Erzeugung, Ber teilung und Verwendung von Ener gie in jeder Form missenschaftlich und industriell zu fördern. Sie will die Fachmänner der Energieversorgung mit den Vertretern der Wissenschaft und Wirtschaft zu gemeinſamem Erfahrungsaustausch zusammen

führen, aber zugleich auch die ,, Platt­form" schaffen, von der aus die Energiewirtschaft zur breitesten Def. fentlichkeit spricht. In der Reichs hauptstadt selbst wurden dem frem den Ingenieur in erster Linie die vorbildlichen Elektrizitätswerte der Bemag gezeigt. Das vor der Voll­endung stehende Kraftwerk West Der Bewag tann auch besondere Beach­fung beanspruchen; find doch bei feinem Bau die neuesten technischen Erfahrungen der letzten Jahre mit­vermertet worden. Während das im Jahre 1926 fertiggestellte Großkraft­mert Klingenberg vornehmlich die Bersorgung des östlichen Stadt­gebietes versehen soll, ist das in der Nähe von Spandun gelegene Kraftwerk West für die Strom­versorgung im Besten Berlins   bestimmt. In nicht allzu ferner Zeit werden diese beiden Werke zwecks Lastausgleich durch cinen 100 KV Rabelring verbunden, an welchen auch die übrigen vorhandenen älteren Bezfe angeschlossen werden. Später wird im Norden und Süden von Berlin   im Anschluß an diesen Ausgleichsring noch je ein großes Abspannwert errichtet, die eben­falls mie die Kraftwerke für die Speisung des großen Verteilungs. nezes Berlins   bestimmt sind. Diese Abspannwerte fönnen auch zur Aufnahme der Energiemengen aus Fernstrommerken dienen.

Kraftwerk West" bei Spandau  

Das neue Kraftwerk West ist mit seiner installierten Maschinen leistung von zirfa 28 000 Silomatt um etwa 15 Prozent fleiner als Klingenberg ausgelegt. In seinen technischen Einzelheiten weichi es mesentlich von den maschinellen Einrichtungen im Klingenberg­Mert ab. Vor allem ift die Art der Feuerung, der Dampfdrud, die Unterteilung der Maschinenleistung und die Art der Kühl­casserversorgung verschieden. Aus der Eigenart der Berliner   Be Taftungsturne ergab fich die Notwendigkeit dieser Abweichungen. Das Kraftwerk Best wird nämlich nur die Lages last mitzudecken haben, so daß dasselbe mehr als ein Spigenfraftmert, im. Gegensatz zu Klingenberg als Grundlasttraftwerf, anzusprechen ist. Sieraus folgt, daß auf den Gestehungspreis der hier erzeugten lowattstunden die Zinsen des Baukapitals einen verhältnismäßig ößeren Einfluß haben als die Brennstoffkosten. Es mußte daher itgestrebt werden, dieses Kraftwerk besonders billig zu bauen und erst in zweiter Linie durch mehr oder weniger große Aufwendungen bei den Einrichtungen den fünftigen Dampfverbrauch so tief wie möglich zu fenten.

Die Kohlen aus dem oberschlesischen und mestfälischen Revier merden durch Großraumgütermagen mit 60 Tonnen Ladung oder durch Kähne zu dem neu errichteten Hafen herangebracht. Als Trans­

SINCLAIR LEWIS

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DER ERWERB

ROMAN  

Im Büro murden sogar diejenigen der Vorgesezten, die sonst am schärfsten zur Arbeit trieben, ein wenig menschlicher. Die Fenster standen nun offen, und meist blidte irgend jemand hinaus und sah dem Leben zu, dem Leben auf dem Pflaster da unten, acht Stodmerte tiefer. In der Mittags­pause schlenderten die jüngeren Mädchen des Büros zu dritt und viert auf und ab, ohne Hut und Arm in Arm- ihr Frühlingspfad war ein gewundener Weg zwischen Kisten vor den zum Himmel ragenden Häusern. Oder sie ver speisten das in Papierservietten mitgebrachte Essen auf den Sproffen der Feuerleitern im Hofe unten. Sie spannten fichernd ihre Röde eng um die Beine und flirteten mit jungen Trägern und Badern, die sich aus den gegenüber liegenden Fenstern des Hofes zu ihnen hinausbeugten. Una jag mitten unter ihnen und wünschte sich, so flierten zu fönnen wie die Töchter New Yorks  . Sie vernahm eine er­höhte Zahl vertraulicher Mitteilungen, wie: ,, Und da hat er mir gefagt..." oder ,, Und da habe ich zu ihm gesagt. oder Na, sag ehrlich, Teß, ist er nicht ein Prachiferl?" Sie hörte vom Beilchenpflüden im Ban Cortland Park erzählen und von Spaziergängen längs der Palisaden. Und sie er­tappte sich bei dem Wunsche, auch dort zu lustwandeln mit -mit Walter Babson, der nicht einmal ihren Bornamen fannie.

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Wenn sie an solchen Tagen ihre Wohnung verließ, ver­gaß sie sofort ihre einsame Mutter unter dem trügerischen Zauber dieses zartblauen Himmels; sie hatte das Verlangen, durchzubrennen, sich diesen goldenen Sonnentag zu stehlen. Doch sobald sie ins Büro tam. war alles verschwunden da gab es fein Gold und feine Sonne, fondern auf Schreibtische aus gelber Eiche, und auf Scheidewände aus Holz und Milch glas fiel dasselbe fahle Licht wie an Wintertagen. Manchmal, menn sie zeitig fertig wurde, brachte ihr ein stiller Abend glanz, türkis- und ambrafarben, das Gefühl des Frühlings wieder. Doch den ganzen Tag über sob sie nur Anzeichen dafür, daß es anderswo und für andere Leute einen Früh

porimittel für die Kohlen sind in weitestem Maße Gummi­bänder für Betrieb im Freien vorgesehen. Die acht Kessel des Kraftwerks Best mit je 150 Tonnen Dampf in der Stunde sind doppelt so groß wie in Klingenberg. Der Dampforud ist mit 28 atü am Refsel etwas niedriger als der bisher benutzte Dampf­drud von 35 atü. Je vier dieser Großkessel sind an einen 110 Meter hohen Schornstein angeschlossen.

Die Bauarbeiten sind so weit fortgeschritten, daß programm­mäßig die erste Hälfte des Kraftwerts mit etwa 100 000 Rifomait Leistung im Herbst dieses Jahres in Betrieb genommen werden fam. Im Herbst 1931 wird das Kraftwerk West mit seinem vollen Ausbau der Berliner   Stromversorgung zur Verfügung stehen.

Ferien in der Stadt.

Seit drei Tagen sind die großen Außenspielplǎge der Stadt Berlin   wieder in Betrieb. Im Tegeler Forst und in der Jungfernheide, im Planterwald, im Grunewald   und an vielen anderen großen Freiplähen außerhalb des Weichbildes der Stadt Berlin   wimmelt es von fröhlichen fleinen Leuten. Es ist dies das große Heer der Daheimgebliebenen, die nicht den Treffer der Ferien­verschidung zogen und die eben ihre Schulferien so gut es geht daheim verleben müssen. In der achten Morgenstunde bringen Extrazüge der Straßenbahn die zahlreiche kleine Gesellschaft an den Ort ihrer Bestimmung, und bis 6 Uhr abends tummeln sie sich in guter Luft und fröhlicher Gesellschaft umher. Da wird gespielt und gebadet, spazieren gegangen und gegessen. Und das Essen ist mit eine der Lieblingsbeschäftigungen. Besonders die Schrippen hat die Urlauberschaft ganz besonders in ihr Herz geschlossen, und mer ihnen zu einer Extrafchrippe verhilft, der kann dafür allerlei

ling gab, und versonnen glaubte sie daran, wenn sie Walter Babson beobachtete und ihm bei der Arbeit half. Ihr war nicht entgangen, daß sie beide schon mehr wie Kameraden miteinander arbeiteten, nicht wie ein Beamter mit seiner Hilfskraft. Nicht etwa, daß sie sich in einem leuchtenden Augenblid gegenseitigen Verstehens gefunden hätten; er benahm sich gegen sie ganz unpersönlich. Und doch glich ihre Beziehung mit jedem Tage weniger einer rein mechanischen Zusammenarbeit und immer mehr einer per sönlichen Freundschaft. Sie fühlte, daß er wirklich von ihrer sorgfältigen und beständigen Umficht abhängig war, und sie erkannte hinter dem Gewirr seines zerfahrenen, impulsiven Befens das Bestreben, edel zu sein.

5.

An einem Nachmittag im Mai tam er zwischen den Reihen der Schreibtische auf sie zugeschritten und bat: hören Sie einmal, Fräulein Golden, ich hänge. Ich soll da einen Artikel des Gouverneurs über Lastenstraßen propagieren, den wir veröffentlichen merden; ich möchte ihn gerne schon vorher vierzig Zeitungen zusenden und habe nur ein Dugend Kopien. Und das Zeug muß noch heute abends weg. Können Sie mir einige Kopien machen? Sie können das dünnfte Bapier nehmen und Durchschläge machen. so daß Sie fünf Ropien auf einmal herausbekommen. Aber Sie werden wahrscheinlich lange hier bleiben müffen. Haben Sie etwas für heute abend vor? Könnten Sie es machen? Bitte, tönnten

Sie es machen?"

,, Natürlich."

,, Na, da ist die Geschichte. Die Einleitung oben schreiben Sie bitte einzeilig." Una riß das Rundschreiben, das fie für S. Herbert Roß  zu vervielfältigen hatte, aus der Schreibmaschine und be­gann, den Artikel für Walter zu schreiben, mit vorgebeugten Schultern, ohne aufzublicken und ohne auf das fortwährende Beplapper der anderen Mädchen zu achten. Er brauchte sie! Da wäre sie bis Mitternacht im Büro geblieben! Während die Tasten unter ihren Fingern flapperten, sah sie sich schon die halbe Nacht bei der Arbeit fizen in dem menschenleeren, verfinsterten Büroraum, fah ein totenbleiches Gesicht durch die Fensterscheiben neben ihrem Schreibtisch hereinstorren ( mas nicht leicht war, da sich das Fenster im achten Stodwer! befand), und sah sich auf dem Heimweg von einem Mann auf der Straße verfolgt; dann hörte sie, endlich zu Hause an­gelangt, die Mutter sagen: Ich verstehe nicht, wie du mich den ganzen Abend so allein lassen kannst." Und all die

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Donnerstag, 10. Juli 1930

nüzliche Dienste im Baldquartier verlangen. Nur schade, daß in diesem Jahre die begehrte Schrippe so arg zusammengeschrumpft ist: von 70 auf 35 Gramm. Sparmaßnahmen, die die hungrige Jugend bitter empfindet. Auch sonst sind allerlei empfindliche. Ein­schränkungen vorgenommen worden. So fehlt es beispiels meise an genügend Freiplägen. Es gibt Hunderte, mahrschein­lich sogar Laufende von Kindern, deren Eltern den Wochenbeitrag von 1,50 Mart nicht aufbringen können und die die großen Ferien auf dem traurigen Hof oder in der gefahrvollen, staubigen Straße nerleben müssen.

Es ist eine Freude, zu sehen, wie sich die blassen Gesichter bräunen, wie all der findliche Frohsinn aus den Augen leuchtet, meil man spielen und essen und ruhen darf.

Untersuchung des Flugbootunglücks. Bestand für die 5 Ertrunkenen feine Rettungsmöglichkeit?

Der in der gestrigen Abendausgabe wiedergegebene erschütternde Bericht des Kapitäns des holländischen Seglers Spes" läßt feinen Zweifel mehr zu, daß bei dem Unter­gang des Dornier- Flugbootes vor Bornholm   die passagiere Birt, Bratelsberg, Burgfolter und Fräulein Notrop, sowie der Funkmaschinist Tippmann ums Leben gekommen sind.

Auf Bornholm   fand gestern vor dem dortigen deutschen Konsul wegen des Flugbootunglücks die sogenannte Verflarung" statt, bei der Flugzeugführer Kuring die notwendigen Erflärungen abgab. Auf Grund des hierbei aufgenommenen Protokolls wird dann das zuständige Seeamt in Stettin   die weiteren Formalitäten erledigen. Im übrigen wird das Unglüd die Untersuchungs tommission der Lufthansa noch eingehend beschäftigen. Flugzeug­führer Kuring dürfte im Laufe des heutigen, spätestens aber des morgigen Tages in Berline   intreffen, um seine telephonischen und telegraphischen Schilderungen durch einen eingehenden münd­lichen Bericht an die Direktion und an den Leiter der Seeflug­abteilung, Schiller  , zu ergänzen. Die Lufthansa hat in Nero den Führer des Schoners ,, Maja" nernehmen lassen und hat noch gestern einen Beauftragten nach der Insel Riens bei Greifswald   entsandt. um den Kapitän des Motorseglers Spes" über seine Wahr­nehmungen an der Unglücksstelle zu hören. Die Suche in dem Gebiet südlich von Bornholm   nach dem Wrack des Flugbootes und den Leichen der ertrunkenen Insassen mußte gestern megen des Sturmes auf der Ostsee   eingestellt merden. Die deutschen Torpedoboote liefen in Nerö ein, da der außerordentlich hohe Seegang alle Beobachtungen unmöglich machte.

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Der bei dem Flugbootungtück auf der Ostsee   ums Leben ge fommene unter Frig Tippmann beflog erst seit Inapp vier Wochen die Strecke Stettin  - Stockholm  . Vorher wurde er von der Lufthansa auf der Linie Basel  - Barcelona   beschäftigt.

Lautsprecher als Ruhestörer.

Eingreifen der Gendegesellschaften.

Wie die Funtstunde Berlin   mitteilt, mehren sich täglich die Be schwerden über unzulässige Bedienung von Lauffpre­chern beigeöffneten Fenstern und im Freien, die teil­weise von frühmorgens bis spät in die Nacht mit übermäßiger Laut­stärke betrieben werden, so daß die Mitbewohner des Hauses und oft auch die Nachbarschaft im weiten Umireis in unerträglicher Weise belästigt werden. Die Sendegesellschaften sehen sich genötigt, in solchen Fällen, in denen sie um Abhilfe angerufen werden, gegen den betreffenden Ruhestörer einzuschreiten und, menn ihre Vermitt lung nichts fruchtet, nötigenfalls auch eine Anzeige an die Polizei weiterzugeben, damit von dort aus mit allen zur Verfügung stehen­den Mitteln gegen die betreffenden Störer vorgegangen wird.

Zeit über hatte sie die Empfindung, mit wichtigen Angelegen­heiten zu tun zu haben ein Artikel vom Gouverneur des Staates diese selben Blätter, die sie hier schrieb, sollten an die größten Zeitungen gehen, zu den dröhnenden Druder­preffen", von denen fie in Romanen gelesen hatte; eine große, dringende Staatssache war das und ein Liebesdienst für Walter Babson.

Gegen Büroschluß, um fünf Uhr dreißig, arbeitete sic immer noch in höchster Eile. Der Artikel mar lang; sie hatte mindestens noch zwei Stunden Arbeit vor sich. Fräulein Moynihan tam schwerfällig heran, um ihre gute Nacht zu wünschen. Die übrigen Stenotypistinnen schwirrten hinaus zu den Fahrstühlen. An ihren Blägen wurde es bedrückend still. Müßig strich der Bürochef noch ein wenig hin und her, wünschte Una gute Nacht und machte sich davon. S. Herbert Roß   trat lärmend aus seinem Zimmer und er flärte einem Benzolmenschen in fleinfariertem Anzug mit lauter Stimme die Theorie der Reklame, während sie zum Fahrstuhl schlenderten. Die Telephonistin eilte zurüd, um noch schnell einen verspäteten Anrufer zu verbinden, wartete stirnrunzelnd, riß den Kontakt heraus und rannte davon- ein rosiges, rehäugiges Ding, hübsch und tief unglücklich bei ihrer aufreibenden Beschäftigung, den ganzen Tag nervöse Menschen miteinander verbinden zu müssen. Bier Männer, Redakteure und Leute aus dem Annoncenbirro, drängten sich unter dröhnendem Gelächter über einen schlechten Wiz zum Ausgang. Una wurde sich mit einemmal bewußt, das alle fort maren, daß ihre flappernde Schreibmaschine von schweigenden Wänden umgeben war. Und daß Walter Babson noch nicht fortgegangen war; daß er mit ihr die flüsternden Räume dieses verlassenen Büros teilte.

Da fam er schlendernd aus dem Redaktionszimmer heraus.

Er hatte seine groteste, große Hornbrille abgenommen und strich mit der Hand über seine Augen, die aufrührerija wirften in dem dunklen, melancholischen Gesicht, und schüttelte den Kopf. All dies bemerkte Una mit einem Blid. ,, Armer, müder Kerl!" dachte sie.

Er setzte sich auf den zunächstehenden Schreibtisch, um faßte feine Knie und schaufelte hin und her. Noch viel Fräulein Golden?" fragte er.

Ich glaube, ich bin in zwei Stunden fertig. ,, Du lieber Gott  ! So lange dürfen Sie nicht dableiben." ,, Das macht nichts. Wirklich nicht! Ich tue es ganz gerne. Es ist bisher felten vorgekommen, daß ich länger bleiben mußte." ( Fortsetzung folgt.)